Читать книгу Kleine Geschichte Chinas - Kai Vogelsang - Страница 18

[82]Die Qin (221–206 v. Chr.)

Оглавление

Im politischen Sinn beginnt die Geschichte Chinas erst mit den Qin. Das Reich, das Qin 221 v. Chr. unter seine Herrschaft zwang, war das größte, das China bis dahin gesehen hatte. Über zwei bis drei Millionen km2 dürfte es sich erstreckt haben, vom Sichuan-Becken bis zum Gelben Meer und von der Ordos-Wüste bis ins Tiefland südlich des Yangzi: ein unermessliches Gebiet in Zeiten, als Reisen noch weitaus langwieriger und beschwerlicher waren als heute. Berittene Kuriere legten kaum mehr als 30 km am Tag zurück, und selbst Eilboten bewältigten nur rund 80 km in 24 Stunden. Nachrichten aus Hunan etwa brauchten mehr als drei Wochen, bis sie in der mehr als 600 km entfernten Hauptstadt eintrafen.

––––––––––

Die Ausmaße des Qin- bzw. Han-Reiches waren nur jenem Reich am anderen Ende des eurasischen Kontinents zu vergleichen, dem römischen. Beide Reiche existierten nicht nur zeitgleich, sie waren auch ähnlich groß, hatten etwa eine gleiche Bevölkerung von 50–60 Millionen Menschen, und sie wurden gleichermaßen zum Vorbild späterer Staaten auf ihrem Kontinent. In beiden Reichen regierten Kaiser, ungehindert von einer Priesterkaste oder einem politisch mächtigen Geburtsadel, über eine weitgehend agrarische Bevölkerung. Beide verstanden sich als Imperien: als Zentrum der Welt, von dem alle Zivilisation ausstrahlte. Beide waren Weltreiche – und nur deshalb konnten sie zeitgleich bestehen, weil sie Welten voneinander entfernt waren.

––––––––––

Die Einheit dieses Großreichs war im 3. Jahrhundert v. Chr. keineswegs selbstverständlich. Die dringendste Aufgabe der Qin war es, die neuerworbenen Gebiete zu sichern, um sie dauerhaft zu besitzen. Dazu vergaben die Qin nicht etwa, wie die Zhou-Herrscher 800 Jahre zuvor, Lehen an Verwandte und [83]Vasallen, sondern sie verfügten einen radikalen Bruch mit der althergebrachten Ordnung. Ihr Kanzler, Li Si (ca. 280–208 v. Chr.), ließ alle verbliebenen Lehen abschaffen, die Strukturen der zhanguo-zeitlichen Staaten auflösen, ihre Chroniken und Akten vernichten, und – Höhepunkt einer brachialen Zentralisierungspolitik – 120 000 Familien in die Hauptstadt Xianyang (beim heutigen Xi’an) umsiedeln. Jetzt wurde das gesamte Reich in 36 zentral verwaltete Amtsbezirke eingeteilt, die wiederum in Kreise untergliedert waren. Von einer professionellen Beamtenschaft verwaltet, waren sie die Grundlage für Besteuerung und Wehrdienst.

Das charakteristischste Merkmal des Qin-Reichs war die Bürokratie. Die Herrschaft der Schreibstube, eine geradezu modern anmutende Institution, war möglich geworden durch die Verbreitung von Schrift, die sich in der Zhanguo-Zeit auf die Administration ausgeweitet hatte. Unter den Qin entwickelte sich dann die früheste flächendeckende, rational organisierte und zentral geleitete Bürokratie des Altertums. Die vornehmste Aufgabe dieser Bürokratie war es, Steuern einzutreiben; mit diesen Steuern wurde das Militär finanziert; das Militär wiederum diente zur Unterstützung der Bürokratie: ein sich selbst verstärkender Zyklus von Ausbeutung und Unterdrückung, der die Stabilität der Zentralmacht verbürgte – solange er funktionierte.

