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Kapitel 17 1998

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Britta lag neben Martin und sinnierte über die vergangene Stunde. Sex mit Martin war schön, erfrischend und einfach toll. Sie wirkte wie neu geboren und steckte voller Tatendrang. Scheinbar im Gegensatz zu ihm, denn er schlief fest neben ihr.

Sie erhob sich, raffte die Kleidung zusammen und schlich auf Zehenspitzen in den Nachbarraum. Während sie sich anzog, entdeckte sie an der Rückwand des Zimmers eine dicke Bohlentüre. Vorhin war sie ihr nicht aufgefallen.

Neugierig öffnete sie die Tür und stand vor einem dunklen tiefschwarzen Loch. Das diffuse Licht in der Kate beleuchtete ungefähr einen halben Meter, unbearbeiteter Lehmwände des Ganges.

Sie wollte gerade die Petroleumlampe vom Bord nehmen, entdeckte jedoch rechtzeitig die starke Taschenlampe. Unverzüglich schritt sie in das Dunkel.

Wahrscheinlich ein Vorratsspeicher“, dachte sie.

Das Licht der Lampe leuchtete einen etwa fünf Meter langen Gang aus, in dem bequem ein Mensch gehen konnte, ohne gegen die Wände zu stoßen. Knochentrockene, aber dennoch frische Luft schlug ihr entgegen. Sie war von den Wohlgerüchen vieler verschiedener Kräuter erfüllt.

Vorsichtig setzte sie Schritt für Schritt, voll banger Ahnung, was sie wohl erwartete. Das Licht ihrer Lampe fiel, so erschien es ihr, in bodenlose Dunkelheit. Vor ihr lag ein Raum gigantischen Ausmaßes.

„Mein Gott“, entfuhr ihr im Selbstgespräch. „Ist das vielleicht ein Bunker?“

„Nein“, Martins Stimme hinter ihr klang hohl in den großen Raum.

Britta fuhr mit schreckgeweiteten Augen herum, die Taschenlampe zum Schlag erhoben. Der Lichtkegel erfasste Martin, der mit nacktem Oberkörper vor ihr stand.

„Martin“, sie entspannte sich. „Du hast mir einen tödlichen Schrecken eingejagt. Wieso ist dieser große Raum hier? Weshalb weiß ich nichts davon?“

„Ich bin froh, dass du die Höhle selbst gefunden hast. Ich hätte nicht gewusst, wo ich anfangen soll.“

„Du bist ein Mensch voller Geheimnisse. Was erwartet mich noch? Zuerst die Geschichte mit deinem Stein. Dann diese Angst, als ich in die Kate kam. Und jetzt diese Höhle . . .“ Der Lichtkegel der Lampe erreichte die gegenüberliegende Wand nicht. Sie lag geheimnisvoll im Dunkel.

„Kannst du vielleicht einmal für Beleuchtung sorgen, damit ich etwas sehen kann?“ Sie hielt ihm die Lampe vor die Augen, sodass er sie zusammenkneifen musste, um noch etwas zu erkennen.

„Ja sicherlich.“ Er machte einen Schritt in den Raum hinein und schon begannen die Wände, ein warmes Licht auszustrahlen. Riesig groß lag das Gewölbe vor ihr. Unvorstellbar, was sich hinter einer einfachen Holztür verbergen konnte.

„Wahnsinn“, flüsterte sie. „Welche heidnischen Sitzungen werden denn hier abgehalten? Es ist nicht zu fassen.“

Beruhigend legte Martin ihr den Arm um die Schultern und drückte sie leicht.

„Das ist auch so ein Vermächtnis meines Steines. Die Höhle ist uralt. Auch, wenn es kaum vorstellbar ist, hat sie schon in der Steinzeit existiert und alle Unbilden des erdgeschichtlichen Wandlungsprozesses überstanden.“

„Und? Glaubst du daran, dass so etwas möglich ist?“, erschauernd drängte sie fester gegen ihn.

„Ich kann doch nichts anderes glauben. Schau dich um“, er deutete mit einer Handbewegung um sich. „Überall Vergangenheit. Relikte der gesamten Menschheit. Hier siehst du meinen Stammbaum. Ich kann es selbst nicht fassen.“

Britta tat einige Schritte in den Raum hinein, blieb jedoch wieder stehen und wandte sich Martin zu.

