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Eine neue Heiratsidee
ОглавлениеNach dem Kaisermanöver hatte sich Max für einige Wochen mit Mutter und Schwester auf Schloß Salem zurückgezogen. Von dort brach er dann Mitte Oktober 1899 nach Schweden auf. Offiziell galt dieser einwöchige Besuch seiner Cousine Victoria. Aus einem Schreiben an Philipp Eulenburg, den Kaiserintimus und Botschafter des Deutschen Reiches in Wien, läßt sich jedoch erkennen, was Max im Herbst 1899 wirklich umgetrieben hat. »Von Tullgarn kommend, habe ich mich einen Tag in Kopenhagen und vier Stunden in Bernsdorff aufgehalten. Dort traf ich die Familie des Herzogs von Cumberland, und eine seiner Töchter hat mir gut gefallen […]. Ich habe hiervon mit den großherzoglichen Herrschaften [von Baden] gesprochen, und diese sehen nur Schwierigkeiten, politische Verwicklungen und Nachteile für mich voraus. Der Großherzog geht so weit, einen solchen Schritt als Bruch meinerseits mit Sr. Majestät dem Kaiser zu charakterisieren.« Was war damit gemeint? Die Dynastie der Welfen, deren Oberhaupt Ernst August, der frühere Kronprinz von Hannover, sich inzwischen Herzog von Cumberland nannte, fristete seit mehr als einem Vierteljahrhundert im österreichischen Exil ein randständiges Dasein, nachdem Bismarck den König von Hannover nach dem Preußisch-Deutschen Krieg im Jahr 1866 kurzerhand entthront und sein Haus anschließend politisch in Acht und Bann geschlagen hatte. Gleichwohl erbat Max von Eulenburg eine Stellungnahme darüber, »was Sie über die Möglichkeit einer Verbindung mit dem hannöverschen Hause denken, welche Garantien in den Persönlichkeiten [der Familie Cumberland. L. M.] liegen, und ob Sie denken, daß ich den Kaiser freundlich zu stimmen vermag«. Denn ungeachtet aller Schwierigkeiten sehe er in diesem Projekt »auch die Möglichkeit versöhnlicherer Wirkung. Warum den alten Groll auf die junge Generation ausdehnen, warum nicht durch Verbindungen der Töchter in Deutschland weiteren Racheplänen der Welfen eine Berechtigung mehr entziehen, und das Haus Hannover auf dieseWeise versöhnen. […] Einer so bereiten, das Gute liebenden Natur, wie die unseres Kaisers ist, müßte eigentlich eine Versöhnung dieser Art lieb sein, denn die Härten des Jahres 1866 sind doch für den Sieger leichter zu vergessen als für den Vertriebenen und Entthronten. Das ist meine Möglichkeitsrechnung.«148
Max wollte es also noch einmal wissen. Aber weniger die Persönlichkeit der Prinzessin zog ihn besonders an, noch hatte er eine ausgeprägte Herzensneigung für sie entwickelt. Zunächst und vor allem anderen weckte sie als Angehörige dieses problematischen Fürstenhauses Max’ Interesse.149 Problematisch deshalb, weil nach Bismarcks Abgang es für die Welfen theoretisch möglich schien, in den fürstlichen Herrscherstand des deutschen Kaiserreiches zurückzukehren; nicht aber, solange sich der Herzog von Cumberland weigerte, seinen Herrschaftsansprüchen auf das inzwischen preußisch regierte Hannover zu entsagen. Max’ Projekt entsprang wesentlich dem Kalkül, diese starre Konstellation durch diplomatische Heirat zu verändern – wohl wissend: Eine derartige Ehe wird nicht einfach geschlossen, sie muß in einem hochsensiblen Bereich der dynastischen Beziehungen der Hochadelsgesellschaft angebahnt, verhandelt und abgesprochen werden.150 Er scheint sich diese Familie aber auch ausgewählt zu haben, weil es sich die Cumberlander bei einer solchen Partie einfach nicht leisten konnten, allzu wählerisch zu sein. Daß sich Max direkt nach seiner geplatzten Verlobung zu solch einer Aktion durchrang, wird Teil der Therapie gewesen sein, die ihm Krafft-Ebing mit auf den Weg gegeben hatte: so schnell wie möglich zu heiraten. Der Prinz hat diese Suggestion gleichsam dynastiepolitisch aufgeladen. Insofern – aber auch nur insofern – zeitigte die Hypnose tatsächlich Wirkung. Solch diffizile Heiratspläne konnten zu Komplikationen führen, bei denen der Brautwerber als versierter Diplomat und Netzwerker gefragt war. Max wollte sich familienpolitische Meriten erwerben, bevor er als Ehemann und Liebespartner auf den Plan zu treten hatte.