Ein typisch bürokratisches – und ausgesprochen modernes – Phänomen waren die Normierungen, die unter den Qin durchgesetzt wurden: Maße, Gewichte, der Kalender, die Währung und sogar die Spurbreite von Gefährten (die entsprechende Rinnen in die Lehmstraßen gruben) wurden im ganzen Reich vereinheitlicht. Am folgenreichsten aber war die Vereinheitlichung der Schrift, die unter den Qin durchgesetzt wurde. Unter der Leitung des Kanzlers Li Si wurden die teilweise erheblich divergierenden Schreibungen, die sich in den [84]verschiedenen Staaten der Zhanguo-Zeit herausgebildet hatten, durch eine standardisierte »Kanzleischrift« ersetzt. Auch wenn diese Standardisierung schon bald durch die Praxis untergraben wurde, bedeutete sie doch eine tiefe Zäsur in der Geschichte der chinesischen Schrift – und der Literatur, die mit ihr geschrieben war.

Der Erste Kaiser soll auf Anraten von Li Si 213 v. Chr. eine Bücherverbrennung befohlen haben, der – mit Ausnahme prognostischer und medizinischer Texte – alle Schriften der Zhanguo-Zeit zum Opfer fallen sollten: Chroniken der Regionalstaaten (außer Qin), historische Literatur sowie die Werke der »Hundert Schulen«. Die Früchte der klassischen Philosophie sollten vernichtet werden, auf dass niemand mehr »die Gegenwart mit der Vergangenheit kritisieren« könne. Der Besitz alter Schriften wurde unter strenge Strafe gestellt, ja selbst lebende Erinnerung und mündliche Überlieferung – potentiell subversiv und staatsgefährdend – sollten eliminiert werden. So ließ der Erste Kaiser angeblich 460 Gelehrte umbringen, die gegen seine Politik protestiert hatten. Jede Form der Heterodoxie wurde im Staat der Qin mit aller Härte verfolgt, jeder Verstoß gegen die Normen unnachsichtig geahndet.

Nicht nur innere Subversion bildete eine Gefahr für das Reich der Qin, ebenso gefährlich erschien die äußere Bedrohung durch die Steppenvölker im Norden. Auch dort gingen die Qin über Leichen, um ihre Macht zu sichern. Indem er die zhanguo-zeitlichen Mauern von Yan, Zhao und Qin (S. 65) verbinden ließ, schuf der Erste Kaiser einen Verteidigungswall von »10 000 Meilen« Länge, der sich von der Manjurei bis zum heutigen Lanzhou erstreckte. 300 000 Zwangsarbeiter sollen an dieser Mauer aus gestampfter Erde geschuftet haben, in Ketten gelegt, mit roter Häftlingskleidung, viele von ihnen zur Strafe tätowiert oder verstümmelt. Unzählige Menschen wurden in der Großen Mauer begraben. Auch wenn die Mauer der [85]Qin schon bald verfiel – erst im 16. Jahrhundert wurde die steinerne Mauer gebaut, die wir heute kennen –, blieb sie ein beständiges Monument des Leids, das dem chinesischen Volk durch seine Herrscher zugefügt wurde.

So aufwendig, wie die Qin ihr Reich nach außen begrenzten, verbanden sie es im Inneren. Sie schufen ein weites Netz von Straßen, das dem des Römischen Reiches nicht nachstand. Sternförmig von der Hauptstadt Xianyang nach Norden, Nordosten, Osten und Südosten ausgehend, soll sich dieses Straßennetz über 6800 km erstreckt und die Bewegung von Truppen wesentlich beschleunigt haben. Den Süden erschlossen die Qin weniger zu Land als zu Wasser. Sie schufen ein mehr als 4000 km langes System von schiffbaren Wasserwegen, das vom Unterlauf des Gelben Flusses bis nach Guangzhou im fernen Süden führte. Diese ›barbarischen‹ Gebiete, die bislang weit jenseits der chinesischen Welt gelegen hatten, wurden nun erstmals von Norden her erobert. Mit einem Heer von 500 000 Soldaten unterwarfen die Qin schon bald nach der Reichseinigung das heutige Fujian, Guangxi und Guangdong. Die Qin vereinten nicht nur die Staaten »unter dem Himmel«, sondern expandierten ständig weiter. Über rund 3,5 Millionen km2 erstreckte sich ihre Herrschaft schließlich, ein Reich, das die Welt bedeutete: »In allen Richtungen ist das Land des Kaisers«, verkündete eine Inschrift der Zeit,

»westlich überquert es die Sandwüste, südlich erstreckt es sich bis dorthin, wo die Häuser nach Norden zeigen, östlich umfasst es das Ostmeer, nördlich reicht es bis jenseits von Daxia (Shanxi?). So weit menschliche Spuren führen, ist keiner, der ihm nicht untertan ist.«