„Diese Löcher dort“, nickte sie mit Kopf gegen die Wölbung. „Sind das Nischen oder weiter Höhlen?“

„Teils Nischen, teils Höhlen und teils Gänge. Ich habe noch nicht alles gesehen. Von Erforschen kann nicht die Rede sein. Es drängt mich auch nicht dazu. In einigen wenigen Seitenräumen bin ich gewesen. Da erlebte ich einige Überraschungen.“

„Wie konntest du ein Gewölbe derartigen Ausmaßes geheim halten? Hierher müssten doch wahre Völkerscharen unterwegs sein. Ich habe noch nie etwas davon gehört.“

„Geheimhaltung ist nicht der richtige Ausdruck. Wenn ich es mir recht überlege, ist die Höhle aus meinem Gedächtnis gestrichen, sobald ich die Kate verlasse.“

„Aber du bist doch nicht alleine auf der Welt.“ Ihr Gesicht drückte eine Mischung aus Zweifel, Neugier, Angst und anderen Gefühlen aus.

Martin ging zu ihr und legte seinen Arm um die Hüften und richtete den Blick aufmerksam auf sie.

„Als wir heute in die Kate gingen, haben wir beide festgestellt, dass du ab einem Punkt nicht mehr weiter konntest. Etwas oder jemand verhinderte, deinen Versuch hier hineinzukommen. In diesem kleinen Haus und der dahinter liegenden Höhle sind, soweit mir bekannt ist, noch nie Menschen gewesen, die nicht zu meiner Familie gehören.“

„Über die lange Zeit – Jahrtausende? – das glaube ich nicht. Unmöglich, so etwas geheim zu halten.“ Ihr Gesicht zeigte Unglaube.

„Unmöglich ist nichts, wie du jetzt selbst feststellst. Als du auf die Kate zugingst, wärest du, wenn ich nicht dabei gewesen wäre, umgekehrt und hättest keinen weiteren Gedanken daran verschwendet. Es wird wohl bisher jedem so gegangen sein, der versuchte hier einzudringen.“

„Mag sein. Darüber wollen wir uns später unterhalten. Jetzt zeig mir deine Schätze, die du vor der Öffentlichkeit verbirgst.“ Sie ging resolut auf die Mitte des Raumes zu und zog ihn mit sich. Vor der großen Feuerstelle blieb sie stehen und die Gedanken wirbelten unkontrolliert. „An dieser Stelle soll schon vor Jahrtausenden ein Feuer gebrannt haben - Menschen saßen hier und wärmten sich? Einen solchen Unsinn will ich einfach nicht glauben.“

„Dies ist ein Herdfeuer. Hier haben die damaligen Menschen ihr Essen zubereitet. Die Astgabeln dort links und rechts und der Balken darüber, waren praktisch der Grill. Die anderen Feuerstellen hier rings herum dienten der Wärme. Aber ich habe festgestellt, dass die Temperatur hier drinnen, im Sommer und im Winter, immer gleichbleibend – auch ohne Feuer - zweiundzwanzig Grad Celsius beträgt. Und wo wir gleich dabei sind, die Luft ist unwahrscheinlich trocken. So gut wie keine Luftfeuchtigkeit. Deshalb ist auch alles so gut erhalten.“ Martin nahm eine dozierende Haltung ein.

„Also eine steinzeitliche Klimaanlage“, grinste Britta.

„Mach dich nur lustig. Also, weiter“, er drehte sich einmal im Kreis und zeigte auf die gewölbte umlaufende Wand. „Dort herum sind Nischen und Gänge eingelassen, wie du siehst. Einige verlaufen gerade von dieser Haupthöhle aus, andere führen nach oben oder nach unten. Wahrscheinlich – wenn auch kaum glaubhaft – natürlicher Art. Sie sind unterschiedlich groß und wurden von den Menschen, die hier hinein konnten, als Wohnung, Feriendomizil oder was weiß ich wofür genutzt. Und eines kann ich dir versprechen, es warten noch einige Überraschungen auf dich.“

Britta machte an verschiedenen Höhlungen Vorhänge oder Türen aus. Sie waren entweder mit Fellen, groben Stoffen oder grob gezimmerten Brettern verschlossen. Einige waren offen und schauten dunkel und blicklos in den großen Raum.

