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Kapitel 23 1998
ОглавлениеMartin stolperte, wie immer, heftig in die Wohnung und hinterließ Dreckspuren seiner Stiefel. Er dachte nicht mehr an den Streit und hatte nur das Ziel, Britta in die Kate zu bekommen.
„Britta, Britta“, rief er beim Betreten der eigenen vier Wände. „Wo bist du?“
Sie antwortete nicht.
Er kratzte sich am Kopf und ging etwas ruhiger, aber immer noch Spuren hinterlassend, durch die Zimmer.
Britta lag in einem Sessel. Der schwangere Bauch reckte wie ein Hügel in die Höhe. Ihre Augen waren geschlossen. Sie döste. Zärtlichkeit überkam ihn. Er senkte seinen Kopf und küsste sacht den leicht geöffneten Mund.
Lächelnd zuckten ihre Mundwinkel. Britta öffnete die Augen, die ruhig und entspannt sie zu ihm hinauf blickten.
„Bist du endlich einmal aus deiner Bude herausgekommen? Ist die Geisterbeschwörung beendet?“
„Bist du immer noch sauer?“, er knetete ihr leicht die Schultern.
„Weshalb sollte ich sauer sein?“, sie ließ wohlig den Kopf nach vorne sinken, damit seine massierenden Hände ihren Nacken erreichten.
„Wovor hast du Angst, mein Schatz?“
Britta versteifte sofort. Wenn er, mein Schatz, sagte, wurde sie misstrauisch. Dann wollte er etwas und versuchte, seinen Kopf durchzusetzen. Vorsichtig warf sie ihm von der Seite einen Blick zu. Sein Haar war durcheinander und stand in allen Richtungen vom Kopf. Das Gesicht zeigte eine gesunde Farbe von den langen Aufenthalten im Freien. Flüchtig erkannte sie den gespannten Ausdruck in seinen Augen.
„Du stellst blöde Fragen. Wovor soll ich Angst haben? Ich habe keine Angst. Wenn du etwas von mir willst, sage es. Die Fragen dienen doch dazu, mich von irgendeiner deiner Ideen, zu überzeugen.“
Martin schlug innerlich die Hände vor den Kopf. Klar … sie erinnerte sich nicht. Aber, was war mit ihm? Die Szene in der Kate stand deutlich vor seinen Augen. Tatsächlich. Er konnte jedes Detail der Kate, der Höhle und den Ereignissen dort, abrufen. Komisch. Wieder etwas Neues.
„Nein. Keine neuen Ideen. Ich möchte dir in der Kate etwas zeigen.“ Ihm war unwohl, sie zu linken, wusste er doch, wie sie um die Situation litt.
„Die Kate?“ Britta rieb sinnend an der Schläfe. „Die ist mir total entfallen. Klar. Warum nicht. Jetzt?“
„Ich mach‘ uns erst einen Kaffee.“
„Du bist ein richtiges Arschloch. Immer wieder manipulierst du mich und ich falle darauf herein. Ich wollte nie mehr hier hin. Das weißt du doch.“ Sie hatten gerade den Sandstreifen betreten, als die Erinnerung wie ein Schlag kam. Britta war richtig sauer.
„Fahr‘ runter. Ich hab‘ auch ein schlechtes Gewissen und weiß, dass meine Mittel unfair sind.“
„Da kann ich mir was für kaufen. Ich will einfach normal leben und habe keinen Bock mit einem Geist oder einem Monster in meinem Bauch zu reden.“ Sie wandte sich ab und wollte gehen. Martin hielt sie zurück.
„Deine Gedanken haben dir einen Streich gespielt. Du hast dir den Kontakt mit unserem Baby so sehr gewünscht, dass du es jetzt selbst glaubst. Dein Unterbewusstsein muss verrückt gespielt haben. Lass‘ uns das noch einmal überprüfen.“
„Martin, du versuchst es schon wieder. Du nimmst sofort zurück, was du gesagt hast. Es ist eine Unverschämtheit zu behaupten, ich sei verrückt. Wer hier verrückt ist, steht außer Frage. Du mit deinem bescheuerten Stein und deinem sprechenden Geist, Hein. Du bist doch schwachsinnig. Welcher erwachsene Mensch bespricht seine Sorgen mit einem Stein. Das ist doch genauso meschugge, wie im Spiegel, mit sich selbst zu sprechen“, ihr Gesicht war zornesrot und der Körper bebte vor Ärger.
