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Kapitel 11 1997

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Nein, es war kein Hirngespinst. Dieses Frankensteinungeheuer fiel ihm schon auf, als er auf den Beamtenparkplatz fuhr. Der Typ war auch nicht zu übersehen, denn er überragte alles. Seine Bewegungen waren unbeholfen und schwerfällig. Der Riese sah aus, als wenn er aus Einzelteilen zusammengesetzt worden wäre. Er strahlte Gefahr aus. Seine Körperhaltung signalisierte: Sprecht mich nicht an oder …

Martin Steinmetz musste in Geilenkirchen einige Dinge erledigen. In der Gerbergasse kam ihm der Mann entgegen und musterte ihn frech von oben bis unten. Nahe der Sparkasse war er schon wieder da. Zunächst machte er sich keine Gedanken. Geilenkirchen war nicht so groß, als dass man bei einem Besorgungsgang nicht immer wieder den gleichen Menschen begegnete. Am Marktplatz, und als er von dort unter der Rathausüberführung, in Richtung Bücherei ging, wurde klar … der Hüne verfolgte ihn.

In der Stadtbibliothek erhoffte er sich, alte Dokumentationen, einsehen zu können, die ihm vielleicht Aufschluss darüber geben konnten, was es mit den Unterlagen auf sich hatte, die er beim Stöbern in der Kate gefunden hatte. Die Bibliothekarin verschaffte ihm Einsicht ins Stadtarchiv.

Eine kleine grob gezimmerte Holzkiste, die ihm bis dahin nicht aufgefallen war, gab ihm Rätsel auf. Sie enthielt alte Papiere. Ein prickelndes Gefühl verhinderte, dass er sie in die Papiersammlung gab. Er hob die oberen Seiten ab, die ungewöhnlich grob strukturiert waren, ab und fand darunter Pergamente sowie dünnes beschriebenes Leder. Der größte Teil war ihm unverständlich. Zwar in lateinischen Buchstaben geschrieben, jedoch in unterschiedlichen Dialekten und … eben Latein.

Die letzten Wochen bargen viele beängstigende Überraschungen. Es geschahen so viele merkwürdige Dinge, sodass er lieber sichergehen wollte.

Erst vor wenigen Tagen hatte Martin, Mike, einem Kollegen seiner Studienzeit, den Stein, zwecks Überprüfung, an ein Berliner Institut geschickt.

Sie standen per Mail in lockerem Kontakt.

. . . halte mich für verrückt oder auch nicht. Mit mir und um mich herum geschehen außergewöhnlich Dinge, die ich mir nicht erklären kann. Sie scheinen mit einem Stein, in Zusammenhang zu stehen, den ich, seit ich denken kann, in allen Lebenslagen bei mir trage. Seit einigen Wochen gerät mein Leben aus den Fugen. Über die geheimnisvollen Kräfte und die vielen ausgefallen Sachen, die sich um mich herum abspielen, will ich endlich Bescheid wissen. Versuche alles. Egal was es kostet“, hatte er ihm geschrieben.

Und nun diese Begegnung. Der Mann war nicht abzuschütteln. Er fasste sich ein Herz und ging auf ihn zu. Jedoch bevor er den ersten Schritt tun konnte, hielt ihn ein Gedanke nicht nur zurück, sondern zwang ihn, zum Auto zu gehen und nach Hause, zu fahren.

Dort erwartete ihn die Postbotin mit einem Einschreiben. Fügung des Schicksals oder Zufall? Endlich kam Bewegung um das Geheimnis des Steins.

Martin erinnerte sich der Geschichten, die im Familienkreis erzählt wurden. Egal, um was es ging, das Mineral spielte immer eine Rolle. Er könnte Bücher damit füllen. Beharrlich hielt sich die Überzeugung, dass der Stammbaum der Familie in die Anfänge der Menschheit zurückreichte, und der Stein ursächlich damit in Zusammenhang stand. Auf die, mit dem Stein verbundenen, Gefahren ging niemals jemand genauer ein. Eigentlich wollte Martin die kuriosen Geschichten abtun. Doch einige Ereignisse in seinem Leben, belehrten ihn eines Besseren. Der Kiesel wurde mehr als ein Talisman – er war die Stütze und der Halt seines Lebens.

*

Jemand schaute über seine Schulter. Ach ja: Britta.

Martin hatte sie vergessen. Als er sich auf den Weg nach Geilenkirchen machte, bat er sie, auf ihn zu warten.

„Es ist wirklich unglaublich.“ Britta griff zum Ordner und zog daran, um den Inhalt, genauer betrachten zu können. Martin jedoch hielt mit beiden Händen fest.

