Читать книгу KYRA - Herbert Weyand - Страница 27

Kapitel 24 1998

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Es war früher Nachmittag und draußen schien die Sonne. Ein schöner Tag und ein schönes Willkommen für eine neue Erdenbürgerin.

„Martin? Ich brauche deinen Stein, um Komplikationen zu vermeiden.“ Sie hielt ihm auffordernd die Hand hin.

„Was willst du denn damit? Der wirkt doch nicht bei dir.“

„Unser Kind ist ein Katalysator. Und ich denke, wesentlich stärker als du.“ Britta lag auf dem Bett in der Kate. Alles war für die Geburt vorbereitet. Martin hielt ihr den Stein hin. Sie nahm ihn in die Hände und zog die Beine an.

„Aber … du hast doch noch keine Wehen gehabt. Wieso bist du so sicher, dass die Geburt unmittelbar bevorsteht?“ Martin kam nicht mit. Die Angelegenheit wuchs ihm über den Kopf.

Britta lehnte zurück und legte ihre Konzentration auf ihr Innerstes, auf ihr Mädchen.

Hallo. Bist du da?“

Ja mein Schatz. Ich bin hier.“

Schatz? Ist das mein Name?“

Es ist ein Kosename. Für dich wollen wir einen besonderen Namen. Hast du dir schon Gedanken gemacht?“

Oh ja. Es ist unglaublich schwierig, einen Namen zu finden. Es gibt so viele, die mir gefallen. Nenn du einen Namen.“

Okay. Ich habe mir auch schon Gedanken gemacht. Was hältst du von Kyra?“

Kyra ist ein schöner Name. Also bin ich ab jetzt Kyra. Aber jetzt genug mit den Namen. Ich will geboren werden.“

Kyra? In Ordnung. Von mir aus kann es losgehen.“

Ist dir der Geburtsvorgang bewusst, Britta?“

Britta lachte leicht in sich hinein.

Ja ich habe über den gesamten Vorgang gelesen. Von Vorwehen und Stellwehen bis zum Fixieren deines Kopfes in meinem Becken, Eröffnungswehen und Presswehen. Zu guter Letzt noch die Nachgeburtswehen.“

In Ordnung. Ich werde jetzt die Fruchtblase sprengen und sofort danach die Kontraktionen deiner Gebärmutter einleiten. Leider ist es hier so eng, dass ich die Arbeit deinem Körper überlassen muss.“

Britta wurde es warm zwischen den Beinen. Sie wusste, das war die Fruchtblase. Sofort danach und ohne, dass sie etwas entgegensetzen konnte, zogen Wehen ihre Gebärmutter und die gesamte Bauchmuskulatur zusammen, um gleich wieder zu entspannen.

Du wirst keine Schmerzen haben. Ich habe chemische Reaktionen in deinen Drüsen angeregt, die jeden Schmerz betäuben“, dachte sie die Gedanken ihres Kindes.

Danke. Das war das Einzige, wovor ich Angst hatte.“

Ich habe es in deinen Gedanken gelesen. - Mein Kopf liegt richtig. - Jetzt beginne ich mit der Dehnung des Geburtskanals und Beckenbodens.“

Britta spürte, wie der Druck in ihrem Unterleib größer wurde und Kyra sanft aber unwiderstehlich zur Öffnung glitt.

Jetzt ist es gleich so weit. Ich verspüre schon einen Temperaturunterschied an meinem Hinterkopf. So, mein Kopf ist draußen. Noch zweimal pressen und du hast die Hauptarbeit hinter dir.“

Und tatsächlich. Nach zwei weiteren Kontraktionen sah sie ihr Mädchen zwischen ihren Beinen liegen. Die daumendicke Nabelschnur ging noch in ihren Leib.

Ich glaube, jetzt muss ich schreien, damit meine Lungen Volumen bekommen - also es geht los.“

Kräftiges Geschrei ertönte aus der Kehle des neugeborenen Kindes. Brittas strahlte und richtete sich auf, um ihr Baby betrachten zu können.

Martin stand schon bereit, die Nabelschnur abzubinden und den Schleim, von dem Kind zu waschen.

Nein. Er soll noch einen Augenblick warten.“

„Martin. Warte noch etwas. Wir sind noch nicht so weit.“

Der ebenfalls strahlende Vater trat irritiert vom Bett zurück und betrachtete seine neue vergrößerte Familie.