Eine Prinzessin Cumberland war so etwas wie das Dornröschen in dem großen europäischen Kreis der Dynastien. Denn sie entstammte einer Familie, die zwar als Fürstendynastie im Exil überlebt hatte und dort ein nach wie vor standesgemäßes Leben führte, die aber aufgrund ihres Zerwürfnisses mit dem preußisch-deutschen Kaiserhaus nicht mehr zu den präferierten Heiratskreisen zählte. Max hatte sich offenbar die Rolle des glücklichen Königssohnes zugedacht, der Dornröschen wach küßt – »eine Art phantasievolles Abenteuer«, wie Eulenburg ganz treffend meinte.151 Aber es winkte auch ein reicher Lohn. Sein Plan müßte ihm einen immensen Rückhalt bei dem Welfenoberhaupt sichern, da die Heirat die Tochter und zugleich die ganze Familie in den inneren Kreis der europäischen Herrscherfamilie zurückholen würde.
Als Eulenburg dem Kaiser Ende Oktober auf der Jagd in Liebenberg die Absichten des Prinzen Max zutrug, schickte der ihn umgehend nach Karlsruhe mit dem Auftrag, dem Aspiranten die fixe Idee wieder auszureden.152Wilhelm II. wollte seinen badischen Vetter für eine Ehe mit Prinzessin Feodora, der jüngsten Schwester seiner Frau, gewinnen. Die damals 25-Jährige stellte eine vielseitig talentierte Künstlerpersönlichkeit dar und hätte in ihrer Lebenseinstellung durchaus zu einem Prinzen wie Max gepaßt.153 Doch der zeigte kein Interesse. Was einmal mehr darauf verweist, daß es sich bei dem Cumberlandprojekt um ein wohlüberlegtes Vorhaben handelte – um einen lebensstrategischen Entwurf, von dem sich Max wesentlich mehr versprach als nur eine Lebenspartnerin. Kurz vor Weihnachten sprach er persönlich in Berlin beim Kaiser, beim Reichskanzler Hohenlohe und auch bei dessen designiertem Nachfolger, dem Chef des Auswärtigen Amtes Bernhard von Bülow, vor, um Rückendeckung für weitere Schritte zu erlangen.