„Komm schon“, sagte sie. „Ich will doch auch sehen, was dich so aus dem Häuschen bringt.“

„Ja, ja. Gleich“, knurrte er abwesend, drehte sich weg und schaute weiterhin gebannt auf die Papiere.

Auf dem Tisch lag der zerrissene große braune Umschlag mit den Poststempeln eines Briefzentrums in Berlin. Der aufgedruckte Absender besagte, dass er, von einem renommierten geologischen Institut, den Weg in Martins Haus gefunden hatte.

Die Spannung im Raum war fühlbar.

Langsam blätterte Martin, während Britta ihm über die Schulter sah, den Ordner durch und begann wieder und wieder von vorn.

Sie versuchte ebenfalls hineinzuschauen, konnte jedoch, aufgrund ihrer Kurzsichtigkeit, nicht viel erkennen. Auf die Idee, ihre Brille aufzusetzen, kam sie nicht.

„Jetzt ist aber Schluss. Ich will endlich wissen, was Sache ist.“ Sie wurde langsam sauer.

„Hier schau dir das an. Was hältst du davon?“ Martin hielt ihr irritiert ein Foto hin. Er hatte sich noch nicht an die Zweisamkeit gewöhnt.

Britta hielt das Bild auf Armeslänge von sich. Es zeigte einen pechschwarzen matten Stein auf einer weißen Unterlage. Er war ungefähr so groß wie Martins Daumenkuppe und sah nach nichts aus. Halt ein kleiner Stein, ein Kiesel.

„Na und. Ein Kieselstein. Willst Du mir jetzt deine Steinsammlung zeigen? Sag schon. Was ist Besonderes an diesem Stein?“

Martin nahm ein zweites Foto.

„Schau dir dieses Bild auch an.“

Das gleiche Foto, in gleichem Blickwinkel. Mit einem Unterschied. Der Stein strahlte intensives kaltes, weißes Licht über das Bild hinaus. Die klare Abgrenzung der Ränder des Fotos hob den Stein, immer noch matt und schwarz, als Quelle des Lichtes, deutlich hervor. Die Unveränderlichkeit des Steines gab ihm spirituelle Macht.

„Die erste Fotografie entstand unter normalen Umständen – Beleuchtung und so weiter“, erklärt Martin, „und die Zweite, mit einer speziellen Röntgenkamera. Der Stein strahlt auf dem Röntgenbild. Die Expertise erklärt, dass die Strahlung, weder radioaktiv noch elektronisch ist. Weiter kann sie nicht definiert werden. Die Möglichkeiten des Instituts sind erschöpft.“

„Und was erstaunt dich daran so?“, bemerkte Britta nüchtern.

Er schaute sie an, als hätte sie nicht mehr alle Tassen im Schrank.

„Der Stein gibt eine Strahlung ab. Verstehst du das nicht? Hast du schon einmal gehört, dass ein Kiesel strahlt? Hier wurde eine Röntgenspektralanalyse durchgeführt. Er wurde einer Röntgenstrahlung ausgesetzt, um über die Absorption oder Reflexion, eine spektrale Zerlegung vorzunehmen.

Aber, du weißt ja noch nicht alles.

Die Wissenschaftler in Berlin haben den Kiesel in vielen Versuchen getestet, um sein Alter zu bestimmen. Ich hatte den Stein einem Freund gegeben, in der Hoffnung, hinsichtlich des Alters und der Beschaffenheit, einige Informationen zu bekommen. Aber jetzt bin ich noch verwirrter als zuvor.“ Er sich die Haare aus dem Gesicht.

„Komm‘ doch endlich zum Kern. Oder, lass mich lieber selbst einmal sehen.“ Sie nahm ihm resolut die Papiere aus der Hand und begann zu lesen. Geologen hatten versucht, das Alter und die Zusammensetzung des Steines zu bestimmen und verschiedene Verfahren angewandt.

Sie versuchten, zunächst rein geologisch an die Sache heranzugehen und getrennte Schichten, anhand der Spuren von Leitfossilien, einander zuzuordnen, um zu einem Ziel, zu gelangen. Wie sie mitteilten, war es möglich, auch bei relativ kleinen Steinen, absolute Alterswerte zu ermitteln. Das Ergebnis war negativ. Dem Stein war nicht beizukommen.

Weiterhin versuchten die Analytiker mit der Radiokarbonmethode – landläufig auch als Kohlenstoff 14 Methode bekannt – weiterzukommen.

