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Die frühen Jahre: Harmonie und Nichttun

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Die frühen Han-Kaiser regierten zurückhaltend, indem sie den Beamten ihr volles Recht einräumten, Titularkönige mit regionalen Privilegien ausstatteten und den Xiongnu Tribut zollten. Man sagt ihnen nach, sie hätten durch »Nichttun« regiert, und das Reich sei wohlgeordnet gewesen. Die frühen Han-Kaiser waren nicht etwa ›Konfuzianer‹, sondern Anhänger der daoistischen Huang-Lao-Schule. »Die Kunst des Herrschers«, die diese Schule lehrte,

»besteht darin, durch Nichttun zu handeln und ohne Worte zu unterweisen; er bleibt lauter, ruhig und unbewegt, gleichmäßig und ungerührt; folglich vertraut er seinen Untergebenen und erzielt Erfolge, ohne sich zu mühen.«

(Huainan zi 9)

[94]Diese Politik des Laisser-faire, so harmlos sie anmutet, war nicht nur ein daoistisches, sondern auch ein legistisches Ideal. Das Gesetz, einmal erlassen, funktioniert automatisch und zuverlässig, so dass ein Eingreifen des Herrschers überflüssig wird. Genau besehen, bezeugt das »Nichttun« der Kaiser nur den Erfolg der Bürokratie, die das Reich mit ihrem anonymen Apparat beherrschte. In der Verwaltung, welche die Han intakt von den Qin übernommen hatten, liefen alle Fäden zusammen. Sie kontrollierte den gesamten Schriftverkehr zwischen Zentrale und Provinz, bestimmte, was zum Kaiser gelangte und was von ihm ausging. Der Kaiser von China, Inbegriff eines absoluten Herrschers, konnte in Wahrheit kaum je autokratisch herrschen: das System wies ihm eine neutrale, weitgehend passive Rolle zu. Eingebunden in ein striktes Protokoll und überwältigt von einer Flut von Dokumenten, konnte und durfte er nur über Vorschläge der Verwaltung entscheiden, nicht aber politische Initiative übernehmen. Die Beamten waren die sprichwörtlichen »Augen und Ohren« des Kaisers, ohne die er nicht regieren konnte. Dasselbe galt aber auch umgekehrt: die Beamten brauchten den Kaiser als Legitimation ihrer Macht.

Die ersten 50 Jahre der Han, geprägt von daoistisch-müßigen Kaisern, waren eine Zeit des Friedens und der Prosperität. Wie wohlhabend selbst kleine Lokalfürsten in dieser Zeit waren, belegen Grabfunde wie die von Mawangdui, im heutigen Hunan. Dort wurden 1972 drei Gräber der Markgrafen von Dai gefunden, eines winzigen Fürstentums mit 700 Haushalten. Diese Gräber waren überaus reich ausgestattet. Über 1000 Grabbeigaben fand man in ihnen: exquisite Seidenkleider, kostbare Lackbehälter, Möbel, Geschirr, Speisen, Musikinstrumente, Grabgeld, Holzfiguren und eine große Grabbibliothek mit Dutzenden auf Seide geschriebenen Texten – Schatzkammern auch für die moderne Forschung.

[95]Der Reichtum der Han-Eliten hatte seine Kehrseite im Leid der Bauern. In der zeitgenössischen Lehre von den »Vier Ständen« der Gesellschaft – Gelehrten, Bauern, Handwerkern, Händlern – nahmen die Bauern den zweithöchsten Platz ein. Doch die Realität sprach dieser Theorie hohn. Die Bauern, sonnenverkohlte, halbnackte und ausgemergelte Gestalten, fristeten ein erbärmliches Dasein am Rande der Gesellschaft.

»Im Frühjahr sind sie den schneidenden Winden und dem Staub ausgesetzt, im Sommer schwitzen sie unter der Glut der Sonne, sie erstarren unter den herbstlichen Regengüssen und zittern vor Kälte im Winter. Das ganze Jahr rasten sie nicht einen einzigen Tag. […] Geplagt sind sie mit tausend Pflichten, dann aber stürzen noch Naturkatastrophen über sie herein – seien es Dürren oder Überschwemmungen. Sie müssen die Forderungen einer allzu harten Regierung erfüllen, den Steuererhebungen der Jahreszeit entsprechend nachkommen. […] Wer etwas Eigentum besitzt, muss es zum halben Preis verkaufen, wer aber nichts hat, muss für den doppelten Wert borgen gehen. Ach, wie oft geschieht es, dass ein Bauer seine ganze Habe verkaufen muss, seine Felder, seinen Hof und sogar seine Kinder und die Enkelkinder, um jene Schulden zu bezahlen.«

(Chao Cuo, Hanshu 24)

Die Bauern lebten stets am Rande des Existenzminimums. Eine fünfköpfige Familie, die knapp zwei Hektar Land beackerte, konnte eine durchschnittliche Ernte von höchstens drei Tonnen Getreide erzielen, von denen sie Steuern, Kleidung, Werkzeug und allen Bedarf des täglichen Lebens bestreiten musste. Das mochte zum Leben reichen – aber wehe, wenn es ein schlechtes Jahr oder gar Heuschreckenplagen und Überflutungen gab. Dann begann der unerbittliche Mechanismus, den der oben zitierte Text beschreibt. So, wie freie Bauern im [96]europäischen Mittelalter vor der drückenden Heerespflicht ihre Grundrechte oft an Adlige übergaben und zu Hörigen wurden, gerieten auch chinesische Bauern in Abhängigkeit von Grundherren. Um die Steuern zu bezahlen, mussten Bauern Kredite zu Wucherzinsen aufnehmen, verschuldeten sich und waren schließlich gezwungen, ihre Äcker an Großgrundbesitzer zu verkaufen, die mit der Zeit immer mehr Land in ihrem Besitz konzentrierten.

Damit bröckelte das Fundament des Reiches selbst: die freie Kleinbauernschaft, auf deren Steuern und Dienstleistungen der Staat angewiesen war. Bauern, die zu Pächtern wurden, verschwanden oft von den Steuerlisten, wodurch die verbliebenen Bauern umso stärker belastet wurden und ihrerseits in den fatalen Strudel von Schulden und Enteignung gerieten. Im selben Maße, wie die Zentralregierung durch diesen Prozess geschwächt wurde, entstanden mit den Großgrundbesitzern neue Machthaber auf lokaler Ebene, die dem Staat Steuern und Gehorsam verweigern konnten. Während die Eliten florierten, brachte die Not der Bauern die Dynastie in Bedrängnis: der Zyklus von Ausbeutung und Unterdrückung neigte sich nach unten.

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