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Eine geplatzte Verlobung
ОглавлениеAm 13. April 1898 – nach seinem zweimonatigen Verschwinden – schrieb Max an seinen »lieben alten Erni« aus Nizza: »Endlich ist der Feuerbrand auch in mein Herz geschleudert worden. Was ich nie gedacht und nie geträumt habe, ist zur Wahrheit geworden: ich liebe mit meinem ganzen Herzen und meinem ganzen Sein. Auf einem Pariser Bahnhofe war es, daß ich die Tochter [Helena, genannt Ellen] des Großfürsten Wladimir nach zwei Jahren wieder sah, und wo es mir auf einmal klar wurde, daß der beste Teil meines zukünftigen Lebens bei ihr läge. Sie ist schön, gescheit und gut. […] Mir schwindelt vor dem Glück, das ich jetzt aus eigener Kraft zu erringen vermag. In wenigen Tagen hoffe ich sie zu meiner Braut gemacht zu haben.«46
Doch die Brautwerbung in Südfrankreich verlief nicht so ideal, wie Max es sich im ersten Überschwang erhofft hatte. Zunächst war noch ein Rivale im Spiel, Prinz Rupprecht von Bayern, dem er sogar den Vortritt lassen mußte.47 Doch, wie Max weiter berichtet, war ihm das Glück insofern hold, als der Bayer in kürzester Frist »ausgespielt hatte, und tief bekümmert abzog«. Nun trat eine andere unangenehme Schwierigkeit auf: »Anstatt aber die Dinge ruhig gewähren zu lassen und mir die Chance einer unbefangenen Begegnung zu gönnen, sprach die Großfürstin sofort mit ihrer Tochter über mich und eröffnete ihr meine Absichten, indem sie gleichzeitig meine Partei energisch ergriff. Hierdurch drängte sie ihre Tochter, die sehr wohl weiß, was sie will, in die Opposition, und erstickte für’s Erste die guten Empfindungen, die sie mir entgegenbrachte. Gehetzt und enttäuscht, statt einer vergnügten Ferienzeit mit Heiratsanträgen gequält zu werden, wurde sie fremd und oft sehr unfreundlich gegen mich. […] Von der Großfürstin und demWunsch getrieben, die Situation zu klären, benutzte ich eine günstige Gelegenheit und erklärte mich ihr. Da entrang sich der kleinen Brust der Schrei: ›I am still too small!‹48 Auf die Zukunft vertröstet, wollte ich sofort abreisen, um sie nicht mehr zu quälen, beide Mütter49 aber verhinderten diesen einzigen richtigen Gedanken, und so endete der Aufenthalt mit einer Dissonanz. Mehr noch, am Tage der Erklärung reiste die Großfürstin nach Monte Carlo und überließ mir plein pouvoir [Vollmacht], mit ihrer Tochter allein zu sein, so viel ich wollte. Dieser frivolen Auffassung stimmte ich natürlich nicht bei und war so zurückhaltend als möglich. Dies scheint seine Frucht getragen zu haben, denn ich höre, die Kleine hat sich lobend darüber geäußert.« Am Ende soll es sogar so gewesen sein, daß Ellen »sich Vorwürfe über ihr Benehmen zu mir machte und auf’s Tiefste sich beklagte, daß ihreMutter sie nicht verstehe«.50 So mußte das Heiratsprojekt vorerst in der Schwebe bleiben, aber der Freier konnte nicht ohne Hoffnung nach Hause fahren.
