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3.2.1. Die Anfänge des Niederländischen

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Sowohl sprachhistorische wie auch dialektgeografische Befunde lassen den Schluss zu, dass die Bevölkerung im Rhein-Maas-Schelde-Delta eine südgermanische oder westgermanische Sprache gesprochen hat. Sie wurde vom Nordseegermanischen oder Ingwäonischen geprägt, das sich in der Mitte des Millenniums weiter auf dem Kontinent ausgebreitet hatte, in der Folge weisen das Sächsische und das Niederfränkische im Gegensatz zum Althochdeutschen ältere Ingwäonismen auf. Zudem dehnte sich das Ingwäonische durch die Migrationen der Angeln, Sachsen und Jüten im 5. und 6. Jh. in weitere Gegenden entlang der Küsten aus, so nach Südengland und Nordwestfrankreich. Kontakte zwischen den Auswanderern und ihren Stammesangehörigen in den Herkunftsgebieten, Handel und Verkehr wie auch die Seefahrt namentlich der Friesen festigten das Nordseegermanische im Nordwesten des germanischen Raumes, wie die Entwicklungen des Friesischen und Englischen bestätigen. Erst im Zeitalter der zunehmenden Macht und des kulturellen Einflusses der Karolinger wurde die Ausdehnung des Nordseegermanischen auf dem Kontinent gebremst, jüngere Ingwäonismen lassen sich in den Niederlanden nur noch an der Küste belegen, wie u.a. Van Bree nachweist. Mittlerweile hatten sich im Osten und im Süden des Deltas Einwanderer niedergelassen mit einer abweichenden, gemeinhin als Fränkisch bezeichneten Sprache. Untersuchungen von u.a. F. van Coetsem und A.F. Buccini unterstützen die These, dass die Deltabewohner dann mit Ausnahme der Friesen während der merowingisch-karolingischen Zeit im Zeitraum mehrerer Generationen die in höherem Ansehen stehende Sprache der östlich und südlich von ihnen lebenden Bevölkerung übernahmen. In diesem Fränkischen kannten die Sekundärumlaute erst eine allophonische Phase, in der Sprache der Küstenbewohner waren hingegen der Primärumlaut von sgm. a, der die sprachlichen Entwicklungen im Westen prägen sollte, phonemisiert. Im Westen bestand in der Folge kein Bedarf an weiteren Phonemisierungen, fränkische Sekundärumlaute wurden somit nicht übernommen, die Möglichkeit weiterer Umlautbildung war gesperrt.

Für die Vorläufer des Niederländischen ist somit eine südgermanische ingwäonische Artikulationsgrundlage mit einem überlagerten, reduzierten fränkischen phonologischen beziehungsweise morphologischen System anzunehmen. Später, als die westliche Bevölkerung zur vorherrschenden Gruppe wurde, drangen Sprachformen ihrer vom entstehenden Niederländischen geprägten Sprache in die benachbarten Sprachvarietäten durch, es etablierte sich ein niederländischer Sprachraum (siehe 3.2.2.). Dank der dialektgeografischen Forschung lässt sich die Verbreitung dieser überregionalen Sprachformen belegen, da Dialekte sich aber genauso wie die überregionale Sprache erneuern, beruht eine Darstellung der historischen Gegebenheiten zum Teil auf Annahmen. Formen der alt-, mittel- und frühneuniederländischen Verkehrs- und Kultursprache deuten dann auf die Kodifizierung des entstehenden Niederländischen. Aus der Vielheit der komplex zusammenhängenden sprachhistorischen und dialektgeografischen Daten stehen im Folgenden Einzelheiten zur Diskussion, welche die anfangs formulierte verallgemeinernde modellhafte Darstellung der Anfänge des Niederländischen unterstützen.

