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Zwischen Auflehnung und Vermittlung. Die Eltern des Prinzen Max

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Am 18. Dezember 1829 war in Karlsruhe Max’ Vater geboren und zwei Wochen später auf den Namen Ludwig Wilhelm August evangelisch getauft worden.113 Über seine Jugendjahre wissen wir aus den ohnehin spärlichen Quellen kaum mehr zu berichten, als daß er mit seinem jüngeren Bruder Karl erzogen und beide zum Militärdienst bestimmt wurden.114 Ansonsten scheint Wilhelm inmitten seiner Geschwister bis in die dreißiger Jahre ein recht beschauliches Dasein geführt zu haben, sieht man von der Separierung gegenüber beiden älteren Brüdern ab, auf deren Sozialisation als designierte Thronerben die Eltern größere Sorgfalt verwandten.

Ob und wasWilhelm von der zunehmenden Entfremdung seiner Eltern, die Mitte der dreißiger Jahre begann, mitbekam, ist nicht überliefert. Mit 18 Jahren, nur wenige Monate vor Ausbruch der Revolution in Baden, teilte sein Vater den jungen Mann als Leutnant dem Badischen Leib-Infanterie-Regiment zu. Doch in den turbulenten Jahren 1848/49, während deren sich selbst die badischen Leibregimenter auf die Seite der Demokraten schlugen, kam Wilhelms Militärkarriere ins Stocken. Erst der Eintritt in das 1. Preußische Garde-Regiment zu Fuß brachte Ende November 1849 im fernen Potsdam die Wende. Bald wurde er zum Premierleutnant jener schlagkräftigen Armee, die das Großherzogtum Baden mit Gewalt restauriert hatte. 1854 wechselte er in den Stab der Gardeartillerie nach Berlin, wo er bald den Rang eines Oberst-Leutnants bekleidete. Zum preußischen Königshaus pflegte Prinz Wilhelm sowohl in seinen Potsdamer als auch in seinen Berliner Dienstjahren nähere Beziehung. Aber auch am russischen Zarenhof brachte man ihm schon 1855 Vertrauen entgegen.115 Durch die Verlobung seines Bruders Friedrich mit der einzigen Tochter des späteren Königs von Preußen im Herbst dieses Jahres wurde der Kontakt zwischen den Häusern Hohenzollern und Baden noch enger. Dasselbe gilt für das Haus der Romanows, in das Wilhelms jüngere Schwester Cäcilie 1856/57 einheiratete.116


Der Vater Prinz Wilhelm von Baden. Fotografie aus den 1860er Jahren

Im Herbst 1856 wurde Prinz Wilhelm von Baden unter die Befehlsgewalt seines Bruders Friedrich gestellt, der nun der souveräne Herrscher in Baden und Oberhaupt des Hauses Zähringen war. So beorderte ihn der Oberbefehlshaber der badischen Armee im November 1859 nach zehnjährigem Aufenthalt in Preußen nach Karlsruhe zurück, um ihn dort zum Chef des 4. Badischen Infanterie-Regiments zu machen.

Zumindest äußerlich erscheint Prinz Wilhelm als der geborene Gardeoffizier: stattlich, schneidig und elegant zugleich, respekterheischend – männlich. Er soll groß gewachsen, blond und blauäugig, ja, ein schöner Mann gewesen sein. Ein Frauenheld? Vielleicht, aber entscheidender war sein Wert auf dem Heiratsmarkt des europäischen Hochadels. Dort waren die Meinungen geteilt. So mokierte sich Königin Augusta von Preußen ganz ungeniert über »das unzusammenhängende Wesen, das wir bei ihm beklagen«.117 Diese Bemerkung erfaßt in der Tat einen Wesenszug, der uns noch begegnen wird: Es scheint, als fehleWilhelm der ruhende Pol, ein weltanschaulicher Fluchtpunkt – mit der Folge, daß er immer wieder in verschiedene Richtungen aufbricht, ohne aber anzukommen. So verließ er seine badische Heimat Ende 1860 schon wieder, um in Rußland, genauer gesagt, in der aufrührerischen Kaukasusprovinz das Kriegshandwerk aus eigener Anschauung zu erlernen. Und zwar bei seinem Schwager, dem Großfürsten Michail Nikolajewitsch, der als Gouverneur in Tiflis fast wie ein Monarch residierte.118 Bei der militärischen Erkundungsreise sollten wohl hauptsächlich die Heiratschancen im Hause Romanow sondiert werden,119 sie diente aber auch der Geheimdiplomatie, und um politische Strömungen im Zarenreich auszukundschaften.

