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Unterwegs in Europa: Kavalierstouren
ОглавлениеAls Prinz Max 1889/90 als königlich-preußischer Seconde-Leutnant in Berlin antrat, war er zwar Mitglied der europäischen Dynastien, aber er kannte sie noch kaum, die weite adelige Verwandtschaft. Daß die eigene Familie am engsten mit den Herrscherhäusern von Rußland und Schweden verbunden war, hatte er auf Reisen bereits erfahren können und auch, daß die beiden durch ein unterschiedliches Rangbewußtsein geprägt wurden – die Bernadottes eher unprätentiös, und die Romanows das genaue Gegenteil. Allerdings hatten sich die Besuche in Rußland und vor allem die in Schweden noch am Rande des Hoflebens abgespielt, da es sich um private Reisen handelte, die der Beziehungspflege und dem Erleben von Land und Kultur dienten. So berichtete Max von seinem Besuch beim schwedischen Kronprinzenpaar auf Schloß Tullgarn im Sommer 1891, er »schwelge« dort in herrlicher Ruhe: »Man lebt hier äußerst harmlos, segelt, spielt Lawn Tennis, frühstückt auf einsamen Inseln und musiziert.«125 Dabei vertiefte er sein herzliches Verhältnis zur badischen Cousine und wohl auch zu deren Mann; über die schwedische Verwandtschaft war Max auch schon früh mit dem dänischen Königspaar in allerdings nur flüchtige Berührung gekommen.126
Ähnlich flüchtig sind die Fürstenbekanntschaften geblieben, die Max in den neunziger Jahren bei seinen Erholungsreisen ins mondäne Seebad Scheveningen an der niederländischen Nordseeküste machte. Im Juli 1891 war er dort viel mit dem kunstsinnigen Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach zusammen, »und ich muß gestehen, daß er in der Intimität gewinnt und bei näherer Bekanntschaft entdeckt man, daß er für das Schöne und Große einen recht freien Blick hat und Vieles vorurteilslos beurteilt«.127 Ein Jahr später trifft er die Königin Carola von Sachsen – eine weitläufige Verwandte des Hauses Baden, an der Nordseeküste;128 sie »verwöhnt mich wie immer ganz unerlaubt. Sie ist von einer fabelhaften Herzensgüte und wohltuender Heiterkeit.«129 Eine ausgesprochen freundschaftliche Beziehung unterhält Max zum Großherzog von Hessen und bei Rhein, dem fast gleichaltrigen Ernst Ludwig. Als dieser Max Anfang Mai 1892 nur wenige Wochen nach seiner Thronbesteigung das Großkreuz des hessischen Ludwigsordens verlieh – eine seltene Auszeichnung in diesem jungen Alter –, da schrieb Max seinem Onkel: »Die Art, wie der Großherzog mir den Orden übergab, war die allerfreundlichste und liebevollste, die man sich denken kann.«130 Es ist zu vermuten, daß es sich hierbei um einen Freundschaftsbeweis handelte, der auf die Monate zurückgeht, in denen Ernst Ludwig noch als Erbgroßherzog und Premierleutnant beim 1. Garde-Regiment zu Fuß in Potsdam Militärdienst leistete.131 Prinz Max führte sich jedenfalls auch jenseits von Karlsruhe und Berlin immer besser in die Kreise der dynastischen Welt ein und erfreute sich dank seiner guten Manieren, seines galanten Auftretens und seiner Liebenswürdigkeit allgemeiner Sympathie.
Erst 1895 realisierte sich für ihn das lang gehegte Vorhaben, dem britischen Königshaus in London seine persönliche Aufwartung zu machen, wo er einmal mehr »reizende und sehr verwöhnende Tage« erlebte.132 Auch in Windsor fand er »gütige Aufnahme«, und »trotz der kurzen Zeit, die mir blieb, das Schloß und seine endlosen Schätze zu sehen, habe ich einen unauslöschlichen Eindruck mit fortgenommen. Windsor ist der Königssitz par excellence! Sein Äußeres poesievoll und imposant ohne Gleichen, sein Inneres der Ausdruck des Reichtums, der Macht und des Schönheitssinns eines großen Herrscherstammes.«133 Von der greisen Queen Victoria heißt es in Max’ Bericht nur lakonisch, sie hätte ihn »freundlich« begrüßt. Auch das britische Thronfolgerpaar und deren Sohn George, der Herzog von York, empfingen Max »unglaublich liebenswürdig. Ich glaube sie empfinden alle menschlicher als die Leute in Berlin.«134 Mehr als höfliche Floskeln scheint man nicht ausgetauscht zu haben, dafür war der klassische Aufwartungsbesuch auch die falsche Gelegenheit. Max dürfte dabei kaum entgangen sein, wie zurückhaltend der britische Thronfolger seinem Neffen, dem deutschen Kaiser, gegenüberstand und wie preußenfeindlich seine Frau Alexandra, eine Prinzessin aus dem dänischen Königshaus, eingestellt war.135 Er wird die Spannungen zwischen den einzelnen europäischen Adelsfamilien bemerkt haben. Er lernte aber auch, wie unterschiedlich die Herrschermentalität, die Auffassung von der eigenen Macht, war.
