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Kapitel 14

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Olga hatte Hemmungen, sich wieder auszuziehen. Deshalb zog sie sich einfach die Decke über und versuchte so, wieder einzuschlafen. Es gelang ihr nicht. Sie lauschte auf Eduards Atemzüge und wünschte sich, nicht in diese peinliche Lage geraten zu sein. Auch wenn er sich ganz anständig verhalten hatte blieb das ungute Gefühl, dass es so nicht in Ordnung war.

Gegen Morgen fand sie dann doch einen unruhigen Schlaf und wurde schließlich durch Kaffeeduft geweckt. Sie blinzelte verschlafen und richtete sich langsam auf. Da sie Eduard nicht im Zimmer entdeckte, schwang sie sich schnell aus dem Bett und zog ihre Kleidung zurecht. In diesem Moment kam er aus der Küche mit einem Tablett, auf dem zwei Becher mit dampfendem Kaffee standen und ein paar Scheiben Knäckebrot mit Butter und Marmelade.

„Frühstück ist schon fertig!“ verkündete er gutgelaunt und stellte es auf den zweiten Schreibtisch, von dem er die Bücher und Papiere bereits auf die Seite geräumt hatte.

Sie lächelte ihn verlegen an.

„Ja, das ist toll. Hast du gut geschlafen?“

„Tief wie ein Bär. Was machen wir heute?“

„Äh – ich wollte eigentlich arbeiten. Aber nachher gehe ich erst einmal rüber in meine Wohnung und schaue nach, ob sich was geändert hat mit der Heizung.“

„Du, es stört mich wirklich nicht, wenn du noch hier bleibst.“

„Aber mich“, dachte sie unruhig, laut sagte sie aber nur: „Ich möchte nicht, dass ihr mit eurem Vermieter Ärger bekommt.“

„Ach, das lass mal unsere Sorge sein. Immerhin tun wir ja ein gutes Werk, wenn wir dich vor dem Erfrieren retten.“

Nach dem Frühstück packte Olga trotzdem ihre Sachen zusammen.

„Mir ist nicht wohl dabei, wenn ich bleibe“, erklärte sie. „Die Leute hier haben strenge moralische Vorstellungen und ich möchte nicht, dass es dummes Gerede gibt.“

„Okay, das verstehe ich ja. Wenn dieses verdammte Sonntagsfahrverbot nicht wäre, würde ich sogar wieder nach Hause fahren. Doch so bin ich zum Bleiben verdammt.“

In diesem Moment begann das Telefon zu läuten und Olga zuckte erschrocken zusammen, weil sie mit diesem Geräusch nicht gerechnet hatte. Sie selbst hatte für ihre „provisorische“ Wohnung bisher noch keinen Anschluss beantragt. Eduard zögerte etwas, dann ging er hinaus in den Flur und nahm den Hörer ab. Sie bemühte sich nicht zu lauschen, doch es ließ sich kaum vermeiden, dass sie seine einsilbigen Antworten mitbekam. Schließlich legte er auf und kam herein.

„Meine Frau“, meinte er schulterzuckend. „Sie will alles nicht so gemeint haben. Na ja, am nächsten Wochenende kann sie es wieder gut machen.“

„Das ist doch schön! Wenn sie sich entschuldigt, ist alles in Ordnung für euch.“

„Wir werden sehen. Ihre Wutausbrüche hat sie meist nicht so im Griff und mich nerven sie zunehmend. Aber nun habe ich ja erst mal meine Ruhe. Jetzt gehe ich mit dir rüber in deine Wohnung und schaue mir die Heizung an.“

„Das brauchst du nicht!“ protestierte sie halbherzig.

„Aber ich tu`s. Vielleicht entdecke ich etwas, was dir bisher noch nicht aufgefallen ist.“

Ihre Heizung war immer noch nicht in Betrieb und die Kälte, die ihnen entgegenschlug, ließ Olga sofort zittern. Doch als sie aus dem Haus kamen, sahen sie das Ehepaar Rieder auf dem Gehweg in ihre Richtung kommen. Anscheinend hatten sie gerade einen Kirchenbesuch hinter sich. Eduard steuerte direkt auf sie zu.

„Was ist denn mit Ihrer Heizung los?“ fragte er unverblümt. „In diesem Raum da oben kann man sich ja den Tod holen.“

Herr Rieder schaute wenig freundlich von Olga zu ihm.

„Was geht Sie das an?“ blaffte er ungehalten.

„Mein Freund und ich haben Fräulein Wessling angeboten, sich bei uns aufzuwärmen“, gab Eduard im gleichen Ton zurück. „Ich vermute, wenn unser Vermieter Ihre Probleme beim Vermieten mitbekommt, wird er sich seinen Teil denken. Aber wenn Ihnen die Meinung Ihrer Nachbarn nichts ausmacht, können Sie das Problem ja weiter schleifen lassen.“

Damit nahm er Olga am Arm und zog sie weiter. Sie konnte es sich nicht verkneifen, noch einmal über die Schulter zu blicken und stellte fest, dass ihr Vermieter ziemlich belämmert dreinschaute. Rasch schaute sie wieder weg und folgte Eduard, unsicher, ob sie sich über dessen Aktion freuen sollte oder nicht. Aber schlimmer konnte es eigentlich sowieso nicht mehr werden.

