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3. Auswirkung von Fehlvorstellungen über das Bestehen eines Steueranspruchs auf den Vorsatz
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Vorsätzlich i.S.d. § 370 AO handelt der Täter, nach der in Literatur[670] und Rspr.[671] derzeit vorherrschenden Meinung, wenn er den nach Grund und Höhe bestimmten Steueranspruch kennt oder wenigstens für möglich hält und ihn auch verkürzen will (sog. „Steueranspruchstheorie“). Danach hinterzieht bspw. ein Unternehmer, der die in ihm erteilten Rechnungen ausgewiesene USt als Vorsteuer geltend macht, obwohl dies wegen der falschen Angabe des Leistungsgegenstandes unzulässig ist (§ 14 Abs. 2 UStG), nicht vorsätzlich Steuern, wenn er davon ausgeht, trotz der unrichtigen Leistungsangabe zum Vorsteuerabzug berechtigt zu sein. Er irrt dann über den umsatzsteuerrechtlichen Rechnungsbegriff und unterliegt damit einem (vorsatzausschließenden) Tatbestandsirrtum i.S.d. § 16 StGB.[672] Umgekehrt liegt ein untauglicher Versuch vor, wenn der Betroffene in der irrigen Annahme handelt, er verwirkliche durch eine Tathandlung des § 370 Abs. 1 AO ein objektives Tatbestandsmerkmal des § 370 AO.
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Aufgrund der Tatsache, dass § 370 von der vorherrschenden Meinung als Blankettvorschrift qualifiziert wird (s. dazu Rn. 2 ff.), wurde die Steueranspruchstheorie bereits in der Vergangenheit von einzelnen Stimmen in der Literatur mit Verweis auf die allgemein, d.h. außerhalb des Steuerstrafrechts, vorherrschenden Grundsätze zu Blankettnormen in Frage gestellt.[673] Nach den allgemein anerkannten Grundsätzen zu Blankettverweisungen soll es genügen, dass der Täter die Kenntnis von den Umständen hat, die die einschlägige Norm, auf die verwiesen wird, ausfüllen, nicht hingegen Kenntnis von der Norm selbst.[674] Es bestehe kein Grund dafür, § 370 anders zu behandeln als andere Blankettnormen. Folge des Blankett-Verweises sei, dass die Tatbestandsmerkmale der steuerlichen Normen gemeinsam mit denen des § 370 den Straftatbestand bilden, so dass der Vorsatz die Tatbestandsmerkmale des Steuergesetzes umfassen müsse, nicht aber darüber hinaus die Steuerbarkeit bzw. das steuerliche Ergebnis.[675] Es leuchte nicht ein, zwischen einem Rechtsirrtum i.S.d. § 17 StGB über die Strafbewehrtheit und einem solchen über die Steuerpflicht oder den Verkürzungsumfang zu unterscheiden.[676] In diesem Sinne tendierte auch der 1. Strafsenat des BGH in einer Entscheidung vom 8.9.2011 (1 StR 38/11) dazu, die Voraussetzungen an den Vorsatz weiter herab zu setzen, indem er Zweifel daran äußerte, ob eine Fehlvorstellung über das Bestehen eines Steueranspruchs in den Fällen als Tatbestandsirrtum zu qualifizieren ist, in denen der Irrtum sich „auf die Reichweite einer steuerlichen Norm“ bezieht. Der BGH deutete an, dass eine derartige Fehlvorstellung lediglich als Verbotsirrtum i.S.d. § 17 StGB zu werten sein könnte.[677] Folge wäre dann, dass der Irrtum nur bei Unvermeidbarkeit zur Straflosigkeit führen würde – und zwar nicht mangels Vorsatzes sondern erst auf der Ebene der Schuld. Als Tatbestandsirrtum würde dann nur die Fehlvorstellung über die tatsächlichen Umstände, d.h. über die Besteuerungsgrundlagen anerkannt werden, nicht hingegen ein Irrtum über „die steuerrechtlichen Zusammenhänge (Besteuerungstatbestand, Steuerschuldnerschaft, Erklärungspflicht).[678] Diese Rechtsprechung hat der 1. Senat in einer Entscheidung vom 25.10.2017 (1 StR 339/16) noch einmal bestätigt.[679] Demgegenüber hat der 1. Senat in einer Entscheidung vom 24.1.2018 (1 StR 331/17)[680] mitgeteilt, er erwäge – ausdrücklich entgegen den Überlegungen in seinem Beschluss vom 8.9.2011(1 StR 38/11) – zukünftig die Fehlvorstellung über die Arbeitgebereigenschaft in § 266a StGB und die daraus folgende Abführungspflicht – ebenso wie die Arbeitgebereigenschaft i.S.d. Lohnsteuerrechts gem. § 41a EStG – insgesamt als (vorsatzausschließenden) Tatbestandsirrtum zu behandeln.[681] Er begründet dies damit, dass für die Differenzierung bezüglich eines Irrtums i.R.d. § 370 und i.R.d. § 266a StGB kein sachlicher Grund erkennbar sei und es sich bei der Arbeitgeberstellung und der daraus resultierenden Abführungspflicht um (normative) Tatbestandsmerkmale handele.[682] Dem ist beizupflichten.[683] Mit dieser Rechtsprechung wird eine Angleichung der Anforderungen an den Vorsatz i.R.d. § 266a StGB und des § 370 erreicht.
