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(2) Schätzungsmethoden

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Die bei der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen gewonnenen Schätzergebnisse müssen schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. Dazu muss die Finanzbehörde im Rahmen des ihr Zumutbaren alle Anhaltspunkte, u.a. auch das Vorbringen des Steuerpflichtigen oder eine an sich fehlerhafte Buchführung beachten und alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Besteuerungsgrundlagen wenigstens teilweise zu ermitteln.[580] Die Durchführung der Schätzung erfolgt in der Regel nach den auch im Besteuerungsverfahren anerkannten – und erforderlichenfalls kombiniert anzuwendenden – Schätzungsmethoden, einschließlich der Heranziehung der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen. Gegenüber Schätzungen der Finanzbehörden sind die vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgrundsätze (§ 261 StPO) und der In-dubio-pro-reo-Grundsatz zu berücksichtigen.[581] Nach der Rspr. dürfen Schätzungsspielräume ausgeschöpft werden, ein Sicherheitszuschlag auf die Schätzung kommt strafrechtlich jedoch nicht in Betracht.[582]

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Nachfolgend werden die praktisch wichtigsten Schätzungsmethoden kurz dargestellt.

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(a) Äußerer Betriebsvergleich: Beim äußeren Betriebsvergleich wird das Unternehmen des Steuerpflichtigen, genauer gesagt bestimmte Kennzahlen seines Betriebs, mit anderen vergleichbaren Betrieben derselben Branche verglichen.

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Für zahlreiche Branchen führt das Bundesministerium der Finanzen eine Richtsatzsammlung, die verschiedene, im Wege statistischer Erhebungen gesammelte Werte enthält, insb. Rahmen von üblichen Rohgewinnaufschlagsätzen. Die Sammlung wird jährlich aktualisiert herausgegeben. Die Richtsätze gelten als Durchschnittswerte eines Normalbetriebes, mit denen die Werte des betroffenen Unternehmens verglichen und an die bei nicht erklärbaren Abweichungen steuerlich eine Anpassung vorgenommen wird. Die Richtsätze haben nur indizielle Bedeutung, da jeder Betrieb Eigenheiten gegenüber anderen Betrieben aufweist. Eine Überschreitung der höchsten Reingewinnsätze nach der Richtsatzsammlung ist schon steuerlich nicht zulässig, wenn dafür keine plausiblen Gründe bestehen.[583]

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Im Rahmen der Verteidigung gilt es insbesondere, zu überprüfen, ob die Einordnung des geprüften Unternehmens innerhalb der Richtsatzsammlung zutreffend nach Branche, Größe, Organisation usw. erfolgt und darzulegen, welche Besonderheiten des Betriebes eine Unterschreitung der Richtsätze im Einzelfall plausibel erscheinen lassen. Unter Umständen lässt sich auch die Richtigkeit oder Genauigkeit der Werte der Richtsatzsammlung angreifen (z.B. weil die für eine Unternehmensart zu Grunde gelegte Datenbasis nicht repräsentativ ist).

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Die Unterschreitung der Richtsätze genügt allein genommen weder steuerlich noch strafrechtlich, um eine Steuerverkürzung zu unterstellen, die Buchführung zu verwerfen oder eine Schätzung vorzunehmen. Hinzukommen müssen vielmehr weitere Indizien,[584] wie im Besteuerungsverfahren bspw. gravierende Buchführungsmängel und strafrechtlich konkrete Hinweise auf die Verkürzung von Steuern, wie etwa nachweisbar „schwarz“ erfolgte Einkäufe. Für die Schätzung der Höhe nach kann die Richtsatzsammlung heran gezogen werden, wenn dies plausibel und wirtschaftlich vernünftig erscheint und die Besonderheiten des Strafverfahrens beachtet werden.[585]

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Der Vergleich mit den Kennzahlen eines einzelnen anderen Betriebes (Einzelbetriebsvergleich) kommt wegen der damit verbundenen Unsicherheiten (u.a. darüber, ob die Vergleichszahlen richtig und repräsentativ sind) zumindest strafrechtlich nicht in Betracht.[586] Das gilt umso mehr, als Einzelheiten des Vergleichsbetriebes wegen des Steuergeheimnisses nach § 30 grundsätzlich nicht offen gelegt werden dürften, so dass der Beschuldigte sich nur beschränkt verteidigen könnte.

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(b) Interner Betriebsvergleich: Beim internen oder inneren Betriebsvergleich werden die Vergleichswerte des geprüften Unternehmens (z.B. Umsatz, Wareneinsatz, Personalkosten, Rohgewinn, Reingewinn) verschiedener Besteuerungszeiträume gegenüber gestellt und miteinander verglichen. Kommt es über die Jahre zu Schwankungen der Werte, begründet dies den Verdacht von Unregelmäßigkeiten, sofern sich die Schwankungen nicht mit tatsächlichen Veränderungen im Betrieb (wie z.B. saisonale Schwankungen, Einstellung oder Entlassung von Personal, Reduzierung des Warenverlusts usw.) erklären lassen.

