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II. Örtliche Zuständigkeit
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In örtlicher Hinsicht ist gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 InsO dasjenige Insolvenzgericht zuständig, in dessen Zuständigkeitsbezirk (§ 2 InsO) der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand (vgl § 4 InsO, §§ 12 ff ZPO) oder hiervon abweichend den Mittelpunkt seiner wirtschaftlich werbenden Tätigkeit hat, § 3 Abs. 1 S. 2 InsO. Beide Sätze enthalten ausschließliche Gerichtsstände, wobei der Letztere vorrangig ist[2]. Der wirtschaftliche Mittelpunkt eines Unternehmens liegt dort, wo die Willensbildung tatsächlich stattfindet, die Entscheidungen der Unternehmensleitung getroffen, dokumentiert und nach außen vollzogen werden. Regelmäßig ist das der Verwaltungssitz, wobei es auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt, nicht auf die Gewerbeanmeldung oder den Handelsregistereintrag[3], der aber zumindest starke indizielle Bedeutung für den Gesellschaftssitz hat[4]. Nach Einstellung des Geschäftsbetriebes gilt wieder der allgemeine Gerichtsstand des Schuldners (§ 3 Abs. 1 S. 1 InsO), also der satzungsmäßige Sitz[5].
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Die Sanierung von Unternehmen hängt sehr häufig von der Schnelligkeit der gerichtlichen Entscheidungen ab[6]. Insbesondere für verbundene Konzernunternehmen fehlten bislang einschlägige Zuständigkeitsregelungen, mit denen man verschiedene Insolvenzverfahren innerhalb einer Unternehmensgruppe (vgl § 3e InsO) bei einem Gericht konzentrieren konnte. Zur Abhilfe hat der Gesetzgeber in 2017 mit den §§ 3a ff InsO örtliche Zuständigkeitsregeln eingeführt, die es ermöglichen, die Insolvenzverfahren über Vermögen von Unternehmensträgern, die derselben Unternehmensgruppe angehören, an ein und demselben Insolvenzgericht zu führen, § 3a InsO. Es ist zu beachten, dass auch die Art. 56 ff EuInsVO Vorschriften für Insolvenzverfahren innerhalb von Unternehmensgruppen enthalten; existiert ein ausländisches gruppenangehöriges Unternehmen, das den Mittelpunkt seines hauptsächlichen Interesses im Sinne der EuInsVO im Ausland hat, gilt gemäß Art. 102c § 22 EGInsO vorrangig die EuInsVO, die insoweit aber keine örtlichen Zuständigkeitsregeln enthält[7].
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Missbrauch der Zuständigkeitsregeln droht durch sog. gewerbsmäßige Firmenbestatter, die gegen Bezahlung die Anteile einer (vermögenslosen) GmbH übernehmen und deren Sitz an einen anderen Ort verlegen. Dort stellt ein (nie erreichbarer) neuer Geschäftsführer, der (angeblich) nur unzureichende Geschäftsunterlagen bekommen hat, einen Insolvenzantrag. Wird der Geschäftsführer nach Betriebseinstellung nur mit der Durchführung und Abwicklung eines Insolvenzverfahrens bestellt, begründet die Sitzverlegung keine Zuständigkeit am neuen Ort, und zwar auch dann nicht, wenn er angibt, alle Geschäftsbücher und Unterlagen dorthin mitgenommen zu haben[8]. Vielmehr hat das Gericht bei der Zuständigkeitsprüfung von sich aus eine Prüfung (§ 5 InsO) und Bewertung der konkreten Umstände und Indizien (Zeitraum, Verbleib der Geschäftsräume usw) vorzunehmen[9]. Ist die Verlegung rechtsmissbräuchlich, bleibt es bei der Zuständigkeit des vormaligen Sitzes, wo die abgelösten Geschäftsführer in der Regel greifbar sind; einer „Gerichtsstandserschleichung“[10] ist die Anerkennung zu versagen. Den alten Geschäftsführern droht gleichwohl Ungemach, denn solange sie (wie üblich) noch umfassende Vollmachten haben, haften sie unter Umständen zivil-, straf- und steuerrechtlich als faktische Geschäftsführer. Ein Beispiel für eine (versuchte) rechtsmissbräuchliche Zuständigkeitserschleichung[11] durch Sitzverlegung ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Securenta AG, eines Mitglieds der im grauen Kapitalmarkt berüchtigten sog. „Göttinger Gruppe“. Deren Vorstandsmitglieder hatten am Tag nach Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens und Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters in Göttingen (eigentlicher Sitz) einen (unzulässigen[12]) Eigenantrag in Berlin gestellt und dort einen Gerichtsstand im Sinne von § 3 Abs. 1 S. 2 InsO behauptet; das AG Berlin hat daraufhin auch ein vorläufiges Insolvenzverfahren eröffnet. Gegenüber beiden vorläufigen Verwaltern und Insolvenzgerichten hat die Schuldnerin das jeweils beim anderen Gericht geführte Verfahren verschwiegen. Das AG Göttingen hat nach Kenntniserlangung die Begründung eines Gerichtsstandes gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 InsO in der Bundeshauptstadt verneint, denn im Bürohaus in Göttingen waren nach wie vor Firmenschilder und Briefkästen angebracht sowie Mitarbeiter beschäftigt. Die Grundsätze der rechtsmissbräuchlichen Zuständigkeitserschleichung gelten also nicht nur bei Sitzverlegung nach Geschäftseinstellung, sondern können auch bei Umzug einer noch werbend tätigen Gesellschaft eingreifen[13].
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Lösung Fall 3 (Rn 43):
Im Fall 3 ist zu prüfen, ob und wie sich der Umzug des S auf die für die örtliche Zuständigkeit relevanten Anknüpfungstatsachen nach Antragstellung auswirkt. Zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts ist bei Eigenantrag des Schuldners auf die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Antragstellung[14] abzustellen; Gleiches gilt aber auch bei Gläubigeranträgen[15]. In diesen Fällen wird zwar vereinzelt unter Verweis auf § 4 InsO, §§ 261 Abs. 1, 3, 253 Abs. 1 ZPO die Zustellung des Antrags an den Schuldner als maßgeblich angesehen[16]. Diese ZPO-Vorschriften sind jedoch im Eröffnungsverfahren nicht anwendbar, weil es sich um ein einseitiges Verfahren gegen den Schuldner handelt[17]. Im Fall 3 bleibt es somit bei der Zuständigkeit des AG Passau.
§ 2 Die Zulässigkeit des Insolvenzantrags › III. Internationale Zuständigkeit