Читать книгу Essen und Ernährungsbildung in der KiTa - Kariane Höhn - Страница 37

2.2.4 Formen der Tätigkeitsregulation

Оглавление

Eine Handlungsregulation kann durch mindestens vier Formen erfolgen (Holodynski & Oerter, 2018, S. 516 ff.):

• emotional: Situationen wie die fehlende Befriedigung eines Bedürfnisses lösen Emotionen aus. Die Bewertung der Emotionen (wichtig vs. unwichtig) steuert die Handlungsbereitschaft und ggf. das Bewältigungshandeln, d. h. die Suche nach anderen Wegen.

• Beispiel: Lebensmittel und (Lieblings-)Speisen können als Emotionsgeber (»emotionaler Symbolgehalt« nach Grunert, 1993, S. 3, S. 34 ff.) genutzt werden – sollten dies aber nur, wenn das Kind Hunger hat, oder in einem »Notfall«, wenn es mangels Alternativen wichtig ist, um ein Gefühl von Geborgenheit zu vermitteln (vgl. das Beispiel der »Ankerlebensmittel«, Kap. 7.2).

• volitional: Beim Fehlen von emotionalen Handlungsimpulsen kann sich eine Person für Handlungen entscheiden, die sie ihren Zielen näherbringen.

• Beispiel: Ein Kind, das keine Lust auf bestimmte Speisen hat oder darauf, sich sein Brot selbst zu schmieren, kann sich auf die jeweilige Situation und Handlung einlassen, weil es sonst hungrig bliebe oder weil es Konflikte mit den Bezugspersonen vermeiden möchte.

• habituell: Erwartungskonforme und automatisierte Routinen werden genutzt, um ein Ziel zu erreichen.

• Beispiel: Die Akzeptanz bestimmter Speisen und ihrer Reihenfolge an den Mahlzeiten. Im Umgang mit Kindern ist daher darauf zu achten, welche Handlungsmuster und -alternativen ihnen vermittelt werden (vgl. auch Grunert, 1993).31

• reflexiv: Reflexion ist notwendig, wenn (1) widerstreitende Emotionen und Handlungsbereitschaften vorliegen, (2) ein Widerspruch zwischen Volition und Emotion besteht, (3) kein klares Ziel definiert ist, sodass Emotionen, Motive und Handlungen reflektiert werden müssen. Dies erfordert auch eine volitionale Emotionsregulierung, u. a. zur Überwindung negativer oder zur Aktivierung positiver Emotionen.

• Beispiel: Einem Kind mit einer Allergie oder einer Stoffwechselkrankheit fällt häufig der Verzicht auf Lebensmittel und Speisen schwer. Es kann aber lernen, das längerfristige Wohlbefinden kurzzeitigen Wünschen vorzuziehen.

Diese vier Formen der Handlungsregulation werden in der KiTa-Zeit – ob intendiert oder nicht – unterschiedlich stark entwickelt, gefördert und eingeübt. Die individuellen Möglichkeiten zur Emotionsregulierung sind für die Entwicklung des Essverhaltens zentral und benötigen eine professionelle Anleitung (Gutknecht & Höhn, 2017). Eine allein physische Steuerung des Essverhaltens ist in vielen Situationen nicht oder nur erschwert möglich. Nach dem »Grenzmodell der Nahrungsregulation« liegt zwischen den physiologisch (relativ) kontrollierbaren Bereichen von Hunger und Sättigung eine (unterschiedlich breite) »Zone der biologischen Indifferenz«, in der das Essverhalten psychisch, d. h. emotional und/oder kognitiv gesteuert werden muss (Grunert, 1987, 1993; Herman & Polivy, 1984, zitiert in Pudel & Westenhöfer, 2003, S. 184; Abb. 2.1). Ob dies gelingt, hängt sowohl davon ab, wie die inneren Signale von Hunger und Sättigung wahrgenommen und beachtet werden, als auch davon, wie Menschen gelernt haben, ihre Gefühle zu erkennen, zu differenzieren und auf sie zu reagieren (Methfessel et al., 2020). Je weniger dies gelernt wurde, desto stärker sind Menschen von externen Reizen und von ihren Emotionen gelenkt.


