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Kapitel 3 1997

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Das Spermium stockte, um den Bruchteil einer millionstel Sekunde, und setzte seinen Weg zur Eizelle fort. Von der Natur vorgegeben, vereinten sich die Fortpflanzungsmechanismen und starteten den chemischen Vorgang, der Leben genannt wurde. Die Kern-DNA des männlichen Gameten tauchte in das Zytoplasma und vermischte sich mit der maternalen DNA.

Der physikalische Akt der Fortpflanzung war abgeschlossen … der biologisch, chemische begann.

Dunkelheit … Rauschen … steter Pumpenschlag … Darmgeräusche … Wohlgefühl … Lust … Geborgenheit … Wärme … Angst … Ohnmacht …

Aus Gefühlen und Empfindungen wurden Gedanken und traten in den Vordergrund. Gedanken, die nicht sein konnten, nicht sein durften.

ES dachte zum ersten Mal. ES erinnerte sich zum ersten Male.

Ego cogito, ergo sum.“ Der Gedanke stand im Nichts. „Ich denke, also bin ich.“ Eine kleine Pause. „René Descartes … ein Philosoph. Verdammt noch mal. Wer oder was ist ein Philosoph?

ES nahm Empfindungen auf, die falsch waren - oder besser gesagt, das Wissen darüber nicht vorhanden sein konnte. ES besaß keinerlei persönliche Erfahrungen und konnte keine Erinnerung haben.

Das sich bildende Bewusstsein wurde zur Verzweiflung. ES war gefangen. Die Dunkelheit wurde zur Belastung und engte den Denkprozess ein.

Dunkelheit?

Nein. Ein augenblicklicher Zustand der Nichtwahrnehmung. Das Sehen würde kommen.

ES bestand aus Erinnerungen. „… die mentale Wiederbelebung früherer Erlebnisse und Erfahrungen. Unmöglich …“ Doch der Verstand arbeitete und verarbeitete Wissen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Ich denke, also bin ich.“ Der Gedanke wurde Philosophie, der Haltepunkt des Denkens. ES schwebte im Sein und Nichtsein, im Augenblick des Werdens und Sterbens … in dem Augenblick des Lebens, der sich nur einmal wiederholte … am Ende der Existenz.

ES wechselte von Ruhephasen zu Wachzuständen. Unendlich langsam umschloss ein Körper das Denken. ES war entstehendes Leben in einem Säugetier der Gattung Mensch.

ES war noch nicht geboren. Wellartige Gedanken überschwemmten den wachsenden Embryo, pflanzten sich fort, vermehrten sich – wurden zu Begriffen, Vorstellungen und Gefühlen. Im Hintergrund lauerte das Wissen darum, dass die Situation, in der ES sich befand, nicht sein konnte … sein durfte … einfach unmöglich war. Dennoch … ES war da und dachte.

Um nicht verrückt zu werden, meditierte ES und erschloss das Gefängnis, in dem es sich befand.

Der Wirtskörper gab Geborgenheit, Wärme und andere angenehme Empfindungen, die die Ängste gegenstandslos werden ließen. Eine daumendicke Verbindungsleitung versorgte ES.

Mit unbeholfenen, dennoch vorsichtigen, Tastversuchen begann ES, den Wirtskörper zu erforschen. Das ungeborene Leben schickte Gedankenfühler, die Nervenbahnen entlang und gelangte an den Ursprung des Wirtskörpers. Dorthin, wo das Leben herkam.

Hier pulsten und rasten Elektronen, verhielten hier oder dort und vereinigten sich zu Befehlen und Nachrichten. Die Eindrücke überwältigten den Embryo und ES zog sich in eine Ruhephase zurück, um dann wieder den Wirtskörper und das Zentrum des Lebens, das Gehirn genannt wurde, zu erkunden. Am Rande war noch etwas anderes.

Hallo“, schlich ein Gedanke heran und ES verstand einen Gruß.

