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›Konfuzianismus‹ als Staatsideologie

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Es erscheint wie eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet unter Kaiser Wu die Lehre auflebte, die sich stets als Gegenentwurf sowohl zum Legismus als auch zum Glauben an Magie darstellte: der ›Konfuzianismus‹. Nach Jahrhunderten, in denen die Lehre des Konfuzius völlig unbedeutend gewesen war, fand sie jetzt am Hof Anerkennung – allerdings in einer Form, die der Meister selbst kaum wiedererkannt hätte. Der ›Konfuzianismus‹ der Han stützte sich zwar auf dieselben Schriften, die auch schon Konfuzius und seine Schüler verehrt hatten, interpretierte diese aber im Sinne mystisch-kosmologischer Spekulationen, als Ausdruck des Zusammenspiels von Yin [101]und Yang, Himmel und Mensch und den Fünf Wandelphasen: eine Art konfuzianischer Kabbala. Wie alle Denkschulen der chinesischen Kaiserzeit war dies ein Synkretismus, in dem diverse Einflüsse verschmolzen: die passende geistige Form für ein Zentralreich, in dem regionale Unterschiede aufgehoben waren.

Im ›Konfuzianismus‹ der Han bildete, genau wie in Geomantik und Magie, die Vorstellung vom Zusammenhang aller Sphären die Grundlage des Denkens. Dieser Seinszusammenhang, die »Vereinigung von Himmel und Menschen«, wird oft als der Grundgedanke des ›chinesischen Denkens‹ identifiziert. »In ihrer Art verbunden, sind Himmel und Menschen eins«, formulierte ein hoher Berater Kaiser Wus, Dong Zhongshu (ca. 179–104 v. Chr.). Damit ist der Weltzusammenhang, der zuerst in der Zhanguo-Zeit formuliert wurde, auf den Punkt gebracht. Doch er ist keineswegs als naturverbundene Harmonielehre zu verstehen; so harmlos war der Gedanke nicht. Vielmehr bot er die Legitimation der monarchischen Ordnung; denn allein der Herrscher verbürgte die Einheit von Himmel und Menschen:

»Die Alten, die die Schrift erfanden, zogen drei Linien, verbanden sie in der Mitte und nannten das Zeichen wang, ›König‹. Die drei Linien sind Himmel, Erde und Menschen, und die Verbindung in der Mitte durchdringt ihr Urprinzip. Der die Mitte von Himmel, Erde und Menschen einnimmt, sie verbindet und dreifach durchdringt, wer könnte das sein, wenn nicht der König? Daher ist der König der Vermittler des Himmels: er vermittelt seine Jahreszeiten und vollendet sie, richtet die Menschen nach dem Vorbild seines Gesetzes aus, nimmt die Aufgaben nach seiner Maßgabe auf, erlässt Gesetze nach der Ordnung seines Prinzips und führt seinen Willen auf Menschlichkeit zurück.«

(Chunqiu fanlu 44)

[102]Damit wird die kaiserliche Ordnung in der Natur begründet und der Herrscher zur axis mundi, um die sich alles dreht – eine schlechthin unanfechtbare Legitimation des Systems gegenüber der Literatenschicht. Dieser Konfuzianismus, der sich als harmonisierende Lehre der Einheit von Himmel und Menschen gab, war in Wirklichkeit die Ideologie eines Absolutismus, der alle Macht im Kaiser vereinte. Zugleich aber war der Kaiser dadurch gezwungen, sich der natürlichen Ordnung zu fügen. Als höchste Macht auf Erden installiert, muss er sich ständig aufs neue bewähren und wird dadurch – das ist der Clou dieser Lehre – entmachtet: denn als »Vermittler des Himmels« steht ihm keine Initiative außerhalb dieser Ordnung zu, er bleibt an das »Mandat des Himmels« gebunden.

Der Kaiser war eingezwängt in ein System ritueller Vorschriften, und die geringste Abweichung von dieser Routine konnte sich desaströs auf das kosmische Gleichgewicht auswirken. Jedes Erdbeben, jede Flut, Sonnenfinsternis oder Heuschreckenplage konnte auf ein Fehlverhalten des Kaisers zurückgeführt werden. Die Historiker der Han-Zeit ließen es sich angelegen sein, glückverheißende und unheilvolle Vorzeichen akribisch zu notieren – auch solche, die in Wirklichkeit nie aufgetreten waren: Fiktionen der Beamten als Mahnung an den Herrscher. In diesem rigiden System, das jeden Verstoß sanktionierte, war der Kaiser gut beraten, keinerlei Initiative zu ergreifen. Genau das wurde von ihm erwartet: er sollte ganz ausdrücklich nichts tun.