Der Hochzeitsplan für Ellen und Max war von den Müttern der beiden arrangiert worden und zielte auf eine, dynastiepolitisch betrachtet, durchaus hochkarätige Partie.51 Schließlich war die Mutter der Braut – eine gebürtige deutsche Prinzessin aus dem Hause Mecklenburg-Schwerin – mit dem Zarensohn Wladimir verheiratet.52 Als Onkel des soeben inthronisierten russischen Kaisers Nikolaus II., als hoher Militär und als feudaler Lebemann mit weitverzweigten Kontakten in den Hochadel hatte Wladimir große politische Bedeutung, aber auch gesellschaftlichen Einfluß – und nicht zuletzt immensen Reichtum.53 Diese herausragende Machtstellung zu festigen, wollte auch seine ambitionierte Gattin beitragen, nachdem sie ihm vier Kinder geboren hatte. Daß der bayerische Thronerbe Rupprecht ernsthafte Absichten gegenüber ihrer einzigen Tochter hegte, zeigt wiederum, wie hoch ihr Wert auf dem dynastischen Heiratsmarkt war. Was zwischen dem halbrussischen Thronprätendenten Badens und der ebenfalls halbrussischen Zarenenkelin angebahnt wurde, war also ein prestigeträchtiges Unternehmen.
Doch noch einmal zurück zu dem Brief aus Nizza an Freund Ernst, in dem Max sich zum Romeo stilisiert. Wie erklärt sich, daß er plötzlich von der großen Liebe überzeugt ist? Max hatte sich im Vorfeld seiner Brautwerbung ins Ausland begeben, um sich beiMunthe einer längeren Suggestionsbehandlung zu unterziehen.54 Dadurch sollten in ihm heterosexuelle Bedürfnisse entstehen und möglichst nachhaltig wirken – ein Experiment von eher zweifelhaftem Erfolg. Daran lassen die von Max gleich nach seiner Rückkehr geäußerten Skrupel keinen Zweifel. Sie gipfelten darin, sich aus dem Experiment wenn nötig auch wieder zu verabschieden: »In Versuchung gebracht, mein Gewissen mit einer schrecklichen Verantwortung zu beladen«, wolle er »ein für alle Mal verzichten und ganz gefaßt die Schuld auf mich nehmen, daß ich von dem Bemühen zurückgetreten bin, meine Pflicht meinem Haus und meinem Land gegenüber zu tun.« Dies »ist meine tiefste Überzeugung und unbeirrbar. Für mich ist die ganze Heiratsfrage nichts weiter als eine Pflichterfüllung, doch weil für mich das Glück und der Frieden meiner Mitgeschöpfe einen höheren Wert haben als das von Familienpolitik«, so würde er letztere auch getrost opfern. Nach mehrwöchigem Erholungsurlaub in der Schweiz55 zeigte Max sich seinem Freund Ernst gegenüber zunächst aberweiter zuversichtlich, daß »die Saat, die im Frühling unter Schwierigkeiten gesät wurde, im Herbst noch zur guten Frucht reifen« könne. Er sei nämlich nach Zarskoje Selo eingeladen, »um dort zu bleiben und mein Heil noch einmal zu versuchen. Ellen selbst, das ist mein Trost und mein Hoffen, hat mein Kommen gewünscht. Allein, ohne andere Gäste soll ich dort mich ihr nähern dürfen. Sie sagte ihrer Mutter, sie habe das Gefühl, mit mir glücklich zu werden, aber sie müsse mich lieben lernen, um ohne Rückhalt ›ja‹ sagen zu können.«56 Zwar ist von einer wirklichen Herzensneigung in diesem Schreiben wenig zu spüren, umso mehr aber von Max’ Willen, sich auf seine dynastischen Pflichten nun wirklich einzulassen. Acht Tage später war er tatsächlich verlobt. Nach eigenem Urteil war es ihm »vergönnt, die Braut in Rußland mir so zu gewinnen, wie ich es mir schöner nicht denken konnte«.57
