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3.7.1 Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung

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Die Einwilligung muss vor der Zwangsmaßnahme vorliegen. Sie kann auch zu einem früheren Zeitpunkt abgegeben werden, wenn für den Betroffenen die Umstände, die er für die Einwilligung abzuwägen hat, bekannt sind. Wann die Umstände bekannt sind, ist eine Frage der richtigen Aufklärung.

Damit die Einwilligung wirksam ist, muss gewährleistet sein, dass der Patient über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufgeklärt wurde. Zudem muss der Patient vollumfänglich und nicht nur in einen Teil der Maßnahmen in die geplanten Maßnahmen einwilligen. Wenn er nur in einen Teil einwilligt, ist nur der Teil umsetzbar, in welchen eingewilligt wurde.

Damit der Betroffene einwilligen kann, muss er einwilligungsfähig sein. Einwilligungsfähigkeit bedeutet, dass der Betroffene die Art, Bedeutung und Risiken der (ärztlichen) Maßnahme erfassen kann (Palandt 2020, § 630d Rn. 2; kann (BGH, Urt. v. 28.11.1957 – 4 Str 525/57; NJW 1972, 335). Der Patient muss nach seiner geistigen und sittlichen Reife imstande sein, Wesen, Bedeutung und Tragweite des fraglichen Eingriffs zu erkennen und sachgerecht zu beurteilen (Rengier 2013 § 23 Rn. 15; Wessels u. a. 2013, Rn. 374).

Was dies genau in der täglichen Arbeit bedeutet, hat der Gesetzgeber offen gelassen. Somit hat der behandelnde Arzt im konkreten Einzelfall die Einwilligungsfähigkeit des Patienten stets aufs Neue zu beurteilen. In Zweifelsfällen sollte dokumentiert werden, weshalb man sich für eine Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen entschieden hat. In der Akte sollten jene Merkmale erfasst werden, die für die Abwägung relevant sind.

Bei volljährigen Personen ist grundsätzlich von einer Einwilligungsfähigkeit auszugehen. Einen Erfahrungssatz, dass starke Schmerzen die Einwilligungsfähigkeit immer einschränken oder gar aufheben, gibt es nicht. Trägt der Patient später vor, dass er zum Zeitpunkt der Aufklärung nicht einwilligungsfähig gewesen ist, muss er dies beweisen – sofern die Gesamtschau der medizinischen Fakten die fehlende Einwilligungsfähigkeit nicht eindeutig nahelegt (OLG Koblenz, Urt. v. 01.10.2014, Az.: 5 U 463/14, NJW 2015, 79).

Die Einwilligung muss rechtzeitig vor Durchführung der Maßnahme eingeholt werden. Der Patient muss sie in einem Zustand der freien Selbstbestimmung abgeben. So hat der BGH eine Einwilligung, die auf dem Weg zum Operationssaal und unter dem Einfluss einer Beruhigungsspritze erteilt wurde, als unwirksam erachtet (BGH, Urt. V. 17.02.1998 – Az.: IV ZR 42/97). Der Betroffene muss noch die tatsächliche Möglichkeit haben, die Maßnahme abzulehnen.

Für die Praxis hat dies zwei Konsequenzen. Erstens muss die Einwilligung zu einem so frühen Stadium vorgenommen werden, dass die Willensfreiheit des Betroffenen bestehen bleibt. Zweitens muss im Falle einer richterlichen Kontrolle auch nachweisbar sein, dass die Willensfreiheit bestand. Deshalb ist wichtig, dass eine entsprechende Dokumentation des Vorgangs besteht. Dies kann beispielsweise durch die Aufnahme der Daten (Ort, Datum, Uhrzeit) des Aufklärungsgesprächs erfolgen. Dies hilft im Konfliktfall dem Gericht die Situation zu begutachten.

Der hohe Stellenwert der Selbstbestimmung stellt an den Arzt und alle anderen an der Behandlung und Betreuung beteiligten Berufsgruppen ethische, rechtliche und berufspraktische Anforderungen. Um im Alltag das Recht der Betroffenen würdigen zu können, müssen der Arzt und die Pflegenden die Kriterien der Selbstbestimmung nicht nur kennen, sondern auch einzelfallbezogen interpretieren können (DGPPN, 2014). Bei jeder Maßnahme ist der freie Wille des Betroffenen zu berücksichtigen und zu prüfen. Daher muss vor einer Beschränkung der Freiheit zunächst die aktuelle Einwilligungsfähigkeit evaluiert werden (Fogel und Steinert 2012, 28, 31).

Einwilligungsfähigkeit ist die Fähigkeit einer Person, in die Verletzung eines ihm zuzurechnenden Rechtsguts einzuwilligen. Erst hierdurch bleibt der nach den Grundsätzen der medizinischen Heilkunst korrekt durchgeführte ärztliche Eingriff, der sonst eine Körperverletzung im Sinne des § 223 StGB darstellt, straffrei. Denn § 228 StGB besagt:

»Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.«

Die Einwilligungsfähigkeit wurde seit 2009 – im Rahmen der Neuregelungen der Patientenverfügung – ausdrücklich in § 1901a BGB genannt. Seit dem 26.02.2013 ist die Einwilligung und ihre Voraussetzungen für die Durchführung einer medizinischen Maßnahme explizit in § 630d BGB geregelt.

Die Norm des § 1901a BGB wird ab 2023 in § 1827 BGB n. F. nahezu unverändert zu finden sein.

Wenn der Betroffene einer Maßnahme zustimmt, so ist zu beachten, dass der Betroffene in dem Moment seiner Zustimmung auch einsichtsfähig sein muss. Er muss die Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung erkennen können; ihm muss beispielweise bewusst sein, dass das Bettgitter ihn daran hindert, das Bett selbständig zu verlassen. Die Einwilligungsfähigkeit des Bewohners sollte vom behandelnden Arzt schriftlich bestätigt werden. Ein Beispiel für ein »Ärztliches Attest über die Fortbewegungsunfähigkeit des Bewohners« ist nachstehend abgedruckt. Die fehlende Einwilligungsfähigkeit sollte vom Arzt bestätigt werden, da dieser eine fachliche Expertise hierfür besitzt. Dass die Beteiligten von einer Einwilligungsfähigkeit ausgegangen sind, sollte dennoch bei bestehender Einwilligungsfähigkeit dokumentiert werden.

Bei einwilligungsunfähigen, betreuten Betroffenen hat der Betreuer die Einwilligung in die freiheitsentziehende Maßnahme im Rahmen des § 1906 Abs. 4 BGB zu erklären. Entsprechende Muster finden sich ebenfalls nachstehend. Zudem kann auf ein Muster für eine »Anregung des Betreuers der gerichtlichen Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme« zurückgegriffen werden.

Die Einwilligung des Bewohners ist in Dokumentation festzuhalten. Dafür sind unterschiedliche Formulare möglich.

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