Im Herbst 1861 übernahmWilhelm wieder seinen Posten bei der Gardeartillerie in Berlin. Von hier aus brachte er sich selbst imWinter 1862/63 als Kandidat für den vakant gewordenen griechischen Königsthron ins Gespräch, scheiterte aber recht kläglich, da sich keiner der Entscheidungsträger bei dieser Königswahl für ihn einsetzte.120 Allein die Tatsache, daßWilhelm – ohne Absprache mit seinem Familienoberhaupt – seinen Hut damals in den Ring warf, zeigt, daß er ausgesprochen impulsiv seine prestigeträchtigen Ziele verfolgte. Es wird aber auch deutlich, daß sich dieser Mann heimatlos fühlte. Um dem entgegenzuwirken, wurde eine standesgemäße Verheiratung mit Niederlassung in Karlsruhe betrieben – von wem genau, wissen wir nicht. Die Frau, die ihm schließlich nach zweijährigem Werben am 11. Februar 1863 in St. Petersburg angetraut wurde, hatte einen französischen Stiefsohn Napoleons zum Großvater väterlicherseits, ihre Großmutter mütterlicherseits war eine russische Zarengattin mit Vorfahren aus dem Hause der Hohenzollern.

Im Frühjahr 1863 nahm das junge Paar seinenWohnsitz in Karlsruhe, wo es ein Palais in der Nähe des Residenzschlosses bezog. Die Apanage, dieWilhelm nun als standesgemäß verheirateter Prinz bezog, reichte für einen fürstlichen Lebensstandard – aber nicht für viel mehr.121 Gerade der Vergleich mit dem prachtvollen Dasein seines Bruders und dessen Frau mag ihn geschmerzt haben. Das schien sich zu ändern, als ihn sein Bruder im Spätherbst 1865 zum Generalleutnant ernannte und ihm den Oberbefehl über die badische Armee abtrat. Doch was wie eine hohe Auszeichnung aussah, entpuppte sich als eine Art Danaergeschenk, mit dem der Großherzog Schaden von seiner Person abwenden wollte. Denn schon damals zeichnete sich ein Krieg zwischen Preußen und Österreich um die Vorherrschaft in Deutschland ab, bei dem Baden – allem Bemühen des Großherzogs zum Trotz – nicht neutral bleiben konnte, zumal die badische Bevölkerung und auch das badische Militär einen Schulterschluß mit Österreich favorisierten.122

Im Juni 1866 waren die Bemühungen Friedrichs gescheitert, Baden aus dem drohenden Krieg herauszuhalten. Zwar konnten durch diverse Verzögerungstaktiken der badischen Armee verlustreiche Kämpfe erspart werden. Doch der offene Argwohn der eigenen Bevölkerung und der Militärs wog schwer; die Armee soll ihrem Oberkommandierenden sogar aus Wut über dessen Untätigkeit die Fenster eingeworfen haben.123 Durch den Verlauf des deutschen Krieges verlor das Haus Baden kolossal an Ansehen. Es traf jedoch Wilhelm als Oberbefehlshaber ungleich härter als Großherzog Friedrich.