In Baden habe die Verlobung überall »lebhafte Befriedigung hervorgerufen«, wußte Preußens Gesandter Eisendecher nach Berlin zu berichten. »Da die Aussicht auf Nachkommenschaft bei dem Erbgroßherzoglichen Paare immer mehr schwindet, so war für den Fortbestand des regierenden Hauses eine baldige Heirat des einzigen noch successionsfähigen Prinzen dringend erwünscht.«58 Nach einem Bericht der Karlsruher Zeitung scheint die Begeisterung in Salem ganz besonders groß gewesen zu sein: Gleich am Tag danach verkündeten »Böllerschüsse das freudige Ereignis der Verlobung. Der ganze Ort prangte im Flaggenschmuck und abends brachte die Feuerwehr Ihrer Kaiserlichen Hoheit [der Prinzenmutter] einen Fackelzug. Vor dem Schlosse sang der Kirchenchor abwechselnd mit dem Männerquartett einige der Feier entsprechende Lieder«.59 Am Zarenhof und speziell in der Brautfamilie hatte Max offenkundig einen hervorragenden Eindruck gemacht.60 Zurück in Deutschland, gab sich der Prinz ganz als »beglückter Bräutigam«.61 Selbst seinem Therapeuten Munthe gegenüber, der ihm zu seinem mutigen Schritt beglückwünscht hatte, pries der Verlobte seine Eroberung in den höchsten Tönen: »Sie ist großzügig, hat Mitgefühl, haßt Ungerechtigkeit, ist absolut und unfehlbar aufrichtig. Sie strotzt nur so vor Gesundheit und Energie.«62
Mit der ersten Verlobten, der russischen Großfürstin Helena Wladimirowna, und deren Mutter Maria Pawlowna, 1898
Tatsächlich machte das junge Brautpaar, als es sich Anfang Oktober 1898 gemeinsam mit den engsten Verwandten am deutschen Kaiserhof vorstellte, nach den Erinnerungen des badischen Gesandten dort einen »höchst stattlichen« Eindruck.63 Nicht anders wird es in Mecklenburg gewesen sein, der Heimat der Brautmutter, wo die beiden im Anschluß an ihren Auftritt in Berlin von der großherzoglichen Familie begrüßt wurden – in eher ungezwungener Atmosphäre auf Schloß Wiligrad am Schweriner See.64 Doch waren es gerade die private Atmosphäre dieses Aufenthalts und der permanente Kontakt der Brautleute, die dem Prinzen überdeutlich die Grenzen seiner Anpassungsfähigkeit aufzeigten und ihn in eine tiefe Krise stürzten. Kaum war er nach ein paar Tagen intimerer Zweisamkeit mit seiner Zukünftigen nach Hause zurückgekehrt, setzte Max einen Brandbrief an seinen Arzt auf: »Mein lieber Doktor, Ich habe manchmal Anfälle vonWahnsinn, eine schreckliche Depression und tatsächlich Weinkrämpfe – Was für ein Elend! Das alles kommt von der Vorstellung, daß ich meine derzeitige Situation nicht meistern kann, und ich bin fest davon überzeugt, daß das mit der vita s… [sexualis]65 zusammenhängt. Was rätst Du mir zu tun? Soll ich mein Ziel weiterverfolgen oder aufgeben. Ich werde geplagt von Zukunfts-Bildern: Mißerfolg, Freiheitsverlust, usw. Perverse Gedanken habe ich augenblicklich nicht mehr, aber andererseits beherrscht mich das Gefühl, vor einer unlösbaren Aufgabe zu stehen. Ich fürchte mich schrecklich davor, weniger stark [potent] zu sein, als das die andere Seite vielleicht erwarten oder lernen mag zu begehren, und dieser Gedanke treibt mich in den Wahnsinn. […] Ich erlebe Momente, wo mir der Tod fast einfacher erscheint als auf dieseWeise weiterzumachen. […] Ist das alles eine geistlose Phantasie, hervorgerufen durch meine Empfindlichkeit in sexuellen Dingen, oder ist da auch etwasWahres dran? […] Wenn Du meinst, daß ich mich weiter durchquälen soll, dann will ich das, wenngleich ungern, tun, aber ich garantiere für nichts. Ein Wort von Dir und ich mache komplett Schluß.«66
Daß Freund Munthe diesen Notschrei nicht vernichtet hat, legt die Vermutung nahe, daß er darin – zu Recht – ein Schlüsseldokument zum tieferen Verständnis seines Probanden erblickte.67 Nicht allein wegen der affektiven Gefühle, die der Prinz darin offenbart, sondern weil dieser Brief zeigt, wie heillos dieser Bräutigam mit seiner Rolle überfordert war. Sein Dilemma bestand nun darin, daß Max die innere Unmöglichkeit des ihm Zugemuteten zwar realisiert hatte, dieser aber kaum etwas Rettendes entgegensetzen konnte. Und so mußte er sich weiter »durchquälen«.
