Читать книгу Die türkische Leine - Iris Bulling - Страница 14
Kapitel 11
ОглавлениеNachdem sie zurückgefahren und die zwei Studenten vor ihrem Haus hatte aussteigen lassen, parkte sie ihr Auto zweihundert Meter weiter bei ihrem Eingang, wo Ute noch ihren Wagen stehen hatte.
„Das sind die ersten interessanten Leute, die ich hier in dieser Stadt kennen gelernt habe – außer dir natürlich“, seufzte Olga und dachte wehmütig zurück an ihre eigene Studentenzeit, als man ständig mit neuen Leuten Kontakte geknüpft hatte.
„Stimmt schon“, meinte Ute. „Aber ist dir auch aufgefallen, dass Eduard einen Ehering trägt?“
„Ach, wenn schon!“ Ihre Reaktion war fast heftig. „Ich will ja nichts von den beiden. Fast habe ich mich schon damit abgefunden, dass in unserem Alter Männer entweder unmöglich oder gebunden sind!“
„Also wirklich, Olga, mit drei- und vierundzwanzig ist man doch noch in keinem Alter!“
„Trotzdem komme ich mir hier manchmal vor wie auf dem Abstellgleis! Irgendwie läuft einem die Zeit davon. Also lass uns ab und zu was mit den beiden unternehmen, wenn sie daran Interesse haben.“
„Ja, du hast Recht. Einfach mal sehen, was sich da entwickelt.“
Die beiden Freundinnen verabschiedeten sich voneinander, Ute stieg in ihren Käfer und Olga holte ihre Utensilien und Taschen aus dem Kofferraum, ehe sie das Gartentor öffnete. Vor der Haustüre musste sie erst einiges abstellen, um die Haustür aufzuschließen.
Auf der Treppe, die zu ihrem Zimmer führte, lag ein an sie adressierter dicker Brief. Sie hob ihn auf und ihr Herz begann zu klopfen. Er war von der Baugesellschaft, bei der sie sich vor ewig langer Zeit gemeldet hatte und wo sie die Hoffnung auf Antwort schon fast aufgegeben hatte.
Ziemlich aufgeregt ging sie nach oben, ließ an der Tür alles auf den Boden fallen und riss ungeduldig den Umschlag auf. Rasch überflog sie das Schreiben und konnte ihr Glück kaum fassen: Es war eine Zusage! Der Neubau sollte bis Anfang Februar bezugsfertig sein und wenn sie innerhalb der nächsten vierzehn Tage den Mietvertrag unterschrieben zurückschicken würde, wäre sie Mieterin einer Zweizimmerwohnung.
Endlich raus aus diesem Zimmer ohne richtige Privatsphäre! Am liebsten wäre sie sofort wieder losgestürmt, um Ute die Neuigkeiten zu erzählen, aber dann zügelte sie sich doch und trug erst einmal ihre Schulsachen zum Schreibtisch. Immerhin hatte sie durch die leere Autobatterie den ganzen Nachmittag vertrödelt und es wurde Zeit, dass sie mit ihren Vorbereitungen für den nächsten Tag begann. Aber heute war eindeutig ein Glückstag für sie, obwohl er so mies begonnen hatte.
*
Sie konnte es kaum erwarten, Ute am nächsten Tag die Neuigkeiten zu berichten. Die beiden Freundinnen beschlossen, gleich am Nachmittag zu der Baustelle zu gehen und zu schauen, ob man die Räumlichkeiten schon erkennen könnte. Doch sehr viel war noch nicht zu sehen in dem Rohbau. Immerhin – zwei relativ geräumig wirkende Räume mit Balkon, eine ausreichende Küche, ein kleines Bad, eine separate Toilette. Olga und Ute standen in dem schmalen Flur, von dem aus Türöffnungen zu den einzelnen Räumlichkeiten führten, und ließen ihre Vorstellungskraft spielen.
„Hier“, Olga strich fast liebevoll über die Öffnungsumrandung, „wird meine Wohnungstür sein, die mir meine Privatsphäre zurück gibt!“
Ute musste lachen.