„Kann man hinein?“, sie flüsterte ehrfürchtig.

„Klar können wir dort hinein. Aber lass dir noch einiges erklären. Ich hab‘ dir von meinen Träumen erzählt, die mir Bilder der Vergangenheit, unglaublich weit in die Erdgeschichte zurückgehend, zeigten. Es scheint mir fast, leider weiß ich das aber auch nicht so genau, als wenn wir uns in einem riesigen Perpetuum mobile befinden. Alles immer in Bewegung, aber nicht gleichbleibend, sich ständig verändernd, aber sich doch wiederholend. Ich sehe keinen Anfang und kein Ende. Aber, was noch viel wichtiger ist … ich sehe nicht, was mir in diesem Kreislauf zugedacht ist.“

„Vielleicht findest du die Antwort in dieser Höhle?“

„Nein, das wäre zu einfach. Du darfst die anderen Faktoren nicht vergessen. Da ist zunächst einmal, wie du sagst, dieses Familiengespenst, Hein und zum anderen der Stein. Die beiden stehen in engem Zusammenhang. Beides an sich schon widernatürlich, was die Besonderheit des Steines, als nicht irdische Materie, glaubhaft macht. Des Weiteren sind diese Höhle und der Mechanismus, der das Betreten der Kate verhindert, vorhanden. Ich weiß nicht, was sonst noch irgendwo verborgen ist. Ich blicke schon lange nicht mehr durch.“

„Ich verstehe nicht, wie du so gelassen bleiben kannst. Mir vibrieren alle Nerven.“ Britta setzte sich auf eine Erhebung nahe dem Herdfeuer und schaute nachdenklich auf den Boden.

„Ich bin nicht gelassen, sondern werde von Tag zu Tag bekloppter. Vieles, was dir im Moment unerklärlich erscheint, war selbstverständlich für mich. Erst mit den Jahren kam langsam das Nachdenken über bestimmte Vorfälle oder Verhaltensweisen.“

„Aber es ist doch so, dass hier unerklärliche Sachen passieren. Jeder normale Mensch würde darüber verrückt werden.“

„Wer sagt dir, dass ich normal bin“, versuchte Martin zu scherzen.

„Deine Macken sind süß und … verrückt sind wir doch alle.“ Britta ging erleichtert auf den lockeren Ton ein, um ernst fortzufahren. „Hier müssen Wissenschaftler heran, die alles gründlich durchleuchten und vielleicht eine Erklärung darüber liefern.“

„Dann dürfen wir die Höhle nicht mehr verlassen. Ich habe es dir schon einmal erklärt. Wenn wir nachher draußen sind, verschwenden wir keinen Gedanken an diese Höhle. Alles ist weggeblasen.“

„Du hast doch noch Hein. Was träumt dein Hein dir eigentlich zu?“

„Zu diesem Komplex so gut wie nichts. Ich habe oft bewusst, vor dem Einschlafen, meine Gedanken auf die Ahnung, dass da noch etwas anderes eine Rolle spielt – mehr hatte und wusste ich ja nicht – gelenkt. Aber mit dem Weggleiten meines Bewusstseins ist auch alles andere weg.“

Britta erhob sich mit einem eleganten Schwung ihrer Hüften und fasste seine Hand. „Wir plagen uns mit Gedanken, die wir nicht verstehen. Lass mich erst einmal die Höhle sehen. Zeige mir alles.“ Sie zog ihn auf eine der Nischen zu.

Vor einem Vorhang aus grob gewebtem Tuch - eine Art Tuch, wie Britta es noch nie zu Gesicht bekommen hatte – machten sie halt. Die Farben waren naturbelassen, so wie die Pflanzen die Fasern für den Stoff geliefert hatten. Welches Gewächs die Basis war, konnte sie nicht erkennen - dazu fehlten die Grundlagen. Ungefähr eine Handbreit über ihrem Kopf war rechts und links des Einganges ein gerader Ast in das Erdreich eingelassen, über den sich Faserringe zogen, die den Vorhang hielten.

Britta zögerte, den Vorhang zu fassen und beiseitezuschieben. Ihr Verstand fasste es nicht. Was mochte dahinter stecken?

Martin war weniger zartbesaitet, packte resolut den Stoff und schob ihn beiseite. Eine dicke Bohlentüre, die er mit kräftigem Schwung aufzog, öffnete den Blick in ein dunkles Loch. Martin fasste mit traumwandlerischer Sicherheit hinein und entzündete eine Petroleumleuchte.

