Читать книгу Die türkische Leine - Iris Bulling - Страница 25

Kapitel 22

Оглавление

Nach einem sehr vergnüglichen Abend begann der nächste Tag dann mit ihrem Termin bei Frau Nagel. Sie fand sich pünktlich ein. Die Tür zu dem Zimmer stand offen und sie klopfte daran, nachdem sie festgestellt hatte, dass Frau Nagel sich am Schreibtisch schon in einige Schriftstücke vertieft hatte. Beim Klopfen schaute sie kurz auf und kam Olga dann entgegen.

„Guten Morgen. Fräulein Wessling, nehme ich an?“

„Guten Morgen, Frau Nagel. Herr Trothe sagte mir, dass Sie die Behandlung weiterführen.“

„Ja, genau. Nehmen Sie doch Platz!“

Sie deutete auf die gemütliche kleine Sitzecke mit drei Cocktailsesseln, wartete, bis Olga sich in einem niedergelassen hatte und setzte sich ganz entspannt und ohne etwas zu sagen ihr gegenüber, den Blick auf einen Punkt gerichtet, der irgendwo über Olgas Kopf sein musste. Olga schaute sie etwas befremdet an und wartete auf irgendeine Frage oder Erklärung, aber nichts geschah. Frau Nagel schwieg einfach vor sich hin. Nach einiger Zeit nahm sie sich eine Zigarette und zündete sie an. Schließlich wurde Olga das Schweigen zu viel. Irgendetwas musste sie wohl von sich geben.

„Doktor Trothe sagte mir, Sie wären für die Einzelgespräche zuständig und würden mir erklären, wie es mit den Gruppentherapien abläuft.“

Frau Nagel stieß den Rauch aus und nickte. „Ja.“ Dann schwieg sie weiter.

Langsam fand Olga das Ganze albern und fühlte sich auf den Arm genommen.

„Ich habe so eine Behandlung noch nie gemacht“, erklärte sie unruhig. „Deshalb weiß ich nicht, wie so etwas abläuft. Wie wollen Sie mir weiterhelfen?“

Jetzt schaute Frau Nagel sie wenigstens an.

„Ich dachte schon, Sie wollen die ganze Stunde vergehen lassen, ohne etwas zu sagen. Das ist verlorene Zeit. Sie haben mir doch sicher etwas zu erzählen?“

„Warum ich mich an Doktor Trothe gewandt habe wissen Sie doch sicherlich…“

„Sie haben sich mir gegenüber dazu noch nicht geäußert. Erzählen Sie mir davon.“

Also fing Olga noch einmal von vorne an, erzählte abermals von diesem schrecklichen Tag, als sie voller Panik aus ihrer Wohnung gestürzt war. Doch es dauerte nicht lange, da schaute Frau Nagel auf die Uhr und meinte:

„Oh, die Stunde ist schon um. Ich denke, wir belassen es erst einmal bei den Einzelgesprächen und beginnen frühestens nächste Woche mit Gruppentherapie. Kommen Sie morgen wieder um dieselbe Zeit.“

Ziemlich verdattert stand Olga anschließend vor dem Sprechzimmer. Was hatte diese Aktion gebracht? Vor allem – wie sollte ihr so etwas helfen? Unzufrieden, aber auch zutiefst verunsichert schlenderte sie durch den Gang zurück. Da kam ihr Georg entgegen.

„Hallo“, grüßte er sie munter. „Hattest du heute schon ein Gespräch?“

Obwohl sie ihm immer noch nicht übermäßig viel Sympathie entgegenbrachte war sie doch froh, mit jemandem über dieses besondere Erlebnis sprechen zu können.

„Das ist die Methode, nach der hier gearbeitet wird“, erklärte er ihr ernsthaft. „Der Patient soll alles von sich erzählen, dabei seine eigenen Fehler erkennen und sich letztlich selbst heilen.“

„Und das funktioniert?“ fragte Olga zweifelnd.

„Wahrscheinlich schon. Sonst hätten sie hier längst dichtmachen müssen. Aber sag mal, wie hat dir der gestrige Abend gefallen?“

„War ganz lustig. Ich wünschte, es wäre meine Abschiedsfeier gewesen. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, was ich hier eigentlich soll!“

„Wegen dieses Gesprächs heute? Warte nur ab, bis du mehrere Sitzungen hinter dir hast. Bei solchen Krankheiten, wie sie hier behandelt werden, braucht man ein bisschen Geduld. Am besten schreibst du dir vor einem Gespräch auf, was dich so bewegt, damit du nichts Wichtiges vergisst. Aber jetzt solltest du dich ablenken. Komm doch mit mir in den Werkraum und schau dir mal an, was man da so fabrizieren kann.“

Es war tröstlich mit ihm zu sprechen und seine Tipps schienen sehr vernünftig zu sein. Bis zum Mittagessen war noch fast eine Stunde Zeit und deshalb folgte sie ihm gerne.

In einem der Räume traf sie auf Gunther, der mit großer Sorgfalt ein kunstvolles Igelmännchen in Lederhosenmontur aus Ton formte. Fasziniert schaute sie ihm zu, bis er sie bemerkte und freundlich anlachte.

„So etwas habe ich nicht gemacht, bevor ich hierher kam. Ich wusste nicht einmal, dass ich diese Begabung habe. Na, wie gefällt dir mein Mecki?“

„Er ist toll“, sagte sie ehrlich.

Gunther deutete auf den Stuhl neben sich und legte ihr einen Klumpen Ton hin.

„Probier `s doch auch mal“, forderte er sie auf und das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Sie hatte ganz vergessen, dass Georg auch noch da war und begann die feuchte geschmeidige Masse zu kneten und zu formen. Den ganzen Frust über ihre Therapiestunde knetete sie heraus und allmählich erkannte man die Form eines Fisches. Erst da bemerkte sie, dass Georg sich ihr gegenüber gesetzt hatte und ihre Bemühungen beobachtete.

„Du scheinst einen großen Freiheitsdrang zu haben“, meinte er.

„Wie kommst du darauf?“ fragte sie verwundert.

„Na ja, ein Fisch – der will doch im großen weiten Meer schwimmen…“

„Das ist einfach eine Figur, die man leicht formen kann. So etwas Tolles wie Gunthers Mecki würde ich nicht hinkriegen.“

„Kann man nicht wissen“, mischte Gunther sich ein, „Manchmal kommt Erstaunliches heraus, wenn man `s ausprobiert und nicht so schnell aufgibt.“

Lachend, aber wenig überzeugt erhob Olga sich.

„Es war auf jeden Fall eine gute Erfahrung. Vorher war ich ziemlich frustriert, doch jetzt habe ich schon fast vergessen, was mich so aufgebracht hat.“

Nun war bald Zeit zum Essen und unwillkürlich dachte Olga an Tolga. Sein Anblick würde sie garantiert auch auf andere Gedanken bringen – ganz ohne Hintergedanken natürlich!

Die türkische Leine

Подняться наверх