(Shiji 6)

Dennoch ist das Bild dieses Herrschers merkwürdig ambivalent: Der Architekt eines rationalen Staates, der am Tag [86]120 Pfund auf Holz und Bambus geschriebener Akten bearbeitet haben soll, war auch zutiefst abergläubisch; der Despot, der gelehrte Berater hinrichten ließ, umgab sich mit Magiern, Wahrsagern und Alchimisten; der Massenmörder war besessen von Todesangst. 270 Paläste ließ er sich angeblich bauen, verbunden durch geheime Gänge, in denen er sich wechselweise aufhielt, damit niemand seinen Aufenthaltsort kenne. Sein Leben lang trachtete er danach, ein Elixier der Unsterblichkeit zu finden, das er auf einer fernen Insel der Unsterblichen vermutete. Er schickte eine Gesandtschaft aus, um sie zu suchen (sie kehrte nie zurück), und vielleicht hingen auch seine eigenen Reisen an die Küste mit dieser manischen Suche zusammen. Es mutet wie eine Ironie der Geschichte an, dass der Erste Kaiser von Qin 210 v. Chr. ausgerechnet auf einer dieser Reisen, 500 km entfernt von der Hauptstadt, starb.

Qin Shi huangdi wurde in einem prächtigen Mausoleum bei Xianyang begraben – wie prächtig, das wurde erst deutlich, als im März 1974 die Terrakotta-Armee gefunden wurde, die dieses Grab bewachte. Eine ca. 8 km2 große Nekropole wurde in den nächsten Jahrzehnten freigelegt, ausgestattet mit einem Palast, Wohnanlagen, Opferstätten, Dutzenden weiteren Gräbern, Gruben mit geopferten Pferden und anderen Beigaben sowie rund 8000 Terrakotta-Figuren: Generälen, Fußsoldaten, Reitern, Wagenlenkern, Bogenschützen, ganzen Pferdegespannen – die Elitetruppen des Ersten Kaisers, lebensecht und individuell gestaltet. Sie geben ein eindrucksvolles Zeugnis von der Macht, aber auch der Hybris des Herrn, dem sie dienten.

Mit der charismatischen Person des Ersten Kaisers ging auch sein Reich unter. Sein Nachfolger, durch die Ränke eines Eunuchen an die Macht gekommen, erwies sich als unfähig, die Regierung zu führen, der Kanzler Li Si wurde auf grausame Weise umgebracht, und so wie die Zentrale zerfiel auch das Reich. Die [87]Qin hatten sich in ihrem explosiven Wachstum überdehnt. Der Staat als Militärmaschine, die eine gewaltige Expansion ermöglichte, musste immer weiter wachsen, um sich selbst zu erhalten. Der Krieg wurde in diesem System zum Selbstzweck. Je mehr Mittel die Qin für ihre Eroberungen einsetzten, desto mehr Ressourcen mussten sie erschließen; um den Zyklus von Ausbeutung und Unterdrückung aufrechtzuerhalten, bedurfte es immer neuer Feldzüge und größerer Bauprojekte. Der Qin-Staat war dazu verdammt, beständig zu wachsen und sein Volk immer stärker auszubeuten – bis er die Kontrolle über seinen überdimensionierten Militärapparat verlor.

Jetzt implodierte das Reich. In vielen Teilen des Reichs kam es zu Revolten, die deutlich machten, dass der Staat der Qin die regionalen Kulturen des Alten China zwar überlagert, aber keineswegs ausgelöscht hatte. Nun wurde er seinerseits von Truppen aus dem Land gestürzt, das seit jeher sein ärgster Rivale war: aus Chu. Deren charismatischer Führer, Liu Bang (ca. 256–195 v. Chr.), ursprünglich Polizeihauptmann in einem Provinznest, gewann nach dramatischen Kämpfen die Herrschaft über das Reich. Der letzte Qin-Herrscher wurde 206 v. Chr. getötet, und die prächtigen Paläste von Xianyang brannten nieder: das Qin-Regime war nach nur 15 Jahren an sein Ende gekommen. Liu Bang aber wurde 202 v. Chr. zum Kaiser und »Hohen Ahnherrn« (Gaozu) einer neuen Dynastie: der Han.

Kleine Geschichte Chinas

Подняться наверх