Читать книгу KYRA - Herbert Weyand - Страница 8
Kapitel 5 2013
ОглавлениеVon der Gruppe ging unbezwingbare Machtfülle aus, die an nichts festzumachen war. Aus ihren Gesichtern leuchteten strahlend blaue Augen.
Seit Stunden versammelten sie sich, tastend und sehr vorsichtig, um das Feuer. Einige wenige hatten Jahrtausende - die Mehrheit, Jahrhunderte geschlafen. Im Grunde konnten sie es nicht fassen, dort zu sitzen. Als sie starben, deutete nichts daraufhin, dass ein Leben nach dem Tod auf sie wartete.
Die alten Männer saßen in einer Höhle riesigen Ausmaßes. In sanftem Bogen wölbte das gewaltiges Oval, ungefähr fünfzig Meter, in die Höhe und maß in der Längsachse circa dreihundert, in der Breite zweihundert Meter. In die, leicht ansteigenden, Wände, führten rundum, in unterschiedlichen Höhen, Gänge oder Stollen, die von ihrem Versammlungsplatz, kaum auszumachen waren. Aus den Öffnungen ihrer Grabkammern leuchtete warmes Licht, das sich von denen der Wände des Gewölbes, im Grunde war es eine oval umlaufende Wand, unterschied. Der riesige Raum erhellte sich aus sich selbst heraus. Eine zentrale Lichtquelle war nicht auszumachen.
Bisher schwiegen sie und hingen Gedanken nach, die sie zu längst vergangenen Orten und Menschen brachten.
Weshalb waren sie hier? Sie waren sich nie begegnet, jedoch kannten sie sich. Sie wussten, wer dort um das Feuer saß. Lediglich der Grund, der sie zusammenführte, lag im Dunkel.
Arget, die auffälligste Gestalt sah einem Neandertaler ähnlicher, als einem Menschen. An Gesicht und Körper hatte die Natur, die Modellierung des menschlichen Ausdrucks einfach abgebrochen.
Sie schauten ihn an, als Aufforderung, etwas zu sagen. Aber er wusste nichts zu sagen. Oder doch?
„Jemand muss beginnen. Warum nicht ich“, eröffnete er schwerfällig mit seiner sonoren Stimme das Gespräch. Die Worte kamen stockend, als ob er die Sprache erst wieder erlernen müsse. „Ich bin wahrscheinlich der Älteste von uns allen, auch wenn wir an Lebensjahren möglicherweise gleich alt sind. Ich weiß es nicht. Als ich einst zur Großen Mutter ging, rechnete ich nicht damit, hier und heute, gemeinsam mit euch am Feuer zu sitzen. Mein Leben war gelebt. Ich weiß nicht, weshalb und warum wir zusammengekommen sind. Ich kenne euch, auch wenn wir uns nie begegnet sind. In meinen Träumen hatte ich euch alle schon einmal gesehen und ich denke, ihr mich auch. Es ist undenkbar, was im Moment mit uns geschieht. Doch im Grunde hätte jeder von uns damit rechnen müssen. Ich bin weder erstaunt, noch erschrocken, sondern einfach ratlos.“
„Du triffst es genau“, ergriff einer der anderen alten Männer das Wort. „Ratlosigkeit ist der richtige Begriff.“ Auch er sprach stockend, als wenn er seine Stimmbänder seit Ewigkeiten nicht mehr gebraucht hätte. „Du bist Arget? Ja. Ich kenne dich. In meinen Träumen habe ich dich oft begleitet. Ich bin Knut. Aber das brauche ich euch nicht zu sagen.“ Die anderen nickten ihm zu. „Wir alle waren Bewahrer des Steines. Nur durch ihn sind wir jetzt zusammen. Aber weshalb?“
„Ich hatte, in der Vergangenheit, schon lange aufgegeben zu hinterfragen, warum mir etwas passierte oder ich Dinge tun konnte, die mir unerklärlich waren. Ich nahm es einfach hin. Genau wie jetzt.“ Hermann schaltete sich in das Gespräch ein. Auch seine Stimme war brüchig, gewann jedoch mit jedem Wort an Stärke. „Wir sind jedoch noch nicht vollzählig. Soweit ich mich erinnere, waren da noch Martin und Kyra. Wir sollten warten, vielleicht bekommen wir eine Erklärung.“
„Ja, das denke ich auch.“ Peter beugte sich vor und schaute in das Feuer, als ob er von dort eine Antwort bekäme. „Wolf und Hein fehlen auch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass, ohne die beiden, das Rätsel zu lösen ist. Ich weiß, wer ihr seid und von woher oder wann ihr kommt. Ich weiß auch von Hein, doch habe ich immer noch keine Vorstellung, wer oder was er ist. Einer von euch vielleicht?“ Die anderen schüttelten kollektiv mit den Köpfen.
