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Akademische Zwischenspiele

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Unmittelbar nach seinem Abitur im Sommer 1885 immatrikulierte sich Max für gut zweieinhalb Jahre an deutschen Universitäten; zunächst in Freiburg, dann in Heidelberg und Leipzig. Ein »ernstes Studium« der Jurisprudenz mit »Ablegung des Staatsexamens« hatte sein Vater von ihm verlangt.1 Dafür hatte Prinz Wilhelm beim Familienoberhaupt eigens eine vorläufige Befreiung seines Sohnes vom Militärdienst erwirkt. Womöglich wollte er seinem Bruder beweisen, daß sein Sohn zu mehr befähigt war als einem »Schnupperstudium«, bei dem es die in der Thronfolge Vorangehenden bewenden ließen. Den Studenten Max scheint die hohe Erwartung seines Vaters erst einmal nicht weiter bekümmert zu haben.2 Wichtiger war für ihn, endlich seinem Hauslehrer Roscher entkommen zu sein, so etwas wie ein »selbständiges Leben« zu führen und nicht zuletzt sich »gut zu unterhalten«.3

In Freiburg logierte er im ersten Hotel am Platz, im Zähringer Hof. Sein Mentor war der renommierte Kirchenhistoriker Franz Xaver Kraus, der »so ziemlich alle hochgestellten Personen und alle bedeutenden Gelehrten unserer Zeit kennt«,4 wie Max stolz seinem Freund Ernst berichtete.5 Der kaisertreue katholische Geistliche war Max’ Eltern wie auch dem großherzoglich-badischen Herrscherpaar schon länger freundschaftlich verbunden gewesen. Er soll klug und formgewandt gewesen sein. Kraus hatte nach eigenem Bekunden »eine ganz besondere Freude« an dem Verkehr mit Max.6 Er arrangierte für ihn sogar an jedem Montagabend einen Jour fixe, »wo die Crème der hiesigen Gesellschaft bei mir [Kraus] zusammenkommt«. Max hat die »Liebe und Freundlichkeit«, die ihm Kraus entgegenbrachte, »aus vollem Herzen« goutiert, wie sein Brief an den Mentor zum Jahreswechsel 1885/86 bezeugt. Darin zeigte er sich zutiefst dankbar dafür, wie der Professor ihn »immer und immer wieder auf die großen Ziele aufmerksam machte[n], die ich als Christ und als meinem Fürsten treuer Mann zu erreichen suchen muß«.7 Kraus stand in dem Ruf, ein ganz besonderes Sensorium für die Gefahren zu besitzen, die dem monarchischen System aus der katholischen Bevölkerung heraus drohten, die sich nicht zuletzt in Baden durch den kulturkämpferischen Kurs der großherzoglichen Regierung drangsaliert fühlte.8 Es ist davon auszugehen, daß er auch seinen Schützling Max dafür zu sensibilisieren suchte. Der intensive Kontakt, den Max in Freiburg zu Professor Kraus aufbaute, war der Beginn einer langanhaltenden Freundschaft.9

Überhaupt waren die zehn Monate, die er – mit Unterbrechungen – im Breisgau zubrachte, für Max eine äußerst erfreuliche Zeit.10 Die Gesellschaft, in der er sich bewegte, empfand er als »sehr nett und riesig freundlich«; er spielte »ziemlich viel Klavier«, lernte Offiziere kennen, »worunter mehrere musikalisch sind«, versuchte sich an kleinen Dramen und saß auch einige Zeit »hinter dem Bierglas«. Die Vorlesungen langweilten ihn so sehr, daß er immer wieder an sich appellieren mußte, fleißig zu arbeiten. Als er dann im Oktober 1886 an die Universität Heidelberg wechselte, hatte er aber auch dort im 4. Semester noch den Eindruck, in seinem Jurastudium nichts wirklich Positives zu leisten; »[U]nd ob es je sein wird …? – ich zweifle oft daran«.11


Verschworene Vettern und Heidelberger Kommilitonen: die Prinzen Max (links) und Ludwig von Baden, um 1886

Das lag vor allem daran, daß ihn ganz andere Dinge interessierten, in Heidelberg noch mehr als in Freiburg. Denn dort lebte er zwei Semester lang mit seinem Vetter Ludwig »einträchtiglich zusammen«, und »wir freuen uns unseres Daseins«.12 Aus gutem Grund, denn die beiden Prinzen wurde am Neckar mit Einladungen geradezu überschüttet. Wenn sie sich nicht in Gesellschaften verlustierten, frönten sie der Jagd. Mit seiner Jagdbegeisterung hatte Ludwig Max angesteckt, und so fuhren sie oft in den Schwarzwald hinauf. So blieb auch in der kurpfälzischen Stadt für ein ernsthaftes Jurastudium kaum Zeit – von Lust und Interesse an dem Fach ganz zu schweigen. Max bevorzugte das Studium der Geschichte,13 er las viel historische Literatur, namentlich die Klassiker: Ranke, Treitschke, Sybel; und auch deren englische Pendants Macauly oder Carlyle. Daneben interessierte er sich für den Kunsthistoriker Jacob Burckhardt.14

