Читать книгу Die türkische Leine - Iris Bulling - Страница 15
Kapitel 12
ОглавлениеDie Kündigung war geschrieben und dem Vermieter abgegeben worden – und von da an herrschte im wahrsten Sinne des Wortes Eiszeit. Es war Olga gelungen, ihr Schreiben Frau Rieder persönlich zu übergeben und ein kurzes, ihrer Meinung nach positives Gespräch zu führen, doch danach bekam sie weder sie noch ihren Mann zu Gesicht. Ihr war das nur Recht. Anfänglich ging sie immer sehr angespannt ins Haus und die Treppe hoch, weil sie dachte, Herr Rieder würde sie abfangen und womöglich beschimpfen, doch schließlich wurde sie ruhiger und fühlte sich befreiter.
Inzwischen war es schon November geworden. Die letzten Oktobertage waren noch fast sommerlich warm gewesen, doch nun sanken die Temperaturen empfindlich.
Olga drehte die Heizung hoch, doch sie wurde nicht warm. Schließlich kam sie zu dem Schluss, dass sie defekt sein müsse. So unangenehm es ihr war, nun musste sie selbst den Kontakt mit ihren Vermietern suchen. Doch es war wie verhext. So oft sie auch bei ihnen anklopfte – sie schienen nicht zu Hause zu sein. Auch auf eine schriftliche Mitteilung, die sie ihnen in den Briefkasten warf, erfolgte keine Reaktion.
Schließlich nahm sie von ihren Eltern einen kleinen Heizofen mit, um wenigstens die schlimmste Kälte zu überbrücken. Ihre Vorbereitungen erledigte sie nach dem Unterricht im Lehrerzimmer, doch die Situation war mehr als unbefriedigend.
„Es ist, als wären Rieders von der Bildfläche verschwunden“, klagte sie, als sie an einem Abend mit Ute, Karl und Eduard in Utes kuschelig warmer Wohnung zusammensaß. „Wie ist es nur möglich, dass man sie gar nicht mehr zu Gesicht bekommt? Abends und nachts friere ich mir wirklich was ab!“
„Ist das nicht eine Ölzentralheizung? Vielleicht hat was mit dem Heizölnachschub nicht geklappt“, mutmaßte Karl. „Wer dieses Jahr nicht rechtzeitig bestellt hat, kann schon Probleme bekommen.“
Olga seufzte. Tatsächlich hatte eine plötzliche Ölkrise bundesweit für Aufregung gesorgt. Um die Versorgung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten, hatte die Regierung sogar ein Sonntagsfahrverbot erlassen, eine Maßnahme, die Olga schon als ziemliche Einschränkung ihrer Freizeitmöglichkeiten und als zusätzliche Fessel empfand. Wenn sie jetzt ihre Eltern besuchen wollte, musste sie schon am Samstag hin- und konnte erst am frühen Montag zurückfahren. Angesichts der kalten Wohnung war das allerdings schon fast eine Zwangsmaßnahme!
Eduard zeigte sich großzügig.
„Wenn sich nichts ändert, kannst du dich am Wochenende in unserer Wohnung aufwärmen. An diesen Tagen sind wir sowieso nicht da und unsere Heizung funktioniert wenigstens.“
Doch bevor Olga diesen Effekt ausprobieren konnte, forderte die Kälte weitere Tribute. Es fing mit einem unangenehmen Kratzen im Hals an, bis sich das Ganze auswuchs zu heftigen Hals-, Kopf- und Gliederschmerzen mit starkem Husten. Sie schleppte sich zu einem Arzt in der Nähe, der ihr zunächst einmal für eine Woche eine Krankmeldung ausstellte. An Unterricht war auch tatsächlich nicht mehr zu denken in diesem Zustand, und so flüchtete sie sich wieder einmal zu ihren Eltern.
Nach einer Woche fühlte sie sich gesund genug, um ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Sie fuhr am Montagmorgen los und deshalb zuerst zur Schule. Als sie mittags nach Hause in ihr Zimmer kam, war es immer noch kalt. Erneut versuchte sie ihre Vermieter zu erreichen. Dieses Mal traf sie Frau Rieder an, der sie das Problem bis ins Detail darlegte.
„Es scheint ja nicht an einem Ölengpass zu liegen“, fügte sie zum Schluss noch an. „Aus ihrer Wohnung kommt einem eine angenehme Wärme entgegen!“
Frau Rieder schien peinlich berührt.