Ähnlich glücklos verlief auch die Mission am Berliner Hof, zu der Prinz Wilhelm im Januar 1867 von seinem Bruder geschickt wurde, um die Möglichkeiten eines politischen und militärischen Anschlusses an das siegreiche Preußen zu ventilieren.124 Seine Briefe verraten unschwer, daß er dieser Aufgabe nicht gewachsen war. Weder durchschaute er Bismarcks deutschlandpolitisches Kalkül, noch begriff er die inzwischen zur Tatsache gewordene Dominanz des Eisernen Kanzlers. Dieser ließ den Besucher aus Baden dann auch ziemlich links liegen und legte dem Großherzog nach einigen Wochen sogar nahe, seinen Bruder wieder abzuberufen, da ihm der direkte Verkehr des Prinzen mit seinem König allmählich »lästig« werde.125 Mitte Februar 1867 war Prinz Wilhelm wieder zurück in Karlsruhe, und den Abschluß der badischen Militärkonvention mit Preußen besiegelte der Großherzog am 15. März 1867 in Berlin selbst – und allein. Den Zenit seines politischen Wirkens hatte Prinz Wilhelm bereits 1867, dem Geburtsjahr seines einzigen Sohnes Max, überschritten.

Im April 1869 entließ Großherzog Friedrich seinen Bruder aus seiner Stellung als Oberkommandierender des nunmehr eng an Preußen angeschlossenen Badischen Armeekorps. So war Wilhelm bei Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges Mitte Juli 1870 Offizier a.D. Erst ein Vierteljahr später erreichte er seine Reaktivierung. Aufgrund einer Vakanz erhielt er den Oberbefehl über die 1. Badische Infanterie-Brigade, was faktisch eine Abstufung seines militärischen Ranges bedeutete. Über PrinzWilhelms militärische Leistungen auf dem französischen Kriegsschauplatz ist weiter nichts bekannt geworden,126 nur seine Verletzung durch eine Gewehrkugel im Gesicht am 18. Dezember 1870 – seinem Geburtstag – bei der Schlacht von Nuits in der Nähe von Dijon.127 Daß er im Kampf sein Leben riskierte, verschaffte Wilhelm eine Volkstümlichkeit, die den nationalliberalen Wahlausschuß imWahlkreis Karlsruhe-Durlach auf die Idee brachte, ihm die Kandidatur für einen Sitz im ersten Deutschen Reichstag anzutragen.128 Auch der Großherzog versprach sich von einer solchen – als sicher geltenden – Wahl einen politischen Vertrauensbeweis für sein Haus. Und so ging diese Kandidatur Anfang März 1871 erfolgreich über die Bühne. Wilhelm schloß sich im Reichstag der Fraktion der stark aristokratisch eingefärbten Freikonservativen an, die ihn sogar zu ihrem Vorsitzenden bestimmte.129 Allerdings hat sich der Fraktionsvorsitzende kaum jemals partei- oder parlamentspolitisch profiliert. Auch außerhalb des Parlaments – etwa in den Verkehrskreisen Bismarcks – hatWilhelm damals nicht Fuß gefaßt. Bei so wenig politischem Engagement verwundert es vielleicht, daß er sich bei den zweitenWahlen zum Deutschen Reichstag im Januar 1874 abermals von den Nationalliberalen seiner Heimatstadt bitten ließ, für eine weitere Session als Abgeordneter nach Berlin zu gehen.130

Immerhin ermöglichte Wilhelm sein Mandat, sich den Konventionen des Karlsruher Hoflebens zu entziehen und insbesondere seinem Bruder aus dem Weg zu gehen. Der Prinz haderte mit seinem Schicksal, ausgegrenzt zu sein von den Prozessen höchster Meinungsbildung und Entscheidungsfindung – einem unzugänglichen und verschworenen Herrscherbund aus Bruder, Schwägerin und eigener Ehefrau isoliert gegenüberzustehen. In den kommenden Jahren verschärften sich die Differenzen zwischen den Brüdern in innenpolitischen Fragen noch weiter, da Wilhelm ganz offen Opposition gegen den sogenannten Kulturkampf im Reich und in Baden machte.131 Damit war der Prinz selbst für die Nationalliberalen von Karlsruhe-Durlach als Kandidat für Reichstagswahlen im Januar 1877 nicht mehr tragbar, so daß auch diese öffentliche Tätigkeit im Jahre 1876 ihr Ende fand.

