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Das schwere Erbe
ОглавлениеZiehen wir eine erste Bilanz, zunächst historisch-politisch: Badens Aufstieg vom kleinen Duodezfürstentum zum ansehnlichen Mittelstaat beruhte zum Teil auf den persönlichen Leistungen des Gründungsfürsten Karl Friedrich, zum größeren Teil erklärt er sich aus der geostrategischen Bedeutung des Landes sowie der Protektion Napoleons und Zar Alexanders I. Der rasante Aufstieg der halblegitimen Hochbergs stand von Anfang an unter keinem guten Stern; die Kaspar-Hauser-Affäre wirkte sich negativ auf ihre Reputation aus und ließ gewisse Gerüchte nie zum Verstummen kommen. Schließlich sorgte die Politik Leopolds mitsamt dem totalen Herrschaftsverlust von 1849 für einen enormen Imageschaden der badischen Monarchie. Deren Neuerfindung durch Friedrich I. auf dem Wege einer Entthronung des Bruders Ludwig und der – politischen – Verschwägerung mit Preußen gab dem badischen Großherzogtum zwar eine Überlebenschance, konterkarierte aber keineswegs die innerdynastischen Verwerfungen, und sie löste auch nicht das generelle Legitimationsproblem der Hochberger. Stellt man in Rechnung, daß die mehr oder weniger souveräne Fürstenherrschaft vom Wiener Kongreß bis zur Bismarckschen Reichsgründung vor allem mit dem ehernen Gesetz des monarchisch-dynastischen Prinzips legitimiert worden war, so entwertete die »Hochbergerei« in Baden ebendiesen Glauben – und den Zähringer Stammbaum. Die von Großherzog Friedrich geprägte leutselige Herrschaftspraxis konnte weder die genealogische Krise überwinden noch den Fluch bannen, mit dem das Fürstenhaus seit Kaspar Hauser gestraft zu sein schien. So brannte das Lebenslicht der badischen Herrscherfamilie schon von beiden Enden her ab, bevor das lange 19. Jahrhundert in sein Endstadium trat.
Es war ein höchst fragiles Gebilde, familiär wie politisch, in das Max von Baden hineingeboren wurde. Es stellt sich die Frage, ob er in die zahlreichen »dunklen Seiten« der Familiengeschichte eingeweiht war? Und wie wirkten diese Geschichten, die er zu hören bekam, auf ihn? Empfand er diese Familiengeschichte als singulär in ihrer Tragik? Würde sie weitergehen, diese vermeintliche Tragik? Erzogen von einem verständnislosen Hauslehrer; einen Vater vor Augen, der vom erfolglosen Dasein als zweitrangiger Prinz zermürbt war, und zu sehr geliebt von einer höchst eigenwilligen Mutter streng russisch-orthodoxer Prägung. War das nicht der Stoff für Verhängnisse, für seelische Martyrien? Konnte Prinz Max überhaupt entkommen? Woher sollte er den Mut nehmen, das Selbstvertrauen und die Gewißheit, nicht auch von der schrecklichen Dynastietragödie zerstört zuwerden, die er nunwomöglich selbst verstetigen mußte?
Daß Max die fürstlichen Konventionen als besonders drückend empfand, ist in seiner Korrespondenz vielfach bezeugt. Bereits in jungen Jahren besaß er ein Bewußtsein für die eigene Individualität. Schon vor seiner unerwarteten Rangerhöhung hatte ihn der Druck jener Normen so bange gemacht, »daß ich ganz ängstlich bin, wie ich die Erwartungen später in Taten umwandeln soll«.160 Ein mehr oder minder ungebundenes Ästhetenleben, wie es ihm eine Zeitlang vorschwebte, schied aus, als er ab 1888 für den Fortbestand der badischen Monarchie sorgen mußte. Diese Aufgabe war letztlich nur unter Verzicht auf Selbstbestimmung und individuelles Glück wahrzunehmen. Doch hatte man überhaupt dieWahl in so einem Fürstenleben? Konnte gar das schwierige familiäre Erbe für Max, statt zu einer lähmenden Belastung, zu einer Möglichkeit werden, ganz neue Wege zu gehen? Das hing davon ab, wie er seine veränderte Lebensaufgabe interpretierte und wie er das Überkommene wahrnahm. Als eine Art Erbsünde womöglich – mit dann traumatischen Folgeerscheinungen? Oder eher als ein unliebsames dynastisches Syndrom, von dem es sich endlich zu befreien galt? Dann durfte er dem Gewesenen keinerlei Vorherrschaft über das Kommende einräumen.