Wilhelm II. gab sich geschlagen. Er möchte – so ließ Bülow den Großherzog von Baden wissen – »nicht dem Lebensglück des Prinzen imWege stehen […]. Andererseits ist der Kaiser weiter als je davon entfernt, dem welfischen Standpunkt […] irgendwelche Zugeständnisse zu machen.« Von daher setze er »als selbstverständlich voraus, daß Prinz Max die Erwählte seines Herzens sogleich vollständig und für immer von den Anschauungen ihres bisherigen Milieus loslösen und mit derjenigen E.K.H. und Hochdero Haus erfüllen werde.«154 Von einer »ernsthaften Neigung des Prinzen« war – wie der preußische Gesandte in Karlsruhe nach einem eingehenden Gespräch mit dem Großherzog nach Berlin zu berichten wußte – zum damaligen Zeitpunkt noch überhaupt keine Rede. »Vorläufig seien ihm offenbar die beiden Prinzessinnen von Cumberland sympathischer als die ihm bekannten anderen jungen Prinzessinnen, die in Frage kommen könnten, sie gefielen ihm auch anscheinend Beide beinahe gleich gut, vielleicht sogar die Jüngere noch mehr.«155 Es ging in der Tat vor allem um die emotionslose »Erledigung der Heiratsfrage« durch ein wohlkalkuliertes Arrangement vonWelfen, Zähringern und Preußen. Nach dreimonatiger Vorarbeit war es Ende Januar 1900 endlich soweit, daß Max nach Wien gehen konnte, um dort »mit eigenen Augen und Ohren wahrzunehmen, ob ich richtig handeln werde, vorwärts zu gehen oder andere Wege einzuschlagen«.156
InWien konnte er noch in die Ballsaison einsteigen, zu der sich in jedem Frühjahr die Prominenz der k.u.k. Hofgesellschaft mit ihren heiratsfähigen Kindern einfand – die Familie des Herzogs von Cumberland inklusive, der im Vorort Penzing ein stattliches Palais unterhielt.157 Inzwischen hatten sich – wie der preußische Gesandte in Karlsruhe wußte – Max’ Absichten aus nicht ganz ersichtlichen Gründen auf die älteste Tochter verlagert. Freilich, »seine Bekanntschaft mit der Prinzessin beschränkt sich bis jetzt auf wenige flüchtige Begegnungen, die ihm einen angenehmen Eindruck hinterlassen haben«.158 Dieser mehr oder weniger zwanglosen Erkundung des Terrains kam derWiener Hof »mit größter Liebenswürdigkeit« entgegen, wie der deutsche Botschafter nach Berlin drahtete. Kaiser Franz Joseph, berichtete Eulenburg, habe Max zweimal persönlich in seinem Quartier, dem Hotel Imperial, aufgesucht und ihm das Großkreuz des Sankt Stephans-Ordens verliehen. »Die gesamte Kaiserliche Familie ist augenscheinlich bestrebt, das Projekt einer Verbindung des Prinzen mit der ältesten Tochter des Herzogs von Cumberland zu fördern«.159
Nach vierwöchigem Aufenthalt inWien und dem Besuch zahlreicher Bälle, Soireen und Cercles wußte zwar »jedermann, daß er auf Freiersfüßen geht«160 – und er selbst berichtete stolz und dankbar, daß seine Aufnahme am Kaiserlichen Hof, und insbesondere auch im Cumberlandschen Palais »die allerherzlichste« sei.161 Aber einander angenähert hatten sich Max und Marie Louise noch nicht. Dabei hatte Eulenburg schon Mitte Februar den festen »Eindruck, daß er die älteste Tochter Cumberland heiraten wird«, und meldete zehn Tage darauf »dessen Verlobung [als] unmittelbar bevorstehend« nach Berlin.162 Sich der Prinzessin tatsächlich erklären durfte Max erst nach einem politischen Gespräch mit ihrem Vater, das am 4. März stattfand. Genauer gesagt, durfte er es offiziell sogar erst Mitte März, nachdem das Resultat seiner Unterhandlungen mit dem Herzog von Cumberland sowohl von seinem Onkel als auch vom Kaiser abgesegnet worden war.