Die Brautwerbung stürzte Max nicht nur in eine schwere Identitätskrise. Sie bedeutete auch eine irreversible Weichenstellung für den ganzen Rest seines Lebens. Sie zwang ihn nämlich, seine private Existenz fortan auf faule Kompromisse, dilatorische Formeln sowie auf die Sprache des uneigentlichen Redens zu gründen. Man kann dies in seinen Briefen an Ernst verfolgen, dem gegenüber er im Herbst 1898 in so große Erklärungsnöte geriet, daß er die Korrespondenz mit ihm monatelang einstellte. Als er sich dann »nach endlos langem Schweigen« im Januar 1899 wieder bei ihm meldete, fiel es ihm sichtlich schwer, dies zu erklären: »Ich konnte das, was ich sagen mußte, nicht gut formulieren, und meine Stimmungen wechselten zu oft, um sie des Berichtens wert zu erachten«; außerdem deutete er an, er habe »viel gelitten, und oft viel mehr, als ich es sagen kann«.68
Mit seiner Absicht, »einen Bund zu schließen, von dessen Erfolg nicht allein mein Glück, sondern das Vieler abhängen wird« – so schrieb er am Tag darauf an Cosima Wagner –, handle er »im Bewußtsein der Notwendigkeit und im Vertrauen auf Gott«.69 Doch diese Schicksalsergebenheit hatte weder einen strategischen noch einen praktischen Nutzen. Hier mußte nachgebessert werden, und zwar mit Pathos. Er habe eine »Empfindung, die wachsend stets in meinem Innersten an Kraft gewinnt, dem Gefühl der Notwendigkeit, der Unmöglichkeit, dem Schicksal zu entgehen, das wir uns selbst bereiten. Indem dieses Gefühl an Kraft gewinnt, wird es selbst zu einer Kraft und gereicht zur Stärkung. Man macht sich das Schicksal gewissermaßen zum Verbündeten und wird endlich unverletzlich …«. Das war das eine; das andere war, daß er sein Schicksal »zu einem tragischen« verklärte. Er inszenierte sich nach außen als eine Art tragischen Helden, während er doch privat in Bangigkeit lebte und sich überwiegend in Selbstmitleid und Selbstvorwürfen erging.
Vorläufig schien Max mit dieser Privatpolitik gar nicht so schlecht gefahren zu sein. Denn als er sich im Februar 1899 noch einmal zu einem Brautbesuch nach Petersburg einfand, lief dort alles sehr viel besser als erwartet.70 So notierte die Baronin Spitzemberg am 16. Mai 1899 nach einer Begegnung mit Prinz Max im Salon der Frau von Helmholtz: »Er sieht hübscher aus als je, scheint sehr glücklich und äußerte recht männliche Ansichten über die Angewöhnung seiner jungen Frau an kleine deutsche Verhältnisse«.71 Aber dieser Schein trog; denn schon am 2. April 1899 hatte die Brautmutter sichtlich zurückhaltend mit Blick auf die bevorstehende Hochzeit an ihren Bruder Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg-Schwerin geschrieben: »[N]och wissen wir nicht, wie alles sich gestalten wird. Sobald sich das Bild geklärt hat, schreibe ich es Dir«.72 Gut möglich, daß man an Wladimirs Hof inzwischen Erkundungen über den Heiratskandidaten eingezogen hatte, die dessen Eignung für das Projekt in Zweifel zogen. Jedenfalls scheinen ab März, spätestens April 1899 die Brauteltern ein wachsendes Mißtrauen gegenüber ihrem künftigen Schwiegersohn gehegt zu haben. Später kam heraus, daß Max im März den Briefverkehr mit seiner Verlobten einstellte und damit die russischen Vorbehalte noch weiter verstärkte.73 Mitte Mai wurde jedenfalls nach Kenntnis der deutschen Botschaft