Den Rest des Sonntags verbrachten sie zunächst arbeitend an den Schreibtischen, später machten sie einen ausgiebigen Spaziergang, den sie in einer Pizzeria beendeten. Danach beschlich Olga immer wieder ein mulmiges Gefühl, je näher sie ihrer Wohnstraße kamen. Wäre es nicht doch besser, sie würde ihre Sachen nehmen und in ihre Wohnung zurückgehen?

Eine weitere Nacht in Gesellschaft eines doch relativ fremden Mannes erschien ihr ziemlich frivol. Wenn nur diese verdammte Kälte nicht wäre, vor der ihr echt graute!

Als sie schließlich vor der Haustür standen, meinte Eduard ganz selbstverständlich: „So, jetzt können wir noch den Rest von dem Wein genießen, den ich gestern aufgemacht habe.“

Dagegen war ja eigentlich nichts einzuwenden. Sie konnte auch später noch eine Entscheidung treffen, wo sie übernachten würde. Also folgte sie ihm und warf oben einen Blick auf ihre Sachen, die schon zum Gehen vorbereitet waren. Doch sie war froh über diesen gut gewärmten Raum und jede Verzögerung, die sich ihr anbot.

Es war anfänglich eine sehr angenehme Unterhaltung, aber irgendwann waren sie doch beim Thema Beziehungen.

„Wir haben einfach zu früh geheiratet“, meinte Eduard. „Damals konnte ich mir auch nichts anderes vorstellen. Inzwischen bin ich allerdings der Meinung, dass wir gar nicht zusammenpassen. Für meine Frau sind schöne Kleider und Kosmetik das Wichtigste, solche Gespräche wie mit dir sind gar nicht möglich.“

Für Olga war es plötzlich ein Bedürfnis, über ihre Beziehung mit Richard zu sprechen. Zuerst zögernd, doch Eduard erwies sich als guter Zuhörer und sie gab immer mehr von sich preis. Viel zu lange hatte sie dieses Erlebnis in sich hineingefressen, es sozusagen als persönliche Niederlage empfunden und nun tat es so gut, über diese ganze Sache zu reden. Es störte sie nicht, als er sich neben sie setzte und tröstend den Arm um sie legte.

„Arme Olga“, sagte er leise. „Da hast du ja einiges mitgemacht!“

Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und genoss diese Vertrautheit und tröstliche Nähe. Als sein Atem über ihr Ohr streifte, kuschelte sie sich noch mehr an ihn. Doch nun suchte er ihre Lippen und sie war fast überrumpelt, als seine Zunge sich behutsam vorarbeitete.

„Oh mein Gott, was tu ich da?“ fragte sie sich erschrocken und drückte gegen seinen Brustkorb. Er reagierte nicht darauf, stattdessen arbeiteten seine Hände sich langsam tiefer. Sie verstärkte den Druck gegen seine Brust und drehte mit Mühe den Kopf zu Seite.

„Das will ich nicht!“ stieß sie gepresst hervor. „Eduard, hör bitte auf!“

Er hob den Kopf und schaute sie verwundert an.

„Was hast du denn? Wir tun doch nichts Böses.“

„Ich möchte das nicht“, beharrte sie. „Wir sollten nichts tun, was uns später Leid tut.“

„Für so prüde habe ich dich gar nicht gehalten“, gab er schulterzuckend zurück, ließ sie aber los. Verlegen zupfte Olga an ihrer Kleidung.

„Mit Prüderie hat das nichts zu tun. Bloß weil ich gerade zufällig da bin, wenn du dich über deine Frau ärgerst, sollten wir uns nicht vergessen. Ich glaube, ich sollte jetzt besser gehen.“

„Sei doch nicht albern! Wo willst du denn hin? In deiner Wohnung ist eine Eiseskälte und ich rühre dich bestimmt nicht noch einmal an. Ich finde es nur schade, dass du da soviel hineininterpretierst.“

Sie musterte ihn nachdenklich, dann schüttelte sie missmutig den Kopf und nahm ihre Tasche.

„Ich möchte gerne mit dir und Karl befreundet bleiben. Das sollten wir nicht durch ein kurzes Techtelmechtel aufs Spiel setzen. Wenn sich das mit deiner Frau wieder eingerenkt hat, wäre es für uns beide unbefriedigend. Deshalb werde ich jetzt gehen“

„Ich kann dich nicht zurückhalten, obwohl ich deine Reaktion übertrieben finde. Falls du die Kälte nicht mehr aushältst, kannst du es dir ja noch einmal überlegen.“

Olga nickte kurz und zog ihren Mantel an.

„Ich weiß dein Angebot zu schätzen. Also dann – wir sehen uns sicher mal in der nächsten Woche.“

Die türkische Leine

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