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a) Neutralität und Status: Die Anfangsjahre des Gerichts

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Gleich die erste Herausforderung katapultierte das Gericht noch im Jahr seiner Gründung ins Zentrum der politischen Konflikte im Nachkriegsdeutschland. Strukturell standen der zukünftige Status und die Integrität des Gerichts auf dem Spiel. In der Sache ging es um die Pläne der Regierung Konrad Adenauers, im Rahmen einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft das deutsche Militär wieder einzurichten. Um die Frage der Wiederbewaffnung entbrannte ein intensiver politischer Konflikt, der weniger von grundlegenden antimilitaristischen Erwägungen geleitet war als vielmehr von der strategischen Frage, ob es klug sei, sich in die Verteidigungspolitik der westlichen Alliierten im Kalten Krieg einbinden zu lassen.[48] In diesem politischen Kontext versuchten Regierung und Opposition, das BVerfG für ihre jeweiligen Zwecke zu instrumentalisieren und sahen dabei den jeweils aus ihrer Sicht „günstiger“ besetzten Senat als zuständig an. Hintergrund war, dass in der ersten Besetzung des Gerichts der erste Senat vorwiegend mit SPD-nahen Richtern besetzt war, während der zweite Senat als regierungsfreundlicher galt.[49]

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Die SPD beantragte festzustellen, dass eine Wiederbewaffnung der Bundesrepublik ohne vorherige Grundgesetzänderung verfassungswidrig sei, weil das Grundgesetz die Wehrhoheit nicht vorsehe.[50] Das Gericht befand, dass der erste Senat für das Verfahren zuständig sei.[51] Daraufhin beantragte die SPD, dem Bundeskanzler per einstweiliger Anordnung aufzugeben, dass er bei einer eventuellen Ratifikation der in Frage stehenden völkerrechtlichen Verträge einen Vorbehalt dahingehend abgeben müsse, dass das Inkrafttreten der Verträge vom Ausgang des Verfahrens vor dem BVerfG abhängig gemacht werde.[52] Das BVerfG wies diesen Antrag zurück und zog sich auf den Standpunkt zurück, dass die Einhaltung der Verfassung bei der Aushandlung völkerrechtlicher Verträge auch von anderen Verfassungsorganen zu kontrollieren sei und einstweilige Maßnahmen auch noch später möglich seien.[53] Auch den ursprünglichen Normenkontrollantrag der SPD lehnte das BVerfG im Juli 1952 ab und begründete dies damit, dass eine Überprüfung des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge grundsätzlich erst nach der Beschlussfassung im Bundestag möglich sei.[54] Es gab also prinzipiell der politischen Austragung des Konflikts den Vorrang.

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Noch vor dieser Entscheidung des BVerfG nahm der Konflikt weiter Fahrt auf, als Bundespräsident Theodor Heuss im Juni 1952 einen – damals noch zulässigen – Antrag auf Erstellung eines Rechtsgutachtens durch das Plenum des BVerfG stellte, mit dem er eine Entscheidungsfindung durch beide Senate gemeinsam erzwingen wollte.[55] Als die Bundesregierung aber bald darauf die Sorge erfasste, dass das Plenumsverfahren zu ihrem Nachteil ausgehen könnte, entschied sie sich, die oppositionelle SPD-Fraktion in einem Organstreitverfahren anzugreifen.[56] Sie beantragte festzustellen, dass die parlamentarische Minderheit das Grundgesetz verletze, indem sie der Mehrheit das Recht bestreite, den EVG-Vertrag mit einfacher Mehrheit zu verabschieden.[57] Strategisch zielte der Antrag darauf ab, die Entscheidung in den zweiten Senat zu verlagern, der der Bundesregierung wohlgesonnener erschien. Das Plenum sah dadurch die Autorität des Gerichts herausgefordert, drohte es doch kurz nach der Gründung irgendwo zwischen Spielball und Rechtsberater der politischen Entscheidungsträger zu enden. Die Gefahr der Herabstufung zum politischen Ratgeber gehört zu den typischen Herausforderungen in der Anfangsphase verfassungsgerichtlicher Tätigkeit.[58] Das BVerfG entzog sich dieser Herabstufung,[59] indem es zur eigentlichen Sachfrage gar nicht Stellung nahm. Stattdessen entschied das Gericht, dass gutachterliche Entscheidungen keine bloßen Meinungsäußerungen der Richter seien, sondern an der gerichtlichen Autorität teilhätten.[60] Darüber hinaus entschied es, dass die Ergebnisse des Gutachtens die jeweiligen Senate in ihrer künftigen Entscheidungsfindung binden[61] und trug damit zur Klärung seines Selbstverständnisses bei. Das Signal war klar: Parteipolitische Manipulationen ließ das Gericht nicht mit sich machen, beide Senate ließen sich nicht gegeneinander ausspielen.[62] Der politische Streit endete später mit einer Änderung des Grundgesetzes und dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Das BVerfG aber hatte eine ernste Krise gemeistert. Und mehr noch: Es hatte die große Linie in außenpolitischen Konflikten vorgezeichnet. Außenpolitik sollte in Bonn gemacht werden, während Karlsruhe die dort gefundenen Kompromisse mit gebotener Zurückhaltung zu prüfen hatte.[63]

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Wie bewusst sich das Gericht in jener Zeit seines prekären Status war, zeigt sich an der Denkschrift, die es im Juni 1952 an die Adresse von Bundespräsident, Bundesrat und Bundesregierung verfasste. Es bezeichnete sich darin als ein „in seiner Eigenschaft als berufener Hüter der Verfassung […] mit höchster Autorität ausgestattetes Verfassungsorgan.“[64] Das BVerfG verlangte nach Anerkennung der besonderen Stellung, die ihm seiner Ansicht nach im Vergleich zur übrigen Gerichtsbarkeit zukam, und beanspruchte „Ebenbürtigkeit“ mit Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung.[65] Es verschaffte sich damit die von ihm selbst eingeforderte Autorität und suchte den offenen Konflikt mit anderen Organen, eine Selbstautorisierung, die auch anderen obersten Gerichten nicht fremd ist.[66] Trotz vielfacher Kritik[67] wurde das Gericht letztlich für seinen Mut belohnt:[68] Es war fortan nicht mehr dem Justizministerium unterstellt, bekam die Hoheit über seinen eigenen Haushalt und das eigene Personal.[69] Es zog im selben Moment aus dem Justizministerium aus, in dem es auch inhaltlich im Wiederbewaffnungskonflikt seine Emanzipation vollzog. Damit brach es offen mit der Tradition der verfassungsgerichtlichen Geschichte vor 1945, denn die noch in Weimar vorherrschende Skepsis gegenüber einem allzu unabhängigen Gericht auf Augenhöhe mit dem Gesetzgeber, war nun institutionell überwunden.[70]

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