Zum Bruch mit dem Herrscherpaar von Baden kam es im Sommer 1878, als Prinz Wilhelm im Wahlkreis Konstanz-Überlingen für die Deutschkonservativen zum Reichstag kandidierte, was hieß, daß er gegen die nationalliberal orientierte großherzoglich-badische Regierung offen Opposition machen wollte. Allerdings unterlagWilhelm seinem liberalen Konkurrenten bei der Stichwahl und zog sich damit aus dem öffentlichen Leben zurück.132 Solches Verhalten zeigt, daß Max’ Vater ein eigenwilliger und relativ unabhängiger Charakter war, der sich Bruder und Schwägerin nicht ohne weiteres fügen wollte. Vielleicht war es die nach eigenen Worten »schwere Erkrankung« seiner Frau im Dezember 1879, die Wilhelm ein wenig zur Raison brachte.133 Es scheint das Verdienst der Prinzessin Wilhelm gewesen zu sein, daß der Kontakt zwischen ihrer Familie und der des Herrscherpaares in diesen schwierigen Zeiten nicht zerriß. Sie war es, die den verwandtschaftlichen Kontakt pflegte und auch die Kinder mit einbezog.134

Die Biographie von Max’ Mutter blieb gezeichnet von der kleinadeligen Herkunft ihres Großvaters: Eugène de Beauharnais, der nur durch die Heiratspolitik seines Stief- und Adoptivvaters Napoleon Bonaparte zum Fürsten hatte werden können.135 Diese Standeserhöhung von Napoleons Gnaden lag nach dem unrühmlichen Ende des Korsen wie ein dunkler Schatten auf der Familiendynastie, deren Oberhaupt seit 1817 Herzog von Leuchtenberg und Fürst von Eichstätt war und den Titel Königliche Hoheit trug. Im Grunde war dies aber nur Camouflage. »Niemals können Kinder eines Beauharnais bayerische Prinzen oder Prinzessinnen werden«, bestimmte schon der bayerische König Ludwig I. und sah in der Heirat seiner Schwester Auguste Amalie mit dem Napoleoniden de facto eine Mesalliance.136 Die früh verwitwete Herzogin von Leuchtenberg vermochte den drohenden sozialen Abstieg ihrer siebenköpfigen Kinderschar durch eine ausgeklügelte Heiratspolitik zu konterkarieren. Bei ihren Töchtern gelang ihr dies vortrefflich, und auch ihr ältester Sohn Auguste wurde 1835 immerhin Gemahl der Königin von Portugal, verstarb allerdings schon wenigeWochen nach seiner Hochzeit. So hätte nur noch Sohn Maximilian die Dynastie Beauharnais-Leuchtenberg fortführen können. Aber wie?

Eine Lösung fand sich, als Zar Nikolaus I. dem jungen Herzog Max die Hand seiner ältesten und liebsten Tochter Mary anbot; um einen Preis freilich, der sehr hoch war. Nicht die Braut sollte dem Gemahl auf seinen bayerischen Stammsitz folgen, sondern der Bräutigam sollte wie ein Prinzgemahl nach St. Petersburg ziehen und ihr nach den Riten der griechisch-orthodoxen Kirche angetraut werden. Auch die Kinder aus der Ehe sollten vollgültige Russen, das heißt orthodox erzogen und nach zaristischen Vorgaben in die Gesellschaft eingeführt werden. Ja, sogar das Familienwappen – die pièce de résistence aristokratischer Identität – wurde russifiziert. Das war nur möglich, weil dem Bräutigam die Ehre seiner eigenen Familie weniger wert war als seine Standeserhöhung und die Sicherung der Ebenbürtigkeit seiner Kinder. Und weil die Dynastie der Romanows damals auf dem Gipfelpunkt ihrer absolutistischen Herrschaft stand, ausgestattet mit unermeßlichem Reichtum und sie sich innerhalb des europäischen Fürstenadels offenbar nahezu alles erlauben konnte.137 Max starb schon 1852, im Alter von nur 35 Jahren. Und seine Gemahlin ging drei Jahre später mit dem Grafen Stroganow eine zweite Ehe ein, die sehr glücklich gewesen sein soll.138 Für die Kinder, die aus dieser Ehe hervorgingen, schien sich dieses etwas bizarre Arrangement zunächst kaum negativ auszuwirken. Die Familie, in der die großfürstliche Mutter den Ton angab, führte ein glänzendes Hofleben, und die Kinder wurden ganz im Geist der zaristischen Hofkultur erzogen.