Ich werde jetzt noch die Kontraktion für die Nachgeburt einleiten. Solange ich durch die Nabelschnur mit dir verbunden bin, bin ich mir sicher, dass es mir gelingt. Ich weiß nicht, ob danach noch ein gedanklicher Kontakt mit dir möglich ist.“

Nein. Das kannst du mir doch nicht antun. Gerade haben wir uns gefunden, willst du mich schon wieder verlassen.“

Ich weiß nicht, ob wir uns weiter in dieser Art unterhalten können. Aber, die Zeit wird es zeigen. Also, jetzt kommt die Nachgeburt.“

Britta spürte weitere Wehen und plötzliche Erleichterung, als die Plazenta herausglitt.

Enttäuscht nahm sie die eintretende Stille in ihrem Innersten wahr. Sie bedeutete Martin, die Nabelschnur abzubinden. Relativ geschickt band der die Schnur, circa eine Handbreite, über dem Bauch des Babys ab und legte seine Tochter in Brittas Arme. Kyra strampelte und suchte die Wärme sowie die vertrauten Geräusche des Mutterleibes. Britta drückte ihre Lippen in den blonden Flaum auf dem Kopf und flüsterte Koseworte.

Nach einiger Zeit hob sie das Kind etwas von sich ab, um es genauer zu betrachten. Es war vollkommen und der zahnlose Mund schmatzte auf der Suche nach der natürlichen Nahrungsquelle..

Strahlend blaue Augen musterten dagegen, mit wacher Intelligenz, ihr Gesicht. Es schien fast, als würden sie ihr zublinzeln.

„Kyra, meine Kyra“, flüsterte sie und drückte das Baby vorsichtig gegen ihren Körper.

Martin beugte sich strahlend über die beiden.

„Ein wunderschönes Kind. Und für eine Frühgeburt erstaunlich gut entwickelt.“ Er drückte ihr ein Kuss auf den Mund und begann das Baby zu streicheln. „Komm überlasse es kurz mir. Ich werde es abwaschen, ihm etwas anziehen und dann kannst du es wieder haben.“

„Sage doch nicht immer es. Wir beide“, dabei zeigte sie auf das Kind, „haben uns auf Kyra geeinigt.“

„Hervorragend. Alles ohne mich. Aber ich werde mich an die Überzahl des Weibervolkes gewöhnen müssen. Kyra ist ein schöner Name“, aufgewühlt freute er sich, dass alles so gut verlaufen war.

„Kyra also. Komm her mein Schatz. Jetzt werden wir uns versorgen und deine Mutter kann ein wenig ruhen.“

Britta schloss die Augen. Sie bemerkte, wie ihre Brustdrüsen die Milchproduktion aufnahmen und leichten Druck aufbauten. Die Geburt war erstaunlich gut und einfach verlaufen. Nur, dass die neue Erfahrung der Unterhaltung mit Kyra unterbunden war, behagte ihr nicht. Gerade in dem Moment, in dem sie das Unwahrscheinliche akzeptierte - war es schon wieder vorbei.

Herzlichen Glückwunsch“, dachten ihre Gedanken.

Heh. Was ist los? Kyra. Ist die Verbindung doch nicht zusammengebrochen?“ Glückliche Erregung schoss durch ihren Körper und ließ ihn angenehm erschauern.

Nein. Nicht Kyra. Hein … junge Mutter.“

Oh Gott. Jetzt du auch noch. Will mir denn jeder in den Gedanken herumtrampeln?“

Junge Mutter. Ich werde mich sofort zurückziehen.“

Warte einen Moment. Ich bin viel zu glücklich, als dass ich mich von dir in eine schlechte Stimmung bringen lasse. – Aber, wieso können wir beide uns unterhalten. Bisher dachte ich immer, dass das der Elite der Menschheit vorbehalten sei.“

Du hast den Stein in deinen Händen. Die Auren Martins und deines Kindes sind immer noch stark genug, dich einzuschließen und mit der des Steines zu verbinden. Ich konnte nicht widerstehen. Ich musste dir meinen Glückwunsch übermitteln.“

Vielen dank Hein. Im Grunde bin ich froh, nicht mehr Außenstehende zu sein. Wenn ich auch nicht alles verstehe – kann ich die Situation jetzt akzeptieren.“

