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Die Kämpfenden Staaten Kriege und Umwälzungen

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Die Zeit der »Kämpfenden Staaten« trägt ihren Namen nicht von ungefähr. Ihre Geschichte liest sich über weite Strecken wie ein einziges blutiges Gemetzel. Auch die Chunqiu-Zeit war reich an Kriegen gewesen, aber jetzt nahmen die Auseinandersetzungen ganz andere Formen an. Zwei militärische Neuerungen wurden in dieser Zeit eingeführt, welche die chinesische Kriegsführung zwei Jahrtausende lang prägen sollten: die Armbrust – eine formidable Waffe von enormer [58]Reichweite und Durchschlagskraft – ersetzte den Bogen; und die majestätischen Streitwagen von einst wurden abgelöst durch wendige Kavallerietruppen, wie die Steppenvölker sie schon lange besaßen.


Noch folgenreicher war die Entwicklung der Infanterie, denn jetzt bildeten sich Massenheere, die den Charakter des Kriegswesens vollkommen veränderten. Die kleinen Verbände adliger Krieger der Zhou- und Chunqiu-Zeit wuchsen zu Armeen von mehreren hunderttausend Infanteristen an, bewaffnet mit Schwertern und Hellebarden aus Eisen. Um diese Waffen zu führen, bedurfte es keiner besonderen Fähigkeiten mehr; sie ermöglichten die Vermassung, ja Verpöbelung der Kriegsführung. In vielen Staaten wurde jetzt allgemeiner Wehrdienst eingeführt; Waffenfunde in Gräbern einfacher Männer, wie sie zuvor nur in Adelsgruften üblich waren, zeugen von der Militarisierung des gesamten Volkes.

Wo früher kurze, offene Scharmützel die Regel gewesen sein dürften, bestimmten nunmehr große Feldzüge, lange Belagerungen und Materialschlachten die Kriegsführung. Jetzt begannen die Regionalstaaten, Mauern zu bauen: Hunderte Kilometer lange Verteidigungswälle aus Lehm, welche die Staaten der Mittleren Ebene nicht nur gegen die Steppenvölker des Nordens, sondern auch gegeneinander schützen sollten. Nun wurde auch die wirtschaftliche Grundlage des Militärs immer wichtiger; es entstand eine Form des »totalen Kriegs« unter Einsatz aller Ressourcen.

»Wenn die Männer den Ruf zum Krieg hören, dann spenden sie ihren Privatbesitz, um die Armee zu bereichern, spenden Speise und Trank, um die Todgeweihten zu versorgen, zerschlagen ihre Wagen zu Feuerholz, schlachten Rinder, um die Krieger zu bewirten. […] So gibt das Volk mehr aus, als es in zehn Ernten erwerben kann.«

(Zhanguo ce 12)

[60]Die Quellen der Zeit berichten von Städten, die ausgehungert wurden, bis Eltern ihre Kinder fraßen, von Kriegsgefangenen, die massenweise verstümmelt oder massakriert wurden, von Heerführern, die aus den Schädeldecken ihrer Feinde tranken, von Leichenschändung und Kriegen, bei denen »die Toten Felder und Städte füllten«. In der Schlacht zwischen Qin und Chu fielen 80 000 Köpfe; als Qin Han und Wei angriff, fielen 240 000 Köpfe; im Krieg mit Zhao ließ Qin erst 20 000 von dessen Soldaten im Huanghe ertränken, und als die Armee von Zhao schließlich kapitulierte, ließ der Kommandeur der Qin alle 450 000 Soldaten niedermetzeln.

In dieser unvorstellbar skrupellosen Kriegsführung kulminierte eine Entwicklung, die in der Chunqiu-Zeit begonnen hatte: die zunehmende Rationalisierung und Entpersonalisierung von Teilen der Gesellschaft. Nicht nur die philosophische Entzauberung der Welt, der Niedergang des Ahnenkults und die Entwertung familiärer Bindungen hatten dazu geführt. Auch die Leistungssteigerung der Wirtschaft, die das Leben in der Zhanguo-Zeit geradezu revolutionierte, wirkte in diese Richtung.