»Also erhebt der Herrscher das Nichttun zum Prinzip und die Neutralität zum höchsten Gut. Auf seinem Posten des Nichttuns nutzt er die vollkommenen Beamten: seine Füße bewegen sich nicht selbst, doch die Berater leiten ihn voran; sein Mund spricht nicht selbst, doch die Hofleute leiten seine Worte; sein Geist denkt nicht selbst, doch die Minister [103]bewirken das Angemessene. Daher werden die Dienste vollendet, ohne dass jemand sieht, wie er es tut: auf diese Weise richtet der Herrscher sein Handeln nach dem Himmel.«

(Chunqiu fanlu 18)

Der Konfuzianismus der Han-Zeit war nicht mehr die Lehre einer sich wandelnden Adelsgesellschaft, wie Konfuzius sie vor Augen hatte, sondern die Legitimation des Beamtenstaates. Der Satz von oben muss also ergänzt werden: Der Konfuzianismus war die Ideologie eines bürokratischen Absolutismus. Während der Sohn des Himmels, gleichsam eingezwängt in ein Totengewand aus Jade, schon zu Lebzeiten mumifiziert war, hatten die Beamten, die ihn ›voranleiteten‹, die Macht inne. Die Propagierung des Konfuzianismus, der heute so selbstverständlich als Inbegriff chinesischer Weisheit gilt, war in der Han-Zeit ein politisches Manöver.

Der »Kriegerische« Kaiser gab sich jetzt zunehmend als Patron ziviler Kultur, unter seiner Herrschaft wurde die Literatur als Instrument imperialer Legitimation systematisch gefördert. 124 v. Chr. ließ er vor den Toren der Hauptstadt eine Kaiserliche Hochschule errichten, die der Unterweisung in den Schriften des Altertums diente: dem Buch der Wandlungen, den Liedern, den Dokumenten, den Riten sowie den Frühlings- und Herbstannalen. Damit begann die Kanonisierung dieser Werke, die, umlagert von Tausenden Kommentaren, zum Pentateuch der Gelehrten im kaiserlichen China wurden. Der Kanon hatte normativen Anspruch, er – und er allein – sollte die grundlegenden Werte der Gesellschaft, die ›Wahrheit‹ verkörpern. Der Kanon wirkte ähnlich restriktiv auf die geistige Freiheit wie die Bücherverbrennung der Qin, er war ein Produkt des alles normierenden Einheitsreiches.

Die Kenntnis kanonischer Schriften wurde unter Kaiser Wu zu einer Voraussetzung für den Staatsdienst. Zwar boten nach [104]wie vor auch Empfehlungen einen direkten Zugang zu Ämtern, und auch für das Studium in der Kaiserlichen Hochschule bedurfte es einer Referenz. Aber jetzt wurde klassische Bildung so wichtig, dass fortan »die meisten Beamten in den Ministerien und in der Hauptstadt literarisch Gelehrte waren«. Aus anfänglich 50 Studenten an der Kaiserlichen Hochschule wurden bald Hunderte und Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. schließlich 3000: damit gelang den Han eine Kontrolle des Denkens, wie sie die Qin mit allen Bücherverbrennungen und Verfolgungen nicht erreicht hatten.

Der ›Konfuzianismus‹ wurde zum Element einer Politik, die weitaus mehr mit der des Ersten Kaisers von Qin gemein hatte als mit konfuzianischen Idealen. Denn die Han übten ein legistisches Regime mit ausgefeilten Gesetzen und überaus harten Strafen aus. Auch wenn einige Körperstrafen – Tätowierung, Abhacken der Nase oder der Füße – 167 v. Chr. abgeschafft wurden, blieben Prügelstrafe und Kastration in Kraft, Folter gehörte zur juristischen Routine. »Jährlich werden Zehntausende von Hinrichtungen vollstreckt«, berichtet ein zeitgenössischer Text, »im Reich gibt es mehr als 2000 Gefängnisse, und die Leichen der unschuldig Getöteten stapeln sich übereinander.« Legionen von Menschen wurden zu Zwangsarbeit verurteilt: zum Militärdienst an den Grenzen, weitab jeder Zivilisation, oder zum Bau von Palästen, Kanälen, Mauern und Kaisergräbern. Die ganze Macht und Herrlichkeit der Dynastien Han – der Früheren wie der Späteren – beruhte zum großen Teil auf drakonischen Körperstrafen und Zwangsarbeit.

Auch der Vater der chinesischen Geschichtsschreibung, Sima Qian (ca. 145–86 v. Chr.), Hofastronom unter Kaiser Wu, war ein Opfer der Han-Justiz. Wegen seiner politischen Ansichten in Ungnade gefallen und zur Strafe kastriert, schuf er, »mit verstümmeltem Körper im Schmutz dahinvegetierend«, ein monumentales Geschichtswerk, das zum Vorbild für alle [105]späteren Historiker wurde. Seine »Aufzeichnungen des Astronomen«, Shiji, beschreiben die Geschichte Chinas vom mythischen Gelben Kaiser bis zu Kaiser Wu der Han. Sie wurden zum Vorbild späterer Reichsgeschichten – 25 waren es bis zum Ende der Kaiserzeit –, die als Herzstück der chinesischen Historiographie und autoritative Darstellung chinesischer Geschichte gelten.

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