„Seltsamerweise werden diese kleinen Räume nicht beleuchtet. Ich habe hier nichts verändert“, sagte er entschuldigend zu Britta. „Es wäre irgendwie pietätlos. Es sollte alles so bleiben, wie es ist.“ Langsam nährte sich die Flamme, wurde größer und leuchtete in den Raum. Martin tat einen Schritt hinein.

Britta verhielt und versuchte, einen Eindruck zu bekommen. Fast war sie ein wenig enttäuscht. Was hatte sie erwartet? Einen Schatz. Bis sie dann genauer hinschaute. In die Rundung der linken Wand schmiegte sich eine, mit Stroh und Heu belegte, Liege. Zunächst wollte sie nicht glauben, was sie dort sah. Das Herz schien ihr in der Brust zu zerspringen, als sie langsam, sehr bedächtig und furchtsam einen Schritt in den Raum tat.

Dort lag ein Mensch. Ein Mann mit langem dunklem Haar und geschlossenen Augen. Das Gesicht war faltig und vertraut. Er schien zu schlafen. Bekleidet war er mit grob gewebtem farblosem Stoff, ähnlich einem Hemd, das kreuzweise von gereihten Lederschnüren verschlossen wurde. Ansonsten bedeckte ihn ein Fell. Die Arme lagen locker zu beiden Seiten auf der Liege.

Am Rande ihrer Wahrnehmung bemerkte sie einen Tonkrug und einen Zinnbecher auf dem Boden neben dem Lager. Rund umlaufend, ungefähr in Kopfhöhe, standen weitere Gerätschaften, wie Krüge und Werkzeuge, auf einem Bord.

Britta überwand die Angst, die sie packen wollte, und zwang ihr Herz zu einem ruhigen Schlag. Sie wollte dort hinein. Ja … sie war auf das Höchste interessiert. Nach einem weiteren vorsichtigen Schritt suchte ihr Blick Martin.

„Wer ist das? Ich dachte, dein Vater sei tot? Weshalb versteckst du ihn hier?“ Ihre Worte trafen ihn, wie ein Geschoss.

Beruhigend legte er ihr seinen Arm um die Schulter. „Das ist nicht mein Vater. Das ist Hermann.“

„Aber, er sieht genauso aus wie du. Nur älter. Das gleiche Gesicht.“ Brittas Züge trugen einen ungläubigen Ausdruck.

„Wie gesagt, er ist Hermann. Ein Vorfahr von mir“, er drückte mit seiner Hand ihre Schulter. Leise fast flüsternd drang seine Stimme zu ihr.

„Ein Vorfahr? Aber er schläft doch? Oder etwa nicht?“ Ihr stockte wieder das Herz. Eine weitere Unmöglichkeit, die sie nicht glauben konnte.

Martin nahm den Arm von ihrer Schulter und machte einen Schritt zur Seite.

„Ja, er schläft. Aber schon lange - bald 1200 Jahre. Vielleicht ist er auch tot, ich weiß es nicht?“

„Das ist doch unmöglich“, sie drehte sich ihm zu und ihre Hände fuhren fahrig durch die Luft. Ein bittender, fast beschwörender Ausdruck lag in ihren Augen „Was ist hier los? Was geschieht hier? Ich komme nicht mehr mit?“

„Ich weiß. Das ist mein Familienerbe. Das alles hier“, er machte eine weit ausholende Bewegung, „gehört dazu. Wie soll ich es dir erklären? Ich komm‘ auch nicht klar damit.“

Brittas Gedanken rasten. Was hatte sie sich mit dem Typen in den Nacken geschlagen? Das war verrückt. Weiterhin vorsichtig, jeden Augenblick darauf gefasst von irgendetwas gepackt zu werden, schlich sie auf das Lager zu. Sie ging auf die Knie und tastete mit den Fingerspitzen auf das Gesicht zu, immer damit rechnend, dass ihr Gegenüber die Augen aufschlug. Die Haut war trocken und kühl … jedoch nicht leblos, aber andererseits auch nicht lebend.