Der Eisenguss hatte die Landwirtschaft grundlegend verändert. Mit eisernen Äxten wurden ganze Wälder zur Erschließung von Neuland abgeholzt; Eisenpflüge, zusammen mit dem Kummetgeschirr für Ochsen und dem Einsatz organischer Dünger, ermöglichten intensive Bebauung der Scholle; Flussregulierungen und zahlreiche Kanalbauten sorgten für regelmäßige Bewässerung: all das führte zu einer enormen Produktionssteigerung der Landwirtschaft. Der Handel blühte auf, und gezahlt wurde jetzt in Geld. Messer-, spatenförmige oder runde Münzen, die in verschiedenen Regionalstaaten Nordchinas zirkulierten, zeugen von den nivellierenden, anonymisierenden Tendenzen der Zeit: an die Stelle von Waren trat das Geld, aus Handwerkern wurden Arbeiter, aus Individuen Massen, aus Kriegern ›Menschenmaterial‹.

[61]Mit gesicherter Versorgung und zunehmendem Wohlstand wuchs die chinesische Bevölkerung in der Zhanguo-Zeit stärker als je zuvor. Ein immer größerer Teil dieser Bevölkerung ballte sich in großen Städten mit Zehntausenden von Einwohnern. Linzi, die Hauptstadt von Qi, soll in der Zhanguo-Zeit 210 000 Einwohner gehabt haben – nur die wehrfähigen Männer gezählt. »Auf seinen Straßen reihten sich die Wagen, und die Menschen gingen Schulter an Schulter; wenn sie die Ärmel hoben, bildeten sie ein Zelt, und wenn sie ihren Schweiß abschüttelten, fiel er wie Regen.« Während im Altertum allenfalls ein paar Millionen Menschen China bevölkert haben dürften, ergab die erste Volkszählung aus dem Jahre 2 n. Chr. bereits 57 Millionen steuerpflichtige Einwohner.

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Die Gemetzel der Zhanguo-Zeit waren weder zufällig, noch sind sie schlicht mit ›orientalischer Grausamkeit‹ zu erklären. Sie lassen sich ganz rational herleiten: als Regulativ des Bevölkerungswachstums. Die Weltgeschichte bietet viele Beispiele dafür, dass Genozide und Kriege sich aus demographischem Druck ergeben können, speziell aus einem Überschuss an jungen Männern: »Arme und zugleich harte Männer, unzufrieden mit ihrer gegenwärtigen Lage, […] sind am ehesten geneigt, Kriegsursachen zu schüren sowie Unruhe und Aufruhr zu stiften«, erkannte schon Thomas Hobbes. Die blutige Expansion Roms, die Kreuzzüge ins Heilige Land und die genozidale Kolonisierung Osteuropas folgten alle auf Perioden starken Bevölkerungswachstums, ebenso die Eroberung der Neuen Welt und die grausamen Bürgerkriege in Südamerika. Auch die modernen Kämpfer des »heiligen Kriegs« rekrutieren sich z. T. aus einem Jugendboom in der islamischen Welt im 20. Jahrhundert. »Jede ›Kolonisation‹ der Weltgeschichte erweist sich bei genauerem Zusehen als Euphemismus für eine Mixtur aus Ansiedlung und Ausrottung« (G. Heinsohn): und zwar des gegnerischen wie auch des eigenen Volkes.

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[62]Doch während die Kriege Heere von Infanteristen verheizten, machten sie das gemeine Fußvolk zu einem wichtigen politischen Faktor. Die Bauern wurden als Steuerzahler und Rekruten gleich in zweifacher Hinsicht zur neuen Machtbasis der Herrschenden. Denn die alte Adelsgesellschaft ging allmählich unter. Viele der alten Regionalfürsten waren nach den Expansionen der vergangenen Jahrhunderte nicht mehr in der Lage, ihr Staatsgebiet zu kontrollieren, so dass sie ihre Macht an lokale Würdenträger und einflussreiche Familien verloren: eine neue Elite, die sich weniger auf hochwohlgeborene Mitstreiter verlassen konnte und daher die Unterstützung des Volkes brauchte. Im Kampf der Eliten war das einfache Volk zum entscheidenden Faktor geworden – und damit zum Fundament des Staates.

Mit der Aufteilung des alten Staates Jin in drei Nachfolgestaaten (453 v. Chr.) – sie markiert den Beginn der Zhanguo-Zeit – erreichte eine Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt, die zum Ende des alten Staatensystems und der Adelsgesellschaft führte: die Expansion weniger großer Staaten bei gleichzeitigem Machtverlust der alten Eliten. Von den Hunderten Staaten der Chunqiu-Zeit waren nur mehr sieben große übrig geblieben: Qin, Qi, Chu, Han, Zhao, Wei und Yan. Die meisten dieser Staaten wurden nicht mehr von den alten Fürstenhäusern regiert, sondern von neuen Eliten, zwischen denen kein Hegemon mehr vermittelte.

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