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Kapitel 8

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Am Montag hatte Olga Bauchschmerzen vor Nervosität. Würde der Schulrat heute schon kommen? Auf jeden Fall legte sie den Entwurf für die geplante Stunde in Griffnähe.

Doch er kam nicht.

Am nächsten Tag war es genauso. Ihre Anspannung stieg und es fiel ihr schwer, sich auf die Kinder zu konzentrieren. Immer lauschte sie mit halbem Ohr, ob sich jemand auf dem Flur der Tür näherte. So verging der Vormittag, und ihre Unruhe übertrug sich auch auf die Schüler. Nach dem Unterricht traf sie Ute, die recht locker mit der Situation umging.

„Ich habe sowieso nicht damit gerechnet, dass er gleich zu Beginn der Woche kommt“, meinte sie schulterzuckend, als Olga sie darauf ansprach. „Aber du solltest dir nicht so viele Gedanken machen. Du hast dich doch gut vorbereitet auf seinen Besuch.“

„Wenn ich mich nur auf die Schüler verlassen könnte!“ stöhnte Olga. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie kribbelig sie heute wieder waren.“

„Das sind meine auch zuweilen“, beruhigte Ute sie. „Mach einfach mit ihnen Sachen, bei denen sie viel beschäftigt sind und nicht viel Unsinn machen können. Und wenn er kommt, kannst du auf deine Vorführstunde umschwenken.“

Insgeheim beneidete Olga ihre Freundin um die relativ „normale“ Klasse, deren Klassenlehrerin sie sein durfte. Das Vermächtnis von Frau Rot dagegen war eine gewaltige Herausforderung und Last. Aber da musste sie jetzt durch! Ute hatte Recht – sie musste ihren Unterricht so planen, dass ihre Rabauken wenig Ausbruchsmöglichkeiten hatten. Das würde sich zwar nicht auf Dauer durchhalten lassen, aber ein, zwei Stunden schon!

Für den nächsten Tag plante sie eine Rechtschreibstunde mit anschließendem Übungsdiktat. Damit hatte sie in der Regel alle fest im Griff. Die Vorbereitungen für die Schulratsstunde lagen wieder griffbereit neben ihr auf dem Pult.

Tatsächlich brachte sie mit diesem trockenen Unterricht ziemliche Ruhe in die Klasse und merkte, wie sie sich selbst dabei entspannte. Nachdem sie die Übungen alle durchgearbeitet hatte, teilte sie die Diktathefte aus und gab noch einmal strenge Anweisungen, welche Regeln einzuhalten waren. Dann diktierte sie den ersten Satz.

In diesem Augenblick klopfte es und gleichzeitig wurde die Tür geöffnet. Herr Jesser stand da mit einem gut situierten Herrn und grinste sie vielsagend an.

„Sie haben Besuch, Fräulein Wessling.“ Und an den Herrn gewandt: „Also dann – viel Spaß!“

Olga durchfuhr es siedend heiß. Das war also der befürchtete Besuch und nun war es unmöglich für sie, auf die vorbereitete Schaustunde zurückzugreifen.

„Oh, ich habe gerade angefangen, ein Diktat zu schreiben“, stammelte sie verlegen, als Herr Kleiner auf sie zukam und ihr die Hand reichte.

„Gut, dann machen Sie Ihr Diktat“, forderte er sie auf und lächelte gar nicht unfreundlich. „Ich kann mir auch bei so etwas ein Bild machen.“

Dann ging er nach hinten und zog sich einen kleinen Stuhl in die Ecke, auf den er sich setzte.

„Ist das nicht zu unbequem“, fragte Olga unsicher. „Wollen Sie nicht lieber meinen Schreibtischstuhl?“

„Ich bleibe nicht lange“, versetzte er. „“Jetzt machen Sie einfach weiter.“

Also diktierte Olga die Sätze, ließ die Kinder diese wiederholen und aufschreiben, während sie krampfhaft überlegte, was sie nun noch Außergewöhnliches zeigen sollte. Es fiel ihr nichts ein. Das Einzige, was den Rhythmus dieses Ablaufs ab und zu störte, war, wenn das eine oder andere Kind eine Frage stellte, weil es etwas nicht richtig verstanden hatte. Darauf ging Olga ziemlich feinfühlig ein, aber ansonsten war an diesem Unterrichtsverlauf natürlich nichts Spannendes.