Zwar bestanden vielfältige Zusammenhänge zwischen Nord-, Ost- und Südgermanisch, die hier nicht weiter zu erörtern sind, dennoch lassen sich einige Merkmale aufzählen, die insbesondere das Südgermanische kennzeichnen und auch im Altniederländischen anzutreffen sind. So entstanden, wie u.a. Sonderegger darlegt, in Mittel- und Endsilben neue inlautende Konsonanten vor j, zum Teil auch vor r, l, w, m und n, eine Erscheinung, die auch im Anl., beispielsweise in ackar erhalten ist. Weiter zeigt sich die Konsonantengemination im Anl., so in der Verdoppelung des inlautenden d im anl. biddon (‚Gott anrufen‘), vergleiche got. bidjan. Zudem ist die Bildung einer Sonderform der 2. Pers. Prät. der starken Verben mit Vokal kennzeichnend für das Südgermanische. Sie kommt ebenfalls im Anl. vor, z.B. in gāui (‚du gabst‘). Sodann schied die Klasse der schwachen Verben der 4. Klasse auf -nan aus. Schliesslich unterscheidet sich das Südgermanische durch die Auslautverhältnisse der starken maskulinen und zum Teil femininen Substantive, so zum Beispiel durch den Schwund der alten Endung in anl. dag (‚Tag‘), vergleiche pgm.*dagaz, anrd. dagr, got. dags.

Im Gegensatz zum Binnengermanischen blieb im Nordseegermanischen das südgermanische Konsonantensystem weitgehend erhalten (siehe 2.4.), so t wie im anl. tēn, dagegen im Ahd. t > tz wie zehan (‚zehn‘), weiter p wie im anl. thorpe, vergleiche thorpe-falthio (‚Überfall auf Hof‘), aber im Ahd. p > pf, ff, f, so im ahd. dorf (‚Dorf‘, ‚Landgut‘), sodann k, so im anl. buoke (‚grosses Dokument‘), dagegen im Ahd. k > kX, ch wie in buoh (‚Buchstabe‘, ‚Buch‘), auch d wie im anl. dohteron (Dat. Plur. von ‚Tochter‘), dafür im Ahd. d > t wie in tohter, schliesslich th wie im anl. thankis (Gen. Sing. von ‚Dank‘), im Ahd. jedoch þ (th) > d wie in danc. Eine Lautverschiebung t > s wie in alles (‚alles‘) ist, falls es sich nicht um eine Genitivbildung handelt, im Niederländischen folglich eine Seltenheit.

Auch ger. ē und ō wurden im Nordseegermanischen bewahrt, so ē im afr. hēr, vergleiche ahd. hiar (‚hier‘), oder ō im anl. Blome (‚Blume‘) im Namen Balduino Blome neben bluom, auch im mnl. blomen (Plur. von ‚Blume‘) neben bloeme, ahd. bluoma.

Neu im Nordseegermanischen ist die Monophthongierung von ger. ai, so im anl. stēn in stēnbuk (‚Steinbock‘), vergleiche ahd. stein, die allerdings nicht erfolgt vor z, x, w oder im Auslaut, wenn in der folgenden Silbe i oder j auftritt. Weiter entwickelten sich im Nordseegermanischen ger. au zu ō, ā beziehungsweise ea, so im anl. dōf, afr. dāf agl. dēaf dagegen ahd. toub (‚taub‘). Sodann machten sich konsonantische Einflüsse auf einfache Vokale im Nordseegermanischen bemerkbar wie Nasalierungen, Brechungen und Palatalisierungen, zum Beispiel anl. old (‚alt‘) im Ortsnamen Oldenzaal. Zudem fand Schwund von m und n vor Reibelaut mit Ersatzdehnung des vorausgehenden Vokals statt wie in muiden (‚Mündung‘), dem zweiten Teil des Ortsnamen IJmuiden (in der Bedeutung ‚IJ-Mündung‘). Auch neu sind die Ausgleichstendenzen in den Kasusformen der Substantive, der Schwund von Doppelformen der Adjektive, die weitgehende Aufgabe der Genus-Unterschiede im Plural der Pronomina und die Entstehung eines verbalen Einheitsplurals, für Einzelheiten und Beispiele siehe 3.4.