in Sankt Petersburg in der russischen Zarenfamilie »ganz allgemein davon gesprochen, daß Prinz Max es auf einen Bruch abgesehen« hätte.74 Aus derselben Quelle kam 14 Tage später dieses: »Wie ich im engsten Vertrauen erfahre, ist heute ein Brief Seiner Kaiserlichen Hoheit des Großfürsten Wladimir an den Prinzen Max von Baden abgegangen, der eine definitive Absage enthält. Nach hiesiger Darstellung hat Prinz Max trotz mehrfacher Aufforderung auch von Seiten Seiner Majestät des Kaisers Nikolaus, seine Braut zu besuchen, unter allerhand Vorwänden und selbst mit der Andeutung […], als wolle man ihn bei der Ausübung seiner militärischen Pflichten hindern, seine Abreise unausgesetzt verschoben. Dazu kam, daß seine Telegramme und seine wenigen Briefe in einem Tone gehalten waren, der unerklärbar wäre, wenn es dem Prinzen nicht darum zu tun gewesen, einen Bruch herbeizuführen. Deshalb hat man sich schließlich […] entschlossen, von hier aus die Verlobung zu lösen.«75
Woher nahm Max – eigentlich ein Muster an konventionellem Verhalten – denMut zu einer solchen Provokation? Den entscheidenden Hinweis gibt eine Marginalie Wilhelms II. unter dem zitierten Diplomatenbericht über die Entlobung: »Ein wahrer Segen! Ich bin sehr zufrieden.« Wie das? Die Antwort ist ebenso banal wie charakteristisch für das Oberhaupt der Hohenzollern. Seit Jahren war Wilhelm der deutschstämmigen Brautmutter, der Großfürstin Wladimir, gram. Seine Animosität gegen Maria Pawlowna ging auf einen gesellschaftlichen Affront bei der Coburger Fürstenhochzeit vom April 1896 zurück, wo die beiden sich beim festlichen Diner wechselseitig brüskiert hatten.76 Die Berichte seines Botschafters Radolin aus Sankt Petersburg, die kaum jemals ein gutes Haar an der Familie Wladimir ließen,77 hattenWilhelms Vorurteile noch verstärkt. So konnte Max fest darauf rechnen, daß er bei einem geschickt lancierten Rückzug wahrscheinlich nicht ohne kaiserlichen Flankenschutz bleiben würde. Der ressentimentgesteuerte Wilhelm ermöglichte es ihm, sich von dem ungemütlichen Eheplan endgültig frei zu machen. Er mußte Maria Pawlowna provozieren und ihr latentes Mißtrauen weiter bedienen.
Am 19. Mai 1899 erhielt Max einen Brief von ihr voller »Vorwürfe und Anklagen«, der – wie Max Ernst gestand – »jedes Gefühl in mir verletzte«.78 Statt wie geplant nach Petersburg fuhr der Gescholtene daraufhin nach Karlsruhe, um dort großen Familienrat abzuhalten. Über das Ergebnis berichtete der preußische Gesandte Eisendecher ein paar Tage später »privatim und ganz vertraulich« an seinen Chef im Auswärtigen Amt, Bernhard von Bülow, wobei er massiv Partei für seinen Schützling Max ergriff. Der sei, so heißt es gleich zu Beginn, ganz »entrüstet und empört über die Machenschaften in St. Petersburg, die er lediglich der Mutter seiner Braut zuschreibt«. Die müßte sich bei ihrem zukünftigen Schwiegersohn entschuldigen, sonst würde »der Prinz das Verlöbnis lösen«. »Das wäre bei weitem das Beste«, kommentierte Kaiser Wilhelm diese Textpassage.79 Und damit hatte Max nun tatsächlich Carte blanche. Zwar überließ es das Haus Zähringen, aus Rücksicht auf die großherzoglich-badischen Herrschaften,80 letztlich den Russen, den ersten Schritt zu tun – aber es war der Bräutigam, der diese Verbindung hatte auffliegen lassen.
