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1. Der Einfluss auf die Fachgerichtsbarkeit

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Das BVerfG genießt durch alle Institutionen hinweg eine große Akzeptanz. Die Konflikte mit dem Bundesgerichtshof hat es schon in der Frühphase seines Schaffens für sich entschieden.[450] Die fachgerichtliche Rechtsprechung ist heute vor allem aufgrund der Grundrechtsrechtsprechung des BVerfG und des Kammerverfahrens in hohem Maße verfassungsrechtlich durchtränkt.[451] Der zunehmende Rückzug des Staates aus vielen Bereichen der Daseinsvorsorge hat dazu beigetragen, dass die Bedeutung der Grundrechte im Verhältnis zwischen Privaten weiter gewachsen ist.[452] Um unter diesen Bedingungen die umfassende Geltung des Grundgesetzes zu gewährleisten, hat das BVerfG die Kontrolle der Grundrechtsmaßstäbe in der fachgerichtlichen Rechtsprechung konkretisiert und intensiviert.[453] Dadurch sieht sich das BVerfG umgekehrt aber auch verstärkter Kritik ausgesetzt, weil es letztlich um die heikle Frage geht, in welchem Umfang verfassungsrechtliche Maßstäbe die gesellschaftliche Selbstorganisation steuern sollen.

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Eine gegenläufige Verschiebung der Kräfteverhältnisse zwischen Bundeverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit ist aufgrund der zunehmenden Dezentralisierung des Grundrechtsschutzes in Europa zu erwarten. Wie für die meisten Verfassungsgerichte in Europa stellt diese Entwicklung auch das BVerfG vor Herausforderungen.[454] Zwar ist die Prüfungskompetenz der Fachgerichte eine wesentliche Voraussetzung für die Breiten- und Tiefenwirkung der verfassungsgerichtlichen Grundrechtsrechtsprechung; das BVerfG beansprucht lediglich das Monopol für die Normverwerfung. Die Herausforderung durch die unionsrechtlich indizierte Dezentralisierung liegt jedoch darin, dass der Grundrechtsschutz nunmehr im Zusammenspiel zwischen Fachgerichten und EuGH weiterentwickelt werden kann, ohne dass das BVerfG selbst in der Lage ist, den Inhalt und die Reichweite dieses Grundrechtsschutzes mitzubestimmen. Dies wird die Kräfteverhältnisse zwischen dem BVerfG und den Obergerichten bei der Fortentwicklung des Grundrechtsschutzes langfristig zugunsten der letzteren verändern.[455] Zudem erweist sich die typische Argumentations- und Entscheidungsstruktur des BVerfG als hinderlich. Anders als dem EuGH fällt dem BVerfG aufgrund seiner wissenschaftlich-verfassungspolitischen Maßstabsbildung eine situative Anpassung und Feinsteuerung des Grundrechtsschutzes schwer.[456] Es ist daher auf eine dialogische Entwicklung eines europäischen Grundrechtsverständnisses schlecht eingestellt und müht sich stattdessen darum, die alleinige Deutungshoheit für bestimmte Regelungsbereiche zu verteidigen.[457]

§ 97 Das Bundesverfassungsgericht › III. Rolle und Funktion des Bundesverfassungsgerichts: Kontroll- oder Steuerungsinstanz? › 2. Steuerungswirkungen gegenüber der Legislative

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