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Mit Hilfe der mathematisch-statistischen Methode des Zeitreihenvergleichs von Umsatz und Wareneinsatz wird überprüft, ob eine wochenweise Untersuchung der Rohgewinnaufschläge eines Betriebs schlüssig zum durchschnittlich erklärten Rohgewinnaufschlag des Kalenderjahres führt. Der wöchentliche Wareneinsatz wird aus den Wareneinkäufen, wie sie sich aus den Eingangsrechnungen für diesen Zeitraum ergeben, abzüglich Pauschbeträgen für unentgeltliche Wertabgaben ermittelt. Dabei wird davon ausgegangen, dass Waren zeitnah verbraucht werden und es keine nennenswerte Vorratshaltung gibt. Der höchste Rohgewinnaufschlagsatz, der sich für einen 10-Wochen-Zeitraum ergibt, wird dann auf den für das Jahr erklärten Wareneinsatz angewendet. Wegen verschiedener methodisch bedingter Ungenauigkeiten einerseits sowie der (aufgrund extrem umfangreicher Datenmengen, die der Auswertung zugrunde liegen) fehlenden Möglichkeit zur Nachprüfung durch den Steuerpflichtigen andererseits, hat das Ergebnis schon steuerlich nur beschränkte Aussagekraft.[587] Bei einer formell ordnungsgemäßen Buchführung oder einer Buchführung, die nur geringfügige formelle Mängel aufweist, kann der Nachweis der materiellen Unrichtigkeit grundsätzlich nicht allein aufgrund der Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs geführt werden.[588] Strafrechtlich kann der Zeitreihenvergleich wegen seiner Mängel zwar den Anfangsverdacht einer Steuerverkürzung begründen, zu einer Überzeugungsbildung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach aber nur in Kombination mit anderen Nachweisen führen.[589]

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Bei einer Verteilungsprüfung wird überprüft, wie sich die Umsätze auf verschiedene Geschäfte (z.B. Verhältnis Getränkeverkauf zu Speisenverkauf) oder Perioden (z.B. Wochentage) verteilen und dies auf einen Vergleichszeitraum zugrunde gelegt, in dem die Verteilung grundsätzlich vergleichbar sein müsste, um so die Plausibilität der erklärten Umsätze zu überprüfen.

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(c) Nachkalkulation: Mit Hilfe einer Nachkalkulation lässt sich die Schlüssigkeit der erklärten Umsätze und des Betriebsergebnisses auf der Grundlage der betriebsinternen Daten (insb. des Wareneinsatzes) recht zuverlässig überprüfen, sofern diese zutreffend sind. Die Methode wird einerseits verwendet, um die (formell ordnungsgemäße) Buchführung zu erschüttern und andererseits, um die Schätzung der Höhe nach durchzuführen. Sie enthält in erster Linie Elemente des internen Betriebsvergleichs. Bei der Aufschlagkalkulation wird durch Gegenüberstellung des dokumentierten Wareneinsatzes mit den Verkaufspreisen ein durchschnittlicher Roherlös- oder Rohgewinnaufschlagsatz für die unterschiedlichen Waren über einen bestimmten Zeitraum ermittelt, der – sofern es zu keinen relevanten Veränderungen im Betrieb gekommen ist – auf andere Zeiträume übertragen werden kann, um schätzungsweise zu ermitteln, wie hoch der Ertrag sein müsste. Das Ergebnis einer auf diese Weise ordentlich durchgeführten Verprobung ist sowohl steuerlich als auch strafrechtlich grundsätzlich geeignet, die Vermutung der sachlichen Richtigkeit der Buchführung zu erschüttern, selbst wenn keine formellen Fehler vorliegen.[590] Das ordentlich ermittelte Ergebnis kann außerdem sowohl im Steuer- als auch im Strafverfahren zur Berechnung der Höhe der verkürzten Steuer verwendet werden. Mögliche Angriffspunkte gegen die Nachkalkulation können bspw. eine ungenaue Aufgliederung des Wareneinkaufs, saisonale Besonderheiten, die unterbliebene Berücksichtigung von Rabattaktionen, außergewöhnlichen Verlusten usw. sein.

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(d) Vermögenszuwachsrechnung: Bei der Vermögenszuwachsrechnung (auch Gesamtvermögensvergleich genannt), wird die Entwicklung des Vermögens insgesamt betrachtet, indem das Gesamtvermögen an zwei Stichtagen ermittelt und gegenüber gestellt wird. Werden dabei nicht erklärbare Vermögensmehrungen festgestellt, kann dies ein Indiz für verschwiegene steuerpflichtige Vermögensmehrungen sein. Grundsätzlich könnte der Zuwachs aber ebenso gut aus nicht steuerbaren oder nicht steuerpflichtigen Vorgängen stammen. Die finanzgerichtliche Rspr. hält diese Schätzungsmethode bei ordentlicher Durchführung für so zuverlässig, dass aufgrund des Schätzungsergebnisses das Buchführungsergebnis widerlegt und in Höhe der errechneten Fehlbeträge nicht verbuchte Betriebseinnahmen bzw. ein Saldo nicht verbuchter Betriebseinnahmen/Betriebsausgaben nachgewiesen werden können.[591]