Zwar kursierten in Diplomatenkreisen und auch in der Berliner Hofgesellschaft diverse Gerüchte über die möglichen Gründe dieses Scheiterns – »[v]on der direkten Ursache aber weiß Niemand etwas zu sagen.«81 So blieb es bei vagenMutmaßungen, die den Hauptbetroffenen moralisch so gut wie unbeschädigt ließen. Ein übriges taten schließlich die Diplomaten in Karlsruhe, aber auch in Sankt Petersburg, die in enger Abstimmung erfolgreich dafür Sorge trugen, daß »die unangenehme Sache möglichst totgeschwiegen wird«.82 Und wie in Baden so hatten auch in Rußland manche Interesse daran, daß der badische Prinz in der vornehmen Gesellschaft nicht in Verruf geriet. Selbst »die frivole Petersburger Gesellschaft« – so konnte Max frohlocken – habe »sehr scharf« über seine schlechte Behandlung durch die Wladimirs geurteilt.83 Er profitierte zudem von dem miserablen Ruf, den die Familie der Braut beim Zaren hatte.84 Schon im Herbst desselben Jahres beseitigte Max den letzten Rest etwaiger Irritationen, als die Zarin nebst Ehemann ihren Bruder, den Großherzog Ernst Ludwig von Hessen, in dessen Schloß Wolfsgarten besuchte. Max nutzte die Gelegenheit, dem Zaren in familiärem Kreise seine Aufwartung zu machen und sich zu erklären.85 Das scheint ihm so überzeugend geglückt zu sein, daß der Zar sichwenige Tage später zu einem spontanen Kurzbesuch bei Max’ Onkel in Baden-Baden entschloß.
Mit diesem Gunstbeweis konnte der badische Thronprätendent in der Tat mehr als zufrieden sein, ein Prestigeverlust stand kaum mehr zu befürchten. Am wichtigsten aber war es für Max, ein gutes Verhältnis zum deutschen Kaiser zu haben, ohne dessen ausdrückliche Billigung er das Risiko seiner Entlobung nicht hätte auf sich nehmen können. Max war also gut beraten, sich seinem kaiserlichen Vetter gegenüber dankbar zu zeigen. Zum Beispiel durch seine Bitte, als Ordonanzoffizier am Kaisermanöver im Herbst 1899 in Südwestdeutschland teilzunehmen. Diese Offerte nahm der dafür besonders empfänglicheWilhelm gerne an. Und quittierte sie sogar mit einem kurzen Privatbesuch in Schloß Salem, dem bald darauf die Beförderung des Prinzen zum Major folgte.86 Max war selig ob der Gnade Seiner Majestät.87
Es war dem Prinzen gelungen zu verhindern, daß seine Homosexualität bekannt und seine Ehefähigkeit in Zweifel gezogen wurde; ein ganzes Netzwerk an Gönnern hatte dazu beigetragen.88 Doch so glimpflich diese Geschichte für ihn ausging, der Vorfall hatte dennoch Folgen: Die geliebte Mutter hatte er so vor den Kopf gestoßen, daß sie als Lebensberaterin erst einmal ausfiel. Zu groß war die Enttäuschung über ihren einzigen Sohn, den sie schon auf dem badischen Thron gesehen hatte.89 Mehr noch, die Beziehung erfuhr einen irreparablen Riß. »Wir liebten uns«, so schrieb Max Jahre später, »aber wir haben uns unseres Zusammenseins selten mehr so gefreut wie vorher. Unser Bestes behielten wir für uns, und ich weiß noch genau, wie ich öfters fast erstickte, wenn es mir nicht gelang, das rechte Wort über die Lippen zu bringen, das mich und sie erfreut hätte.«90 Max fand für diesen schmerzlichen Verlust einen gewissen Ersatz – eine Freundin, die ihm seit langem schon verbunden war.