Aber letztlich blieben auch die russischen Leuchtenbergs von dem Gerede über die Heiratspolitik nicht verschont. Als die älteste Tochter, die am 16. Oktober 1841 geborene Maria Maximilianowna, genannt »Marussja«, ins heiratsfähige Alter kam und sich Prinz Ludwig, Thronanwärter für das Großherzogtum Hessen, für sie zu interessieren schien, machte gleich das böse Wort von einer Mißheirat in Fürstenkreisen die Runde. Die Verbindung wurde nicht weiter verfolgt.139 Marussja war »ein reizendes Kind mit schönen Augen und regelmäßigen Zügen«, das – nach Aussage ihrer Tante – »von derWiege an unverändert anziehend blieb an Leib und Seele«.140 Als Otto von Bismarck in seiner Petersburger Gesandtenzeit am Zarenhof »die damals in der ersten Blüte jugendlicher Schönheit stehende Prinzessin Leuchtenberg« kennenlernte, war er so angetan von »der ihr eigenen Grazie und Heiterkeit«, daß er diesen Eindruck noch 35 Jahre später in seine Memoiren einfließen ließ.141 Auch anderen Beobachtern zufolge hatte sie das Format zu einer erstklassigen Partie im europäischen Hochadel, und an ihrer kaiserlichen Mitgift dürfte es nicht gelegen haben. Ihre Herkunft war ihr Makel. Seit Winter 1860/61 soll sich Prinz Wilhelm von Baden für Marussja, die Cousine seines Schwagers Michail, interessiert haben.142 Im Dezember 1862 wurde sein Heiratsantrag angenommen.143

Als das jungvermählte Paar sich im März 1863 beim preußischen Hof in Berlin vorstellte, berichtet Kronprinzessin Victoria ihrerMutter, der Queen: »Ich sehe partout nicht die Veränderung bei ihm, die ich bei fast allen frischvermählten Männern bemerke, egal ob alt oder jung. Er scheint überhaupt nicht zu ihr zu gehören.« Seine russische Gemahlin sei eine edle, großzügige, temperamentvolle Kreatur, offen und warmherzig – und dabei so ungekünstelt, bescheiden sowie sehr sensibel und vorurteilsfrei. »Wilhelm möge sich glücklich schätzen.« Daß »Marussy« so überaus prächtige Juwelen trug, fand Victoria ebenfalls erwähnenswert.144 Zuvor hatte sich schon Großherzog Friedrich I. von Baden sehr löblich über seine neue Schwägerin geäußert.145


Die Mutter aus dem Hause Romanow: Kaiserliche Hoheit Maria Maximilianowna. Portrait aus den 1860er Jahren

Es existiert ein Brustbild der PrinzessinWilhelm aus der Zeit um 1870, auf dem sich einige markante Linien ihres Persönlichkeitsprofils erkennen lassen. Ja, wir haben es hier sehr wahrscheinlich mit einer bewußt ins Bild gesetzten Selbstdarstellung zu tun.