„Man könnte meinen, du würdest ununterbrochen beobachtet in deiner jetzigen Behausung.“
„So fühle ich mich auch zuweilen. Ich spüre regelrecht, wie Rieders mich gerne ausfragen würden, warum Richard nicht mehr kommt. Und gestern, als wir das Auto wieder in Schwung gebracht haben – ich habe genau gesehen, dass da jemand hinterm Vorhang stand. Diese Leute interessieren sich für alles, was passiert!“
„Das ist dann ja bald zu Ende. Anfang Februar – keine vier Monate mehr. Du musst auf jeden Fall bald kündigen.“
„Ich glaube, es gibt nichts, was ich im Moment lieber täte. Aber erst einmal will ich den Vertrag zurückschicken und die hundertprozentige Zusage haben.“
Abends ging Olga zu Fuß zu dem Haus, in dem Karl und Eduard ihre Bleibe gefunden hatten. Sie zeigten ihr die abgeschlossene Mansardenwohnung, die ihr Zuhause während des Studiums sein würde – ein riesiges Zimmer mit schrägen Wänden, ein neu eingebautes Bad und eine schnuckelige Küche. Die Einrichtung war sehr zweckmäßig für zwei junge Männer.
„Warum gab es nichts in der Art, als ich auf Wohnungssuche war?“ schmollte Olga, während sie sich umschaute. Aber dann strahlte sie die beiden an. „Vielleicht ist es ganz gut so. Bald kann ich eine süße Zweizimmerwohnung in dem neuen Wohngebiet am Stadtrand beziehen. Ich will noch am Briefkasten vorbei, um den Mietvertrag gleich einzuwerfen.“
Da sie mit dem alten Käfer der beiden zu Ute fahren wollten, brachen sie auch gleich auf und machten einen kurzen Stopp am nächsten Briefkasten. Mit einem Gefühl der Befreiung entledigte Olga sich des Schreibens.
Der Abend wurde genauso amüsant wie der Nachmittag am Vortag. Es schien sich tatsächlich eine richtige Freundschaft anzubahnen. Karl und Eduard boten auch sofort an, Olga bei dem anstehenden Umzug zu helfen. Was konnte man mehr wünschen?
*
Etwa eine Woche später – Olga saß gerade noch an ihrem Schreibtisch – klopfte es abends an ihrer Tür. Auf ihr „Ja?“ streckte Herr Rieder den Kopf herein.
„Da ist noch ein Brief für Sie. Er war unter unsere Post gerutscht“, meinte er.
Olga stand auf, um ihm das Schreiben abzunehmen.
„Er ist wieder von dieser Wohnbaugesellschaft“, fuhr er fort, als sie ihn an sich nahm. „Haben Sie letzte Woche nicht auch schon Post von denen bekommen?“
Sie schaute kurz auf den Umschlag und nickte.
„Ja, sicher. Stimmt irgendetwas nicht?“
Er schaute sie forschend an.
„Sie können natürlich Post bekommen, von wem Sie wollen. Wir finden es nur seltsam, dass Sie so oft etwas von einer Baugesellschaft bekommen.“
Verärgert legte Olga das Schreiben auf die Seite. Eigentlich hatte sie die Kündigung erst verfassen wollen, wenn sie die Bestätigung des Mietvertrages in der Hand hatte, aber unter diesem Blick fühlte sie sich bemüßigt zu sagen: „Nun, es interessiert mich schon, was hier in der Gegend an Wohnungen so angeboten wird.“
„Suchen Sie etwa eine andere Wohnung?“
„Entschuldigen Sie bitte, Herr Rieder, ich empfinde dieses Zimmer mit gemeinsamen sanitären Anlagen nicht gerade als Wohnung. Darunter verstehe ich eine abgeschlossene Einheit.“
Der Mann vor ihr wurde sichtlich wütend.
„Soll das heißen, Sie wollen schon wieder ausziehen? So haben wir uns das aber nicht vorgestellt“, grollte er. „Sie wohnen ja noch nicht einmal ein halbes Jahr hier.“
„Noch habe ich nicht gekündigt“, versuchte Olga ihn zu beruhigen und dachte dabei: „Hoffentlich ist das wirklich die Zusage, damit ich das bald machen kann!“
Er drehte sich empört um und ging ohne Gruß die Treppe hinunter. Unten knallte er seine eigene Wohnzimmertür hinter sich zu. Olga zuckte bei dem Knall zusammen und schloss langsam ihre Tür. Mit klopfendem Herzen lehnte sie sich dagegen. Dann riss sie den Umschlag auf und überflog das kurze Anschreiben. Gott sei Dank, sie hatte den bestätigten Mietvertrag in der Hand!