Anfang März hatte Max seinen badischen Verwandten geschrieben, »daß mir die Prinzessin Marie Luise durch ihre große Einfachheit, Freundlichkeit und den Liebreiz ihrer Persönlichkeit sehr wohl gefällt und daß dies Urteil sich durch nähere Bekanntschaft nur gekräftigt hat«. Die Auserwählte wisse noch »nichts von meinen Absichten, und die Eltern wollen sie ganz frei entscheiden lassen. Sie raten mir langsam vorzugehen, da sie timide [schüchtern] ist und leicht erschreckt werden kann. Ich kann dies nur billigen und freue mich, daß es so ist.« Denn er könne noch jederzeit »aus politischen Gründen ohne Anstand zurücktreten«, zumal auch die Prinzessin »wahrscheinlich mit ihrem Herzen nicht engagiert ist«.163 Nur wenige Tage später wandte sich Max’ treuer Beistand Eulenburg an dessen Mutter: »Der Verkehr mit der so liebenswürdigen, reizenden Prinzessin Marie Luise hat den lieben Prinzen in eine immer zufriedenere, sichere Stimmung gebracht. Ich habe – psychologisch gesprochen – den Eindruck, daß der Prinz gefunden hat, was er suchte.«164 Nicht eine Liebesbeziehung zweier gleichwertiger Partner entstand, sondern eine junge, naive Prinzessin aus wenig weltläufigem Hause sollte da gefreit und in die dynastische Pflicht genommen werden. »Meine Braut ist etwas über 20 Jahre alt, aber an Welterfahrenheit jünger als 16-jährige Mädchen von heute«, so charakterisierte Max seine Zukünftige gegenüber Cosima Wagner. »In meinen Augen spricht das für sie, denn das Gegenteil ist selten mit der Reinheit und Unbefangenheit der Empfindung verbunden, wie ich sie in meiner Braut gerne sehe.« Was er sonst noch an ihr schätzte, war, daß diese Prinzessin »vertrauensvoll, hingebend, selbstvergessen, unverwöhnt« zu sein schien; »still und heiter, ohne Lärm, ohne Sucht sich geltend zu machen«.165 Das klang wie der Gegenentwurf zu seiner temperamentvollen und prätentiösen ersten Braut, der Großfürstin Helena. Seinem alten Freund Ernst schrieb er: »Sie ist gescheit, wenn auch bis jetzt kindlich in ihren Beschäftigungen.«166 Max hatte sich zur Braut also eine Frau mit formbarem, kindlichem Wesen auserkoren; er, der Anpassungsbereitschaft, Solidarität und Kameradschaft suchte. Eine Glücksbringerin sollte Marie Louise nur insofern sein, als der Prinz mit ihr die historische Chance auf den badischen Thron wahrte.
Schon bei seinem ersten Besuch im Palais Cumberland hatte Max »nur die allerbesten Eindrücke. Das Familienleben sei so erfreulich wie möglich und die Kinder seien natürlich, wohlerzogen und allgemein beliebt. Eine deutsch- und reichsfeindliche Gesinnung treten in keiner Weise hervor. Der Herzog von Cumberland habe am Todtenbette seines Vaters gelobt, nicht auf Hannover zu verzichten, dieses Gelöbnis bestimmte seine Haltung, die nächste Generation werde ohne Zweifel die neue Lage der Dinge akzeptieren und die Hand zur Versöhnung bieten.«167 Diese politische Einschätzung vertiefte Max bei weiteren Begegnungen. »Der Herzog« – so schrieb er seinem Onkel nach Karlsruhe – »ist ein einfacher, gerader und vornehm denkender Mann, jeder Intrigue vollkommen abgeneigt […]. Er betrachtet sich als deutschen Fürst und interessiert sich für alles Deutsche in hohem Maße. Er weist jegliche Verbindung mit England, mit Ausnahme der verwandtschaftlichen, von sich. […] Er spricht vom Kaiser und von seinen Arrangements mit dem preußischen Staat ohne Erregung oder Mißmut. Er hält sich in Allem ängstlich an Buchstaben, wie es Leute tun, die viel verloren haben und mehr verlieren können. Er ist nicht hochbegabt, aber er hat natürlichen Verstand und eine absolute Ehrlichkeit in allen Dingen. Die Herzogin ist der Charme in Person und gescheit. Ihre Güte ist ohne Schranken, und sie ist von allen Menschen hier ausnahmslos verehrt. Ihr Einfluß waltet im Haus und in der Geselligkeit, welche beide unendlich angenehm dadurch gestaltet werden.