Nur wenige Monate vor seiner Englandreise war Max in Rußland gewesen. Dort erhielt er aus Anlaß des Todes von Zar Alexander III. Gelegenheit, »mich dem jungen Kaiser [Nikolaus II.] vorzustellen, an den mich alte Beziehungen und eine große Sympathie knüpfen«. Der neue russische Zar sei »noch eben so natürlich wie früher, ebenso freundlich und einfach. Da ist nicht der geringste Wahn, kein Scheinenwollen, sondern ein Sein«, berichtet Max Cosima Wagner.136 Der junge Monarch, so ließ er seinen Freund Ernst wissen, hatte sogar »die große Freundlichkeit, trotz seiner vielen Arbeit mir einmal einen 2-stündigen Besuch zu machen und mich ein anderesmal ebenso lang in Zarskoje zu empfangen«.137 Daß sich der wegen Staatstrauer um den Vater noch ungekrönte Herrscher aller Reußen zu dem geschilderten Beisammensein mit dem doch eher weitläufig Verwandten aus dem badischen Fürstenhaus überhaupt geneigt sah, verdient Beachtung. Zeigt es doch, daß eine auf gemeinsame Erfahrungen gegründete wechselseitige Sympathie im Spiel gewesen sein muß. Bei Max kann man geradezu von einem positiven Vorurteil sprechen. Schon bei Nikolaus’ Regentschaftsantritt im Oktober 1894 hatte er für »Nicky« geschwärmt: »Wer ihn in der Intimität gesehen hat, der liebt ihn. Ich halte ihn für gescheit und ziemlich gebildet, vor allem aber für einen sehr ehrlichen und gutherzigen Mann.«138 Mit einem Wort, Max hatte ihn »ungeheuer gern«.139 Fortan stand er unter dem Zauber dieses Mannes, der einer der mächtigsten Herrscher der damaligen Welt war, aber eben für Max auch ein liebenswürdiger Verwandter.
So bedeuteten die beiden Kavalierstouren nach Rußland und England im Jahr 1895 für den 28-Jährigen mehr als nur Unterhaltung. Er lernte, die durch Verwandtschaft begründete Verbundenheit des europäischen Hochadels zu differenzieren. Allerdings war er trotz seiner Vorliebe für die Romanows weit davon entfernt, sich in dem zwischendynastischen Geflecht aus Unstimmigkeiten, Animositäten und Dominanzansprüchen irgendwie selbst zu positionieren oder gar Partei zu ergreifen. Dazu fühlte er sich noch zu sehr als Besucher und Entdecker des eigenen Standes. Ihm ging es primär um die Rückversicherung, überhaupt selbst dazuzugehören; wahrgenommen zu werden und zur Fassade des höflichen herzlichen Umgangs miteinander durch eigene Freundlichkeit beizutragen. Das Wichtigste war ihm die tadellose Erfüllung seiner dynastischen Pflichten. So wurde er an den Höfen Europas ein gern gesehener Gast.
