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Autokratie und Expansion

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Ihre größte Zeit erlebten die Han unter Kaiser Wu, dem »Kriegerischen« (141–87 v. Chr.), einem der eindrucksvollsten Herrscher der chinesischen Geschichte. Unter seiner Regierung erreichten die Han ihre größte militärische Ausdehnung und brachten ihren bedeutendsten Historiker, Sima Qian, ihren einflussreichsten Philosophen, Dong Zhongshu, und ihren Dichterfürsten, Sima Xiangru, hervor. Unter ihm entstanden neue Institutionen und Präzedenzien, die bestimmend wurden für chinesische Vorstellungen von Staat und Herrschaft; jetzt wurden die Beziehungen zwischen Zentrale und [97]Peripherie in allen Bereichen radikal umgestaltet und das Reich der Han nicht nur nominell, sondern auch faktisch geeint.

Durch aggressive Maßnahmen stärkte Kaiser Wu die Zentralmacht in allen Bereichen: gegenüber den Beamten, der Provinz und den ›Barbaren‹. Zunächst setzte er eine autokratische Herrschaft durch, indem er die Spitze der Verwaltung umging. Seine Kanzler ließ Kaiser Wu regelmäßig absetzen oder umbringen und herrschte stattdessen durch ein persönliches Sekretariat. Die Titularfürsten entmachtete er systematisch, indem er sie verurteilen oder enteignen ließ und sie zwang, ihre Herrschaftsgebiete nicht einem Sohn zu vererben, sondern unter allen gleichmäßig zu verteilen. Innerhalb weniger Generationen waren die Titularfürsten zersplittert und machtlos.

Vor allem aber ging Kaiser Wu gegen die Xiongnu vor, die immer wieder den Friedensvertrag verletzt und Raubzüge gegen das Reich der Han geführt hatten. Ab 133 v. Chr. beendete Kaiser Wu die Politik der »Verwandtschaft und Harmonie« mit den Xiongnu und ging in die Offensive. Er lancierte zum einen mehrere große Frontalangriffe durch die Mongolei, mit denen er den Xiongnu verheerende Niederlagen beibrachte, und versuchte zum anderen, sie in einer Zangenbewegung von Westen anzugreifen. Dort, in Zentralasien, siedelten nicht Chinesen, Xiongnu oder andere Völker der Steppe, sondern eine Vielfalt meist indo-europäischer Völker: »Menschen mit tiefliegenden Augen und hohen Nasen.« Unter ihnen wollte Kaiser Wu Verbündete für seinen Plan gewinnen. 139 v. Chr. schickte er den Gesandten Zhang Qian aus, um Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Die Expedition, eine wahre Odyssee, war ein kolossaler Fehlschlag: Zhang Qian geriet zehn Jahre lang in die Gefangenschaft der Xiongnu und fand auch bei den Völkern im Westen keine Unterstützung.

Dennoch wurden Zhang Qians Reisen legendär. Unermessliche kulturelle Bereicherung sollen sie dem Han-Reich [98]beschert haben. Zhang Qian, so heißt es, habe nicht nur die ersten Berichte aus der hellenistischen Welt jenseits des Pamir, sondern auch viele ihrer Produkte nach China gebracht: Trauben, Klee, Gewürze, Pfirsiche und vor allem die sagenhaften »blutschwitzenden« Pferde von Ferghana – eine wertvolle Ressource für sein Land, dem es stets an Pferden mangelte. Zhang Qian wird als Vater der ›Seidenstraßen‹ verehrt, jenes 7000 km langen Netzes von Handelswegen, das die Enden des eurasischen Kontinents miteinander verband. Unter Kaiser Wu weiter ausgebaut, brachten die Karawanenwege chinesische Seide bis nach Rom und Exotica aus Mittelasien und Indien an den Hof der Han:

»Von da an füllten glänzende Perlen, Schildkrötenpanzer, Rhinozeroshörner, Eisvogelfedern die Paläste der Kaiserin; Schilfspitzen-, Drachenmuster-, Perlenglanz- und blutschwitzende Pferde drängten sich am Kaiserhof; Herden von großen Elefanten, Löwen, Raubtieren und Straußen lebten in den äußeren Parks; die exotischsten Dinge kamen aus allen vier Himmelsrichtungen.«

(Hanshu 70)

Die Orientierung nach Westen diente von Anbeginn auch der Erschließung von Land. Entlang der Seidenstraße wurden zahlreiche Grenzstationen errichtet: Militärstützpunkte und zugleich Zentren ziviler Besiedlung, in denen freie Bauern fern von den Latifundien der Lößebene angesiedelt wurden. Etwa zwei Millionen Menschen sollen in den Gansu-Korridor und in das Tarim-Becken umgesiedelt worden sein: eine Expansion, die dauerhaft zwar nicht das Gebiet Chinas, aber doch seinen Horizont deutlich erweiterte. Seither ist die Geschichte Chinas ein Teil der Geschichte Asiens.

