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d) Strukturelle Herausforderung: Die Kehrseite der Verfassungsbeschwerde

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Die Verfassungsbeschwerde war ursprünglich das Stiefkind unter den Verfahrensarten; erst 1969 fand sie Aufnahme in das Grundgesetz. Von Beginn an war diese Verfahrensart aber einfachgesetzlich geregelt und wurde schnell zur populärsten und wohl auch aus Sicht des Gerichts effektivsten. Mithilfe der Urteilsverfassungsbeschwerde gelang es dem Gericht, seinen Einfluss auf die Fachgerichtsbarkeit wirkungsvoll auszuüben. Die Verfassungsbeschwerde kann daher als Motor der Konstitutionalisierung der Rechtsordnung bezeichnet werden, die mit dem Lüth-Urteil ihren Anfang nahm.[102] Zugleich konnte das Gericht nur mithilfe des Verfassungsbeschwerdeverfahrens zum Prototyp eines Bürgergerichts werden. Während diese partizipative Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit beispielsweise im ungarischen Verfassungsrecht bis 2012 durch die actio popularis, eine für alle Bürger zugängliche Form der Normenkontrolle, erfüllt wurde,[103] sieht das deutsche Verfassungsrecht hierfür ein separates und auf individueller Betroffenheit basierendes Verfahren vor. Die Kehrseite des Erfolgs der Verfassungsbeschwerde ist die immense Anzahl von inzwischen jährlich rund sechstausend Neueingängen.[104] Obwohl die Eingangszahlen in den Anfangsjahrzehnten noch deutlich darunter lagen,[105] hat das Thema der Überlastung des Gerichts eine lange Tradition.[106] Nach ersten Reformversuchen[107] wurde das Annahmeverfahren eingeführt. In seiner heutigen Form erlaubt es den Kammern, Verfassungsbeschwerden entweder durch einstimmigen Beschluss wegen fehlender Erfolgsaussichten abzulehnen oder ihnen stattzugeben, sofern die maßgebliche verfassungsrechtliche Frage bereits durch das BVerfG entschieden ist und die Beschwerde offensichtlich begründet ist.[108] Zudem wurden die Voraussetzungen für eine Annahme 1993 erstmals ausdrücklich geregelt und im Vergleich zu früheren Regelungen verschärft.[109]

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In der Diskussion war auch die Einführung einer „freien“ Annahmeentscheidung nach dem Vorbild des US Supreme Court.[110] Dieses Verfahren würde dem Gericht ermöglichen, seine Rechtsprechung stärker als bisher auf die Weiterentwicklung zentraler verfassungsrechtlicher Probleme zu fokussieren, wäre aber zugleich mit einer Veränderung des individualrechtsschützenden Charakters der Verfassungsbeschwerde verbunden.[111] Anstelle eines subjektiven Anspruchs des Einzelnen würde der Individualrechtsschutz als „genereller Auftrag und institutionelle Aufgabe des BVerfG“ verstanden.[112] Obwohl mit Blick auf die Schwierigkeiten der effektiven Verwirklichung des Individualrechtsschutzes im bestehenden Verfahren gute Argumente für diesen Vorschlag vorgebracht wurden,[113] hat er sich letztlich nicht durchgesetzt. So versucht das Gericht einstweilen, die hohe Anzahl von Verfassungsbeschwerden durch ein effektives Kammerverfahren zu bewältigen und die Senatsentscheidungen auf wesentliche Verfassungsfragen zu konzentrieren.

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