Junge Mutter. Ich wünsche dir viele schöne Stunden mit den Deinen. Lebe wohl.“

*

Die erste Nacht nach der Geburt verbrachten sie in der Kate. Morgens war Britta früh auf den Beinen. In der Nacht hatte sie zweimal, mit Martins Hilfe, Kyra gestillt. Es war eine neue körperliche Erfahrung, wie der zahnlose Mund die Nippel ihrer Brust umschloss und daran saugte. Als die Milch floss, gingen die Empfindungen bis in die Zehenspitzen. Eine Welle der Zuneigung floss mit der Milch auf das Kind über. Jedes Mal blickten sie wache Augen an, die an die gemeinsamen Gespräche im Mutterleib erinnerten.

Britta fühlte sich erstaunlich gut und wollte zum Haus hinüber, um die Sachen, die dort für Kyra bereitlagen, nochmals zu ordnen. Schnell schaute sie nach dem Feuer in der Herdstelle und legte einige Holzstücke nach, damit die gemütliche Atmosphäre erhalten blieb. Sie ging nochmals in die Höhle, in der Martin übernachtete, und zog ihm die Decke über, die er abgestrampelt hatte. Liebevoll drückte sie einen Kuss auf seine Wange. Ihr großes Baby – auf dem Rücken liegend und laut durch den Mund schnarchend.

Auf dem Rückweg durch die Kate blickte Kyra sie mit strahlend blauen Augen, wach an. Sie schien ihr etwas sagen zu wollen. Britta beugte sich über sie und schmiegte ihre Wange gegen das Gesicht des Babys und genoss die weiche zarte Haut. Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass ihr ein solches Prachtstück in der kurzen Zeit, die insgesamt zur Verfügung stand, gelungen war.

Ohne Kyra aus den Augen zu lassen, drückte sie die Türe der Kate auf und stieß mit dem Fuß gegen einen Widerstand. Sie fuhr erschrocken zurück. Ein Tierbaby lag auf der Türschwelle. Unvorstellbar, wenn sie darauf getreten wäre. Sie zog den erhobenen Fuß im letzten Moment zurück.

Britta ging langsam in die Hocke herunter. Sie fühlte sich noch ein wenig schwach und nutzte den Türrahmen zur Stütze. Der Welpe, erst wenige Tage alt – wenn überhaupt – hatte die Augen noch geschlossen. Unbehaglich bewegte er sich auf den rauen Feldbrandsteinen der Stufe.

„Martin. Martin.“

„Britta. Ist dir etwas geschehen? Geht es dir gut? Was ist los?“ Ihre entsetzte Stimme trieb ihn unglaublich schnell, nur mit einer Unterhose bekleidet und mit wirr vom Kopf abstehenden Haaren, zur Türe.

Martin half ihr dienstbeflissen aus der hockenden Stellung. Sie zeigte auf den Boden.

„Da. Dieses Häuflein Elend. Ich wäre fast darauf getreten. Der ist doch erst ein paar Stunden alt.“

Martin bückte sich und packte vorsichtig das Wesen, das einmal ein Hund werden wollte. Sofort folgte der Welpe der Wärme seiner Hand. Mit blinden Augen stieß die Nase immer vor und die kleine Schnauze machte saugende Bewegungen.

„Mein Gott. Welcher Idiot nimmt einen Hundewelpen von seiner Mutter und setzt ihn aus. Schau mal, Britta. Der hat noch keinen Krümel Fell auf dem Leib und die Augen sind auch noch geschlossen. Den werden wir nicht durchbekommen. Am besten mache ich einen Eimer mit warmem Wasser und ersäufe ihn.“

„Bist du verrückt. Das wäre genauso, als wenn wir unsere Kyra ersäufen. Ich gehe schnell zum Haus rüber und hole die Milchpumpe und ein Fläschchen. Ich habe Milch genug. Damit werden wir ihn durchbringen.“

Flugs verschwand sie.

Nachdenklich blieb Martin zurück. Wie konnte das Tier auf die Türschwelle gelangen? Wer, außer ihm, konnte die unsichtbare Sperre vor der Kate überwinden? Was ging hier vor?

Aber dann war Britta schon wieder zurück.

