Читать книгу Die türkische Leine - Iris Bulling - Страница 12
Kapitel 9
ОглавлениеSie war mit ihren Vorbereitungen schnell zu Ende. Fast alles, was sie für heute geplant hatte konnte sie am nächsten Tag verwerten.
„Wenigstens ein Vorteil!“ dachte sie zynisch und schob die Unterlagen in ihre Tasche. Ein Blick auf die Uhr brachte sie auf einen Gedanken.
„Ich könnte zu Richard fahren. Er hat seine Prüfungen hinter sich und wir können uns einen schönen Abend machen. Wenigstens der Druck ist weg – ich werde ihm heute bestimmt nicht die Ohren voll jammern.“
Ein paar Sachen in die Reisetasche gepackt hatte sie schnell. Nach kurzer Überlegung griff sie auch nach ihrer Schultasche, damit ihr die Möglichkeit offen stand, am Morgen nicht mehr in ihre Wohnung zu müssen.
Sie war richtig fröhlich, als sie im Auto saß und das Radio einschaltete. Warum sollte sie sich ärgern? Gut, sie hatte viel zu viel Energie in die Vorbereitung für diese Schulratsstunde verschwendet, aber immerhin hatte er einen positiven Eindruck von ihr gewonnen, die Klasse hatte sich von ihrer besten Seite gezeigt und die Aufregung sich gelegt. Die Früchte der Arbeit konnte sie morgen einfahren und sich selbst ein Bild davon machen, ob diese Art des Unterrichts die Kinder begeistern würde. Und vor allem würde sie den schönen Ausklang mit Richard jetzt ohne Schattenseiten genießen können….
*
Je näher sie seiner Studentenbude kam, desto mehr befielen sie leise Zweifel. Sie wusste ja gar nicht, ob er überhaupt zu Hause war! Immerhin hatten gerade viele Studenten Prüfungen hinter sich und trafen sich sicherlich spontan wer weiß wo zum Feiern.
Doch als sie an seiner Haustür dreimal läutete – das Klingelzeichen für sein Zimmer- wurde sofort der Türöffner betätigt. Erleichtert schob sie die Tür auf und eilte die Treppe hoch. Da stand er mit einem fröhlichen Grinsen an seiner Zimmertür, aber dieses machte einer bestürzten Miene Platz, als er sah, wer da die Treppe hochgerannt kam.
„Du?“ fragte er dümmlich. „Mit dir habe ich heute ja überhaupt nicht gerechnet!“
„Es sollte eine Überraschung sein“, versetzte sie gutgelaunt und fiel ihm um den Hals. „Ich habe meinen Schulratsbesuch hinter mir, du deine Klausuren – da dachte ich, wir könnten das heute schon ein bisschen feiern…“
Damit drückte sie sich an ihm vorbei, blieb jedoch verdutzt stehen, als sie zwei Gläser, eine kleine Flasche Sekt und Chips auf dem Tisch sah. Sie blickte ihn misstrauisch an, er erwiderte ihren Blick fast trotzig.
„Du scheinst jemanden zu erwarten“, meinte Olga schließlich, „auch wenn du nicht mit mir gerechnet hast.“
„Ist es verboten, sich mit anderen Kommilitonen zu treffen?“ fragte er giftig zurück.
„Nein, natürlich nicht, aber…“
„Ich bin verabredet“, fuhr er im gleichen Ton fort. „Wie du ganz richtig gesagt hast, habe ich meine Klausuren hinter mir und das wollte ich heute feiern – aber nicht allein!“
„Das verstehe ich. Wir haben uns doch immer mit anderen getroffen, wenn es etwas zu feiern gab!“ rief Olga, doch sie konnte ein ungutes Gefühl nicht unterdrücken. Hier braute sich etwas zusammen, das ganz und gar nicht in ihrem Sinn war! Er schaute mit starrer Miene zum Fenster hin.
„Ich fühle mich von dir bedrängt“, sagte er plötzlich, „und das tut mir nicht gut. Ständig lädst du deine schlechte Laune und unlösbaren Probleme bei mir ab. Ehrlich gesagt bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich noch länger mit dir zusammen sein will.“
Fassungslos starrte sie ihn an. In diesem Moment läutete es wieder dreimal. Richard drehte sich abrupt um und wollte hinausgehen. Sie griff nach seinem Arm.
„Und wann wolltest du mich davon in Kenntnis setzen?“ fragte sie heiser.
Er riss sich los und zuckte die Schultern, während er auf den Flur ging, um den Türöffner zu betätigen. Kurz darauf kam ein hübsches Mädchen herauf und gab ihm einen leichten Kuss auf die Wange, bevor sie Olga entdeckte, die wie versteinert da stand.
„Oh, du hast schon Besuch?“ fragte sie verwundert.
„Ja – äh, nein. Das ist Olga, aber sie wollte gerade gehen.“
Olga hatte das Gefühl im Boden versinken zu müssen. Das durfte doch nicht wahr sein! Sie straffte die Schultern.
„Eigentlich war das nicht meine Absicht“, erklärte sie frostig. „Aber Richard kann schon eine echte Schocktherapie sein. Das wirst du garantiert auch noch merken.“
Damit stolzierte sie an den beiden vorbei und knallte laut die Tür hinter sich zu. Möglichst würdevoll verließ sie das Haus und marschierte zu ihrem VW. Sie schloss auf und ließ sich in den Sitz sinken. Jetzt bloß nicht anfangen zu heulen! Hektisch drehte sie den Schlüssel im Zündschloss und fuhr mit einem wilden Ruck an.
Als sie eine Stunde später bei ihrer Wohnung ankam, hätte sie beim besten Willen nicht sagen können, wie sie da eigentlich hingekommen war. Fast schien es ihr, als hätte das Auto den Weg allein gefunden. Langsam löste sich die Starre, die sich ihrer bemächtigt hatte. Nachdem sie zum Glück ohne unliebsame Begegnungen auf dem Weg zum Haus und durch den Treppenflur in ihren eigenen vier Wänden stand, hämmerte nur ein Satz in ihrem Kopf:
„Es ist aus! Oh Gott, es ist aus!“