«168 Nach seiner Verlobung geriet er sogar regelrecht ins Schwärmen über die Cumberlands: Die Familie seiner Braut sei »wohl die glücklichste, die ich kenne. Versöhnung, Milde, Menschlichkeit, Gottvertrauen sind die Eigenschaften, die Frieden spendend hier walten.«169
Max fällte ein so positives Urteil über die Welfen wohl aus mehreren Gründen. Zunächst wird ihm tatsächlich imponiert haben, in dieser Fürstenfamilie ein intaktes, von Herzlichkeit bestimmtes Zusammenleben kennenzulernen; ein solches Familienleben mögen die Cumberlands auch geführt haben – schon allein dadurch, daß sie sich jenseits der Wiener Wintersaison in ihrem provinziellen Gmunden rein privat und zwanglos bewegen konnten.170 Mangels einschlägiger Sozialisation in einem regierenden Herrscherhaus mit entsprechenden öffentlichen Verpflichtungen hatten sie sich eine außergewöhnliche Natürlichkeit bewahren können. Zugleich gewann nun Max in Wien nicht allein eine beeindruckende Vorstellung von dem materiellen Reichtum, mit dem das entthronte Königshaus nach wie vor gesegnet war, sondern auch von der hohenWertschätzung, die es seitens der Habsburger genoß. Gleich der erste Hofball, den der Besucher aus Baden am 6. Februar 1900 im Kreis von etwa 800 erlesenen Gästen mitmachte, lieferte ein eindrucksvolles Zeugnis davon: Als der Hof im Zeremoniensaale erschien, schritt ihm Kaiser Franz Joseph mit der Herzogin Thyra von Cumberland voran, gefolgt von der (rangältesten) Erzherzogin Maria Josepha, die der Herzog von Cumberland am Arm führen durfte.171 Wahrscheinlich läßt sich Max’ Voreingenommenheit für die Welfen aber auch auf echte Empathie für das politische Schicksal dieses Herrscherhauses zurückführen. Schon sein VaterWilhelm hatte die von Bismarck verhinderte Thronbesteigung der Hannoveraner in Braunschweig, die nach dem monarchischen Legitimitätsprinzip 1884 mit dem Aussterben der älteren Linie hätte erfolgen müssen, als eine rechtswidrige »Absetzung« des Prätendenten verurteilt und fein ironisch bemerkt: »Es ist das die Geschichte von der Grube, die man anderen gräbt.«172 Daran wird sich auch der Sohn gestoßen haben. Insofern war er völlig aufrichtig, als er die Cumberlands seiner Hochachtung vor ihren legitimen Ansprüchen versicherte.173
Das Königshaus Hannover im österreichischen Exil: Herzog Ernst August von Cumberland mit Gattin Thyra und den Kindern in Schloß Gmunden
So gewann denn Botschafter Eulenburg auch spontan den Eindruck, daß Prinz Max in bezug auf die Cumberlands »Rosinen im Kopf« habe.174 Genauer: In der braunschweigischen Erbfrage habe er »gewisse Hoffnungen für eine schließliche Einigung der Cumberlands mit Preußen«. Und wenn er erst verheiratet sei, dann glaube er auf einen Verzicht der Welfen auf Hannover »gut wirken zu können«.175 Hier wurde bereits umrissen, wie der badische Prinz sich zugunsten der dynastischen Belange der Welfen engagieren könne. Dies schien ihm zu einer Lebensaufgabe zu werden, von der sich der zukünftige Schwiegersohn viel versprochen zu haben scheint. Nichts würde seinem Ruf im Kreise seiner Standesgenossen förderlicher sein als das loyale Engagement für die dynastischen Belange eines politisch diskriminierten königlichen Hauses.