Man sieht eine fürstlich, elegant gekleidete, sehr stattliche vornehme Erscheinung mit ebenmäßigen Gesichtszügen, die mit stolzem Blick ihren Kopf von dem Fotografen abgewandt hat. Im Seitenprofil kommt das pechschwarze Haar stark zur Geltung und verleiht, zusammen mit der fliehenden hohen Stirn, ihrem Kopf etwas Trotziges, Eigensinniges. Sie wirkt willensstark, resolut – und ist sich dabei ihrer hohen Aristokratie vollständig bewußt. Die scharf geschnittene, große Nase, die dünn geschwungenen Brauen und der schmallippige Mund verleihen dem Gesicht einen harten Zug, der durch den strengen, wachen Blick noch verstärkt wird. Beherrscht und kühl kommt sie daher, wenngleich ihre Augen zumindest einen Anflug von vager Melancholie verraten. Es läßt sich beinahe der Eindruck gewinnen, daß diese Frau stark wie ein Mann wirken möchte – zumindest autonom und unabhängig, kurz: das, was die Franzosen kaum übersetzbar »un sacré personnage« nennen. Zeitgenossen, die sie aus jener Zeit kannten, priesen die Gemahlin des Prinzen Wilhelm als »eine glänzende Erscheinung, von klassischer Schönheit, namentlich des Profils, lebendig, geistreich, welterfahren, mit Kunst und Literatur vertraut. Mit derselben Anmut, mit welcher sie im großherzoglichen Schlosse sich als die zweite Dame bewegt, tritt sie im eignen Hause als die fürstliche Herrin auf.«146 Auch in politischen Dingen scheint sie beschlagen gewesen zu sein – so beschlagen, daß sich selbst der vielbeschäftigte preußische Ministerpräsident Bismarck im März 1866 Zeit für »ein politisches Gespräch« mit ihr ließ.147

Ihre großfürstlich-russisch geprägte Identität und Authentizität unbedingt zu wahren scheint die wichtigste Vorgabe für ihre Verpflanzung nach Baden gewesen zu sein. Denn auch in der neuen Heimat blieb und fühlte sie sich vor allem anderen als eine Russin, genauer, als eine Zarenenkelin, der auch ihr griechisch-orthodoxer Glaube heilig und unantastbar war. Das, was man heute Integration nennt, war ihr fremd, ja womöglich zuwider. Sie sprach kein Deutsch und wollte es auch zeitlebens nicht lernen. Konversation machte sie in Deutschland auf französisch. Und volksnah wollte sie schon gar nicht werden. Der enge Verkehr mit ihrer russischen Herkunftsfamilie war ihr wichtig, so daß sie viel verreiste und Besuche von Verwandten empfing. Ihre Mitgift beziehungsweise die Einkünfte, die sie in die Ehe einbrachte,148 dürften sie unabhängig gehalten haben. Man denke etwa an die von ihr eingerichtete ostkirchliche Kapelle voll prächtiger Ikonen im Prinzenpalais am Karlsruher Schloßplatz, für die sie eigens einen Popen engagierte.149 Oder ihre ausgedehnten Aufenthalte im Hotel de Russie in Baden-Baden, wo sie Gesellschaften und Empfänge für ihre russischen Landsleute gab, die sich bekanntlich gerne in dem exklusiven Kurort aufhielten.150 Ob diese Maßnahmen gegen eine befürchtete »Germanisierung« förderlich für ihre Ehe waren, muß bezweifelt werden. Zwar paßten viele Partner der damals ausgehandelten Fürstenehen nicht zueinander; im vorliegenden Fall scheinen die Voraussetzungen für eine glückliche Beziehung besonders ungünstig gewesen zu sein. Weder übten sie eine gemeinsame Religion, noch unterhielten sie sich in der Sprache des Landes, in dem die engere Familie lebte. Und dazu kam der Rangunterschied zwischen der Großherzoglichen Hoheit des badischen Prinzen und der Kaiserlichen Hoheit seiner russischen Gemahlin. Wilhelm und seine von ihm so genannte »Maroussy« blieben sich kultur- und wesensfremd. So hat die stolze Russin auch letztwillentlich verfügt, nicht an der Seite ihres Gemahls in der Großherzoglichen Grabkapelle in Karlsruhe beigesetzt zu werden, sondern in der Krypta der russischen Kirche von Baden-Baden.151

Der Endzeitkanzler

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