„Was geschieht hier? Wieso weiß niemand von dieser Höhle und dem Menschen hier und überhaupt, von dem ganzen anderen Kram?“, bittend erflehte sie eine verständliche Erklärung. „Ich komme nicht mehr mit. Ich glaube, ich werde bekloppt.“

Martin nahm ihre Hand und zog sie in den großen Höhlenraum zur Herdstelle in der Mitte.

„Ich bin selbst total überfordert. Nur in Filmen stolpern Archäologen und Anthropologen über solche Sachen. Aber ich habe von beidem keine Ahnung. Und dann noch“, abwartend hielt er inne, „hier in der Höhle nehme ich mir vor, die gesamte Anlage untersuchen zu lassen. Aber nachher draußen verschwende ich keinen Gedanken daran. Es ist, als ob ich zwei Leben lebe.“

„Ich will ja nicht sagen, dass was nicht sein kann, nicht sein darf.“ Britta stand hilflos vor ihm. „Mein Vorstellungsvermögen reicht nicht aus. Wie kann der Mann dort drinnen“, sie zeigte auf die Höhlung, in der Hermann lag. „1200 Jahre alt und aussehen, als ob er schläft. Eine Mumie oder ein Skelett könnte ich ja noch vertragen. Aber das übersteigt selbst meine Fantasie.“

„Spürst du die Spannung nicht, die hier liegt?“, Martin machte eine vage Bewegung.

„Doch. Jetzt, wo du es sagst. Ein Vibrieren. Aber kaum wahrnehmbar. Nur wenn man es weiß und sich darauf konzentriert. Wieso weißt du, dass der Mann ein Vorfahr von dir ist? Woher kennst du seinen Namen?“

„Komm‘. Ich zeig dir etwas.“ Er zog sie am Arm quer durch das Gewölbe zu einer weiteren Nische. „Hier und meine Träume“, er sah sie abwartend an, gespannt auf ihre Reaktion.

Vom Eingang aus sah Britta auf die große Holzplatte, auf der Hunderte Dokumente lagen. Teils alt, teils neu. Sogar ein Notebook stand dort.

„Haben Deine Verwandten einen Weg gefunden, Energie aus der Luft zu beziehen?“, versuchte sie zu scherzen. Dabei war ihr, nicht wohl zumute.

„Du meinst den Computer. Die Batterien lade ich im Haus und bring‘ immer genügend mit, um ein paar Stunden zu arbeiten. Du wirst erstaunt sein. Hier lagert die Geschichte meiner Familie.“

„Was tun wir jetzt? Raus gehen und nicht mehr darüber reden? Das kann es doch nicht sein.“ Kopfschüttelnd sah sie Martin an.

„Ich hab‘ die Hoffnung, dass ich dies alles mit dir teilen kann. Wir müssen darüber reden.“

„Hoffentlich ist deine Hoffnung nicht zu groß. Ich habe Angst. Es ist ganz anders, als wenn ich in Venedig oder Verona Geschichte in mich hinein ziehe.“

„In diesem Raum lebte Hermann - zeitweise. Er war der eigentliche Begründer unseres Dorfes. Auch, wenn es erst später in die Urkunden eingetragen wurde, hatte er die Besiedlung eingeleitet.“

„Woher hast du diese Informationen. Doch wohl nicht aus deinen Träumen?“

„Nicht nur. Ich bereite die Dokumente auf, soweit mir das möglich ist. Du solltest vielleicht einmal lesen, was ich schon herausgefunden habe.“ Er sah sie abwartend an.

Aber Britta tat es achselzuckend ab. Martins Welt wuchs ihr über den Kopf. Sie schaute sich um. Jetzt erst fiel es ihr auf. Trotz der trockenen Luft in der Höhle konnte sie kein Staubkorn ausmachen.

„Weißt du woran ich gerade gedacht habe Martin? Ich muss auch schon eine Macke haben. Hier liegt nirgendwo Staub. Hast du vielleicht eine Putzfrau beschäftigt, die dir die Höhle saugt?“

„Staub sagst du. Nein. Ist mir noch nicht aufgefallen. Aber, jetzt da du es sagst, muss ich mir Gedanken machen.“ Britta musterte und befühlte die Sachen auf dem Bord.

„Hermann heißt der Untote. Und er ist einer deiner Vorfahren. Weißt du noch mehr?“ Sie kam wieder zum Thema zurück.