Und es gab viel zu tun. Noch im Jahr 1892 hatte es kurzfristig den Anschein gehabt, als ob sich an dem starren Frontverlauf zwischen Preußen und Hannover etwas ändern könnte. Umendlich die Freigabe des von Bismarck beschlagnahmten »Welfenfonds« zu erreichen, dem Hausvermögen der Hannoveraner, hatte sich Ernst August im Frühjahr 1892 bereit erklärt, einen Brief an den deutschen Kaiser zu schreiben, der auf den ersten Blick wie ein Versöhnungsangebot aussah.176 Tatsächlich war aber nur das Allermindeste ausgesprochen worden, nämlich eine immer noch etwas zweideutige Anerkennung der staatsrechtlichen Zustände im Deutschen Reich und die Versicherung, nichts politisch Feindseliges gegen den Kaiser und den preußischen Staat zu unternehmen. Zu mehr als einem minimalem Konsens hatte es also nicht gereicht, so daß aus der Finanztransaktion, die den Herzog übrigens nur in den Genuß der – allerdings beträchtlichen – Zinsen aus demWelfenvermögen setzte, politisch nichts weiter gefolgt war. Bei diesem Stand der Dinge war Max von Baden auf die Töchter des Cumberlanders als mögliche Heiratskandidatinnen aufmerksam geworden.
Gegen die vom badischen Prinzen verfolgte Kompensationspolitik nach beiden Seiten stand freilich von Beginn an die eindeutige Position des Machthabers in Berlin. Der Kaiser hatte Max anweisen lassen, »vor der projektierten Verlobung gar keinen Zweifel über die Unverträglichkeit welfischer Aspirationen auf Hannover oder gar Braunschweig mit den Aufgaben einer deutschen Fürstin zu las-sen«.177 Das war das eine. Das andere war, daß Max sich durch diese Direktive keineswegs die Hände hat binden lassen, als er daranging, sich dem Herzog von Cumberland als Schwiegersohn zu empfehlen. Mit großem diplomatischen Geschick und taktischer Raffinesse verstand er es vielmehr, sich dadurch aus der Affäre zu ziehen, daß er sein Protokoll eines Vier-Augen-Gesprächs mit dem Herzog von Cumberland seinem Onkel, dem Großherzog, unterbreitete und diesen über sein Schicksal entscheiden ließ – und darauf hoffte, daß sein Vorgehen sanktioniert würde. Sollte es zu einer Verständigung kommen, so habe er Ernst August erklärt, müsse dieser wissen, »daß ich mein ganzes Leben hindurch nur nationalen Gesichtspunkten folgen werde, daß eine gegenseitige Beeinflussung nur Streit und Unbehagen hervorrufen werde, daß ich nie in seinem Interesse in der Braunschweigischen Frage handeln könne, und ich von ihm erhoffen müßte, daß er meine politische Stellung und Handlung nie persönlich übel nehmen werde, daß ich dieWelfenpartei in ihren Extremen als eine reichsfeindliche betrachte, und daß ich es als meine Lebensaufgabe betrachte, an dem, was Du erstrebt und erreicht hast, festzuhalten und meine Beziehungen zum Kaiser und den leitenden Kreisen Berlins nur noch zu befestigen. Er sagte zu Allem: Es ist ganz selbstverständlich, Du mußt so handeln«.178
