Читать книгу Kleine Geschichte Chinas - Kai Vogelsang - Страница 13
[54]Das Klassische Altertum: Der Wille zur Einheit und die Ordnung durch Bürokratie
ОглавлениеDas Klassische Altertum erlebte den Übergang von einer stratifizierten Aristokratie zu einer Gesellschaft, die durch die Differenzierung von Zentrum und Peripherie strukturiert war. In der Zeit der »Kämpfenden Staaten« (Zhanguo, 453–221 v. Chr.) wurde der alte Adel verdrängt, Herrscher nahmen eine immer entrücktere Position ein. Zwischen sie und das Volk trat eine neue Eliteschicht, die sich im Einheitsreich der Qin (221–206 v. Chr.) zu einer Bürokratie entwickelte. Der bürokratische Zentralismus wurde unter den Han (202 v. Chr. – 9 n. Chr.) fortgeführt, fand aber seine Grenzen in den Machtansprüchen lokaler Herrscher: mit den Reformen des Wang Mang (9–23 n. Chr.) endete der erste Versuch, ein chinesisches Einheitsreich zu schaffen.
Während die Regionalfürstentümer sich in der Zeit der »Kämpfenden Staaten« – Eisenguss und Massenheere revolutionierten die Kriegsführung – regelrecht zerfleischten, entstand eine neue Sozialstruktur, in der sich alle Selbstverständlichkeiten der alten Ordnung auflösten. Die dünne Schicht des Hochadels, die sich in der Chunqiu-Zeit gebildet hatte, wurde politisch immer stärker von der Hilfe nicht-adliger Berater abhängig. Wo zuvor einzelne Gestalten wie Konfuzius aufgetreten waren, bildete sich jetzt eine regelrechte ›Mittelschicht‹ heraus, eine gebildete Elite, welche die Gesellschaft entscheidend prägte. Diese Eliten waren wirtschaftlich und militärisch unmittelbar auf die Bauern angewiesen, deren Leben sich jetzt ebenfalls änderte. Eisenwerkzeuge und ausgeprägt warmes Klima – im Mittel 3 Grad wärmer als heute – trugen zu einer enormen Steigerung landwirtschaftlicher Produktivität bei, Handwerk und Handel entwickelten sich sprunghaft, die [55]Bevölkerung wuchs rasant, große Städte entstanden, in denen Händler und andere Emporkömmlinge die Ordnung des Adels untergruben und schließlich beendeten.
Schrift, vordem auf religiöse und staatliche Dokumente beschränkt, breitete sich weiter aus und wurde zum Medium der klassischen Philosophie. »Hundert Schulen« boten einer Zeit ihre Lehren an, in der es keine fraglose Wahrheit mehr gab. Männer wie Mo Di, Meng Ke, Xun Kuang und Han Fei entwickelten Konzepte für die Neuordnung einer Gesellschaft, die ihre traditionelle Legitimation verloren hatte. Ihre Lehren wurden klassisch. Sie bildeten den Fundus, auf den chinesische Denker bis heute zurückgreifen, den Kern der Philosophie Chinas – auch deshalb, weil »China« den Kern dieser Philosophie bildete. An ihrem Anfang stand die Frage, wie die sich herausbildende Gesellschaft Chinas zu organisieren sei, und am Ende die Antwort: in einem vereinten, bürokratisch regierten Reich.
Diese Denkbewegung fand ihr Pendant in den politischen Entwicklungen. Im 3. Jahrhundert v. Chr. gelang es dem Staat Qin, in schneller Folge die übrigen Staaten in der Nordchinesischen Ebene und am Yangzi zu besiegen und China erstmals in einem Reich zu vereinen. Die Qin organisierten das gesamte Reich in einer Weise, die maßgeblich für die nächsten 2000 Jahre wurde: (1) ein absoluter Kaiser an der Spitze, der sich (2) auf eine professionelle, zentralisierte und schriftlich kommunizierende Bürokratie und (3) einheitliches, positives Recht stützte; (4) ein gleichmäßig in Amtsbezirke und Kreise aufgeteiltes Reich, in dem (5) die Bauern Steuern zu entrichten sowie Arbeits- und Militärdienst zu leisten hatten.
Das Reich der Qin war der Gegenentwurf zur Adelsherrschaft. Es beruhte auf der Durchsetzung der Zentralmacht, die sich nicht auf eine eigenständige Adelsklasse stützte, sondern auf Verwaltungsbeamte, die unmittelbar vom Herrscher [56]abhängig waren. Alte Adelsprivilegien wurden abgeschafft, lokale Unterschiede systematisch nivelliert zugunsten der alles beherrschenden Unterscheidung zwischen Zentrale und Peripherie. Die Zentrale repräsentierte die Hochkultur, Recht und Ordnung, die in das ganze Reich ausstrahlten; die Peripherie dagegen kleinliche, lokal begrenzte Volkskultur.
Doch die Neigung zur Staatsbildung war keineswegs die treibende Kraft der chinesischen Geschichte, ganz im Gegenteil: es war der unablässige Widerstand gegen zentrale Kontrolle, der die Geschichte des Kaiserreichs bewegte. Die Qin gingen schon nach 14 Jahren unter. Die große Dynastie Han, die den Qin folgte und deren System übernahm, musste ihr Reich von Anbeginn mit lokalen »Königen« teilen.
Mehr noch: an der weiteren Peripherie erwuchsen den Han mit den Xiongnu mächtige Rivalen, deren sie sich nur durch erniedrigende Appeasement-Politik erwehren konnten. Erst unter Kaiser Wu (141–87 v. Chr.) gelang es dem Hof, sowohl die Territorialfürsten als auch die Xiongnu zu besiegen und kurzfristig den Herrschaftsanspruch der Zentrale durchzusetzen. Unterstützt wurde er von Literaten, die aus der Lehre des Konfuzius und anderen Einflüssen eine politische Ideologie formten. Aber noch war die Zentrale zu schwach, um ihre Macht auf Dauer zu behaupten: ein kaiserlicher Regent, Wang Mang, usurpierte 9 n. Chr. den Thron und gründete eine neue Dynastie, die jedoch bald wieder unterging.
Auch wenn beide Dynastien politisch scheiterten: die Qin und die Han schufen das zeitlose Modell chinesischer Staatlichkeit. Unsere Bezeichnung »China« soll sich – eine unbewiesene, aber reizvolle These – vom Namen Qin herleiten; und wenn die Chinesen sich bis heute »Han« nennen, gründen sie ihr Selbstverständnis in der langlebigen Dynastie, die den Qin folgte. Das Erbe des Klassischen Altertums war das Ideal der Einheit.
––––––––––
[57]453 v. Chr. Teilung Jins: Beginn der Zhanguo-Zeit
359 Reformen des Shang Yang in Qin
256 Qin erobert die Zhou-Domäne: Ende der Dynastie
221 Reichsgründung durch Qin Shi huangdi
213 Bücherverbrennung
207 Sturz der Qin
202 Liu Bang wird Kaiser: Beginn der Han-Dynastie
187–180 Interregnum der Kaiserin Lü
180–157 Kaiser Wen
157–141 Kaiser Jing
154 Aufstand der Sieben Königtümer
141–87 Kaiser Wu
119 Einrichtung von Staatsmonopolen
112–108 Expansion nach Süden und Südwesten
109–108 Unterwerfung von Korea
81 Diskussionen um Salz und Eisen
9–23 n. Chr. Herrschaft des Wang Mang
11 Der Gelbe Fluss ändert seinen Lauf
22 Rebellion der »Roten Augenbrauen«
––––––––––