„Sicherlich. Er lebte um die Zeit Karl des Großen und hat diese Kate gebaut. Zu ihm gibt es zwei Geschichten. Die eine erzählt, dass er im Krieg gegen die Sachsen kämpfte und später aufgrund dessen, der General genannt wurde. Die andere besagt, dass er bei einem Einfall der Söldner Karls des Großen in das Dorf kam, um dort Soldaten zu pressen - die Bewohner in einen Berg geführt und versteckt habe. Der Berg wird wahrscheinlich diese Höhle hier unter dem Hügel sein. Wenn Du länger hier lebst, werden Dir auch die Sagen und geschichtlichen Überlieferungen bekannt. Ihn hat es tatsächlich gegeben.“

„War das ein Heiratsantrag? – Ach lass es. Und er trug seinen Stein, wie du es tust?“

„Ja.“

„Jetzt tue doch nicht so wortkarg. Du kannst dir sicherlich vorstellen, dass ich darauf brenne, weitere Informationen zu erhalten. Es ist alles so geheimnisvoll und unwahrscheinlich. Ich fahre schon voll darauf ab.“

„Wie gesagt … lies dir durch, was hier liegt.“

„Vielleicht tue ich das mal. Lass‘ uns noch einmal zu Hermanns Grab …“, sie schlug die Hände vor den Mund, „… wie pietätlos von mir. Grab kann man wohl nicht sagen. Auf jeden Fall möchte ich dort noch einmal hin.“

Britta sah mit einem mulmigen Gefühl auf Hermann hinunter. Eine steile Falte erschien über ihrer Nasenwurzel. Sie kaute auf ihrer Unterlippe. Britta kniete nieder und fuhr sachte über das Fell, das ihn zudeckte. Langsam realisierte sie, dass sie nicht in einem Traum, sondern in der realen Welt lebte, die so irreal war, wie es sich kein Mensch vorstellen konnte.

„Da ist noch eine Sache, die mir unlogisch erscheint, sofern in der Situation, in der wir uns befinden, Logik angebracht ist. Ich muss wieder auf den Stein zurückkommen und auf dieses Wesen, das du Hein nennst. Weshalb sind alle Personen in der Zeit so unauffällig. Auch du bist vollkommen normal, und soweit ich das in der kurzen Zeit unserer Bekanntschaft beurteilen kann, kein Anwärter auf den Nobelpreis. Auch deine gesellschaftliche Stellung ist vollkommen normal. Wenn ich das alles so höre, müsste deine Familie in all den Generationen doch den Überflug gemacht haben?“

Martin schloss die Augen und versuchte seine Gedanken zu ordnen.

„Das habe ich mich auch schon oft gefragt. Vielleicht hatten sie kein Interesse an einem Überflug. Geld haben sie genug gescheffelt. Mehr als ich ausgeben kann. Ich kann mich nur wiederholen, Britta, wenn wir nachher diese Höhle verlassen haben, ist die Erinnerung beschränkt. Es ist sowieso merkwürdig, dich jetzt und heute in dieser Höhle zu wissen. Soweit mir bekannt ist, sind noch nie weitere Personen, außer unserer Familie, in dieser Höhle gewesen.“

„Welche große Ehre für mich. Aber dennoch bekomme ich langsam Hunger. Wir sollten etwas essen. Aber bevor wir gehen, noch einige Antworten. Sind alle Nischen belegt oder nur diese eine? Wie viele Aushöhlungen gibt es überhaupt?“

„Ich weiß es nicht, aber in einigen liegen weitere Vorfahren von mir.“

„Das kann doch nicht wahr sein. Und diese Quasileichen sind dir auch bekannt?“

„Ja.“

„Mein Gott. Sei doch nicht so wortkarg.“

„Ich bin erstaunt über deine Schlussfolgerungen. Ich habe lange dazu gebraucht, Nischen, Personen zuzuordnen. Für dich ist das von vornherein selbstverständlich.“

Britta stand auf und ging in die große Höhle zurück. Wieder war sie überwältigt von den immensen Ausmaßen und den Geheimnissen. Auch das fröstelnde ehrfurchtsvolle Kribbeln auf ihrer Haut hielt an.

„Allein die Möbel, die hier herumstehen, sind ein Vermögen wert. Hier muss ich noch einmal in Ruhe hinein. Lass uns essen gehen.“

*

KYRA

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