„Mein Mann wird danach schauen“, versprach sie.
Oben setzte Olga sich wieder an ihren kleinen Heizofen und hoffte, das Problem würde sich bald lösen. Abends klopfte dann auch tatsächlich Herr Rieder an und drehte mit einem Schraubenschlüssel an der Heizung herum.
„Da kann ich nichts machen“, meinte er schließlich. „Ich muss einen Handwerker herbestellen. Aber Sie ziehen ja bald aus.“
„Entschuldigen Sie mal“, protestierte Olga, „Ich ziehe erst Anfang Februar aus. Jetzt ist Mitte November und die richtig kalte Zeit kommt erst noch.“
„Ich werde den Handwerker bestellen“, wiegelte er schnell ab. „Aber natürlich weiß ich nicht, wie bald er kommen kann.“
Damit packte er sein Werkzeug ein und verließ sie grußlos. Ziemlich fassungslos schaute Olga ihm nach. Schließlich zog sie ihren Mantel über und ihre Stiefel und polterte die Treppe hinunter. Sie musste ihren Zorn bei jemandem loswerden.
Ute war zum Glück da und ließ sie sofort ein.
„Hast du immer noch niemanden von Rieders erreicht?“ fragte sie mitfühlend, als Olga sich zitternd auf einen Stuhl setzte.
Aufgebracht erzählte Olga von Herrn Rieders Auftauchen und seinem Kommentar.
„Ich habe langsam das Gefühl, der lässt mich absichtlich schmoren wegen der Kündigung“, schnaubte sie.
„Das hält er nicht durch“, prophezeite Ute. „Aber jetzt finde ich es ganz schön, nicht allein zu Abend essen zu müssen. Komm, lass uns das Beste aus der Situation machen. Wenn du möchtest, kannst du heute auch bei mir auf der Couch schlafen.“
Zunächst war Olga dieser Gedanke unangenehm, aber dann ging sie doch gerne darauf ein. Noch während sie beim Essen saßen, läutete das Telefon. Ute nahm ab und nickte dann.
„Sie ist gerade zum Aufwärmen bei mir. Ich kann sie gleich fragen.“ Sie legte die Hand auf die Muschel: „Karl ist dran. Er sagt, sie haben bei dir geläutet, aber natürlich warst du nicht da. Sie haben Karten für ein Jazzkonzert in der Stadthalle für morgen und wollen wissen, ob wir mitkommen.“
„Oh, von mir aus gerne. Ein bisschen Abwechslung kann nicht schaden. Wenn meine Heizung bis dahin in Ordnung ist, können wir anschließend noch was bei mir trinken.“
Als sie am nächsten Tag von der Schule kam, war es immer noch kalt. Wütend knallte sie ihre Tasche auf den Boden und lief die Treppe hinunter, um bei ihren Vermietern vorzusprechen. Sie hörte Frau Rieder in ihrer Küche hantieren und klopfte laut dort an. Frau Rieder streckte gleich den Kopf heraus.
„Hallo, Fräulein Wessling. Mein Mann hat heute Morgen schon bei der Heizungsfirma angerufen. Sie schicken jemanden vorbei, sobald es geht.“
„Vielen Dank, Frau Rieder. Ich hoffe, ich muss nicht mehr zu lange warten, die Kälte ist wirklich unerträglich!“
„Das tut mir Leid. Aber Sie wissen ja, wie das mit den Handwerkern ist.“
„Eigentlich nicht“, dachte Olga erbost. „Die Sache könnte längst in Ordnung sein.“
Der Nachmittag verging, ohne dass ein Handwerker kam. Gegen sieben ging sie hinüber zu Eduard und Karl. Ihre Laune war wieder auf dem Tiefpunkt.
„Eigentlich wollte ich euch nach dem Konzert noch zu mir einladen“, meinte sie missmutig. „Aber meine Wohnung ist immer noch wie ein Eiskeller. Hoffentlich kommt der Heizungsmonteur wenigstens morgen.“
Trotzdem genoss sie den Abend mit Ute und den beiden Freunden und war dankbar, dass Ute ihr auch für diese Nacht eine Schlafmöglichkeit auf ihrer Couch anbot.
„Wenn die Heizung bis Freitag noch nicht in Ordnung ist, kannst du unser Angebot gerne annehmen und über das Wochenende in unsere Wohnung gehen“, bekräftigte Karl noch einmal Eduards Angebot. „Wir kommen immer erst am Montagnachmittag dahin zurück.“