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Gutachten Erste Fallfrage: Ist die Entscheidung des BVerfGs mit Art. 19 Abs. 3 GG vereinbar?

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Zur Beantwortung dieser Frage ist Art. 19 Abs. 3 GG auszulegen. Die Regeln der Auslegung von Verfassungsbestimmungen folgen grundsätzlich den klassischen Regeln der Gesetzesauslegung, zusätzlich erweitert um die Regel verfassungskonformer Gesetzesinterpretation, die aber im vorliegenden Fall keine Rolle spielt.

Auslegung (Grundlagen)

Auslegung im Rechtssinne ist Auslegung von Rechtstexten (Verfassungstext, Gesetzestext, Verordnungs- und Satzungstext (= allgemeinverbindliche normative Texte), Vertragstext, Erklärungstext (bilateral, einseitig verbindliche Texte). Für Normtexte, Vertragstexte und individuelle rechtsgeschäftlichen Erklärungen gelten unterschiedliche Auslegungsregeln, für die es nur zum Teil gesetzliche Grundlagen gibt: Auslegung einer Willenserklärung (§ 133 BGB), Auslegung von zivilrechtlichen Verträgen (§ 157 BGB), Auslegung völkerrechtlicher Verträge (Art. 31 WVRK).

Die Regeln der Auslegung normativer Texte (Verfassungs- und Gesetzesauslegung) sind nicht gesetzlich geregelt. Sie sind in der Rechtswissenschaft entwickelt und in ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (BVerfG, BGH) auf eine verbindliche Grundlage gestellt worden. Für die Auslegung von Verfassungsbestimmungen hat das BVerfG auf der Grundlage der klassischen Regeln für die Gesetzesauslegung einige weitergehende Auslegungsregeln entwickelt (verfassungskonforme Auslegung, Konkordanz von Verfassungsnormen).

|35|Gesetzesauslegung

In seinem Urteil vom 21. Mai 1952 hat sich das BVerfG[12] für die Auslegung von Gesetzesvorschriften zu den klassischen Regeln der Gesetzesauslegung bekannt: Dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung (grammatische Auslegung), den Anhaltspunkten für das richtige Verständnis des abstrakten Wortlauts aus den parlamentarischen Gesetzgebungsmaterialien (historische Auslegung), die systematische Kontrolle und ggf. Korrektur der Textbedeutung durch den regulatorischen Sinnzusammenhang, den eine einzelne Gesetzesbestimmung aus ihrem Gesamtzusammenhang mit den anderen Bestimmungen des jeweiligen gesetzlichen Regelungswerks erfährt (systematische Interpretation), sowie schließlich dem Zweck der Gesetzesbestimmung (teleologische Interpretation), womit wohl überwiegend die Bemühung des Interpreten um eine im konkreten Streitfallkontext zu realisierende Regelungsabsicht des Gesetzgebers zu verstehen sein dürfte. Grundprobleme der teleologischen Gesetzesauslegung sind bis heute nicht gelöst. Sie bewegen sich zwischen der (imaginären) Suche nach einem angeblich im Gesetzestext zum Ausdruck kommenden „objektiven Willen“ des Gesetzgebers (BVerfG)[13] und einer (deutlich realistischeren) Konkretisierungsarbeit, um den konkreten Streitfall an die für diesen Fall schrittweise zu erarbeitende einschlägige Bedeutung des abstrakten Gesetzestextes heranzuführen (Friedrich Müller)[14]. Erst wenn diese fallbezogene Arbeit geleistet ist, so die Grundthese, sei eine konkrete Fallösung durch den Gutachter oder den Richter möglich.

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