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Kapitel 21

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Pünktlich um zwei fand sie sich bei Dr. Trothe ein, doch die Sitzung war dieses Mal nur kurz.

„Ich vertraue Sie einer jungen, sehr fähigen Kollegin an, bei der Sie dreimal die Woche eine Einzelsitzung haben werden. Zweimal in der Woche sollten Sie an einer Gruppentherapie teilnehmen, aber das besprechen Sie dann mit Frau Nagel direkt. Ansonsten sind Sie in Ihrer Planung frei – wir haben hier Möglichkeiten für alle Interessen, sportliche Angebote, Werkräume für Malen, Tonen usw., Musikangebote… Am besten schauen Sie sich erst einmal in aller Ruhe um. Ganz bestimmt schließen Sie auch bald Kontakte mit anderen Patienten, die Ihnen gerne alles zeigen. Und hier ist Ihr erster Termin bei Frau Nagel.“

Er reichte ihr ein Notizblatt mit Datum, Uhrzeit und Zimmernummer. Ein Blick darauf zeigte ihr, dass sie am nächsten Tag um zehn Uhr diesen Termin hatte. Dr. Trothe war schon aufgestanden und streckte ihr die Hand hin.

„Wir kriegen das wieder hin, Fräulein Wessling. Nur Zuversicht!“

Und dann stand sie etwas verdattert und wenig zuversichtlich wieder auf dem Flur. Ratlos schaute sie sich um und beschloss dann zu dem Zimmer zu gehen, dessen Nummer er ihr gegeben hatte. Auf diese Weise konnte sie vielleicht schon einen Teil des riesigen Gebäudekomplexes kennen lernen.

Auf dem Weg dahin begegnete sie Gabi, die ihr im Gesellschaftsraum schon aufgefallen war, ein hübsches, aber unglaublich dünnes Mädchen.

„Ich begleite dich gerne“, meinte sie munter. „Wenn du Lust hast, kann ich dir anschließend einiges von dem Haus zeigen.“

Gerne nahm Olga dieses Angebot an und fühlte sich plötzlich viel wohler. Mit Gabi verstand sie sich auf Anhieb gut und so folgte sie ihr durch Gänge, Treppenhäuser, unterschiedliche Räumlichkeiten, bis ihr der Kopf rauchte.

„Das wird wohl einige Zeit dauern, bis ich mich hier zurechtfinde“, seufzte sie schließlich. „Es war auf jeden Fall sehr hilfreich, dass du mir schon Einiges gezeigt hast.“

„Du kannst mich jederzeit fragen, wenn du etwas nicht weißt. Ich bin inzwischen schon vier Wochen da. Und wahrscheinlich werde ich so bald nicht entlassen.“

„Wieso das denn?“

„Ich habe noch nicht genug zugenommen. So lassen sie mich nicht gehen.“

„Hast du Schwierigkeiten mit dem Zunehmen? So ein Problem kenne ich gar nicht. Ich würde immer gerne abnehmen.“

Gabi warf ihr einen belustigten Blick zu.„Ich bin magersüchtig. Nun suchen sie die Ursache und versuchen mich mit Astronautenkost wieder aufzupäppeln. Aber ich bin nicht die Einzige hier. Ganz viele leiden unter dieser Krankheit. Diese Klinik ist prädestiniert dafür und kann wohl einige Erfolge aufweisen.“

Jetzt fielen Olga mehrere junge Frauen ein, die sie am Vormittag gesehen und deren zarte Gestalten sie bewundert hatte. Dass es sich dabei um eine Krankheit handeln könnte – nein, auf diese Idee wäre sie nie gekommen!

„Und – also ich bin etwas unsicher – was für Krankheiten gibt es sonst noch hier?“

„Ach, jede Menge. Es ist halt sehr schwierig, die Ursachen von gewissen Verhaltensmustern herauszufinden. Das ist bei jedem anders. Du kennst doch sicherlich den Grund, wieso du hier gelandet bist.“

„Das schon, obwohl mir nicht ganz klar ist, wie man das wieder in Ordnung bringen kann.“

„Heute Abend ist Abschiedsparty bei Elfi“, wechselte Gabi das Thema. „Kommst du auch?“

„Ich bin doch gar nicht eingeladen! Überhaupt – wer ist Elfi?“

„Eine, die es geschafft hat. Sie wird morgen entlassen. Und eingeladen ist jeder, der Lust hat.“

„Ach so? Ja, dann komme ich gerne.“

Als Olga gegen sechs Uhr zum Abendbrot Richtung Speisesaal ging, drängte sich wieder Tolgas Bild vor ihre Augen. Ob sie ihn wohl gleich sehen würde? Ungehalten schüttelte sie den Gedanken ab. Was war nur mit ihr los?

Er war da, aber er servierte abermals an anderen Tischen. Leni war für ihren Tisch zuständig und verstärkte bei Olga noch den Eindruck eines albernen Hühnchens. Auch Ali wuselte im Speisesaal herum, während Frau Schmitz von einer Art Theke das Geschehen aufmerksam beobachtete. Ganz wie Gunther gesagt hatte überließ sie die Arbeit ihren jungen Mitarbeitern.

Nach dem Essen blieb Gabi bei ihr am Tisch stehen.

„Ich hole dich um halb acht ab“, raunte sie ihr zu, bevor sie hinauseilte.

„Schon netten Kontakt gefunden?“ fragte Gunther.

„Ja, sie ist sehr nett. Heute Abend ist eine Abschiedsfeier, zu der sie mich mitnehmen will.“

„Tja, dann genieße den Abend. Auf diese Weise lernst du gleich eine Menge Leute kennen. Vielleicht sogar einen netten Mann? Es haben schon manche ihre späteren Partner hier kennen gelernt.“

Frau Haug schüttelte ärgerlich den Kopf.

„Das ist keine besonders gute Basis für eine gemeinsame Zukunft“, gab sie zu bedenken, und komischerweise fiel Olga gleich wieder Georg ein.

Gabi holte sie sehr pünktlich ab und sie gingen gemeinsam zu einem Zimmer, das genauso aussah wie das von Olga, allerdings mit zwei Betten und einer Unmenge junger fröhlicher Leute.

„Hier geht es wirklich munter zu“, dachte Olga so für sich. „Ein wahrhaft angenehmer Einstieg in einen Klinikaufenthalt!“

Die türkische Leine

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