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|31|Fall 2: Grundrechtsgeltung für EU-ausländische Unternehmen
ОглавлениеArt. 19 Abs. 3 GG, Geltungsbereich deutschen Verfassungsrechts und europäischen Unionsrechts
Der deutsche Zigarrenhersteller Z hatte bei der in Bologna ansässigen italienischen Möbelfirma M Nachbildungen von Le Corbusier-Möbeln erworben und diese in einer von ihm zu Werbezwecken errichteten und ausgestatteten Zigarrenlounge in einer Ausstellungshalle für Kunstobjekte aufgestellt. M hatte die Möbel ohne urheberrechtliche Nutzungsrechte an den Le Corbusier-Modellen hergestellt. Diese liegen aufgrund von urheberrechtlichen Exklusivverträgen mit der Fondation Le Corbusier in Paris, welche die Rechte des verstorbenen Urhebers wahrnimmt, bei der italienischen Firma G. In Ausübung ihrer vertraglichen Nutzungsrechte stellt G weltweit exklusiv Möbel in Gestalt von Le Corbusier-Nachbildungen her. Der Exklusivvertrag mit der Fondation erlaubt G auch das gerichtliche Vorgehen gegen Rechtsverletzungen.
In Gerichtsverfahren vor den zuständigen deutschen Zivilgerichten hatte G die Zigarrenfirma Z erfolgreich wegen Urheberrechtsverletzungen durch Aufstellen von Le Corbusier-Nachbildungen in der Zigarrenlounge auf Unterlassung verklagt. Gegen die Nichtzulassung der Revision im zweitinstanzlichen OLG-Urteil erhob die italienische Firma M Beschwerde zum BGH. Wegen eines gleichzeitig anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH zur Überprüfung einer etwaigen Unvereinbarkeit deutschen Urheberrechts mit der EU-Urheberrechts-Richtlinie stellte der BGH seine Entscheidung zunächst zurück. Nachdem der EuGH eine Urheberrechtsverletzung verneint hatte, weil er nur in einer Eigentumsübertragung eine Verletzung des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts sah, ließ der BGH die Revision des M-Unternehmens zu und wies die Klage der italienischen G-Unternehmens gegen Z unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils ab. Das deutsche LG hatte der Klage des Z-Unternehmens stattgegeben und war dabei – abweichend vom EuGH – von einer weiten Deutung des urheberrechtlichen Verbreitungsbegriffs ausgegangen. Nicht erst die Eigentumsübertragung, sondern schon die tatsächliche Gebrauchsüberlassung wie sie Z zur Ausstattung der Lounge vorgenommen hatte, stelle eine Verletzung des Verbreitungsrechts des Urhebers dar.
Gegen die BGH-Entscheidung erhob das italienische G-Unternehmen Urteilsverfassungsbeschwerde zum BVerfG wegen Verletzung ihres Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG an den Le Corbusier-Mustern. Abweichend von früheren Entscheidungen und langjährigen eigenen Zweifeln entschied das BVerfG (Beschluss v. 19.07.2011, 1 BvR 1916/09, JZ 2011, 1112), auf deutsche Grundrechte könnten sich aufgrund von Art. 19 Abs. 3 GG zwar keine „ausländischen juristischen Personen“ be|32|rufen, wohl aber alle in der EU ansässigen Unternehmen. Das folge aus den damaligen Verfassungsberatungen zu Art. 19 Abs. 3 GG sowie aus dem heutigen Integrationsstand der EU. In den Beratungen zum Grundgesetz wurde hervorgehoben, dass eine Erstreckung deutscher Grundrechte auf ausländische juristische Personen aufgrund deren minimaler Betätigungen in Deutschland nicht erforderlich sei. Daraufhin stimmte der Verfassungsgeber der vorgeschlagenen Beschränkung auf „inländische juristische Personen“ zu. Aus dem heutigen EU-Integrationsstand folgert das BVerfG, dass eine Diskriminierung in der EU ansässiger nichtdeutscher Wirtschaftsunternehmen gegenüber deutschen Unternehmen bei der Anwendung deutscher Grundrechte nach dem in Art. 18 AEUV verankerten Diskriminierungsverbot nicht mehr zulässig sei. Daher könnten alle EU-ansässigen Unternehmen auch geltend machen, dass sich deutsche Gerichte zu Unrecht durch Unionsrecht gebunden gesehen und hierdurch ihre Grundrechte verletzt hätten.
Im Ergebnis wies das BVerfG die Verfassungsbeschwerde des italienischen G-Unternehmens zurück, weil keine Verletzung des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG vorläge. Es folgte dabei der engen Deutung des EuGH, dass nur Eigentumsübertragungen, nicht aber schon bloße Besitzüberlassungen den Tatbestand einer urheberrechtswidrigen Verbreitung erfüllen könnten. In der EU-Urheberrichtlinie ist die Frage, wann und wodurch eine urheberrechtswidrige Verbreitung eines urheberrechtlich geschützten Werkes vorliege, nicht geregelt.
Fallfragen:
1 Ist die Entscheidung des BVerfGs mit Art. 19 Abs. 3 GG vereinbar?
2 Nach Art. 18 AEUV gilt das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit nur „im Anwendungsbereich“ der EU-Verträge. Steht die Annahme des BVerfGs, dass eine Verneinung des Schutzes EU-ausländischer Unternehmen durch deutsche Grundrechte unter Berufung auf Art. 19 Abs. 3 GG im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde des nichtdeutschen EU-Unternehmens gegen ein deutsches Gerichtsurteil eine unzulässige Diskriminierung darstelle, mit dieser Bestimmung im Einklang?