„Es ist schon ein herrliches Gefühl wieder ohne Bauch durch die Gegend zu laufen“, erklärte sie. Dabei schob sie das T-Shirt über die Brust und strich mit der Hand über den fast flachen Bauch. „Und andere Frauen tragen doppelt so lange wie ich. Ich kann es nicht fassen.“

Sie setzte die Saugpumpe auf der rechten Brust an. Die linke hatte sie vorhin Kyra gegeben. Durch Druck auf den Gummiballen schoss die Milch in den Kolben.

„Ich hätte dir besser den Hund angelegt“, flachste er herum.

„Das traue ich dir zu. Aber nichts da. An meine Brust kommen nur Wasser und meine zwei Lieben. Damit du Bescheid weißt.“

„Hör auf zu kokettieren und zu flirten. Damit musst Du ein paar Wochen warten, das weißt du doch selber.“

„Es muss ja schlimm um dich bestellt sein. Denke lieber an den Hund, anstatt an Sex.“

Britta füllte die Milch in die Flasche und verdünnte sie mit etwas Wasser. Sie zog einen Nuckel über die Öffnung.

„Dann gebe den kleinen Schatz mal rüber“, nahm sie den Welpen von Martin entgegen. Der Nippel der Nuckel war etwas groß. Britta spritzte ihm Tropfen für Tropfen in das Maul. Sofort begann Hundebaby zu lecken und versuchte den Nippel mit dem zahnlosen Maul zu fassen.

„Siehst du. Es klappt“, triumphierend lachte Britta ihm ins Gesicht. „Wir müssen uns einen kleineren Nuckel besorgen. So ist es ein mühsames Geschäft. Was glaubst du? Was ist das für eine Rasse?“

„Eine Große auf jeden Fall. Der ist nächste Woche schon so groß wie ein Dackel. Aber Rasse? Ich weiß es nicht. Warten wir es ab.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, welche ekligen Typen ein nacktes Hundebaby auf die Treppenstufe legen.“ Der Hund beendete die Nahrungsaufnahme und rülpste zufrieden. „Hast du gesehen, Martin. Er hat ein Bäuerchen gemacht.“ Britta war aus dem Häuschen. Sie betrachtete den Welpen von allen Seiten, indem sie ihn vorsichtig in ihren Händen drehte.

„Ich suche mal eben einen Karton“, Martin wandte sich zur Türe.

„Nein. Lass nur gut sein. Ich lege ihn zu Kyra. Die beiden können sich nicht früh genug aneinander gewöhnen.“

„Hast du noch alle Tassen im Schrank? Du kannst den Hund doch nicht zu unserem Baby legen. Du glaubst überhaupt nicht, welche Krankheiten von einem solchen Tier übertragen werden“, Martin schaute völlig konsterniert aus der Wäsche.

„Sicher kann ich“, Britta ging gelassen hinüber ins andere Zimmer. „Du musst mir gerade etwas von Viehzeug und Krankheiten erzählen. Deine Katzen springen doch überall herum. Sind wir beide schon einmal krank gewesen?“ Sie musterte das Kind in der Wiege.

Kyra Augen waren geöffnet und blickten sie wach an.

„Hallo mein Schatz. Ich habe hier Gesellschaft für dich.“ Sie hielt den Hund hoch, damit ihr Baby ihn sehen konnte. Sie hätte schwören mögen, dass die Augen erfreut aufblitzten. Vorsichtig legte sie den Welpen zu dem Kind in die Wiege. Koordiniert suchte Kyras Hand und kam auf dem Tier zu liegen. Sie bewegte leicht die Finger. Der Welpe streckte seine Glieder in das Federkissen.

*

Britta fuhr im Bett hoch. Kyra …? Hatte sie den Namen unterbewusst gewählt? Oder wurde sie auch hier gesteuert? Der Name stand in den Papieren, die Martin und sie durchgearbeitet hatten? Hinzu kam der Wolf, der in jeder Ära der Dokumente auftauchte. Der Welpe … mit Sicherheit ein Wolf? Kyra … die Frau aus der Vergangenheit? Unmöglich. Aber was war schon unmöglich. Die letzten Monate zeigten, dass so gut wie alles möglich war.

Dieses Geheimnis, das durch die Jahrhunderte geisterte? War es gelöst? Sie musste unbedingt wieder die Studien aufnehmen und Informationen filtern. Weshalb kam ihr diese Aufgabe zu? Nein … bleib ehrlich, schalt sie sich. Du willst es doch. Sie musste höllisch aufpassen, falls ein Mann namens Andy auftauchte. Vielleicht wurde er wirklich in die Vergangenheit verbannt?

