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2. Mögliche Eingriffsrechtfertigung

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Im Unterschied zu einer – isolierten – staatlichen Antastung der Menschenwürde sind Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht trotz der Verknüpfung dieses Rechts mit einem Menschenwürdegehalt aus Art. 1 Abs. 1 GG rechtfertigungsfähig. Das ergibt sich systematisch daraus, dass das BVerfG das allgemeine Persönlichkeitsrecht maßgeblich in Art. 2 Abs. 1 GG verankert sieht, also den Menschenwürdegehalt in einen individualrechtlichen Verhaltenskontext stellt.

Die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG wie auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG werden übereinstimmend durch die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG, also die verfassungsmäßige Ordnung, die Rechte anderer und das allgemeine Sittengesetz, eingeschränkt. Dem Umstand, dass sich im allgemeinen Persönlichkeitsrecht mit unterschiedlicher Intensität ein Menschenwürdegehalt äußert, trägt das BVerfG durch eine an der Sphärentheorie ausgerichtete Handhabung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Rechnung. Je mehr gesetzliche Eingriffe die Privatsphäre oder gar die Intimsphäre beeinträchtigen, je höher sind die zur Rechtfertigung solcher Eingriffe maßgeblichen Anforderungen. Entsprechend geht das BVerfG auch innerhalb der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Prüfung der Verhältnismäßigkeit in diese vor: „Je mehr dabei der gesetzliche Eingriff elementare Äußerungsformen der menschlichen Handlungsfreiheit berührt, umso sorgfältiger müssen die zu seiner Rechtfertigung vorgebrachten Gründe gegen den grundsätzlichen Freiheitsanspruch des Bürgers abgewogen werden.“ (BVerfGE 17, 306, 314).

|26|Auf der Grundlage dieser Maßstäbe sind fallbezogene Ausführungen zu den drei Grundelementen des Verhältnismäßigkeitsprinzips erforderlich, und zwar sowohl vor dem Hintergrund eines Eingriffs in die Intimsphäre als auch vor dem Hintergrund einer ausnahmslos zwangsweisen Anordnung der Anwendung von Körperscannern für alle Fluggäste ohne deren Zustimmung. Was den letzten Aspekt betrifft, sind vergleichende Überlegungen zur polizeirechtlichen Gesetzeslage aufschlussreich. Gemäß § 43 Bundespolizeigesetz können Personen im Rahmen der Aufgabe des Schutzes vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs nur dann durchsucht werden, wenn sie nach einer Rechtsvorschrift polizeilich festgehalten werden können. Untersuchungen einer Person „nach Waffen, Explosionsmitteln und anderen gefährlichen Gegenständen“ sind nach § 43 Abs. 3 BPolG nur im Rahmen der polizeilichen Identitätsfeststellung und nur bei gegebenem konkreten Anlass zulässig. Diese Linie wurde auch in der bisher geltenden Fassung des § 5 Luftsicherheitsgesetzes verfolgt, die generelle und anlasslose Durchleuchtungen von Personen nicht zuließ.

Bei dieser Gesetzeslage kommt der ausnahmslosen und zwangsweisen Anordnung der Anwendung der Körperscannertechnologie besonderes Gewicht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu. Zu der gegenwärtig noch immer sehr umstrittenen Frage des tatsächlichen Sicherheitsgewinns durch diese Technologie können keine näheren Ausführungen gemacht werden, weil der Sachverhalt in diesem Punkt völlig offenbleibt. Spekulative Ausführungen zu diesem Punkt wären gutachterlich fehlerhaft.

Ein sehr konkreter und diskussionsbedürftiger Punkt für die Verhältnismäßigkeitsprüfung – und zwar sowohl unter dem Kriterium der Eignung als auch der Erforderlichkeit – ist der Hinweis im Sachverhalt auf die gänzlich andere Behandlung des Begleitgepäcks. Zumindest für die Gruppe der potentiellen Suizidattentäter erweist sich die lediglich stichprobenartige Durchsuchung von Gepäckstücken als effektive Ausweichmöglichkeit für Körperkontrollen, die in ihrer Verschärfung vor diesem Hintergrund fragwürdig werden. Auch die anderen Fälle, in denen Personen für einen bestimmten Flug einchecken und Gepäckstücke aufgeben, die Explosivstoffe enthalten, ohne dann selbst das Flugzeug zu besteigen, werfen eine Reihe erörterungswürdiger Fragen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitskontrolle auf. Sicherheitslücken für diese Fälle könnten vermieden werden, wenn eingecheckte Personen, die nicht die Reise antreten, zu einer eingehenden Kontrolle des gesamten Reisegepäcks im Frachtraum führen würden. Das ist aber nicht die Praxis im heutigen Flugverkehr.

Es sprechen gute Gründe dafür, in der flächendeckenden Einführung der Scannertechnologie für Passagierkontrollen bei gleichzeitig nur stichprobenartiger Kontrolle von Fluggepäck, das in demselben Flugzeug mitgeführt wird, einen unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Passagiere zu sehen. Zwar bliebe der Eingriff durch Scannerdurchleuchtung der Passagiere derselbe, wenn das Begleitgepäck nicht nur stichprobenmäßig, sondern ausnahmslos kontrolliert würde. Abweichungen ergäben sich aber sowohl hinsichtlich der Geeignetheit als auch der Erforderlichkeit der Durchleuchtung der Passagiere. Wenn das Begleitgepäck flächendeckend kontrolliert wird und Risiken in diesem Bereich ausgeschlossen werden können, stellen unter der Kleidung am Körper versteckte Gegenstände das einzig verbleibende Sicherheitsrisiko dar. Damit erhöhten sich Eignung und Erforderlichkeit und mit ihnen die Rechtfertigungsfähigkeit der Durchleuchtung der Passagiere.

Fälle und Lösungen zum Öffentlichen Recht

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