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Die gegenteilige Meinung übersieht, dass es sehr wohl Unterschiede zwischen den Verweisen des § 370 auf das Steuerrecht und (sonstigen) Bankettverweisungen gibt. Die „Verweise“ des § 370 beziehen sich nämlich nicht (entsprechend der Definition von Blankettnormen) nur auf steuerliche Ge- und Verbote, sondern darüber hinaus auch auf den Steueranspruch selbst, aus dem die Ge- und Verbote erst erwachsen. Wie der Name „Verbotsirrtum“ schon sagt, umfasst dieser hingegen nur Fehlvorstellungen über die sich aus einem bestimmten Sachverhalt ergebenden strafbewehrten Pflichten.[684]
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Zudem nennt § 370 Abs. 1 (anders alsüblicherweise Blankettnormen) selbst alle für die Verwirklichung der Steuerhinterziehung erforderlichen Tatbestandsmerkmale, d.h. insb. Tathandlung und Taterfolg („und dadurch Steuern verkürzt oder . . . nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt“). Nach der im allgemeinen Strafrecht einhellig vertretenen Dogmatik müssen aber stets alle Tatbestandsmerkmale vom Vorsatz umfasst sein.[685] Folglich muss der Täter auch den Erfolg wollen, d.h. im Falle des § 370 in dem Wissen und Wollen handeln, durch sein Verhalten Steuern zu verkürzen oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile zu erlangen. Das ist aber, unabhängig davon, wie man die Tatbestandsmerkmale auslegt, unmöglich, wenn ihm nicht bewusst ist, dass möglicherweise ein Steueranspruch besteht.[686]
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Handelt es sich bei den Merkmalen des § 370, wie hier vertreten, um normative Tatbestandsmerkmale (s. dazu Rn. 5), so muss der Täter, um vorsätzlich zu handeln, neben dem Sachverhalt auch den Bedeutungsgehalt erkennen. Dabei stellt die vorherrschende Meinung auf eine „Parallelwertung in der Laiensphäre“ ab.[687] Das gilt zunächst für die auf das materielle Steuerrecht verweisenden Tatbestandsmerkmale „steuerlich erhebliche Tatsachen“, „Steuerverkürzung“ und „Steuervorteil“.[688]
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Bezogen auf das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit des Unterlassens bei der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 und 3 wird überwiegend auch im Rahmen der Steueranspruchstheorie vertreten, der Vorsatz müsse sich darauf nicht beziehen, da es sich bei der Pflicht zu Handeln nicht um einen tatsächlichen Umstand handele.[689] Ein Irrtum über die Pflicht selbst sei ein Verbotsirrtum i.S.d. § 17 StGB. Demgegenüber sei ein Irrtum über die tatsächlichen Umstände, die die Pflicht zum Handeln begründen, Tatbestandsirrtum im Sine des § 16 StGB.[690] Tatsächlich ist aber auch die „Pflichtwidrigkeit“ des § 370 Abs. 1 Nr. 2 – ebenso wie die „Pflichtwidrigkeit“ im Rahmen der Untreue gem. § 266 StGB – normatives Tatbestandsmerkmal und keine Blankettverweisung (siehe dazu auch Rn. 4).[691] Das BVerfG[692] verneint für § 266 StGB das Vorliegen eines Blankett-Verweises mit Argumenten, die genauso für § 370 Abs. 1 Nr. 2 gelten: „Das Pflichtwidrigkeitsmerkmal erschöpft sich nicht nach Art eines Blankettmerkmals in der Weiterverweisung auf genau bezeichnete Vorschriften; es handelt sich vielmehr um ein komplexes normatives Tatbestandsmerkmal. Zunächst stellt sich dem Normanwender die Frage, welche außerstrafrechtlichen Bestimmungen zur Beurteilung der Pflichtwidrigkeit heranzuziehen sind. Sodann stellt sich die Frage nach der Auslegung der relevanten Normen, unter denen sich Vorschriften von erheblicher Unbestimmtheit oder generalklauselartigen Charakters befinden können, da sich dem Normtext des § 266 Abs. 1 StGB Anforderungen an die Bestimmtheit der in Bezug genommenen Normen nicht entnehmen lassen; verwiesen sei insofern nur beispielhaft auf die (. . .) teilweise einschlägigen Bestimmungen der §§ 76, 93, 111, 116 AktG. Die resultierenden Auslegungsschwierigkeiten erhöhen sich, wenn dem Verpflichteten – wie im Fall der zitierten Normen des Aktiengesetzes – eigene Entscheidungsspielräume mit abstrakt schwer zu bestimmenden Grenzen eingeräumt werden.“