Martins Arm lag auf ihr. Sie suchte seine Nähe und rückte fröstelnd an ihn heran.. Britta schlief wieder ein.

*

Martin spürte, dass Britta wach lag. Ihn quälten dieselben Gedanken. Falls er sie jetzt ansprach, gab es möglicherweise wieder Streit.

Er war sicher, dass der Name seiner Tochter in den Dokumenten stand. Hinzu kam der Hund, der mit Sicherheit ein Wolf war. Diese beiden würden also die lange Reihe derer fortsetzen, die den Stein bei sich trugen. Überall, in Schriften der Vergangenheit, lagen Hinweise auf Kyra. Die Geburt war gut verlaufen. Jetzt schalt er sich, keinen Arzt gerufen zu haben. Der Leichtsinn war unverzeihlich.

Er spürte wie Britta seine Nähe suchte und schloss sie fest in seine Arme. Dann schlief er ein.

*

Die folgende Zeit wurde für Britta und Martin zu einem Genuss. Sie sahen zu, wie Kind und Hund von Tag zu Tag wuchsen und kompletter wurden. Kyra schien mit dem Wachstum des Hundes Schritt halten zu wollen – es gar zu überflügeln. Schon nach wenigen Tagen saß das Baby im Bett und betrachtete die Welt, um sich herum, aufmerksam. Ihr besonderes Interesse galt dem Hund, für den sie noch keinen Namen gefunden hatten. Britta war der festen Überzeugung, dass die beiden einen Weg zur Verständigung gefunden hatten.

„Die beiden unterhalten sich.“ Sie machte Martin darauf aufmerksam.

„Du spinnst“, war seine Antwort.

„Du hast zurzeit ziemlich oft rüde Bemerkungen bei der Hand.. Lass das bitte. Wir haben jetzt Kyra im Haus. Auch Bauern haben heute studiert. Ich möchte nicht, dass das Kind deine ruppige Ausdrucksweise aufschnappt.“

„… deine ruppige Ausdrucksweise aufschnappt“, er äffte sie nach. „… ein Baby und ein Hundebaby sprechen miteinander … du bist bescheuert.“

„Aber du, mit deinem ganzen Voodoozauber, bist normal?“

„Kacke. Da streiten wir schon wieder, lassen wir das. Erklär‘ es mir. Wie kommst du eigentlich darauf, dass die beiden sich unterhalten?“

„Erst will ich wissen, ob du diese Möglichkeit wirklich in Betracht ziehst oder dich einfach nur nicht über deinen Voodoo auseinandersetzen willst?“

„Du weißt doch selbst, dass so gut wie alles möglich ist. Warum sollte ich dir nicht glauben?“

„Gut. Dann schau dir die beiden doch einmal genau an.“

Martin richtete ohne großes Interesse seinen Blick auf die beiden, um dann fasziniert und gebannt, das Schauspiel zu betrachten. Unglaublich … gerade drei Wochen alt und … sie schienen tatsächlich in eine Unterhaltung vertieft, als wenn sie Jahrzehnte nichts anderes getan hätten. Kyras strahlend blaue Augen bannten hypnotisch die gelben Lichter des Hundes. Hin und wieder strich ihre kleine Hand die blonden Locken aus dem Gesicht. Die Bewegung geschah automatisch und war vollkommen deplatziert bei einem Baby.

Kyra riss den Blick von dem Hund los und blickte zum Vater.

Komm zu mir“, suggerierten die Augen.

Martin rieselten Gänseschauer über den Rücken. Kyra wirkte bedrohlich. Das süße Babygesicht mit den alten wissenden Augen, deren Bann er nicht widerstehen konnte. Magisch angezogen nahm er sie auf den Arm. Wie alle kleinen Kinder langte sie spielerisch an seinen Schnurrbart und strich darüber. Sie beugte ihr Gesicht dahin und rieb die Wangen über seinen Stoppelbart. Fröhlich jauchzend klang ihr Gelächter durch den Raum. Doch sie war kein Kind, sondern sein Baby. Ebenso spielerisch wie zielsicher griff Kyra durch sein offenes Hemd an die Kette mit dem Stein. Martin beobachtete sein Baby mit gemischten Gefühlen. Einerseits lächelnd und stolz, anderseits mit Abscheu.