Eine Reihe durch die Festigung des germanischen Akzentes (siehe 2.4.1.3.), der sog. Erstbetonung, ausgelöster lautlicher Erscheinungen im Germanischen, die man seit Jacob Grimm als Umlaut zusammenfasst, sind für eine Kennzeichnung der Herausbildung des Niederländischen von besonderer Bedeutung. Es handelt sich dabei um lautgesetzlich bedingte Änderungen der Stammsilbenvokale, die durch den assimilierenden Einfluss folgender Laute entstanden und auch zu analogen, nicht-systematischen lautlichen Änderungen führten. So entstand ein gemeingermanischer Umlaut wie i aus e vor i oder j wie im anl. mitdon, ahd. mitti (‚mitten‘), vergleiche pgm. mifjō und lat. medius. Beispiele von analogen Bildungen sind anl. geuuelde oder geuueldi neben anl. geuualt (ahd. giwalt, ‚Macht‘), pgm. *ga-wald mit einer lautlichen Änderung -eld, die in allen Kasus erschien. Es sind primäre Vollumlaute wie e aus a zu unterscheiden, die in den germanischen Sprachen in unterschiedlichem Ausmass zur Entstehung neuer Phoneme beziehungsweise Morpheme führten, sich graphematisch nicht oder geringfügig hervorhoben und mit einem bestehenden Vokal zusammenfielen. So ist in den ältesten niederländischen Quellen das ursprünglich vorhandene e wie im anl. uelli (‚Fell‘), vergleiche ahd. fel, pgm. *fella, schriftlich nicht anders erhalten als das e, das aus Umlaut entstand, so im anl. heuon (‚heben‘), vergleiche ahd. heffen und pgm. *hafjan. Dieses durch Umlaut entstandene ě, das lautlich wohl mit dem bestehenden ě zusammengefallen ist, erklärt übrigens, dass es im Neuniederländischen mehr Wörter mit e und weniger mit a gibt als in einer früheren Sprachstufe. Sekundärumlaute, die im Althochdeutschen zu einer zweiten, graphematisch allmählich vermehrt bezeichneten Phonemisierung führten, entwickelten sich später. Bereits im Germanischen waren die Diphthonge ai und eu in den Varianten ai/ae und iu/eo auseinandergefallen; sodann konnte interne Assimilation im Deltagebiet zur Entstehung von ei aus ai und aus iu führen. Die zweite Variante, ae beziehungsweise eo ist im Südwesten des niederländischen Sprachgebietes phonemisiert. Zu den jüngeren Umlauten ist der palatale i-Umlaut zu rechnen, der die Entstehung neuer Phoneme, so e aus a vor dem Nebensilbenvokal i, j bewirkte, vergleiche beispielsweise pgm. *fanja und anl. feni in der Ortsbezeichnung Sutpheni (‚Zutphen‘ mit der Bedeutung ‚Süd-Moor‘), ahd. fenni, mhd. venne.

Die Wirkung des i-Umlautes, der seit dem 6. Jh. auftrat, prägte die germanischen Sprachen unterschiedlich. Wenn man die skandinavischen Sprachen einbezieht, so kann man stark verallgemeinernd feststellen, dass die Umlautbildung von Norden nach Süden in Quantität ab-, in Funktionalität zunimmt, in südwestlicher Richtung dagegen sowohl in Quantität als auch in Funktionalität abnimmt. So führte Primärumlaut im Althochdeutschen zur Entstehung neuer Morphemtypen mit Umlaut im Stamm in Verbindung mit den alten vollen Endungen, wie im ahd. gesti, oder später auch mit geschwächten Endungen, wie im spätahd. geste (‚Gäste‘). Zudem bewirkte er nach einer ersten paradigmatischen Ausscheidung von Umlautvarianten ein Nebeneinander von Umlaut- und Nichtumlaut-Flexion in der gleichen grammatischen Kategorie. Der Sekundärumlaut erweiterte im Spätalthochdeutschen die Morphemtypen mit Umlaut im Stamm in Verbindung mit den geschwächten Endungen wie in spätahd. hiute (‚Häute‘). Es erfolgte eine zweite paradigmatische Ausscheidung von Umlautvarianten, die ein teilweises Nebeneinander von Umlaut- und Nichtumlaut-Flexion in der gleichen Kategorie im Mittelhochdeutschen zum Ergebnis hatte. In der Folge stuft Sonderegger den Umlaut als eine tragende Entwicklungstendenz für das Deutsche ein mit übergreifender Wirkung auf die sprachlichen Teilsysteme und mit Auswirkungen bis in das Mittelhochdeutsche. Grundverschieden sollte der Umlaut sich durch die abnehmende Quantität und Funktionalität nach Südwesten in Vorstufen des Niederländischen im westlichen Deltagebiet auswirken, was somit bei einer Besprechung von Erklärungsmodellen der Entstehung des Niederländischen zu berücksichtigen ist.