Obwohl er sich in den Komment der europäischen Herrscherfamilien ein- und unterordnete, wollte der Prinz seine privaten Interessen und Wunschträume nicht gänzlich opfern. Ihn verlangte nach Freiräumen, in denen er sich in seiner natürlichen Gestalt geben konnte. Die Kunst bestand nun freilich darin, für die Erfüllung seiner Passionen eine Form zu finden, die vereinbar blieb mit dem guten Leumund eines Fürsten, der als Thronprätendent im Großherzogtum Baden gehandelt wurde. So verfiel Max auf die Idee einer mehrmonatigen Orientreise, und zwar in Gefilde, die sich der sozialen Kontrolle weitgehend entzogen. Solche Touren zählten ja traditionell zum Kanon des hocharistokratischen Bildungswegs. Sie gaben jungen Adeligen Gelegenheit, fremde Länder, Sprachen und Sitten kennenzulernen. Außerdem sollten sie deren Welt- und Menschenkenntnis, Urteilskraft und weltmännisches Auftreten fördern.140
Am 29. April 1893 schreibt Max an seinen Freund Ernst, er habe sich »fest vorgenommen, auf ein Jahr dem Dienst den Rücken zu kehren und wieder Mensch zu werden. Vor allen Dingen will ich etwas mehr von der Welt sehen. Italien, Aegypten, Griechenland, Constantinopel, der Kaukasus und die transkaspischen Besitzungen der Russen sind mein Ziel, das ich als festes Ganze im Auge behalte. Hierfür befinde ich mich in voller Vorbereitung.« Er sei nun »wieder in eine jener Epochen meines Lebens eingetreten, in denen ich von einem unwiderstehlichen Drang vorwärts ergriffen werde«.141 Im Oktober 1893 sollte die auf ein halbes Jahr veranschlagte Tour losgehen, mit deren intensiver Vorbereitung Max fortan »furchtbar beschäftigt« blieb.142 Konzipiert als klassische Bildungsreise, zielte das Projekt doch auf mehr. Max wollte damit auch »so viel ich kann, die Zukunftsbilder verscheuchen, welche einem eigentlich nie rosig erscheinen. Ein solches Hauptzukunftsbild steht vor mir in der Gestalt einer Heirat, die nach meiner Reise nicht mehr sehr verschoben werden darf.« Da es davor kein Entrinnen gäbe, »so will ich wenigstens zuerst Freiheit genossen haben«.143 Doch bald darauf war Max’ schöner Traum zerplatzt. Der Heidelberger Medizinprofessor Adolf Kußmaul, Leibarzt der badischen Herrscherfamilie, untersagte ihm nach eingehender Untersuchung die Fernreise.144 »Ich war selten in meinem Leben so niedergedrückt«, klagte Max seinem Freund. »Einen lange gehegten Lieblingsplan, auf den man sich mit Fleiß vorbereitet hat und in welchen man so viele Hoffnungen gesetzt hat, scheitern zu sehen, ist auch eine harte Prüfung.«145
Da Max’ Fernweh auch eine Flucht nach vorne war, wundert es nicht, daß er davon nicht lassen mochte. Im Frühjahr 1894 war es endlich soweit, daß er wenigstens in Richtung Italien aufbrechen konnte, zu einem mehrmonatigen Aufenthalt in Rom und am Golf von Neapel – diese Reise wiederholte er im folgenden Jahr. Was ihm dies bedeutete, hat Max seiner mütterlichen Freundin Cosima Wagner nach seiner Rückkehr ins »graue« Berlin geschildert: »Nach lachendem Sonnenschein Nebel und Dunst, nach Freiheit, Gesang, nach Schönheit und Poesie, Sand und Prosa, nach unbewußtem Lebensgenuß, bewußte Ziele und der Kampf ums Dasein. Das ist, was ich empfinde, wenn ich Italien, das Land der Träume, mit dem Boden Berliner Wirklichkeit vertauschen muß.«146 Über die Reisen nach Italien, in dieses »sonnenlichte Land«, dem selbsterklärten Fluchtpunkt von Max’ »Sehnsucht«,147 werden wir im nächsten Kapitel mehr erfahren.
Im Kreis der europäischen Fürsten: Prinz Max (dritter von rechts) auf der Hochzeitsgesellschaft in Coburg 1896 mit Wilhelm II. (fünfter von links)
Bis Mitte der neunziger Jahre hatte sich Prinz Max von Baden so weit in die große europäische Adelsfamilie integriert, daß er sich als ein vollgültiges Mitglied fühlen durfte. Als sein Freund Ernst, der Erbprinz zu Hohenlohe-Langenburg, im April 1896 in Coburg die Prinzessin Alexandra ehelichte, eine Enkelin von Queen Victoria, fand sich dort ein repräsentativer Querschnitt jener Fürstengesellschaft ein, mit der unser Prinz nun auf Augenhöhe verkehrte.148 Anhand des Gruppenbildes mit Max wird ersichtlich, daß er in der Mitte des Adels angekommen war.