Nimm den Stein heraus“, sagten ihre Augen.

Er zog widerwillig die Kette über den Kopf, nahm den Stein aus der Fassung und hielt ihn ihr hin. Sanft wurde der Stein von ihren Fingerchen zur Faust umschlossen.

Hallo Martin“, Heins Stimme dachte fast augenblicklich in seinem Gehirn. „Die Zeit ist da. Der Stein gehört jetzt mir. Du musst ihn weitergeben.“

Hallo Hein. Nein … du bist nicht Hein.“

Richtig. Nicht Hein. Ich bin es. Kyra. Du hältst die körperliche Hülle, die mein Gehirn trägt und versorgt, auf deinem Arm . . .“

Er erschrak und musste fester zupacken sonst wäre sie herunter gefallen. Die Stimme zog kalt und gefühllos durch seine Gedanken. „Wie kannst du deinen Körper als Hülle bezeichnen. Er gehört zu dir und deinem individuellen Ich.“

Werde nicht sauer. Ich muss viele Begriffe und Gefühle erst verstehen lernen. Deine Gefühlswelt ist mir nicht bekannt. Ich muss mehr von dir wissen, um die richtige Abstimmung zu bekommen. Du bezeichnest mich als gefühlskalten Gedanken, weil ich keine Emotionen verstehe. Genauso war es bei Britta. Im Moment ist mein Körper eine Hülle. Ich kann mich noch nicht richtig bewegen, ich kann noch nicht sprechen, ich bin gefangen.“

Mein Gott Mädchen … du bist drei Wochen alt. Menschen benötigen Zeit, bis sie sich bewegen und artikulieren können. Ist dir das klar?“

Sicherlich. Ich habe viel darüber nachgedacht. Aber ich bin nicht jeder Mensch. Ich bin außergewöhnlich.“

Bist Du vielleicht ein wenig eingebildet oder größenwahnsinnig?“

Ich denke nicht. Ich habe Wissen und Fähigkeiten, von denen du und alle anderen Menschen nur träumen.“

Und? Wer oder was gibt dir das Recht so überheblich zu sein?“

Du erregst dich und wirst zornig. Das ist ein denkbar schlechter Beginn. Ich bin weder überheblich noch größenwahnsinnig. Ich stelle lediglich fest.“

Gut. Fangen wir von vorne an. Ich habe selbstverständlich viele Fragen. – Fragen an mein Baby . . . ach Gott, wie blöd ich mir vorkomme.“

Für mich ist die Situation auch blöd. Ich muss dir die elementarsten Dinge, die mir selbstverständlich sind, erklären. Was glaubst du, wie ich mich fühle?“

Fängt das schon wieder an. Also, was hat der genetische Frevel mit deinem Verstand angestellt?“

Hat Britta dir nichts erzählt? Ich denke, das war klar. Hein hat den Eingriff vorgenommen.“

Hein also. Was ist bei dir anders, als bei – fast hätte ich gesagt, normalen – anderen Menschen?“

Nicht viel. Ich benutze mein Gehirn, die anderen nicht.“

Jetzt ist Schluss. Deine Arroganz ist nicht zu überbieten.“ Martin rang um Fassung.

Nur Kleingeister flüchten in einen Wutausbruch. Du musst dein Blut und deinen Verstand kühl halten. Nur dann können wir uns verständigen. Nun, zurück zu deiner Frage. Ich teste mein Gehirnvolumen und die Einsatzmöglichkeiten noch. Jedoch weiß ich schon, dass ich allwissend bin.“ Die Gedanken glitten kühl durch sein Gehirn.