Zum Schluss ließ sie die Hefte gruppenweise einsammeln und kam damit zum Abschluss, als es zur großen Pause läutete. Sie entließ die Kinder, die sich angesichts des Unbekannten im Klassenzimmer wirklich manierlich aufführten und sehr diszipliniert das Klassenzimmer verließen, was Olga mit einem gewissen Aufatmen registrierte. Trotzdem hatte sie ein mulmiges Gefühl, als der Schulrat sich erhob und zu ihr ans Pult trat. Doch ihre Angst war grundlos.

„Sie haben eine sehr einfühlsame Art mit den Kindern umzugehen“, sagte Herr Kleiner. „Man spürt sofort das positive Klima in der Klasse.“

Fast ungläubig schaute sie ihn an.

„Es tut mir Leid, dass ich gerade mit dem Diktat angefangen hatte“, entschuldigte sie sich. „Aber wenn Sie nach der großen Pause noch eine Stunde sehen wollen…“

Er schüttelte bedauernd den Kopf.

„Eigentlich komme ich wegen Fräulein Bard. Sie wissen ja sicher, dass ich ihre Stunden bewerten muss wegen der anstehenden Prüfung. Ich wollte mich Ihnen nur kurz vorstellen und mir ein Bild davon machen, wie Sie sich hier an der Schule eingelebt haben.“

Olga schluckte. So viel Aufregung im Vorfeld, ihre ganzen Ängste, die ausführliche Vorbereitung – alles unnötig! Sie quälte sich ein Lächeln ab.

„Ja doch, ich habe mich ganz gut eingelebt.“

Nach dem Unterrichtsvormittag setzte sie sich ins Lehrerzimmer, um die Übungsdiktate zu korrigieren. Normalerweise hätte sie diese mit nach Hause genommen, doch jetzt wollte sie auf Ute warten. Diese hatte nach zwei Lehrproben vor dem Schulrat anschließend noch eine Besprechung mit ihm und war sicherlich froh, gleich mit jemandem darüber reden zu können. Immerhin waren sie beide vor diesem Besuch ziemlich angespannt gewesen, auch wenn Ute mit dem Druck wesentlich besser umgehen konnte.

Es war schon halb drei, als Ute hereinkam. An ihrem Strahlen konnte Olga sofort erkennen, dass alles gut verlaufen war. Obwohl sie selbst mit ihrem Erlebnis unzufrieden war, ließ Olga sich haarklein erzählen, was bei Ute abgelaufen war und freute sich mit der Freundin.

„Das müssen wir feiern!“ meinte sie. „Zum Essengehen ist es nun ja zu spät, aber lass uns einen schönen Kaffee trinken.“

Dieser Vorschlag gefiel auch Ute und so machten sie sich gemeinsam auf den Weg in das nahegelegene Cafe. Hier ließen sie noch einmal den ganzen Vormittag Revue passieren und Olga wünschte sich von Herzen, dass der nächste Schulratsbesuch mit seiner Bewertung für sie dann auch so gut laufen würde. Ute hatte mit diesem Tag eine große Klippe für die zweite Dienstprüfung geschafft, aber für Olga war die ganze Arbeit mehr oder weniger verpufft.

Viertel nach vier Uhr kam sie schließlich bei ihrer Wohnung an. Frau Rieder arbeitete im Garten und winkte ihr zu.

„Mussten Sie heute so lange arbeiten? Jetzt haben Sie gerade Ihre Schüler verpasst. Die sind die ganze Zeit mit ihren Fahrrädern die Straße rauf und runter gefahren. Ein Gebrüll haben die veranstaltet – schade, dass Sie nicht da waren und sie zur Ruhe bringen konnten! Zum Schluss hat unser Nachbar, der Herr Bloch, sie verjagt.“

„Sagen Sie ihnen doch einfach, wenn Sie sich gestört fühlen“, versetzte Olga gereizt. „Nachmittags bin ich nicht auch noch verantwortlich für die Kinder meiner Klasse!“

Sie schob die Haustür auf und ging rasch die Treppe hoch. Nein, so unter Beobachtung gestellt fühlte sie sich wirklich nicht wohl.

Später saß sie an ihrem Schreibtisch, von wo sie eine gute Sicht in den Vorgarten und auf die Straße hatte. Es entging ihr nicht, dass öfter mal irgendwelche Nachbarn vorbeikamen und für ein Schwätzchen stehen blieben. Dabei wanderten nicht selten die Blicke zu ihrem Fenster – offensichtlich war sie für Frau Rieder ein interessantes Gesprächsthema.

Die türkische Leine

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