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Kapitel 3 Zeit der Krisen:
An den Klippen des wirklichen Lebens Halbe Rückkehr nach Berlin
ОглавлениеEinen Monat nach dem Tode seines Vaters erhielt Max »wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel« die Nachricht, der Kaiser habe ihn zum Escadrons-Chef in seinem alten Garde-Kürassier-Regiment ernannt.1 Diese Beförderung enthielt zugleich den Befehl zumsofortigen Dienstantritt als aktiver Rittmeister in Berlin – eine, wie der Befehlsempfänger meinte, »harte Notwendigkeit«, der man sich kaum entziehen konnte. So kehrte der Prinz Anfang Juni 1897 in die Reichshauptstadt zurück. Daß Wilhelm II. gleich in der Woche nach Max’Wiedereintritt in sein Regiment beim Offizierskorps der Gardekürassiere zum Frühstück erschien und es dadurch besonders auszeichnete, unterstreicht sein persönliches Interesse am Schicksal des badischen Verwandten, den er offenbar in seiner Nähe – vielleicht auch unter seiner Kontrolle – haben wollte.
Doch schon drei Wochen später zog sich Max wieder aus Berlin zurück. Er hatte einen sechswöchigen Urlaub erhalten, den er großenteils zu einem Kuraufenthalt in St. Moritz nutzte. Danach wußte er nicht so recht, wie es weitergehen sollte. »Der Anstand erfordert, daß ich die mir anvertraute Schwadron bis zum Frühjahr ausbilde«, schrieb er Ernst im Herbst aus Berlin, »dann werde ich weitere Entschließungen treffen«.2 Doch schon Anfang 1898 ist davon keine Rede mehr. Wichtigeres stand an. Dazu zählte an erster Stelle seine Verheiratung. Dieses Unternehmen kostete so viel Geduld und Zeit, daß seine Schwadron ihren neuen Kommandeur das ganze Jahr über nur knapp fünf Monate zu Gesicht bekam. Die übrige Zeit verbrachte der Prinz in Baden, in Frankreich, Italien, der Schweiz und Rußland.
Noch bis kurz vor dem Tod des Vaters hatte Max eigenen Angaben zufolge in einer Zeit gelebt, die »ich zu den schwersten meines Lebens zähle, weil mit der Krankheit, die ein abscheuliches Erbteil von Evas Sündenfall ist, noch andere Prüfungen moralischer Art zu ertragen waren. Aber hiervon schweige ich Dir Glücklichem gegenüber«.3 Hinter dieser Anspielung verbarg sich vermutlich eine Geschlechtskrankheit. Erst ein ausgiebiger Besuch auf Schloß Langenburg bei Freund Ernst, der gerade zum ersten Mal Vater geworden war, brachte Max im Frühjahr 1897 wieder auf bessere Gedanken.4 Es war »Baby Bee« gewesen, die knapp dreizehnjährige Prinzessin Beatrice von Sachsen-Coburg und Gotha, die Schwägerin seines Freundes, die das Gemüt des Prinzen aufhellte. Sie hatte Max »so gefallen, daß ich eigentlich recht Lust habe, auf sie zu warten und so früh, als es irgend möglich ist, zu versuchen sie zur Meinen zu machen«. Daß dies vier Jahre Warten bedeutete, darüber war sich der nun bald Dreißigjährige durchaus im klaren gewesen – doch weder das noch der beachtliche Altersunterschied haben ihn davon abhalten können. Sogar mit seinerMutter hatte er »gleich darüber gesprochen, sie war ebenso erfreut wie betrübt, wenn sie die lange Zeit erwog, die noch darüber hingehen muß«. Nachdem sein Freund Ernst ihm etwas »kaltes Wasser« über den erhitzten Kopf dieser Heiratsphantasie gegossen hatte, antwortete ihm Max: »Niemand kann sich der Schwierigkeiten bewußter sein als ich.«5 Seinen Zustand »Liebe zu nennen, würde gewagt erscheinen, wohl aber mag sie deren Keime in sich tragen«. Er werde »jedes erlaubte Mittel anwenden, um mein Ziel zu erreichen«. Beatrice sei »jetzt schon hübsch und sieht viel erwachsener aus, als ihr Alter erwarten ließe. Sie wird früh erwachsen sein, und wie alle ihre Schwestern immer schöner werden. Sie wird einen nie langweilen, und wenn sie mich gern hat, bangt mir nicht um die Erziehung, da sie gescheit und gut ist.« All dies waren Überlegungen, »wie sie jetzt im Nebel der Zukunft mir dämmern«, die Max ausschließlich mit seinem Busenfreund Erni sowie seiner Mama zu kommunizieren wagte – nicht aber mit dem Objekt seiner Ambitionen, von dem er sich wünschte, »daß man sie mir verspräche oder daß ich sie kaufen könnte«.
Nicht spontane Verliebtheit, emotionale Neugierde oder gar erotische Lust ließen Max sich in seine Heiratsidee hineinsteigern. Er sah darin ein Projekt, das ihm die Frist für seinen Vermählungszwang verlängern konnte. Solange er allein auf »Baby Bee« fixiert blieb, befreite ihn das womöglich für einige Zeit von der lästigen Pflicht, sich auf dem europäischen Heiratsmarkt profilieren zu müssen. Als er Mitte Mai 1897 bei einem Besuch seiner Tante Alexandrine in Coburg »Baby«, wie er sie nannte, wiedersah, fühlte er sich wieder in seinem »sehnlichstenWunsch« bestärkt.6 Vermutlich hat der Kaiser mit der kurz darauf folgenden Einberufung nach Berlin sogar bewußt intervenieren wollen, um Max von seiner Idee abzubringen. Noch bis Herbst 1897 scheint der jedoch dem Phantom »Baby« hinterhergejagt zu sein.7
»Baby Bee«: Prinzessin Beatrice von Sachsen-Coburg-Gotha (zweite von links) im Kreise ihrer Schwestern, um 1900
Beim Militär in Berlin wurde es nicht unbedingt gemütlicher für ihn. Harry Graf Kessler berichtet in seinem Tagebuch, daß Ende Januar 1898 in den preußischen Garderegimentern ein »Erlaß des Kaisers gegen die Päderastie« verlesen worden sei, »der vor allem auf das Überhandnehmen in den höchsten Kreisen aufmerksam machte«. Im 1. Garde-Regiment – so Kessler – hätte ein Kompaniechef im Anschluß daran sogar »eine kleine ganz unschuldige Fürstlichkeit vorgerufen und die übrigen Offiziere nichtprinzlicher Art ostentativ ignorierend gesagt: ›Also Hoheit, ich bitte, lassen Sie das‹. Der ganze Erlaß hat hauptsächlich Zoten erregt.«8 Diese mißliche Angelegenheit läßt sich wohl nur mit dem erwähnten Auftritt von August Bebel im Deutschen Reichstag erklären, der dort am 13. Januar die Homosexuellenkartei der Berliner Polizei publik gemacht hatte.9 Da auch Prinz Max – wie berichtet – in der besagten Kartei als Homosexueller geführt wurde, dürften ihn diese Vorgänge nicht amüsiert haben.
Ende Februar 1898 hat sich Max mit unbekanntem Ziel aus Berlin verabschiedet, um erst zwei Monate später dort wieder aufzutauchen.10 Diesmal mit einem konkreten Verlobungsplan im Gepäck, den er im September tatsächlich realisieren sollte. Vorangegangen war eine Heilbehandlung durch den schwedischen Modearzt Doktor Axel Munthe in Paris.11