Allwissend? Na ja. Und woher willst du alles wissen?“

In meinen Genen ist das Kollektivwissen der Welt.“

Bist Du der Allmächtige oder überschätzt du dich nur?“

Die Frage ist metaphysischer Art. Ich kann lediglich philosophieren. Der Allmächtige wird von dir und den Menschen als Gott, mit unterschiedlichen Namen, definiert. Der Allmächtige ist eine Frage des Glaubens. Also des Nichtwissens. Aber … ich bin ich. Also gegenständlich. Deshalb kann ich nicht in dem Sinne allmächtig sein, den du ansprichst. Das ist ein Unterschied.“

Ach … lassen wir das. Ein anderes Thema … wieso können wir uns verständigen?“

Das ist einfach. Du hattest den Stein und die entsprechenden Schwingungen.“

Ich kann mich nur über den Stein mit dir unterhalten?“

Solange mein Körper so unzulänglich ist und die Sprachmechanismen noch nicht ausgebildet hat – ja.“

Was macht den Stein so besonders?“

Darüber bin ich nicht befugt zu sprechen.“

Nicht befugt? Oder willst du nicht?“

Ich habe mich falsch ausgedrückt. Ich weiß es nicht.“

Und du sagst, du bist allwissend? Aber, du weißt um die besondere Bedeutung des Steines?“

Ja.“

Bist Du in der Lage die Struktur zu bestimmen oder ist dir das Material bekannt, aus dem er besteht?“

Nein.“

Verdammt. Lass dir doch nicht alle Informationen wie Würmer aus der Nase ziehen. Sage mir endlich, was mit diesem Ding los ist. Ich bin schließlich dein Vater und auch kein Idiot.“

Selbst wenn ich wollte – ich könnte es dir nicht sagen.“

Warum nicht?“

Weil meine Fähigkeiten, die ich langsam über deinen Verstand verstehen lerne, gefährdet sind. Ich könnte sie verlieren. Der Stein bewahrt und verteidigt sein Geheimnis.“

Über meinen Verstand lernst du?“

Ja. Über deinen Verstand lerne ich die Kapazität eines menschlichen Gehirns kennen. Ich verstehe jetzt, warum du nicht verstehst.“

Du machst mich noch verrückt.“

Da mache dir keine Sorgen, Martin. Dein Gehirn und dein Verstand sind zwar leer – na ja, um dir nicht wehzutun, nicht besonders leistungsfähig -, aber sehr stabil. Du kannst nicht verrückt werden.“

Wieso sind deine Fähigkeiten in Gefahr, wenn du mir hinsichtlich des Steines auf die Sprünge hilfst?“

Wenn ich das wüsste? Ich weiß es einfach. Meine Kapazitäten könnten eingeschränkt werden. Aber, ich lerne begreifen, wenn du sagst, du würdest verrückt. Diese Situation stellt sich auch bei mir ein, wenn ich an einen Punkt gelange, an dem ich nicht weiter komme.“

Deine Mutter sagte mir, du sprichst mit dem Hund?“

Sprechen ist falsch ausgedrückt. Wir tauschen Gefühle und Empfindungen. Wir kennen uns seit Jahrtausenden. Und außerdem ist der Hund … Wolf.“

In dieser kurzen Antwort stecken wieder tausend Fragen. Wieso kannst du mit dem Hund Gefühle austauschen? Was soll das mit dem Wolf und ihr kennt euch seit Jahrtausenden?“

Du bist wirklich ein Kleingeist, Martin. Das solltest doch auch du verstehen. Du hältst mich jetzt auf deinem Arm. Wenn du mich anschaust, spüre ich dein Gefühl für mich. Ich bringe dir meines entgegen - das ist dir auch bewusst, wie ich feststelle. Mit Wolf ist es nichts anderes.“

Und? Mit den Jahrtausenden?“

Du hast die Höhle gefunden. In der Grotte ist ein Raum, in der Wolfs Vorfahrin beigesetzt wurde. Und zwar von Arget, unserem steinzeitlichen Vorfahren – ich sehe in Deinen Gedanken, dass du dich erinnerst – der als erster Wolf zum Gefährten hatte. Wolf hat in allen Zeitabschnitten die Menschen unserer Familie begleitet, soweit sie die Eigenschaften des Kiesels nutzen konnten.“

Dann konnte also ich, den Stein nicht nutzen?“

Nein. So ist es nicht. Wolf sollte zu dir kommen. Aber Hein hatte mit seinem Eingriff alles durcheinandergebracht. Der natürliche Weg des genetischen Codes war unterbrochen. Ich wurde geboren und bin jetzt hier. Also kam Wolf zu mir, anstatt zu dir.“

Martin beobachtete sinnend den Welpen, der die geklappten Ohren hochgestellt hatte und dem Gedankenaustausch lauschte. Bernsteingelbe Augen sahen mit unglaublicher Intelligenz auf die beiden Menschen.