Dialektgeografische Untersuchgungen von Forschern wie u.a. J. Goossens, M. Gysseling, K. Heeroma, J. Taeldeman, C. Vereecken, P.V. Verstegen oder A. Weijnen zeigen zwar ein variiertes Vorkommen von Umlauten im niederländischen Sprachgebiet, dennoch lassen sich diesbezüglich Unterschiede zwischen dem westlichen und östlichen Teil des Deltas feststellen, welche die am Anfang dieses Abschnittes skizzierte Entstehung der Vorläufer des Niederländischen mit begründen. Obschon die Verteilung des Umlautes bei sgm. u sowohl in geschlossenen als auch in offenen Silben schwer zu deuten ist, kann man nachweisen, dass palatal umgelautete u-Vokale im Osten des niederländischen Sprachgebietes systematisch vorkommen, vergleiche vullen (‚füllen‘) und pgm. *fulljan. Im Westen ist die Verteilung des Umlautes bei diesem Vokal hingegen undurchsichtig: einmal erhalten umlautfähige Bildungen keinen Umlaut wie in locht (‚Luft‘), einmal gibt es Bildungen mit spontaner Palatalisierung wie in druk (‚Druck‘), sodann sind auch systematische Bildungen mit Umlaut wie in druppel (‚Tropfen‘) und ohne Umlaut wie in hond (‚Hund‘) anzutreffen. Zudem kommen Fälle von entrundeten Umlauten vor wie in brig neben brug (‚Brücke‘). Eindeutig dagegen ist das Vorkommen von primärem Umlaut, namentlich beim historischen Kurzvokal a, der im gesamten Raum festzustellen ist, sofern keine umlautbremsenden Faktoren dessen Entstehung verhinderten. So ist neben anl. tala (‚Anzahl‘) anl. tellen (‚erzählen‘) entstanden, vergleiche ahd. zellen (‚zählen‘, ‚erzählen‘) und pgm. *taljan. Nach den Geminaten hh beziehungsweise in einer lautlichen Umgebung mit dem Konsonantencluster/χ/oder/χt/unterblieben jedoch Umlaute in Teilen des niederländischen Sprachgebietes, vergleiche mnl. lachen (ahd. hlahhan, ‚lachen‘), pgm. *hlahjan und anl. maghtiga (ahd. mahtig, ‚mächtig‘). Nur in östlichen Dialekten kommt in dieser Position der sekundäre Umlaut wie in dts. mächtig vor.


Abb. 4: Umlaut und Palatalisierungen im niederländischen Sprachgebiet nach Goossens 2008.

Für die übrigen umlautfähigen Bildungen besteht, wie bei diesem ä, ein Gegensatz zwischen dem östlichen und westlichen Teil des niederländischen Sprachraumes, der für das entstehende Niederländische von wesentlicher Bedeutung ist. Es betrifft dies die sgm. langen Vokale und Diphthonge â, ô, û und au/ou. Im Westen des Deltas, d.h. im heutigen Flandern, Seeland und Holland westlich etwa von einer Linie, die bei Geraardsbergen beginnt und nördlich von Hilversum an der Küste des heutigen IJsselmeers endet, wurden die ursprünglich langen Vokale und Diphthonge ô, â, au/ou und û nicht umgelautet. Bereits K. Heeroma hatte dies für ger. ô und æ (sgm. â) mit u.a. der meist westlichen zoeken (‚suchen‘)-Isoglosse belegt, spätere Forschung bestätigt diesen Befund, wie Goossens darlegt. Dazu ist zu bemerken, dass der Umlaut bei â südlich von Utrecht bis zur belgischen Grenze etwas westlicher vorkommt als jener von ô. Palatalisierungen in Wörtern wie kaas (‚Käse‘) mit ä-ähnlichen Vokalen, die dennoch westlich der æ-Isoglosse vorkommen, erfolgten spontan, können aber auch alt sein. Laut Goossens widersprechen sie Heeromas Folgerungen ebensowenig wie die spontanen Palatalisierungen des â in Seeland und Teilen Südhollands oder jene im Norden Nordhollands. Der Befund wird auch nicht widerlegt durch den morphologischen Umlaut von â in Gebieten westlich und östlich der niederländischen Staatsgrenze in Limburg und Overijssel, der zwar lautlich durch eine vergleichbare Öffnung dem nicht umgelauteten Velar â ähnelt, aber gerundet ist. Die Grenze für den Umlaut bei ger. au verläuft weniger westlich als jene von â und ô. Spontane Palatalisierungen von au/ao in Ostflandern und in einem kleineren Gebiet um Brüssel sind jüngeren Datums. Schliesslich wurde von den langen Vokalen und Diphthongen auch û nur im Osten des niederländischen Sprachgebietes umgelautet, siehe Abb. 4, im Westen lassen sich lediglich spontane Palatalisierungen des û feststellen, die sich dann in westöstlicher beziehungsweise südwestlicher Richtung verbreiteten. Somit kennt der Westen des heutigen niederländischen Sprachgebietes, der Wiege des entstehenden überregionalen Niederländischen, im Gegensatz zu den östlichen Gebieten keinen sekundären, phonemisierten Umlaut der langen sgm. Vokale und Diphthonge. Dies sollte der Morphologie des entstehenden Niederländischen und damit auch den syntaktischen Strukturen ihre spezifischen Charakterzüge verleihen.