Abb. 2.1: Das Boundary-Modell des Essverhaltens von Herman und Polivy (1984; nach Pudel & Westenhöfer, 2003, S. 184, Abb. 6/2, ergänzt durch die Autorinnen)

Da durch Hunger bei vielen Menschen Adrenalin ausgeschüttet wird, wodurch bei vielen Kindern und Erwachsenen die Aggressivität steigt (MacCormack & Lindquist, 2018), ist der Zusammenhang von Essen und Emotionen vor dem Essen erst einmal zu analysieren und ggf. anders zu bewerten als nach dem Essen. Hier ist es durchaus sinnvoll, eine Orientierung auf die Freude, die ein gutes Essen und das Stillen von Hunger bieten können, zu nutzen.

Die Vermittlung von positiven Emotionen gegenüber gesundheitsförderlichen Lebensmitteln und Essweisen ist besonders erwünscht, und eine pädagogische Aufgabe ist, diese positiven Emotionen dem Kind zu ermöglichen. Die negativen Folgen von weniger gesundheitsförderlichen Lebensmitteln und Speisen sind nicht zeitgleich oder zeitnah erfahrbar, weshalb nur normativ orientierte Ansätze, wie Kindern Speisen anzupreisen, weil sie »gesund« sind, meist scheitern. Positive Wahrnehmungen wie Lust und Genuss, die mit Essen verbunden werden, sind dagegen sofort erfahrbar (Kluß, 2018). Es ist daher von Beginn an eine zentrale Aufgabe der Ernährungssozialisation und -bildung, erwünschtes Essverhalten durch emotional positive Situationen und Interaktionen zu fördern. Zudem führen positive Erfahrungen schneller zu einer Habituation (vgl. Haase & Heckhausen, 2018). Schon bei den ersten Fütterungen sind Körpersignale, Gesichtsmimik und verbale Ermunterung bedeutsam. Dies wird umso wichtiger, weil die erwünschten Vorlieben (z. B. von Gemüse) weniger schnell akzeptiert werden als die angeborenen Präferenzen »süß« und »fett«. Diese erwünschten Vorlieben erfordern teilweise sogar eine Überwindung von Neophobie (Angst vor Neuem) oder von angeborenen Ablehnungen wie gegen »bitter«32 ( Kap. 3.2). Die »Brücke« zu dieser Akzeptanz ist die (erwünschte) Verknüpfung von Geschmack und Emotionen (vgl. Ellrott, 2009a, 2009b; Grunert, 1993; Kluß, 2018, 2020; Methfessel et al., 2020; Pudel & Westenhöfer, 2003).

Für die Differenzierung von Emotionen und den Umgang mit ihnen haben pädagogische Fachkräfte daher eine wichtige Funktion. Durch ihre professionelle Responsivität (Gutknecht, 2015b; Kasten 2.1) unterstützen und fördern sie die Kinder. Dazu gehört, die emotionsregulierende Funktion des Essens reflektiert zu gestalten, damit das Kind lernt, Freude am Essen zu entwickeln, mit Lust zu essen und damit die Emotionen gezielt zu steuern, ohne ein problematisches Essverhalten zu entwickeln (Kluß, 2018, 2020; Methfessel, 2020).

Menschliches Tun lässt sich als fortlaufende Folge von kulturell gefärbten Tätigkeiten beschreiben, in denen eine Person ihre Motive zu befriedigen trachtet. Emotionen stellen eine wesentliche Komponente dieser Tätigkeiten dar, indem sie Geschehnisse und Handlungsresultate bezüglich ihrer Bedeutung für die Motivbefriedigung einschätzen und nachfolgende Handlungen in motivdienlicher Weise ausrichten. Emotionen regulieren damit die Tätigkeiten einer Person. (Holodynski & Oerter, 2018, S. 516)

Essen und Ernährungsbildung in der KiTa

Подняться наверх