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Die Zhou

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Etwa im Jahre 1050 v. Chr. wurde die berühmteste Schlacht des chinesischen Altertums geschlagen. König Wu der Zhou hatte eine Armee von rund 50 000 Soldaten auf der Ebene von Muye vor den Toren der Shang-Hauptstadt versammelt, um den [33]despotischen letzten Herrscher der Shang, Zhouxin, zu stürzen. Dieser Zhouxin soll der verkommenste Schurke unter der Sonne gewesen sein, trunksüchtig, lüstern und bestialisch grausam. Er soll Orgien in »Weinseen« und »Fleischwäldern« gefeiert und sich an den Qualen seiner Opfer ergötzt haben. Verurteilte soll er über glühende Kohlen getrieben haben, seinen eigenen Onkel ließ er zerfleischen, weil der ihn kritisiert hatte, und seinen treuen Verbündeten, den nachmaligen König Wen von Zhou, sperrte er sechs Jahre lang in den Kerker. Für all das, so heißt es, wollte König Wu »die Strafe des Himmels« an ihm vollstrecken. Trotz einer erdrückenden Übermacht von 700 000 Soldaten, die der Shang-König ihm entgegensandte, eroberten die Zhou seine Hauptstadt. Zhouxin starb in den Flammen seines Palastes, und König Wu verkündete, dass er das Mandat des Himmels erhalten habe, anstelle der Shang zu herrschen.

Für die traditionelle Geschichtsschreibung ist der letzte Shang-König zum Inbegriff des Bösen, die frühen Zhou-Herrscher hingegen zu Säulenheiligen der Tradition geworden: die Könige Wen und Wu sowie dessen Bruder, der Herzog von Zhou, der nach König Wus Tod für sieben Jahre die Regentschaft übernommen und die Grundlagen eines wohlgeordneten Gemeinwesens geschaffen haben soll. Die Zhou hätten sich demnach nicht etwa durch Geburt oder unveräußerliches Recht legitimiert, sondern durch Moral, konkreter: durch das »Mandat des Himmels«. Nach dieser Vorstellung verlieh der Himmel, der oberste Gott der Zhou, einem tugendhaften Herrscher den Auftrag, als König zu regieren. Er konnte es jedoch, wenn dessen Nachfolger vom Pfad der Tugend abwichen und die Regierung vernachlässigten, wieder entziehen und einer anderen Herrscherfamilie übertragen. Das »Mandat des Himmels«, eine findige Konstruktion zur Rechtfertigung von Herrschaft ebenso wie von Rebellion, [34]wurde in der späteren Tradition zur vielzitierten Richtschnur der Regierung.

Ob sich all diese Dinge zu Beginn der Zhou-Zeit auch nur annähernd so abgespielt haben, erscheint heute zweifelhaft. Der archäologische Befund legt nahe, dass die Zhou weniger kultivierte Gutmenschen waren als rustikale Parvenus. Sie siedelten weit entfernt von den Shang auf dem Lößplateau, im Zentrum des heutigen Shaanxi. Guanzhong, »Inmitten der Pässe«, ein historisch immens wichtiges Gebiet, auf dem mehr als zehn chinesische Dynastien ihre Hauptstadt bauten, bildete die Verbindung zwischen der »chinesischen« Welt und den fernen »Westgebieten«. Die Zhou waren eines von vielen kleinen Völkern in Guanzhong, die verglichen mit den Shang rückständig waren und stärkere Verbindungen nach Westen gehabt zu haben schienen als zur Nordchinesischen Ebene. Es dürfte kaum die Unmenschlichkeit des fernen Shang-Königs gewesen sein, welche die Zhou in die Nordchinesische Ebene geführt hat. Wahrscheinlich war es eine klimatische Abkühlung im späten 2. Jahrtausend, die ihre Nahrungsgrundlage in Guanzhong bedrohte und sie in das 600 km entfernte Anyang trieb. Wie es den Zhou aber gelang, die technisch weit überlegenen Herrscher der Shang zu besiegen, bleibt ein Rätsel.

Doch mit dem »Mandatswechsel« scheint sich zunächst nicht viel geändert zu haben. Die Zhou übernahmen fast alle Zivilisationstechniken von den Shang: Schrift, Bronzeguss, Grab- und Palastarchitektur. Eine neuartige, moralisch fundierte Regierung lässt sich weder archäologischen Funden noch den Bronzeinschriften der frühen Zhou abnehmen. Überhaupt kann von einer effektiven ›Regierung‹ der Zhou wohl kaum die Rede sein. Die neuen Herrscher besaßen nicht die Mittel, das Land der Shang zentral zu regieren. Archäologische Funde legen nahe, dass sie sich bald wieder in ihre Domäne auf dem Lößplateau zurückzogen und die Verwaltung der [35]Ostgebiete den alten Eliten überließen – sogar die Shang erhielten weiterhin eine Domäne – sowie ihren Verwandten und Vasallen, denen sie Gebiete zur Verwaltung zuteilten.

Die Herrschaft der Zhou war, wie die der Shang, keineswegs flächendeckend: kein Territorialstaat, sondern eher ein Netzwerk von Städten, das sich von der Nordchinesischen Ebene bis zum Yangzi erstreckte. Diese Enklaven waren umgeben von einer autochthonen Landbevölkerung, deren Sprache und Kultur uns unbekannt sind, die ethnisch aber ganz heterogen gewesen sein dürfte: ein Königtum, in dem »Chinesen und Barbaren noch vermischt lebten«. Die Regionalfürsten der Zhou dürften vielfach Eheverbindungen mit diesen umliegenden Völkern eingegangen sein.

Auch die Zhou waren nicht China. Aber unter ihrer Herrschaft vollzogen sich tiefgreifende gesellschaftliche Umbrüche, die dazu führen sollten, dass die segmentären Strukturen der Regionalstaaten zusammenwuchsen zu einer Einheit, die sich »China« nennen ließ. Dieser Prozess, nicht der »Mandatswechsel« von Shang zu Zhou, war das folgenreichste Ereignis in der Geschichte des Alten China.

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