Nachdem auch die zwei Semester Heidelberg nichts zu einem erfolgreichen Studium beigetragen hatten, kam es im Oktober 1887 in Leipzig zu einem dritten Anlauf. Mit allerdings wiederum nur mäßigem Erfolg.15 Denn auch hier hielten Amüsement und geselliger Verkehr – vor allem mit »Tino«, dem Kronprinzen Konstantin von Griechenland, sowie mit »Taxis«, dem Fürsten Albert von Thurn und Taxis – den Prinzen Max davon ab, sich auf seinen Studienabschluß zu konzentrieren.16 Nach dem Tod seines Vetters Ludwig im Februar 1888 stand dann auch eine ganz andere Frage im Zentrum seiner Zukunftsplanung, nämlich »welches Regiment mir zu empfehlen sei«,17 für den nun anstehenden Militärdienst. Zwar wollte er weiterstudieren, »bis ich das Examen im Wagen habe«, aber das war wohl mehr eine Konzession gegenüber dem väterlichen Wunsch. Denn schon wenige Wochen später spielte Max bereits mit dem Gedanken, ob es nicht »viel rationeller« wäre, »ich machte am Ende des nächsten Semesters meinen Doktor anstatt des badischen Examens«.18 Ein richtiges juristisches Staatsexamen hatte es schon damals in sich, dagegen war der Dr. jur. nur eine Art Zugabe zu diesem, bedurfte also weit geringerer Anstrengungen. Aber Max schwante auch schon: »Ich werde hierbei auf unüberwindliche Schwierigkeiten in Gestalt meines Papas stoßen«.

Und so war es auch. Ab Herbst 1888 mußte er »sinnlos ochsen«, was ihn höchst »unzufrieden« machte. Er war nun in einem »ungesunden, unruhigen« Zustand »mit dem verfluchten Examen auf dem Buckel, von dem jeder spricht, das ich aber allein zu bestehen habe«.19 Immerhin wurde ihm in Leipzig das große Privileg einer intensiven Betreuung zuteil, eine Art privates Repetitorium, bestehend aus drei Professoren, die ihm zuarbeiteten. Das schien nötig zu sein, da Max seinem Freund Ernst gegenüber zugab: »Ich bin das Faulste, was man zu finden vermag.«20 Wohl auch aus diesem Grund nahm Max noch einmal seinen »ganzen Verstand zusammen, um Gründe zu finden, die Papa für meinen Plan [des Doktorexamens] gewinnen könnten«. Sein Argument war, »daß ich genügend studiert haben werde, sobald ich in der Lage bin, einen Abschluß zu gewinnen«.21 Unterstützt wurde er dabei von dem Philosophieprofessor Kuno Fischer, einem alten Freund und Gönner aus Heidelberg, dessen Vorlesungen er regelmäßig gehört hatte. Mit Fischers Hilfe gewann er schließlich die Heidelberger Gelehrten22 – und auch seinen Vater, der nun seinen »Stolz darin setzte, einen Doktor zum Sohne zu haben«.23 Der Großherzog hatte in einem Vier-Augen-Gespräch schon vorher konzediert, daß ihm »Doktor und Staatsexamen einerlei wäre«24: Max war am Ziel. Nun könne er »möglichst schnell in die Uniform schlüpfen« und schon im kommenden Herbst in einem der Berliner Garderegimenter stehen.

Dem preußischen Gesandten in Karlsruhe war dies sogar eine Meldung nach Berlin wert, in der er Bismarck »die juristische Doktorprüfung« des Prinzen Max an der Universität Leipzig für das kommende Frühjahr in Aussicht stellte. Doch der Kandidat wurde nicht in Leipzig, wo er bis zum 14. April 1889 immatrikuliert blieb, sondern in Heidelberg promoviert, und zwar nur zwei Tage später mit dem Prädikat »summa cum laude«. Es kann kaum ein Zweifel bestehen, daß es sich um eine Courtoisiepromotion handelte; auch die Dissertationsschrift wurde ihm erlassen.25 Max war glücklich »über den kleinen Erfolg, den ich errungen.«26