Martin war fassungslos. Was hatte er denn jetzt schon wieder falsch gemacht? Mensch, was war er froh, wenn die Schwangerschaft vorüber war.
„Ich habe zu keinem Zeitpunkt behauptet, Du seist nicht bei Sinnen. Immer wieder verdrehst du, was ich sage. Langsam glaub‘ ich, du drehst ab. Ich möchte dir helfen. Warum bist du so gereizt? Lass uns darüber reden.“
„Ich will mich nicht mit dir unterhalten – zumindest nicht darüber. Du hast erreicht, was du wolltest. Du wusstest genau, dass, wenn ich die Grenze überschreite, nicht anders kann, als dort hinein zu wollen.“ Britta fing an zu schniefen und die Stimme wurde weinerlich. „Ich will, dass das Baby kommt.“
„Aber Schatz es doch viel zu früh.“
„Nenne mich nicht Schatz“, sie fauchte ihn laut an. „Wenn ich das Baby nicht sofort bekomme, platze ich. Jede Stunde, die ich warte, werde ich verrückter. Ich will, dass es aus mir rauskommt.“ Schwerfällig ging sie auf die Kate zu. „Los. Komm schon. Wir gehen in deine Hütte und dann werde ich einiges in mir klarstellen“, entschlossen packte sie den Türgriff. Auf der Schwelle blieb sie stehen und drückte ihren verspannten Rücken durch. Dann rollte sie in die Hütte.
Martin starrte entgeistert hinter ihr her. Ging noch alles mit rechten Dingen zu? Oder war ihnen beiden jegliche eigene Entscheidung genommen? Er gab sich einen Stoß und machte, dass er hinter Britta herkam.
Britta stand erstarrt im Raum. Einen Augenblick blieb die Welt stehen. Einen kurzen Moment nur, war die Zeit im Begriff anzuhalten. Im Moment des kurzen Zeitstillstandes erstarrte sie. Sämtliche Energie floss aus ihrem Körper.
„Kommst du?“, fragte sie mit kläglicher Stimme.
Schnell verkürzte Martin den Abstand zu ihr und legte die Hand beruhigend auf ihre Hüfte.
„Wenn deine Angst zu groß ist, Britta … dann gehen wir wieder zurück.“ Er wollte sie beschützen und keiner Belastung, egal ob geistig oder körperlich aussetzen. Entschlossen trat Britta noch einen Schritt vor.
„Nein. Ich muss es hinter mich bringen. Den jetzigen Zustand halte ich nicht aus und schlimmer kann es nicht kommen.“
Sie gab sich einen Ruck und stand im Halbdunkel des Zimmers, wo nach ihrer Ansicht der Ursprung ihres Übels lag. Die Angst kam wieder.
*
Britta stand unschlüssig in der Kate und wusste nicht mehr, was sie wollte. Sie zitterte und schwitzte. Martin bugsierte sie auf einen Stuhl und drückte sie beruhigend.
„Komm mein Schatz. Bringen wir es hinter uns.“
„Ich will nicht. Ich habe Angst“, sagte sie weinerlich.
„Komm hab‘ keine Angst. Es wird sich alles zum Guten wenden.“
„Versuche es alleine. Ich kann dir doch nicht dabei helfen.“ Feierlich hielt er ihr den Stein hin.
„Nein. Du musst mich festhalten.“
Er umfasste ihre Hände mit dem Stein. Sofort dachte sie wieder die fremden Gedanken in ihrem Kopf.
