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»Der größte Wendepunkt meines Lebens«: Max im Schicksalsjahr 1888
ОглавлениеDurch den plötzlichen Tod des Prinzen Ludwig rückte Max gleichsam über Nacht in die unmittelbare Nähe des badischen Thrones – mit weitreichenden Folgen für sein Leben. Überlagert und verstärkt wurde dieses Ereignis durch den Tod des einzigen Bruders von Großherzogin Luise, des 100-Tage-Kaisers Friedrich III., wenige Monate später. Mit Wilhelm II. kam die Generation an die Macht, der auch Max angehörte. Dieser wechselte gleichsam die Spur: von der Nebenin die Hauptlinie der Dynastie. Die badische Thronfolge der nächsten Generation schien nun allein auf ihm zu ruhen. Dies sicherte ihm einen direkten Zugang zum Souverän, die Verwandtschaft wurde enger. Zugleich stieg Max’Wert auf dem Heiratsmarkt in Europa. Das Familienoberhaupt hatte somit die Pflicht, den möglichen Thronerben auch materiell so zu stellen, daß er zu einem attraktiven Schwiegersohn für andere fürstliche Herrscherhäuser wurde.
Max rückte auch emotional näher an die Herrscherfamilie heran. Die Bestürzung und die Trauer über den »entsetzlichen Verlust« hatte etwas Verbindendes. Schon bald begriff der neue Hoffnungsträger »den Segen«, der ihm »nach diesem Verlust geworden«.152 Wohl nahm er zur Kenntnis, daß nun »Manches« wegfiele, »auf das ich mich in der Zukunft gefreut hatte«. Doch war es ihm wichtig, »seine Pflicht zu tun«. Er mußte sein Leben noch einmal gründlich überdenken. Und er tat dies von Anfang an wohlweislich in enger Abstimmung mit dem badischen Herrscherpaar, das er dafür eigens in Berlin aufsuchte, wo gerade der greise KaiserWilhelm I. – Luises Vater – verstorben war. »Ich fand Onkel und Tante schlecht aussehend. Von der ganzen Situation niedergedrückt. Tante Luise weinte oft und Onkel Fritz war auch sehr bewegt in einer langen Conversation, die ich mit ihm hatte. Er ist tödlich getroffen. Dabei ist ihre Herzlichkeit zu mir ganz hervorragend, und scheinen sie beide viel Vertrauen zu mir zu haben. Die Ärmsten tun mir in der Seele leid.«153 Auch zu seiner Cousine »Vicky«, der schwedischen Kronprinzessin, entwickelte Max ein enges herzliches Verhältnis. Er bewunderte ihren »unbeugsamen Charakter« und sah in ihr gerade in den Krisenjahren der Großherzogsfamilie Ende der achtziger Jahre »die Stütze von allen«.154
Vertraute Verwandte: Prinz Max (links) zu Besuch beim schwedischen Kronprinzenpaar Victoria und Gustaf in Tullgarn, 1891
Sie müssen einander sehr gut verstanden haben. So nahm Max aufrichtigen Anteil an den gesundheitlichen Problemen seiner Cousine.155 Viel größeren als gegenüber dem ebenfalls chronisch kranken Erbgroßherzog Friedrich, Vickys Bruder, mit dem er zwar äußerlich gut auszukommen suchte, mit dem er aber auch immer wieder Meinungsverschiedenheiten hatte; vor allem »in Personalfragen verstehen wir uns schlecht«.156 Und überhaupt, so meinte Max: »Er ist sehr gut und freundlich, aber wirklich warm kann ich nicht mit ihm werden. Er hat zu viel Erziehung und zu wenig Individualität in sich. Man findet keinenWiderhall bei ihm.«157 Gleichwohl schlug die Verschiedenheit der beiden Vettern, soweit erkennbar, nicht in gegenseitige Abneigung um; es war ein nicht besonders herzliches, aber doch wohlwollendes und überaus höfliches Miteinanderauskommen, wobei es Max auch nie an dem nötigen Respekt gegenüber dem ihn in der Thronfolge und im Hofrang vorangehenden und zehn Jahre älteren Vetter fehlen ließ.
»Es war vielleicht der größte Wendepunkt meines Lebens«,158 so hat Max die Schicksalswende von 1888 empfunden. Sie trat so plötzlich ein, daß er einige Zeit brauchte, um das ganze Ausmaß zu realisieren. Durch den jähen Einschnitt sei »mit einem Schlag das Bild meiner Zukunft, wie ich es mir geformt hatte«, vernichtet worden. »Als Knabe übte die Poesie den größten Zauber auf mich aus, später wurde diese durch dieMusik zurückgedrängt.« Diesen beidenMusen wollte er sich eigentlich verschreiben. Dann hätten sich aber »Rücksichten« geltend gemacht, die ihn »gewaltsam auf praktischere Gebiete hindrängten«. Wenigstens ein Stück weit hatte er sich selber, seiner Natur, seinen Emotionen folgen wollen, und nicht den Festlegungen anderer. Doch die Fäden seines Schicksals allein in der Hand zu halten blieb eine schöne Illusion. Immerhin hat Max noch ein gutes Jahrzehnt an ihr festgehalten; stets bemüht, sein inneres Leben nicht gänzlich zu verleugnen. Er wollte zu mehr gut sein als nur zum Erhalt der badischen Dynastie. Doch eine zusätzliche Motivation, sich in die neue Fürstenrolle auf ganz eigene Weise hineinzufinden, konnte er bei seinem inneren Leben nicht finden – ganz im Gegenteil. Menschliches Bedürfnis und fürstliches Pflichtgefühl miteinander zu vereinbaren, das wurde sein Schicksal, sein Verhängnis. Der unlösbare Widerspruch mit sich selbst. Und so begann eine Seelenqual, aus der er schließlich nicht mehr herausfand. Sie wurde noch verstärkt durch etwas, was er selbst schon früh bei sich erkannte: »Ich denke oft, es muß in meine Entwicklung etwas eingegriffen haben, welches mich einerseits so alert in Gedanken namentlich aber Gefühlen gemacht hat, doch nicht die Fähigkeit mir gegeben hat, diese zu beherrschen und zu bearbeiten.«159