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bb) Entlastungseffekte durch das Kammerverfahren

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Die Nichtannahme von Verfassungsbeschwerden macht den größten Umfang der Kammerarbeit aus und entlastet die Senate von der Bearbeitung einer Vielzahl unzulässiger oder in der Sache nicht erfolgversprechender Verfassungsbeschwerden.[210] Anders als die übrigen Kammerentscheidungen muss die Nichtannahme gemäß § 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG nicht begründet werden.[211] Verstärkt wird der entlastende Effekt des Kammerverfahrens durch die 1985 eingeführte Möglichkeit der Kammern, Verfassungsbeschwerden gegen fachgerichtliche Urteile stattzugeben, wenn sie offensichtlich begründet sind und die maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das BVerfG bereits entschieden wurde.[212] Bei grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung der Verfassungsbeschwerde verbleibt es aber bei der Zuständigkeit des jeweiligen Senats.[213] Nichtannahme- und Stattgabe-Entscheidungen durch die Kammern sind jeweils unanfechtbar und können auch nicht vom jeweiligen Senat überprüft werden.[214] Auch Entscheidungen über den vorläufigen Rechtsschutz können die Kammern im Bereich der Verfassungsbeschwerde treffen. Über den Bereich der Verfassungsbeschwerden hinaus sind die Kammern seit 1993 befugt, die Unzulässigkeit bestimmter konkreter Normenkontrollanträge festzustellen.[215] Auch dies dient der Entlastung der Senate. Zur Entlastung des Gerichts insgesamt trägt das Kammerverfahren gleichwohl nicht bei, weil es keinen Mechanismus bereitstellt, die Zahl der Verfahrenseingänge zu kontrollieren.[216] Auch die Entscheidung im Kammerverfahren muss durch schriftliche Voten vorbereitet werden. Bei deren Erarbeitung werden die Richter zwar durch wissenschaftlichen Mitarbeiter unterstützt,[217] denen eine wichtige Funktion bei der inhaltlichen Vorbereitung des Votums und bei der Recherche von Hintergrundinformationen zukommt.[218] Dies bindet aber auch erhebliche Kapazitäten im Arbeitsablauf des Gerichts.

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Eine wichtige Funktion der internen Ausgestaltung des Verfahrens durch das Gericht liegt daher darin, sich den notwendigen Handlungsspielraum zu sichern, um diejenigen Fragen, die es für grundsätzlich erachtet, weiterhin in den Senaten und mit vertiefter Aufmerksamkeit zu behandeln.[219] Dabei erfährt die sogenannte „Verkammerung“[220] des BVerfG auch Kritik, weil man die Einheitlichkeit der Verfassungsinterpretation gefährdet sieht und bezweifelt, dass die Kammerentscheidungen sich tatsächlich auf einen Nachvollzug bestehender Verfassungsrechtsprechung durch die Senate beschränken.[221] Die Nichtannahme-Entscheidung werde oft nicht zur Arbeitsentlastung benutzt, sondern dazu, „zu sagen, was man ‚eigentlich‘ zum Thema zu sagen habe.“[222] Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich in der Kammerrechtsprechung eine interpretatorische Eigendynamik entwickelt, die eine Rückbindung nur noch an sehr allgemeine Aussagen der Senate aufweist.[223] Daran, dass das Gericht intern Lösungen finden muss,[224] um die Flut an Verfahrenseingängen vor allem im Bereich der Verfassungsbeschwerde zu bewältigen, ändern sie indes nichts. Solange also prinzipiell jeder Beschwerde eine individuelle Prüfung der Erfolgsaussichten zuteilwerden soll, wird sich eine interne Schwerpunktsetzung unterhalb der Senatsebene kaum verhindern lassen.

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