Der eigentliche Adressat dieses unverkennbar für die Akten aufgesetzten Dokuments war der deutsche Kaiser, den Max über seinen Onkel wie auch durch Wilhelms Intimus Eulenburg erreichen wollte. Mit diesem Schreiben hatte Max die heikle Welfenfrage zu einer Angelegenheit informeller Erklärungen und geheimer Kabinettspolitik gemacht, bei der sich niemand etwas vergeben mußte. Entsprechend fiel auch die Reklame Eulenburgs dafür aus. Er habe »mit dem Prinzen genau die Schritte und dieWorte überlegt, ehe er sie tat und sprach«, schrieb er dem Großherzog von Baden. »Alles, was geschehen ist, entsprach genau den Anschauungen, die Se. Majestät über die Behandlung der Angelegenheit haben.«179 Was den vorher durchaus skeptischen Adressaten dann auch überzeugte, wie das Anschreiben zeigt, mit dem er dem Kaiser das besagte Schreiben übersandte: »Ich hoffe, daß Du ebenfalls befriedigt sein wirst von der streng nationalen Gesinnung, welche Max bei diesem Anlass bekundet hat.«180 Etwa zeitgleich ging bei dem Monarchen noch ein Schreiben Eulenburgs ein: »Ich meine, die Sache wird verhältnismäßig glatt gehen. Prinz Max hat sich als loyaler deutscher Prinz und treu zu Ew. Majestät stehend, benommen. Das muß man rühmend anerkennen. Nicht jeder hätte denMut gehabt, so offene Sprache mit dem Herzog von Cumberland zu führen, da man leicht gewärtig sein konnte, ihn zu verletzen. Die junge Prinzessin ist ganz charmant und hat alle Eigenschaften, den Prinzen glücklich zu machen. So muß man wohl bonne mine zu diesem Spiel machen …«181 Das hat der deutsche Kaiser ohne Zögern getan. Anders hätte die Verlobung nicht so rasch insWerk gesetzt und schon gar nicht mit einem feierlichen Diner in der deutschen Botschaft in Wien symbolisch aufgewertet werden können – durften doch die Cumberlands hier erstmals auf dem exterritorialen Parkett des Kaiserreiches erscheinen.182
Alles andere war dann nur mehr Formsache. Nach Karlsruhe zurückgekehrt, ließ Prinz Max seinem Eheversprechen 14 Tage später noch einen offiziellen Brief an seinen zukünftigen Schwiegervater folgen, den er seinem Onkel im Konzept zu lesen gab.183 Der badische Monarch konnte ihn – wie er dem preußischen Gesandten sagte – nur »als ein politisches Dokument bezeichnen. Der Prinz Max hat sich darin energisch und selbständig geäußert und Alles gesagt, was bei der Anrede ›Lieber Vater‹ und ›Du‹ möglich ist.«184 So war es Max allein durch seine Fähigkeit, die richtigen Worte für seine Adressaten zu finden, gelungen, ein politisches Problem zwar nicht zu lösen, aber doch zu entschärfen und seine Person dadurch aufzuwerten. Ein übriges tat schließlich noch, daß er dem Kaiser am 9. April 1900 in Berlin persönlich aufwartete.185 Hier dürfte jener Ausspruch gefallen sein, den der Herzog von Cumberland viele Jahre später in einem Gespräch mit dem Welfenführer Ludwig Alpers überliefert hat. Als sein Schwiegersohn, so erzählte er diesem, seinerzeit dem Kaiser von seiner Absicht, die Tochter des Herzogs zu freien, gesprochen habe, »hätte der Kaiser geantwortet: ›Tu, was Du willst, wenn unsere Freundschaft nur nicht darunter leidet.‹«186 Darin läßt sich schon fast so etwas wie eine Carte blanche erkennen. Allerdings scheint man in der Wilhelmstraße selbst damals wesentlich zurückhaltender gewesen zu sein. So bedeutete Reichskanzler Hohenlohe dem österreichischen Botschafter in Berlin, daß man keine politischen Folgerungen aus der Verbindung Baden-Cumberland ableiten sollte.187 Den Prinzen Max dürfte dies nicht weiter gestört haben. Am 26. April 1900 weilte der Kaiser zu Besuch in Karlsruhe und ließ es sich nicht nehmen, mit dem Bräutigam in dessen neuem Stadtpalais zu soupieren. Dann lud er den Neuverlobten für drei Tage auf die Jagd nach Donaueschingen ein.188 Mehr Gunstbeweis war selten, der Heiratscoup geglückt.