Martin lief im Wintergarten hin und her und schaukelte seine Tochter. Kyra hielt weiterhin den Stein umklammert. Sie wollte die Unterhaltung nicht unterbrechen.

Dieser Haufen Fell ist ein Wolf?“ Martin deutete mit seiner Tochter auf das Tier.

Richtig“, vernahm er in seinen Gedanken die weiterhin leidenschaftslose Stimme. Mittlerweile konnte er damit umgehen, obwohl ihm, während der Unterhaltung mit ihr, immer wieder das Blut hochkochte.

Was sollen wir mit einem Wolf? Die stecken den in einen Zoo. Wie sollen wir hier einen Wolf halten? Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert.“

Wolf gehört zu uns.“

Jetzt ja. Dennoch werden wir Schwierigkeiten bekommen.“

Wir werden uns Gedanken darüber machen, wenn es an der Zeit ist.“

Wie ist das eigentlich mit Hein?“

Hein ist ein Langweiler. Die Unterhaltung mit ihm ist nur halb so interessant, wie die mit dir.“

Das kann doch nicht sein.“

Sicherlich ist es so. Er schirmt sein Gehirn ab. Ich kann nichts von seinen Gedanken erfassen – außer denen, die er mir zugesteht. Und, das ist nicht viel.“

Du spionierst also in meinen Gedanken herum.“

Nein. So ist es nicht. Jeder Gedankengang von dir löst in deinem Gehirn ein absolutes Chaos aus, so, dass der Hauptgedanke von den peripheren fast überlagert wird. Ich verstehe sowieso nicht, wie du in diesem Durcheinander eines klaren Gedanken fähig bist.“

Danke. Sind wir wieder auf dem Trip, alle – außer dir – bescheuert?“

Nein. Verstehe mich so, wie ich es sage. Es ist einfach so.“

Lass mich noch einmal auf dich zurückkommen, Kyra. Welche Rolle wirst du in dieser Aufführung übernehmen?“

Ich weiß es nicht“, sie hob den Stein in seine Richtung. „Das weiß nur der Stein. Mit ihm kann ich nicht kommunizieren, lediglich über ihn. So wie jetzt mit dir. – Ja, ja. Ich sehe es schon. Ganz klar mache ich mir Gedanken darüber, ... aber, ich komme nicht weiter.“

Wir alle sind von einem beschissenen kleinen Stein abhängig. Das kann doch wohl nicht wahr sein?“

Es ist aber so.“

„Martin, Martin.“ Britta riss ihn aus seinen Gedanken. Vollkommen orientierungslos versuchte er, seinen Verstand zu ordnen.

Britta ruft Dich. Wir werden uns später weiter unterhalten.“

Martins Pupillen erfassten Britta, die ihn von der Türe des Wintergartens aus, besorgt musterte.

„Du träumst am hellen Tag und hältst Kyra auf dem Arm. Wie schnell ist das Kind heruntergefallen.“

„Das hätte sie zu verhinderten gewusst.“ Mit glänzenden Augen schaute er das Kind und dann seine Frau an. „Ich habe mich die ganze Zeit mit ihr unterhalten. Es ist schon verblüffend.“

„Du kannst dich mit unserer Tochter unterhalten? Seit der Geburt habe ich keinen direkten Kontakt mehr mit ihr gehabt. Ich vermisse es so sehr, dass es wehtut.“

„Über den Stein als Katalysator oder Sender ist es möglich. Sie hält ihn in ihrer Hand.“ mit dem Kinn deutete er auf das Kind.

Britta stürzte sofort auf Kyra zu und umfasste die kleine Faust. Sie öffnete ihren Verstand, jederzeit bereit die Gedanken ihrer Tochter zu hören. Nichts tat sich.

„Martin. Du hast doch gesagt, mit dem Stein funktioniert es.“ sagte sie mit weinerlicher Stimme zu ihm.

„Bei mir ging es auf jeden Fall“, er griff nach der Faust des Kindes.

Sag ihr, dass der Stein nur für die Person Wirkung zeigt, dessen Lebensenergie mit der Schwingung des Steines im Einklang ist.“

Martin erklärte es Britta, die mit Tränen in den Augen über die blonden Locken ihres Kindes strich.

„Schade. Es wäre so schön gewesen. Die Welt ist ungerecht.“

*

KYRA

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