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(1) Gründe für eine Schätzung

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Während die Schätzung der Höhe der hinterzogenen Steuer allgemein aus § 261 StPO für zulässig erachtet wird,[557] wird die Anwendbarkeit des für die steuerliche Schätzung geltenden § 162 für die strafrechtliche Schätzung in der Literatur teilweise verneint.[558] Der BGH zieht § 162 für die Schätzung hingegen heran,[559] meist ohne die Anwendbarkeit zu problematisieren[560] und führt aus, dass Schätzungen der Finanzbehörden im Strafverfahren übernommen werden dürfen, wenn das Gericht von ihrer Richtigkeit unter Berücksichtigung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgrundsätze (§ 261 StPO) überzeugt ist.[561] In Betracht kommt folglich die entsprechende Anwendung des § 162 unter Beachtung des In-dubio-pro-reo-Grundsatzes. Im Strafverfahren gilt genauso wie im Besteuerungsverfahren, dass die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen sind, soweit sie nicht auf andere Weise ermittelt oder berechnet werden können (§ 162 Abs. 1 S. 1). Es ist ferner selbstverständlich, dass dabei alle Umstände zu beachten sind, die für die Schätzung von Bedeutung sind (§ 162 Abs. 1 S. 2). Die Anwendung des § 162 Abs. 2 S. 3 sowie der Abs. 3 und 4, ist mit dem In-dubio-pro-reo-Grundsatz nicht zu vereinbaren, da sie Vermutungen für Steuerverkürzungen und Zuschläge allein wegen der Verletzung von Mitwirkungspflichten enthalten und scheidet daher aus. Allerdings kann das Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung Schlüsse aus der Verletzung von Mitwirkungspflichten ziehen.[562] § 162 Abs. 2 S. 1 und 2 enthalten eine – nicht abschließende – Auflistung typischer Pflichtverletzungen, aufgrund derer eine Schätzung steuerlich zulässig ist, weil der Steuerpflichtige seine steuerlichen Mitwirkungspflichten verletzt hat. Solche Pflichtverletzungen machen regelmäßig auch strafrechtlich eine Schätzung erforderlich. Insoweit verbietet der Zweifelssatz es zwar, aufgrund der Verletzung steuerlicher Pflichten eine Verkürzung zu unterstellen, nicht aber, dem Betroffenen die mit einer Schätzung immer verbundenen Unsicherheiten – unter Beachtung des in-dubio-pro-reo-Grundsatzes – aufzubürden.

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(a) Erweiterte Sachaufklärungs- und Mitwirkungspflicht der Beteiligten nach § 90 Abs. 2 bei Auslandsbeziehungen: Die im Besteuerungsverfahren geltende erweiterte Sachaufklärungs- und Mitwirkungspflicht der Beteiligten nach § 90 Abs. 2 bei Auslandsbeziehungen findet im Strafverfahren keine Anwendung. Das bedeutet aber nur, dass aus der Verletzung der Mitwirkungspflichten als solches keine negativen Schlüsse im Hinblick auf die Höhe der hinterzogenen Beträge gezogen werden dürfen. Sind allerdings als Folge der Verletzung keine sicheren Feststellungen zum Umfang der Hinterziehung möglich, erfolgt die Ermittlung durch Schätzung. Dabei muss der Angeklagte nach der Rspr. des BGH Unsicherheiten zu seinem Nachteil im Rahmen des Schätzungsspielraums gegen sich gelten lassen, die gerade aus der Verletzung der Mitwirkungspflichten erwachsen.[563]

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(b) Bücher oder Aufzeichnungen, die nach den Steuergesetzen zu führen sind, können nicht vorgelegt werden: Kann der Beschuldigte Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen, so kann steuerlich ebenso wie strafrechtlich geschätzt werden, wenn sich die Höhe der verkürzten Steuer nicht auf andere Weise ermitteln lässt. Allerdings muss strafrechtlich die Hinterziehung wegen der Unschuldsvermutung dem Grunde nach bewiesen sein. Die steuerlichen Buchführungspflichten ergeben sich aus den §§ 140 ff. Die zum 1.1.2015 eingeführten Vorgaben für die ordnungsmäßige Buchführung in elektronischer Form wurden mit Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen vom 22.12.2016 nochmals verschärft.[564] Sie werden in dem BMF-Schreiben „Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD)“[565] zusammengefasst. Sie gelten für die ordnungsgemäße Führung „elektronischer Aufzeichnungssysteme“, (elektronische Registrierkassen und Registrierkassen).