Mit der zweiten Verlobten, Prinzessin Marie Louise von Cumberland
Knapp drei Monate später folgte die Hochzeit in Gmunden, nachdem zuvor noch ein Ehevertrag zwischen Welfen und Zähringern ausgehandelt worden war, der die neue Prinzessin Max von Baden materiell bestens ausstattete und damit auch den Gatten ausgesprochen generös bedachte.189 Das deutsche Kaiserpaar konnte sich nicht die Blöße geben, den Vermählungsfeierlichkeiten am 10. Juli beizuwohnen, aber mit dem Kaiser von Österreich, den Königen von Dänemark und Griechenland, dem badischen Monarchenpaar nebst Kindern und etlichen anderen Fürstlichkeiten waren doch einige Dutzend hochrangiger Vertreter der royalen Prominenz Europas der Einladung gefolgt. Sie erlebten ein rauschendes Fest, das an Programm und Aufwand den Vergleich mit entsprechendem höfischem Zeremoniell nicht zu scheuen brauchte.190 In einem Leitartikel ließ die Neue Freie Presse aus Wien an dem hohen Stellenwert dieser Gmundener Fürstenbegegnung nicht den geringsten Zweifel. Diese Hochzeit, so der Kommentar, sei eine »historische Fügung«, die nicht verfehlen werde, auch den politischen Gegensatz zwischen Welfen und Preußen allmählich zu mildern.191 In deutschen Hofkreisen wurde ähnliches kolportiert: »Die Freunde des Hauses Cumberland erhoffen von dieser Vermählung, da Prinz Max in Berlin persona gratissima ist, eine Annäherung des Herzogs von Cumberland zum Kaiser.«192 Auf die politische Wirkung der Regenbogenbrücke eines solchen Familienzusammenhangs hatte bekanntlich auch der Bräutigam gesetzt, der somit alles richtig gemacht zu haben schien. Denn es war das Werk des mutigen Prinzen Max von Baden, das die Welfendynastie rehabilitiert und im europäischen Netzwerk des fürstlichen Herrscherstandes wieder aufgewertet hatte. Weitere Schritte – so dessen Kalkül – würden folgen.
Eine Hochzeitsreise gab es merkwürdigerweise nicht. Stattdessen machte sich das frischvermählte Paar gleich im Anschluß an die Gmundener Feiertage nach dem Großherzogtum Baden auf, wo es am 14./15. Juli bei schönstem Wetter Einzug in die Residenzstadt Karlsruhe hielt.193 »In der Bevölkerung« – so der preußische Gesandte dort – »herrschte überall regste Teilnahme. Die Prinzessin hat zweifellos durch ihre liebenswürdige, natürliche Freundlichkeit und kindliche Anmut rasch alle Herzen in der neuen Heimat gewonnen.« Schelmisch fügte er dann noch hinzu: »In scherzhafter Weise wird hier berichtet, daß sich neuerdings nahe der Residenz besonders zahlreiche Störche gezeigt haben, man nimmt das als gute Vorbedeutung für die wichtige Frage der Nachkommenschaft.«194 Als sich jedoch ein gutes Jahr später immer noch keine Anzeichen von Familienzuwachs im Hause Baden einstellten, sah sich derselbe Diplomat und Freund des Prinzen zu der beschwichtigenden Depesche nach Berlin veranlaßt, daß die anfänglichenWolken, die es wohl am »ehelichen Himmel« gegeben habe, »jetzt mehr und mehr geschwunden sei[e]n«. Diese Äußerung hat Kaiser Wilhelm II. mit der spontanen Randbemerkung versehen: »Kaum! Er [Max] ist eben impotent!«195
Das war hämisch, das war gemein – aber es war keine Lüge. Denn fest steht: Einem geglückten Fürstenleben standen die unlösbaren Probleme der Sexualität im Wege. Dennoch hatte Max sich mit seiner wohlüberlegten Heirat in das Welfenhaus eine Lebensaufgabe erkoren, die selbst in dieser Lage als Palliativ eingesetzt werden konnte. Diese neue Überlebensstrategie geschaffen zu haben war eine beachtliche Leistung.