Fragt man nach den Ursachen des wenig ambitionierten Studiums, so wird man zuerst auf mangelnden Fleiß und Ehrgeiz stoßen. Max war es offenbar nicht gewohnt, sich ernsthaft mit einer Materie wie der Jurisprudenz zu befassen. Zwar konnte er durchaus strebsam und fleißig sein – wie zum Beispiel die Offiziersprüfung vom November 1889 beweist, von der er berichtete, daß »ich noch nie in meinem Leben so gearbeitet habe«.27 Eine weitere, weit wichtigere Ursache war sein Interesse an den »schönen Künsten«, denen sich Max schon in früher Jugend verschrieben hatte. Es verlangte ihn geradezu nach arkadischen Gefilden, »wo die liebe Sonne der Kunst und Poesie erstrahlt«.28 Es waren die »Werke Byrons, die mich ungeheuer ansprechen«.29 Byron, der Dichter der »Schwarzen Romantik«, war der Erfinder des »Byronic Hero«, einer archetypischen Figur, die die romantische Künstlerpersönlichkeit in Gestalt von extrem egomanischen Einzelgängern verkörpert – rastlos, verletzbar, einsam.30 Daß Max sich für Byron und seine Dichtung begeisterte, ist aufschlußreich; umso mehr, als er sich in dieser Zeit sogar selbst an einem mythologischen Drama in Versform versucht hat, dem er den Titel Dido gab.31

Dido war der Sage nach eine phönizische Prinzessin. Vom Schicksal schwer geschlagen, begründet sie zunächst Roms zukünftigen Widerpart Karthago; durch geschickte List und eine in Streifen geschnittene Kuhhaut. Dann bringt sie sich – Rache schwörend – um der Liebe willen um, nachdem Aeneas, der Sohn der Venus, sie auf Geheiß der Götter hatte verlassen müssen. Diesem künstlerisch breit rezipierten Stoff32 verschrieb sich auch der kaum zwanzigjährige Max mit Inbrunst über viele Monate. Er glaubte, gerade die kreative Auseinandersetzung damit befähige ihn dazu, »aus sich Neues zu schaffen«; mehr noch, Ernstes statt Sentimentalem, Tragisches statt Traurigem »hervorzubringen«.33 Max wollte Künstler sein, wollte aus der »Maniriertheit meiner Gefühle« heraus Literatur schaffen. Seine Kunstsehnsucht offenbart ein elementares Lebensbedürfnis, eine Art Überlebensstrategie.

Eine andere Kunst, der Max in dieser Zeit verfiel, war die Musik. Die Musikdramen Richard Wagners bekamen eine herausragende Bedeutung in seinem Leben. Das verwundert kaum, waren diese Opern doch die ersten, die beim Publikum einen Rausch auslösen wollten und ihm zugleich eine Weltflucht eröffneten.34 Für sie hat Max schon Ende der achtziger Jahre eine große Leidenschaft entwickelt.35 Ein weiterer Fixstern am künstlerischen Himmel des Prinzen wurde Friedrich Nietzsche, auf den Max bei seinen Bemühungen, seinem Leben eine höhere, ästhetische Weihe zu geben, gestoßen war. Die Lektüre Nietzsches war damals ein durchaus zeittypisches Phänomen in Deutschland.36 Unwiderstehlich war sein Werk in diesen Jahren in das Zentrum des kulturellen Lebens und der literarischen Öffentlichkeit getreten – nicht zuletzt seiner poetischen Sprache wegen. Von Nietzsches Stil ging ein Zauber aus, dem sich ein literarisch interessierter, suchender Geist kaum entziehen konnte. Nietzsche – so berichtet Harry Graf Kessler – »sprach nicht bloß zu Verstand und Phantasie«, sondern »spannte zwischen uns und dem Abgrund der Wirklichkeit den Schleier des Heroismus«, wodurch man von dieser »wie fortgezaubert und entrückt« wurde.

Wenn sich der junge Max von mythischen Bildern, magischen Stoffen, zauberhaften Klangfarben und nicht zuletzt von mystischem Heroismus so sehr angezogen fühlte, so hoffte er in diesen Dingen emotionale Orientierung zu finden. Die Nähe zu König Ludwig II. von Bayern ist unverkennbar.37 Nicht zuletzt war Max in diesem Bestreben ein Kind seiner Zeit, die die Kunst und ihr Erlebnis als sakral ansah.38 In der Kunst wurde weit mehr als nur ein schöngeistiger Genuß gesehen. Bei Max handelte es sich auch um einen Akt der »Selbsterschaffung«, der Selbstdramatisierung als tragischer Held, der ästhetisch veredelt seinem Schicksal gegenübertreten wollte. Seine Passion für die Kunst läßt schon früh so etwas wie Erlösungssehnsucht erkennen.

Der im Sommer 1889 vollzogene Übertritt zum Militär erfolgte insofern eigentlich »gegen meine innerste Überzeugung«.39 Max fühlte deutlich, daß er »einem Leben entgegen gehe, das meiner Natur nicht entspricht«, versuchte sich aber gleichzeitig darüber fatalistisch hinwegzutrösten, »daß es so sein muß und ein Entrinnen unmöglich ist«.40 Der einzige standesgemäße »Beruf«, den der erbberechtigte Prinz eines Herrscherhauses damals ergreifen konnte, war in der Tat der militärische.

Der Endzeitkanzler

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