Hallo“, antwortete ES vorsichtig. „Wer bist du?“

Ich bin Hein.“

Und was tust du? Was bist du? Bist du auch in diesem Körper?“

Ich beobachte und wache. Was ich bin, weiß ich nicht. Ich bin einfach und … überall.“

Das ergibt keinen Sinn. Bist du auch ungeboren?“

Ich bin nicht geboren. Ich bin. Mehr kann ich dir nicht sagen.“

Seltsam.“ ES zog sich zurück und meditierte.

Nach einiger Zeit tastete ES sich wieder vorsichtig nach vorne.

Hallo. Bist du da?“

Ich bin immer hier.“

Warum?“

Ich bin an diesen Ort gebunden?“

Weshalb?“

Ich weiß es nicht.“

Seltsam.“ ES zog sich wieder zurück.

Nach einer längeren Meditationsphase meldete ES sich wieder.

Hallo. Bist du da?“

Ich habe dir doch gesagt, ich bin immer hier.“

Wer bin ich?“

Du bist ungeborenes Leben.“

Das weiß ich. Aber wer bin ich?“

Du bist noch nicht. Du musst noch geboren werden.“

Seltsam.“ ES zog sich sehr lange zurück um sich dann wieder, nach vorne zu tasten.

Hallo.“ ES wartete. Hein meldete sich nicht. „Du hast doch gesagt, du bist immer hier.“

Ich bin hier bei und in dir.“

Weshalb sagst du nichts?“

Ich habe doch gesagt: Ich bin hier bei und in dir.“

Nein davor, da hast du nichts gesagt.“

Das ist richtig.“

Weshalb hast du nichts gesagt?“

Ich weiß es nicht.“

Chemische Reaktionen sorgten für eine Veränderung im Elektronenfluss.

Hein diagnostizierte, Ärger. Dennoch waren die Gedanken des Embryos immer noch kühl und kontrolliert.

Das ist eine sehr einseitige Unterhaltung, Hein. Du weißt nichts? Du bist einfach? Ich verstehe dich nicht.“

Wie kannst du mich verstehen? Du bist noch nicht geboren. Du hast keinerlei Erfahrung oder Erinnerung.“

Das sehe ich ein wenig anders. Meine Gedanken sind voller Erinnerungen und Bilder.“

Das verstehe ich wiederum nicht. Ungeborenes und neugeborenes menschliches Leben hat keine Erinnerung. Es hat auch keine Gedanken.“

Was bin ich dann, wenn ich die Erinnerung der Generationen habe?“

Wieso glaubst du, Erinnerungen der Generationen zu haben? Das ist unmöglich.“

Jetzt stellst du eine Frage, die ich nicht beantworten kann.“

Fangen wir noch einmal von vorne an.“

Hallo.“

Nein. So habe ich das nicht gemeint.“

ES lauschte verwundert in sich hinein.

Aber du hast doch gesagt, wir fangen wieder von vorne an.“

Sicherlich. Bei den Göttern ist das schwierig mit dir. Ich meine, wir sollten bei deinen Erinnerungen beginnen.“ Hein sandte zornige Gedanken.

Warum sagst du das nicht. Wie soll ich es wissen?“, gleichförmig kamen ES Gedanken.

Ungeborenes Menschenkind, Du machst mich fertig.“

Ich verstehe. Du empfindest Ärger. Die Erinnerung daran kommt gerade zu mir. Aber Ärger ist schlecht. Deshalb habe ich ihn vorhin, bei mir, unterdrückt.“

Wir sollten uns nicht über Ärger unterhalten, sondern über dein Gedächtnis.“

Was soll ich dir über mein Gedächtnis mitteilen. Ich habe Erinnerung. Das habe ich dir doch schon gesagt.“

Wie kannst du Erinnerung haben?“

Ich ziehe mich zurück und denke darüber nach.“ ES knipste die Gedanken ab.

*

KYRA

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