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Strafrechtlich kann ein nicht erklärbarer Vermögenszuwachs als Indiz für eine Steuerverkürzung gewertet werden. Eine Verurteilung kann er wegen des In-dubio-pro-reo-Grundsatzes jedoch allein nicht tragen, da das Vermögen auch aus nicht steuerbaren oder nicht steuerpflichtigen Quellen stammen kann. Bedenklich ist in dieser Hinsicht eine Entscheidung des BGH[592] in der das Gericht die Unterstellung des Tatsachengerichts beanstandet, das Endvermögen eines wegen Steuerhinterziehung Angeklagten habe sich über Jahre hinweg ausschließlich durch nichtsteuerbare Verschiebungen in der Vermögenssphäre gebildet, ohne dass Einkünfte aus Kapitalvermögen entstanden wären. Gänzlich unwahrscheinliche Verläufe, für die keine tatsächlichen Anhaltspunkte sprechen, dürfe das Gericht auch zugunsten des Angeklagten nicht zugrunde legen. Wolle das Gericht eine solche unwahrscheinliche Entwicklung zugunsten eines Angeklagten annehmen, so bedürfe dies der Begründung und der Darlegung der tragenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen. Liegen solche Anhaltspunkte nicht vor, sei bei der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen nach § 162 auch im Strafverfahren von einer durchschnittlichen, an Wahrscheinlichkeitskriterien ausgerichteten Berechnung auszugehen.[593] Zuzustimmen ist diesen Ausführungen für die Schätzung der Höhe nach. Die Entscheidung ist aber insoweit abzulehnen, als der BGH damit letztlich eine Schätzung angeblich hinterzogener Beträge dem Grunde nach gefordert hat, da kein konkreter Hinweis darauf vorlag, wie es zu der Vermögensmehrung gekommen war und somit auch nicht, dass steuerpflichtige Erträge hinterzogen worden waren. Stattdessen beruft sich das Gericht allein auf eine allgemeine „wirtschaftliche Erfahrung“.[594]

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(e) Geldverkehrsrechnung: Die Geldverkehrsrechnung ist eine Abwandlung der Vermögenszuwachsrechnung, bei der die Zu- und Abflüsse analysiert werden (anstelle des Vergleichs des Vermögensbestandes zu unterschiedlichen Zeitpunkten). Sie gilt, sofern die hohen Anforderungen der Rspr. an diese Schätzungsmethode[595] beachtet werden, steuerlich als so zuverlässig, dass sie das (formell ordnungsgemäße) Buchführungsergebnis im steuerlichen Verfahren widerlegen und in Höhe der errechneten Fehlbeträge nicht verbuchte Betriebseinnahmen bzw. einen Saldo nicht verbuchter Betriebseinnahmen/Betriebsausgaben nachweisen kann.[596] Der 1. Senat des BGH hat auf die erhöhten Anforderungen an die Schätzung (auch) im Hinblick auf die Geldverkehrsrechnung hingewiesen. Im Urteil muss nachvollziehbar dargelegt werden, warum sich das Gericht für diese verhältnismäßig grobe Schätzungsmethode entschieden hat, insbesondere, dass keine konkretere und damit genauere Schätzungsmethode zur Verfügung stand. Zudem muss ausgeschlossen werden können, dass die durch die Geldverkehrsrechnung ermittelten Bargeldüberschüsse aus einer Bargeldreserve stammen könnten.[597]

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(f) Chi-Quadrat-Test: Der sogenannte Chi²-Test ist eine stochastische Methode zur Überprüfung der Buchführung des Steuerpflichtigen, z.B. bei den Betriebseinnahmen. Die Methode analysiert die Verteilung bestimmter Ziffern und basiert auf der Erkenntnis, dass jeder Mensch unbewusst Sympathien für oder Antipathien gegen bestimmte Zahlen hat. Bei größeren Zahlenkolonnen besteht die Wahrscheinlichkeit, dass jede der Ziffern 0-9 mit einer Häufigkeit von 10 % vorkommt. Bucht ein Unternehmer nicht die tatsächlichen Zahlen, sondern manipulierte Zahlen, führen psychologische Faktoren oft zu einer abweichenden Häufigkeit, die der Chi2-Test ermittelt. Der Test kann jedenfalls dann keine aussagekräftigen Ergebnisse liefern, wenn eine abweichende Verteilung z.B. auf der Preisgestaltung des untersuchten Unternehmens beruht.[598] Der Test allein ist – selbst wenn er eine Manipulationswahrscheinlichkeit von 100 % ergibt – nicht geeignet, den Nachweis dafür zu erbringen, dass die Buchführung nicht ordnungsgemäß ist.[599]

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