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Kapitel 4

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Es war schon dunkel, als sie ankamen. Im Wohnzimmer ihrer Vermieter brannte Licht und durch das Fenster konnte man sie beim Fernsehen beobachten.

„Gut, dass sie beschäftigt sind“, dachte Olga etwas hämisch. Sie hatte wahrhaftig keine Lust, jetzt von ihnen angesprochen zu werden. Doch als sie die Treppe hoch gingen war ihr, als würde die Tür einen Spalt breit geöffnet. Sie schaute zurück und sah gerade noch, wie ein Kopf schnell zurückgezogen wurde und die Tür sich wieder schloss. Richard, der hinter ihr ging, hatte es ebenfalls bemerkt.

„Denen entgeht nichts“, feixte er, als sie oben waren. „Da lebt es sich ja gemütlicher in meiner Studentenbude!“ „Solange sie mich nicht weiter stören, kann ich damit leben“, behauptete Olga und ließ sich auf ihre Bettcouch fallen.

Er ließ sich neben ihr nieder und umarmte sie. „Dann wollen wir mal hoffen, dass es so ist“, flüsterte er in ihr Haar und streichelte sie zärtlich.

Am nächsten Morgen läutete es Sturm bei ihr. Erschrocken fuhr sie hoch und schaute blinzelnd auf die Armbanduhr. Kurz vor sechs! Was um Gottes Willen konnte denn so früh los sein? Sie sprang im Evaskostüm aus dem Bett und warf sich rasch den Bademantel über, ehe sie aus der „Wohnungstür“ ging und zum Treppenhaus hinunterschaute. Unten stand ihr Vermieter.

„Fräulein Wessling, Sie müssen Ihren Wagen wegfahren. Heute kommt das Sperrmüllauto und so, wie Sie geparkt haben, kommt es nicht durch!“ Sie schaute erbost an sich herunter. „Hätten Sie mir das nicht gestern sagen können?“ fragte sie böse. „Wir wollten Sie doch nicht stören. Schließlich hatten Sie ja Besuch!“ „Und Sie glauben, jetzt stören Sie mich nicht?“ versetzte sie giftig. „Sie können mir ja einfach den Autoschlüssel geben, dann fahre ich es weg“, schlug er versöhnlich vor.

Wütend ging Olga in ihr Zimmer und kramte nach dem Autoschlüssel. Richard hatte sich halb im Bett aufgerichtet und beobachtete sie amüsiert. „So können wir wenigstens nicht verschlafen“, grinste er. Sie warf ihm ebenfalls einen bösen Blick zu. „Ich finde das gar nicht lustig!“

Nachdem sie ihrem Vermieter den Schlüssel in die Hand gedrückt hatte, kam sie ins Zimmer zurück. Richard hatte sich wieder zurücksinken lassen. „Wir sollten uns nicht die Laune verderben lassen. Komm noch mal ins Bett.“

Doch dazu war ihr die Lust vergangen. Sie schnappte sich ihre Unterwäsche und begann sich anzuziehen. „In einer halben Stunde muss ich sowieso aufstehen. Ich mache jetzt Frühstück.“ Nach fünf Minuten klopfte es an der Tür und sie war froh, dass sie Richards Aufforderung abgelehnt hatte. Diesmal war es Frau Rieder, die vor der Tür stand, um ihr den Autoschlüssel zu geben. Olga bedankte sich artig und schob die Tür rasch wieder zu.

Richard erhob sich nun auch langsam. „Du kannst mich gleich heute früh vor deinem Unterricht zum Bahnhof bringen. Dann verpasse ich meine Zehn-Uhr-Vorlesung nicht.“

Nach diesem abrupten Start in den Montag hatte Olga dem nichts entgegenzusetzen. Ziemlich genervt und immer noch erbost fuhr sie anschließend an die Schule, um in die neue Arbeitswoche zu starten.

In der großen Pause ließ sie sich neben Ute nieder und ließ erst einmal Dampf ab. „In dieser Wohnung halte ich es nicht lange aus“, schimpfte sie und erzählte von ihrem morgendlichen Erlebnis. „Ich muss wirklich schauen, dass ich bald etwas anderes finde!“ „Bei mir in der Nähe wird ein neuer Wohnblock erstellt. Vielleicht hast du Chancen, wenn du dich da bald drum kümmerst“, meinte Ute.