Im Westen, wo wie oben dargelegt nur primärer Umlaut stattgefunden hatte, beschränkte sich die Umlautwirkung hauptsächlich auf die Wortbildung, allerdings ohne dass die semantische Beziehung zwischen den unterschiedlichen Bildungen immer unmittelbar ersichtlich ist. So kommt behendig (‚behende‘) mit e durch den Umlautfaktor -ig neben hand (‚Hand‘) vor. Dagegen konnten Umlautalternanzen sich im Allgemeinen nicht in der Morphologie durchsetzen, es fand eine Nivellierung in Konjugation und Deklination statt. So kennt das Niederländische keine umgelauteten Formen im Indikativ. Zwar kommen in den Wachtendonckse Psalmen umgelautete Formen wie feret (‚fährt‘) als 3. Pers. Sing. Ind. des Verbes faran (‚fahren‘) vor, das Mittelniederländische kennt aber neben vert nicht-umgelautete Formen wie uart oder vaert mit e als Verlängerungszeichen. Im Neuniederländischen findet sich bezeichnenderweise nur das nicht umgelautete vaart. Blockierung des Umlautfaktors in der 2. und 3. Pers. Sing. Ind. wie auch Dehnung, vgl. gevet und geven, führten zudem zu Analogiebildungen bei Verben, die ursprünglich in diesen Positionen abweichende Vokale kannten. So änderte sich hij hilpt (‚er hilft‘) zu hij helpt. Ebenso fehlen in der Regel bereits im Altniederländischen im Konjunktiv Vokalalternanzen, eine Form wie behêlin (‚sie würden verstecken‘) des Verbs bihelan zählt zu den Ausnahmen (vgl. 3.4.2.6.). Auch in der Deklination fehlen im Niederländischen in der Regel Alternanzen, die auf Umlaut zurückzuführen sind. So ist Umlaut als Pluralmarkierung wie im anl. slege (‚Rückschläge‘) neben anl. *slag selten, im Leidse Williram kommen zwar Pluralformen wie crefti (‚Kräfte‘) vor, daneben aber auch nicht-umgelautete Bildungen wie magathe (‚Mägde‘); eine neuniederländische Pluralform wie steden (‚Städte‘) neben dem Singular stad stellt eine Ausnahme dar. Ähnlich fehlt Umlautwirkung bei der Bildung des Diminutivs, Komparativs und Superlativs, vergleiche dazu mnl. vogelkijn (‚Vögelchen‘), mnl. grozere (‚grössere‘) und mnl. hogheste (‚höchste‘).

Die hier aufgezählten lautlichen und morphologischen Entwicklungen prägen die Struktur der Sprache Flanderns, Seelands und Hollands. Sie sollten dem entstehenden Niederländischen, das sich allmählich vom Westen in östlicher beziehungsweise vom Norden in südwestlicher Richtung verbreitete, seine Wesensart verleihen.

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