„Hallo. Da bist du ja. Ich habe auf dich gewartet. Es wird Zeit.“
„Ich habe Angst.“
„Warum?“
„Es ist nicht normal.“
„Was ist normal? Normal oder nicht normal sind Begriffe, die Menschen machen. Normal ist aber auch alles, was die Natur verursacht. Es gibt nichts Anormales.“
„Das ist aber eine sehr philosophische Betrachtungsweise.“
„Nein. Überhaupt nicht. Was nicht normal ist, kann nicht sein. Alles, was es auf der Welt gibt, ist auch so vorgesehen. Also auch ich. Warum hast du Angst vor mir?“
„Ich kann doch nichts dafür. Es überkommt mich einfach.“
„Nimm es, wie es ist, und du wirst keine Angst mehr haben.“
„Bist du ein Junge oder ein Mädchen?“
„Ich bin ein Mädchen.“
„Hat die Schöpfung erkannt, dass wir Mädchen stärker sind?“
„Ja und nein. In den Jahrtausenden wurde der Stein meines Erzeugers, oder sprechen wir ab jetzt von Vater, unkontrolliert an männliche Erben weitergegeben. Keine Macht hatte einen Einfluss auf die Stafette durch die Generationen. Es war immer dem Zufall überlassen, ob der Träger in der Lage war, den entsprechenden Kontakt herzustellen.“
„Und mit dir wurde eine bewusste Auslese getroffen?“
„Mehr oder weniger. Aber, Hein war im Augenblick der genetischen Veränderung des Erbguts auch sehr aufgeregt. Die Wahrscheinlichkeit des Zufalls ist sehr groß.“
„Deine Übertragung ist heute moduliert und nicht so kalt wie bei unseren vorherigen Unterhaltungen. Was hat dich verändert? Ich habe keine Angst mehr.“
„Modulation musste ich lernen. Mir waren Gefühle unbekannt. Jetzt kann ich unterscheiden und auch schon selbst empfinden. Deine Angst hast du in dem Augenblick verloren, indem du mich akzeptiertest.
„Können wir uns jetzt immer in dieser Art unterhalten?“
„Wenn du es möchtest. Ja.“
„Ich bin du. Du bist ich. Ist dir das klar?“
„Noch nicht so ganz. Ich habe bisher an dich, als meinen Wirtskörper gedacht. Jetzt weiß ich, dass zwischen dir und mir ein besonderes Band besteht. Aber wie schon gesagt, ich musste Gefühle auch erst lernen.“
„Wirtskörper ist ein sehr kalter Begriff.“
„Nicht kalt. Eher sachlich. Der Begriff zeigt meine Abhängigkeit zu deinem Körper. Ich kann in deinem Körper nur existieren, solange du existierst. - Jetzt kommen wir aber zu einem Punkt, über den wir gemeinsam entscheiden müssen.“
„Welche Entscheidung müssen wir treffen?“
„Du hast sicherlich festgestellt, dass ich eine außergewöhnlich schnelle körperliche Entwicklung habe. Ich musste mein Wachstum verlangsamen - kann es aber nicht insgesamt aufhalten.“
„Und was besagt das?“
„Wir müssen den Entkopplungsvorgang, oder anders gesagt, die Geburt, einleiten.“
„Nichts lieber als das. Ich bin es leid, wie eine Ente durch die Gegend zu watscheln. Aber schadet dir eine frühere Geburt nicht?“
„Ich schade dir, wenn wir noch länger warten. Ich bin voll ausgebildet und lebensfähig.“
„Ich freue mich darauf, dich endlich zu sehen.“
„Auch ich habe ein großes Interesse daran.“
„Welchen Zeitpunkt sollen wir denn vorsehen?“
„Zeit ist für mich ebenso relativ wie für Hein. In den Begriffen deiner Denkweise wäre es mir lieb, die Geburt morgen einzuleiten. Kannst du die Vorbereitungen für dich in dieser Frist abschließen?“
„Sicherlich ist das möglich. Muss ich in ein Krankenhaus, um möglichen Komplikationen vorzubeugen?“
„Der Geburtsvorgang wird vollkommen problemlos ablaufen. Ich habe deine körperlichen Voraussetzungen und Funktionen überprüft. Es ist alles in Ordnung. Ich kann den Vorgang alleine steuern.“
„Es ist unglaublich. Ich unterhalte mich mit meinem ungeborenen Baby über seine Geburt. Wo hat es so etwas schon einmal gegeben?“