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Entsprechend müssen auch für die Pflichtwidrigkeit i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 zunächst die in verschiedenen Gesetzen geregelten steuerlichen Normen zur Bestimmung der steuerlichen Erklärungspflicht gefunden und ausgelegt werden. Diese Pflichten ergeben sich nicht etwa jeweils aus einer Norm, sondern erst aus dem Zusammenspiel einer Vielzahl von Vorschriften (einerseits zur Person der Steuerpflichtigen und andererseits zu Art und Umfang der steuerlichen Pflichten), sowie darüber hinaus aus weiteren, außerhalb der Steuergesetze entwickelten auslegungsbedürftigen Begriffen, wie z.B. „faktischer Geschäftsführer“ (s. dazu Rn. 32 ff.) oder dem gesetzlich nicht näher geregelten Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42.[693] Daher ist nicht nachvollziehbar, mit welchem Argument das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit im Rahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 und 3 anders eingeordnet werden sollte, als im Rahmen des § 266 StGB.
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Bei normativen Tatbestandsmerkmalen wird von der Rspr. verlangt, dass der Täter den unter das normative Tatbestandsmerkmal zu subsumierenden Sachverhalt in seinem für die Unrechtsbegründung wesentlichen Bedeutungsgehalt erfassen muss.[694] Macht sich ein Steuerpflichtiger keine Vorstellungen darüber, dass sein Verhalten nicht mit steuerlichen Vorschriften in Einklang steht, so handelt er nicht vorsätzlich, da er nicht nur über die Strafbarkeit seines Verhaltens irrt, sondern schon über die tatsächliche steuerliche Relevanz. Erkennt er nicht (zumindest im Sinne einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“), dass ein Sachverhalt verwirklicht ist, aus dem sich nach den Steuergesetzen eine Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung ergibt, handelt er nicht vorsätzlich, wenn er die Erklärung nicht abgibt. Die fehlende Kenntnis vom Bestehen eines Steueranspruchs des Fiskus ist insoweit bspw. vergleichbar mit der fehlenden Kenntnis des Diebes von der Fremdheit einer Sache: Zieht dieser aus den ihm bekannten Umständen nicht den Schluss, dass das Eigentum an der Sache zivilrechtlich nicht ihm sondern einer anderen Person zusteht, so wird niemand behaupten, dass er in einem (vermeidbaren) Verbotsirrtum handelt, wenn er die Sache in dem Glauben an sich nimmt, sie gehöre ihm.[695]
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Dagegen liegt ein – möglicherweise vermeidbarer – Verbotsirrtum nahe, wenn der Täter die Umstände, aus denen sich die Steuerpflicht ergibt erfasst, daraus aber nicht den Schluss auf seine Handlungspflicht zieht.[696] Insoweit kann in der Regel von ihm erwartet werden, dass er sich über die sich aus dem verwirklichten steuerlichen Sachverhalt ergebenden Handlungspflichten informiert. Ein solcher Vorwurf kann ihm jedoch bei fehlender Kenntnis der steuerlichen Relevanz nicht gemacht werden. Jedenfalls die Steuerverkürzung und damit der zum Tatbestand gehörende Erfolg des § 370, ist dann nicht von seinem Vorsatz umfasst.[697] Daran ändert auch die Möglichkeit, sich durch das Studium des Steuerrechts oder durch die Beauftragung eines Fachmannes die erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen, nichts. Voraussetzung dafür wäre vielmehr gerade, dass der Betroffene erkennt, dass ein solches Bedürfnis gegeben ist, weil er das Bestehen eines Steueranspruchs für möglich hält. Erkennt er das nicht, verstößt er möglicherweise gegen Sorgfaltspflichten und handelt fahrlässig oder ggf. leichtfertig, vorsätzlich aber handelt er nicht.
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In der Praxis dürften Fälle, in denen die Rspr. der Behauptung des Angeklagten, er habe das Bestehen des Steueranspruchs nicht wenigstens billigend in Kauf genommen, Glauben schenkt, ohnehin selten vorkommen. Häufig werden entsprechende Verteidigungsbemühungen als Schutzbehauptung behandelt.