„Hein war für mich nie greifbar. Seine Existenz war mir immer unerklärlich. Ich bin auch nicht sicher, ob er existent ist. Für mich war er alle Zeit eine Ahnung, ein Gedanke – mehr nicht.“ Gerd erhob sich und wanderte schwerfällig, die Hände auf dem Rücken zusammengelegt, herum. Seine Gestalt war gebeugt und der Schritt müde schlurfend.
Sie waren erst kurze Zeit zusammen. Einer der Ersten, der sich am Feuer niederließ, war Gerd. Circa eine halbe Stunde später kam Knut. Arget war der Letzte. Innerhalb von zwei Stunden hatten sich alle eingefunden. Ein jeder schlurfte, aus seinem Domizil, in das große Gewölbe. Die alten Männer hatten lange geschlafen. Ihre Augen mussten sich erst wieder an das Sehen gewöhnen, wie auch die Körper an die Bewegung. Auch die Gedanken waren träge und eingerostet. Doch langsam durchfloss sie wieder Energie.
Mittlerweile erprobten sie in langsamen Bewegungen die Funktionen ihrer Körper. Zusehends wurden sie sicherer und geschmeidiger. Spannkraft kehrte zurück, die gebeugten Gestalten richteten sich auf.
In dem Gewölbe erkannten sie Hunderte von Male gesehene Kleinigkeiten. Fast zaghaft glitten ihre Hände hier und dort über eine Fuge oder einen Gegenstand. An anderer Stelle standen sie wieder staunend vor Veränderungen, die sich in ihrer langen Abwesenheit ergeben hatten.
„Wie es aussieht, sind wir wieder nach Hause gekommen“, wandte sich Arget an die anderen. „Für mich sind die Veränderungen gewaltig. Als ich die Höhle entdeckte, war sie leer. Nichts befand sich in ihr. Zumindest nichts, was ich bemerkt hätte. Die merkwürdigen Gebilde sind wohl Sitzmöbel, wie ich weiß. Jedoch hatte ich noch nie solch ein Ding gesehen. Erstaunlich.“ Er zeigte auf eine Anordnung von Stühlen und schlurfte darauf zu. Seine Haltung veränderte sich zusehends. Spannkraft baute sich auf und seine Bewegungen waren zwar schwerfällig, jedoch geschmeidiger als vor wenigen Minuten. Arget strich mit den Fingerspitzen die lackierte Struktur des Stuhls nach. Er ließ sich behutsam darauf nieder und lachte fröhlich auf.
„So einfach und so genial. Ich möchte alles sehen und anfassen. Die große Mutter hat es in der langen Zeit gut mit unserer Nachkommenschaft gemeint. So viele Wunder, so viele schöne Sachen.“ Er erhob sich und bewegte sich ziellos von einem Gegenstand zum anderen.
Die Männer hatten die gleiche Größe und identische Körpermaße. Selbst die Gesichter glichen sich in den Zügen und im Ausdruck. Die Ausnahme bildete Arget, dessen überlange Arme an seiner groben unfertigen Gestalt, deplatziert wirkten. Gemeinsam hatten sie ein ovales Mal unterhalb des linken Ohres am Hals. Kaum auffällig, ungefähr zwei Zentimeter in der Längsachse messend.
Die alten Männer schienen Arget, in eine Führungsrolle zu drängen. Immer häufiger richteten sich ihre Augen erwartungsvoll auf ihn. Sie wollten Antworten.
Ein jeder erinnerte sich und dachte an die individuell unterschiedliche Vergangenheit.
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