„Mir ist Ähnliches nicht bekannt.“
„Wo möchtest du denn das Licht der Welt erblicken?“
„In der großen Höhle. Hier und in der Kate sind die einzigen Orte, an denen wir zurzeit miteinander in Kontakt treten können. Hier sind der Katalysator und Hein. All diese Komponenten müssen im Einklang sein, sonst gelingt es nicht.“
„Wer oder was ist Hein?“
„Das weiß er oder es selbst nicht so genau. Er bezeichnet sich als Schutzgeist dieser Mulde.“
„Welcher Mulde?“
„Dieser Ort, an dem Du lebst.“
„Kann man ihn sehen oder fühlen?“
„Nein. Er ist Energie.“
„Wie kann reine Energie leben?“
„Es ist eine andere Art Leben, als das, welches dir bekannt ist.“
„Woher bezieht er seine Informationen und Gedanken? Wie kann er denken?“
„Er nimmt alles Wissen aus seiner Umgebung. Sobald du denkst, sendet dein Gehirn eine modulierte Strahlung, die nicht nur auf deinen Kopf begrenzt ist. Jeder Empfänger könnte sie aufnehmen und entschlüsseln. Es ist der gleiche Vorgang, der mit uns beiden zurzeit geschieht.“
„Also gibt es doch Gedankenübertragung?“
„Sicherlich. Nur muss dein Gegenüber auch Empfänger sein.“
„Es verwirrt mich immer noch. Eigentlich solltest du es sein, der mir Fragen stellt. Aber ich bin dir gegenüber so unwissend, dass ich mich schon fast schäme.“
„Du musst keine Scham empfinden. Du bist ein natürliches Geschöpf dieser Erde. Ich bin durch einen zusätzlichen Eingriff das, was ich jetzt bin. Ich weiß auch noch nicht, was die Zukunft bringt. Ich sehe nur, dass wir sie gemeinsam gestalten.“
„Was. Du kannst auch in die Zukunft sehen?“
„Langsam, langsam. Nicht alles auf einmal. Wir konzentrieren und zunächst einmal auf die Geburt. Der Samenspender, mein Vater, kommt um vor Sorge und schüttelt dich schon seit einiger Zeit hin und her. Wir werden jetzt den Kontakt unterbrechen.“
„Warte. Eine Frage noch. Wie soll Dein Name sein?“
„Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Darüber muss ich nachdenken So. Und jetzt bis später.“
Abrupt unterbrach die Verbindung. Britta nahm ihre Umwelt wieder wahr. Blinzelnd drehte sie Ihren Kopf und entdeckte, Martin. Sorgenfalten lagen auf seinem Gesicht.
„Na endlich. Ich dachte schon, du wolltest überhaupt nicht mehr zu dir kommen. Was ist passiert? Erzähle schon. Ich brenne vor Ungeduld.“
Britta sammelte ihre Gedanken. Es war so neu und so schön. Sie verstand ihre vorherige Angst nicht mehr.
„Es war schön. Ich bin jetzt dankbar, dass du es mir ermöglicht hast, vor der Geburt mit unserem Mädchen zu reden.“
„Ein Mädchen also“, Martin strahlte über das ganze Gesicht. „Ein Mädchen. Und du konntest mit ihr reden? Unglaublich, wie so etwas möglich ist?“
„Stell mir bitte keine Fragen. Ich suche selbst Antworten. Wir müssen alles vorbereiten. Morgen wollen wir die Geburt einleiten.“
„Wie? So früh? Die Geburt einleiten? Soll ich einen Arzt rufen?“
Britta warf ihm einen nachsichtigen und mitleidigen Blick zu.
„Wir benötigen keinen Arzt. Eine Geburt bekommen wir schon alleine hin.“
Martin wusste nicht mehr, woran er war.
„Britta. Was ist los mit dir? Du bist so verändert. Vor einer halben Stunde hast du dir vor lauter Angst fast in die Hosen gemacht und jetzt willst du die Geburt unseres Mädchens einleiten.“
„Die Angst ist auch nicht verschwunden. Unser Baby wird alles regeln. Ich habe vollstes Vertrauen zu ihr. Die Geburt wird hier in der Kate stattfinden. Dann haben wir die Sicherheit, dass es gut geht. Also auf. Wir müssen alles vorbereiten. Über das andere sprechen wir später.“
*