Читать книгу Steuerrecht, eBook - Henning Tappe - Страница 24

b) Das Leistungsfähigkeitsprinzip

Оглавление

35

Das Leistungsfähigkeitsprinzip besagt, dass jeder nach seiner Zahlungsfähigkeit besteuert werden soll[62]. Die Verteilung der steuerlichen Lasten soll also die unterschiedlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse berücksichtigen. Ob das Leistungsfähigkeitsprinzip ein tauglicher Verteilungsmaßstab für Steuern ist, ist in der ökonomischen Theorie umstritten. Soll das Prinzip mehr als die fast banale Aussage enthalten, dass derjenige mehr geben muss, der mehr hat, dann bedarf es der Konkretisierung. Hier beginnen die Schwierigkeiten. Die Ökonomen haben sich in einer jahrhundertealten Diskussion nicht darauf einigen können, welche konkreten Aussagen für die steuerliche Lastenverteilung sich aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip ableiten lassen.

Der Streit beginnt schon bei der Frage, was „Leistungsfähigkeit“ heißt. Ist die konkrete Güterzuordnung entscheidend (sog. Ist-Leistungsfähigkeit) oder ist auch derjenige leistungsfähig, der viel verdienen könnte, aber sich, aus welchen Gründen auch immer, dem Müßiggang hingibt (sog. Soll-Leistungsfähigkeit)? Heißt Leistungsfähigkeit nur Verfügung über wirtschaftliche Mittel (Geld) oder muss auch danach gefragt werden, wie jemand (also mit welchem Einsatz an Zeit und Kraft) diese Leistungsfähigkeit erworben hat? Wenn A mit 10 Stunden Arbeit im Monat 5000 € verdient, B aber für denselben Verdienst 100 Stunden aufwenden muss, sind dann beide gleich oder unterschiedlich leistungsfähig? Spielt es für die Leistungsfähigkeit des Einzelnen eine Rolle, dass A eine angenehme Arbeit, B aber eine unangenehme Arbeit ausübt, die ihn gesundheitlich verschleißt?

36

Der Finanzwissenschaftler Heinz Haller hat die Leistungsfähigkeit gleichgesetzt „mit dem Umfang (Grad) der privaten Bedürfnisbefriedigung, den der zu besteuernde Staatsbürger zu erreichen in der Lage ist. Die von den einzelnen zu entrichtenden Steuern sollen so bemessen sein, dass bei jedem die Bedürfnisbefriedigung im gleichen Grade eingeschränkt wird“[63]. Da aber „Bedürfnisbefriedigungspotenzial“ nicht nur durch Einkommen, sondern auch durch andere Faktoren, wie etwa der zur Verfügung stehenden Freizeit, entsteht, hat er gefordert, auch den über das Normalmaß hinausgehenden Freizeitnutzen zu besteuern[64]. Die praktischen Probleme, die hierbei entstehen, erscheinen schnell unlösbar: Wie soll der Freizeitnutzen gemessen werden? Wie sind „workaholics“ zu besteuern, die ihre Arbeit als Hobby betrachten? Hat nicht derjenige ein höheres Bedürfnisbefriedigungspotenzial, dessen Arbeit angenehm ist, ihm öffentliches Ansehen oder Macht über andere verschafft usw?

37

Dazu kommt, dass aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip zwar abgeleitet werden kann, dass gleich Leistungsfähige gleich, unterschiedlich Leistungsfähige unterschiedlich besteuert werden müssen. Wie soll aber die unterschiedliche Besteuerung aussehen? Fritz Neumark meint hierzu, dass „die durch die Besteuerung bewirkten Einbußen der einzelnen an ökonomisch-finanzieller Dispositionskraft als relativ gleich schwer anzusehen sind“[65]. Aber was heißt gleich schwer? Die Ökonomen haben hierzu Opfertheorien entwickelt[66]. Eine Spielart davon ist die Grenznutzentheorie, welche besagt, dass mit steigendem Einkommen zwar auch der Nutzen zunimmt, die Höhe des Nutzenzuwachses aber fällt[67].


[Bild vergrößern]

38

Aus der Grenznutzentheorie, die in verschiedenen Varianten verfeinert wurde, hat man versucht, Aussagen über Tarifkurven zu entwickeln, deren Plausibilität aber vor allem darunter litt, dass man den Nutzen nicht verbindlich messen konnte. Insgesamt hat die Anwendung der Grenznutzentheorie nicht einmal klären können, ob der Tarif progressiv, degressiv oder proportional verlaufen soll[68].

Angesichts dieser Schwierigkeiten gab es in der Finanzwissenschaft immer wieder Ökonomen, die das Leistungsfähigkeitsprinzip als taugliches Steuerverteilungsprinzip ganz verabschieden wollten. Gustav Schmoller hat vor über hundertfünfzig Jahren festgestellt, beim Begriff der Leistungsfähigkeit handle es sich um einen „leeren Begriff, mit dem man ohne näheren Inhalt nichts machen kann“[69]. Und bekannt geworden ist der mit dem Titel „Ein Valet dem Leistungsfähigkeitsprinzip“ versehene Beitrag von Konrad Littmann, der meinte, dass aufgrund der vielfältigen wirtschafts- und sozialpolitischen Zielsetzungen der Steuern das Leistungsfähigkeitsprinzip als Verteilungsmaßstab gar nicht brauchbar sei[70]. Aber auch unter den Juristen ist das Leistungsfähigkeitsprinzip nicht unumstritten[71].

39

Lösung Fall 1 (Rn 30):

Obwohl die ökonomische Theorie keine verbindlichen Konkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips anbieten kann, so ist man sich dennoch weitgehend darin einig, dass es zu diesem Verteilungsprinzip keine Alternative gibt. Die steuerliche Lastenzuteilung soll sich also nach der wirtschaftlichen Zahlungsfähigkeit des Einzelnen richten. Hinsichtlich der näheren Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips verweisen die Ökonomen heute auf die Rechtswissenschaften, ja sogar auf das BVerfG[72], das aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtliche Vorgaben und Grenzen der Besteuerung abgeleitet und damit das Leistungsfähigkeitsprinzip mit verbindlichem Inhalt gefüllt hat (dazu Rn 47 ff).

Steuerrecht, eBook

Подняться наверх