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Ab dem 1.1.2020 müssen alle Geschäftsvorfälle unter Beachtung des § 146a aufgezeichnet werden. Dabei wird eine zertifizierte technische Sicherheitseinrichtung vorausgesetzt, die Aufzeichnungssystem und Aufzeichnungen schützt.[566] Die Ordnungsmäßigkeit des Aufzeichnungssystems kann zu den üblichen Geschäfts- und Arbeitszeiten jederzeit unangekündigt im Rahmen einer Kassen-Nachschau nach § 146b überprüft werden. Unterlagen sind nach den Vorschriften der §§ 147, 147a aufzubewahren. Die steuerrechtliche Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 und 3 umfasst alle Unterlagen und Daten, die zum Verständnis und zur Überprüfung gesetzlich vorgeschriebener Aufzeichnungen von Bedeutung sind. Hierzu gehören insb. Unterlagen, die Aussagen über Vorgänge zum Gewinn und seiner Ermittlung enthalten. Nach finanzgerichtlicher Rspr. umfasst die steuerliche Aufbewahrungspflicht auch Unterlagen aus den branchenspezifischen Aufzeichnungspflichten, wie bspw. nach § 18 Fahrlehrergesetz.[567] Speisekarten sind gem. § 147 Abs. 1 Nr. 5 nicht generell aufbewahrungspflichtig, sondern nur dann, wenn sie zum Verständnis und zur Überprüfung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen im Einzelfall von Bedeutung sind.[568]

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(c) Die Buchführung oder die Aufzeichnungen können der Besteuerung nicht nach § 158 zugrunde gelegt werden: Können die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 zugrunde gelegt werden, so bleibt zur Steuerberechnung regelmäßig nur der Weg der Schätzung. Gemäß § 158 wird die Buchführung der Besteuerung zugrunde gelegt, wenn sie formell den Vorschriften der §§ 140–148 entspricht und soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass ist, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Der Wortlaut ist insoweit missverständlich, als rein formelle Fehler nicht zur Verwerfung der Buchführung berechtigen.

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Eine formell ordnungsgemäße Buchführung begründet steuerlich die Vermutung ihrer sachlichen Richtigkeit. Das Ergebnis der Buchführung kann nur dann ganz oder teilweise verworfen werden, wenn sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sachlich unrichtig ist, wobei das Finanzamt die objektive Beweislast für die hierfür maßgeblichen steuererhöhenden Tatsachen trägt.[569] Die sachliche Richtigkeit kann nach der Finanzrspr. bspw. nicht allein dadurch widerlegt werden, dass Umsatz oder Gewinn von den amtlichen Richtsätzen abweichen.[570] Wohl aber dadurch, dass eine Verprobung ergibt, dass die Buchführung nicht richtig sein kann.[571] Diese Maßstäbe gelten auch für das Strafverfahren.

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Formelle Mängel der Buchführung führen steuerlich zur Verwerfung, wenn sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln.[572] Können z.B. anhand der Aufzeichnungen eines Schrotthändlers im Umsatzsteuerheft weder die konkret erworbene Ware noch der Lieferant und der Empfänger des Geldes ermittelt und überprüft werden, rechtfertigt dies Zweifel an der sachlichen Richtigkeit der aufgezeichneten Betriebsausgaben und deren Schätzung.[573] Die Buchführung ist gem. dem Wortlaut des § 158 aber nur „soweit“ zu verwerfen, wie die Beanstandung reicht.[574] Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen scheidet aus, wenn die durch die Fehler der Buchführung verursachten Unklarheiten und Zweifel durch anderweitige Ermittlungen beseitigt werden können.[575] Anders als im Besteuerungsverfahren, wo bereits gravierende formelle Buchführungsmängel (wie z.B. die Unvollständigkeit der Tagesendsummenbons) dazu führen können, dass die (Kassen-)Buchführung zu verwerfen ist, auch wenn der Mangel keinen sicheren Schluss auf die Verkürzung zulässt,[576] kommt es strafrechtlich auch insoweit auf den Nachweis der Verkürzung an. So berechtigt bspw. die nur rechnerische Führung einer offenen Ladenkasse, die keine Kassensturzfähigkeit gewährleistet, steuerlich schon für sich genommen zu Hinzuschätzungen.[577] Hingegen muss die materielle Unrichtigkeit strafrechtlich zum Nachweis von Tathandlung und -erfolg i.S.d. § 370 bewiesen werden. Eine fehlende Inventur stellt für sich genommen steuerlich einen materiellen Mangel dar, da der in der Buchführung ausgewiesene, lediglich griffweise geschätzte Betrag des Warenendbestands nicht dem tatsächlichen Wert der vorhandenen Waren entspricht und dadurch zugleich der Jahresgewinn verfälscht wird.[578] Strafrechtlich muss auch insoweit der Nachweis der Steuerverkürzung erbracht werden.

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(d) Verweigerung der Zustimmung zu einem Kontenabruf nach § 93 Abs. 7 Nr. 5: Steuerlich darf geschätzt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen und der Steuerpflichtige die Zustimmung nach § 93 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 zum automatischen Kontenabruf nicht erteilt. Mit Hilfe des Kontenabrufs können die Bestandsdaten zu Konto- und Depotverbindungen bei den Kreditinstituten abgerufen werden. Strafrechtlich muss der Nachweis erbracht werden, dass und in welcher Höhe Steuern verkürzt worden sind. Die Ermittlungsbehörden haben im Strafverfahren ausreichende Möglichkeiten, insb. über den Kontenabruf nach § 24c Abs. 3 Nr. 2 KWG,[579] die Kontoinformationen ohne Zustimmung des (im Strafverfahren ohnehin nicht mitwirkungspflichtigen) Steuerpflichtigen zu erlangen, sodass sich eine Schätzung verbietet.

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