Das ließ Olga sich nicht zweimal sagen. Sie hatte Ute von Anfang an um ihre hübsche Zweizimmerwohnung beneidet. Ein gemütliches Heim ohne ständiges Zusammentreffen mit dem Vermieter – so hatte auch sie sich ihre erste eigene Wohnung vorgestellt!

Am Nachmittag schaute sie sich auf der Baustelle um und notierte sich die Adresse der Wohnbaugesellschaft, die auf einem Plakat angeschrieben stand. Noch am gleichen Tag schrieb sie diese an.

Am nächsten Tag fand nachmittags eine Lehrerkonferenz statt, was immer ein lange Sitzung und für Olga ohne nennenswerten Nutzen war. Doch als Herr Jesser fertig war, richtete er das Wort an sie. „Fräulein Wessling, ich möchte Sie gerne noch alleine sprechen. Kommen Sie bitte gleich mit ins Rektorat!“

Olga warf Ute einen besorgten Blick zu, doch diese zuckte nur verwundert die Schultern. Sie konnte sich diese Aufforderung auch nicht erklären, hatte aber den gleichen Gedanken: Das konnte nichts Gutes bedeuten! Mit einem mulmigen Gefühl packte Olga ihre Sachen zusammen und folgte Herrn Jesser, während die anderen nach Hause strebten. Er bot ihr einen Platz an, ließ sich aber Zeit mit dem, was er sagen wollte. Schließlich fragte er: „Wie läuft es denn so mit Ihrer Klasse?“

Olga warf ihm einen misstrauischen Blick zu, ehe sie zögernd antwortete: „Ganz gut, denke ich.“ Er nickte, dann setzte er hinzu: „Ich wollte Ihnen bloß mitteilen, dass sich Herr Kleiner, unser Schulrat, für nächste Woche angekündigt hat. Er wird in erster Linie Fräulein Bard besuchen, aber er möchte auch bei Ihnen kurz reinschauen. Also überlegen Sie sich, was Sie ihm vorführen können. Es wäre sehr unangenehm, wenn die Klasse einen schlechten Eindruck macht.“

Das verschlug Olga erst einmal die Sprache. So bald hatte sie nicht mit einer Überprüfung durch den Schulrat gerechnet. Ute war ja schon einige Zeit eingestellt und würde in einem Jahr die zweite Dienstprüfung ablegen. Doch sie hätte sich noch etwas Zeit zum Einarbeiten gewünscht. Zwar hatte sich tatsächlich einiges verbessert an der Arbeit mit der Klasse, aber zuweilen hatte sie noch sehr mit der Einhaltung der Disziplin zu kämpfen.

Herr Jesser hatte sie scharf beobachtet. „Dann wissen Sie jetzt also Bescheid. Machen Sie was Vernünftiges draus.“ Damit erhob er sich und ging zur Tür, die er ihr höflich aufhielt. Wie betäubt verließ Olga das Rektorat und ging die Treppe hinunter zum Parkplatz.

Als sie im Auto saß, atmete sie erst einmal tief durch. Dann beschloss sie, zunächst bei Ute vorbeizufahren. Diese hatte mit keinem Wort erwähnt, dass der Schulrat sich angemeldet hatte, vielleicht wusste sie es noch nicht einmal.

Ute war tatsächlich noch nicht informiert worden, aber auch nicht so sehr überrascht, weil sie demnächst mit dem Besuch gerechnet hatte, dessen Beurteilung zur Prüfungsanmeldung notwendig war. Aber dass Herr Kleiner auch Olga besuchen wollte nach dieser relativ kurzen Zeit, wunderte sie sehr.

„Wahrscheinlich hat das gar nicht so viel mit dir zu tun“, überlegte sie. „Die Krankheit von Frau Rot und die Folgen sind ja auch auf dem Schulamt bekannt. Ich vermute, man will bloß schauen, ob die Klasse jetzt gut versorgt ist. Also eine Bewertung wie bei mir gibt es bestimmt nicht!“ „Aber wenn es Probleme gibt, wird man die Schuld bei mir suchen“, befürchtete Olga.

Trotzdem hatte das Gespräch sie etwas beruhigt. Sie wollte jetzt nur noch rasch nach Hause an ihren Schreibtisch, um sich für den nächsten Tag gut vorzubereiten.

Die türkische Leine

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