Sie beruhte auf der Messung der Isotope des Kohlenstoffs (Karbon). Interessant sei, wurde erläutert, dass auf und über der Erde mehrere Milliarden Kilogramm Kohlenstoff mit dem Atomgewicht 12 vorhanden seien. Aus dem Zerfall von Stickstoff und kosmischer Höhenstrahlung bildeten sich jedoch nur ca. zehn Kilogramm Kohlenstoff 14 pro Jahr auf der gesamten Erde. Diese Menge bliebe stets gleich, weil Kohlenstoff 14 radioaktiv ist, und zerfalle. Anhand der Zerfallsdaten könne man dann, relativ genau, einen weit zurückliegenden Zeitabschnitt bestimmen.

Aber? - Absolut negativ.

Der Stein enthielt keinen Kohlenstoff.

Der nächste Versuch wurde mit der Kalium-Argon-Methode durchgeführt. Hier wurde versucht, die Halbwertzeit des Kaliumisotops zu messen. Wieder Fehlanzeige. Alle Versuche, die Zusammensetzung des Kiesels zu bestimmen, schlugen fehl. Die Zuordnungsmethoden zum Periodensystem der chemischen Elemente versagten.

Nüchtern gab die Expertise weiterhin wieder: Der Stein ist nicht irdischen Ursprungs.

„Martin. Jetzt raus mit der Sprache.“ Britta blickte ihn auffordernd, aber auch skeptisch, an. „Ich denke, es ist jetzt an der Zeit, dass du dich etwas breiter zu dem Kiesel auslässt. Bisher dachte ich immer, es sei eine Macke von dir. Aber, es scheint ja, mehr dahinter zu stecken.“

Martin sah sie nachdenklich an. Er kannte Britta erst kurze Zeit und wusste noch nicht so genau, wie er zu ihr stand.

Vor wenigen Wochen hatte er sich in der Dorfkneipe breit schlagen lassen, mit in die Disco nach Himmerich zu gehen. In regelmäßigen Abständen wurde der Vorschlag von irgendjemandem gemacht. Das Lokal, fast ein Vergnügungspark, wurde in der Gegend als Bauernbörse bezeichnet. Die Gerüchte besagten, dass das weibliche Publikum der Disco mit den Ertragsraten eines Bauernhofes, bestens vertraut war. Je mehr Land oder Vieh, umso größer war die Chance, eine Bekanntschaft zu machen.

Britta fiel ihm schon beim Betreten des Lokals auf. Eine hübsche junge Frau … knapp unter fünfundzwanzig, taxierte er. Langes dunkelblondes Haar umrahmte das ernste Gesicht, aus dem sehr kühle braune Augen blickten. Britta – so wie er sie bisher kennengelernt hatte - war immer objektiv und vermittelte eine ständig unterkühlte, fast arrogante Lebenseinstellung. Ihm gefiel ihre Art. Unnahbar und doch mitteilsam über Körperhaltung und Gesichtsausdruck. Sie war ein wenig kleiner als er und hatte eine schlanke, nicht übermäßig proportionierte sportliche Figur. In der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft hatte er sie noch nie unbeherrscht gesehen. Fast analytisch ging sie jedes Problem an.

Britta war ein Jeanstyp, wobei er sie sich durchaus in einem kurzen Rock oder schicken Kleid vorstellen konnte.

Sie war unabhängig und hatte die letzten Jahre damit verbracht, an ihrer Karriere zu basteln. Das Ingenieurstudium hatte sie verbissen an der Technischen Hochschule in Aachen durchgezogen. Im Anschluss daran bekam sie, aufgrund ihres hervorragenden Abschlusses, sofort eine Anstellung in einem Institut, das Forschungen in verschiedenen Weltraumprojekten durchführte.

Sie zog ihn unwiderstehlich an.

Martin war kein Frauentyp. Mittelgroß mit breiten Schultern und einer etwas untersetzten Figur, neigte er zu einem Bauchansatz. Mit vielen Diäten – seit mehreren Jahren ohne jegliche körperliche Auslastung und hohem Zigarettenkonsum - hielt er seinen Körper einigermaßen ansehnlich. Dunkles, fast schwarzes Haar und ein ausgeprägter Oberlippenbart gaben seinem Gesicht ein südländisches Aussehen. Mit seiner beeindruckenden Nase und dem ewigen Schmunzeln im Gesicht strahlte er, trotz seiner 35 Jahre, immer noch jugendliche Zuversicht aus. Auffällig sprang ein ovales Mal an seinem Hals, nur wenige Zentimeter groß, ins Auge. Wenn er sich erregte, schien es zu leuchten.

Irgendwann, im Verlaufe des Abends, fanden sie sich auf der Tanzfläche. Der Funke sprang sofort über.

*

KYRA

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