Der Vorstoß nach Zentralasien war Teil einer geradezu explosiven Ausweitung des Reiches unter Kaiser Wu. In alle [99]Himmelsrichtungen schickte der »Kriegerische« seine Armeen: nach Süden, wo 138 v. Chr. die Gegend des heutigen Fujian und 111 v. Chr. das heutige Guangzhou besetzt wurden, nach Nordosten in die heutige Manjurei und sogar auf die koreanische Halbinsel, wo 108 v. Chr. chinesische Verwaltungszentren errichtet wurden. Mit den Feldzügen der Qin und Han begann ein Prozess, der sich über 1500 Jahre fortsetzen sollte: die chinesische Kolonisation des Südens. Doch der Zugriff auf die besetzten Gebiete südlich des Yangzi war zunächst weder fest noch flächendeckend. Die Han etablierten in dem dünn besiedelten Land lediglich kleine Außenposten, meist entlang der Flusstäler, und überließen die Verwaltung ansonsten den Einheimischen, denen sie chinesische Titel verliehen. Diese Einheimischen, »die sich den Kopf kahlscheren, Leib und Arme tätowieren und ihre Kleider links knöpfen«, waren im übrigen keineswegs Wilde, sondern zum Teil hochzivilisierte Völker. In der Nähe des heutigen Kunming, an der Handelsstraße nach Burma, blühte vom 4. bis 1. Jahrhundert v. Chr. das Königreich der Dian, dessen hochentwickelte Bronzekultur – Waffen, Schmuck, Trommeln, Figuren von Tieren und tanzenden Menschen – erst in den 1950er Jahren entdeckt wurde. Südöstlich davon, in der Gegend des heutigen Guangzhou, bestand ein Jahrhundert lang das autonome Kaiserreich Nanyue, das dem der Han an Pracht kaum nachstand.

Die Han gerieten indes mit der Expansion unter Kaiser Wu in dieselbe gefährliche Spirale, die schon die Qin zu Fall gebracht hatte. Die Militärmaschine, die zur Stärkung und Bereicherung des Staates diente, brauchte selbst immer mehr Ressourcen, um ihre Schlagkraft aufrechtzuerhalten. Der Staat wurde nun selbst zum Wirtschaftsakteur, indem er eine Reihe von Monopolen auf essentielle Güter einrichtete: Salz, Eisen, Alkohol und Münzgeld. Besonders der lukrative Handel mit Salz und Eisen wurde zu einer wichtigen Einnahmequelle für [100]den Staat. Die Staatsmonopole dürften wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Han sich noch ein weiteres Jahrhundert an der Macht halten konnten.

Kaiser Wu der Han ist oft mit dem Ersten Kaiser der Qin verglichen worden. Wie dieser bekräftigte er seinen Machtanspruch durch ausgedehnte Reisen sowie aufwendige Kulthandlungen; und seine politischen Maßnahmen – Zentralisierung, Autokratie, Angriffskriege, harsche Strafen, hohe Steuern, Fronarbeit und kollektive Verantwortung – waren Legismus reinsten Wassers. Auch den Glauben an Magier und Wundertäter teilte Kaiser Wu mit Qin shi huangdi. An seinem Hof tummelten sich Astrologen, Wahrsager, Zauberer und Schamanen; Daoisten verhießen mit makrobiotischen oder sexuellen Techniken langes Leben, Alchimisten versprachen aus Zinnober Gold herzustellen, Geomanten richteten Gräber und Wohnhäuser glückbringend aus, und Geisterbeschwörer führten Regentänze auf. »Keiner«, so spottete ein Zeitgenosse, »der nicht mit den Händen wedelte und behauptete, er kenne geheime Techniken und verstehe sich auf Geister und Unsterbliche.«

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