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Napoleon und Kaspar Hauser. Eine kurze Geschichte des Hauses Baden

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Am Anfang stand – mal wieder – Napoleon. Und Kaspar Hauser. Der kleine Korse und der Junge ohne Sprache, aber womöglich mit adeliger Herkunft, beide prägten das Geschick des Hauses Baden. Durch den einen vergrößerte sich Badens Besitz, der andere sorgte dafür, daß die Legitimität von Max’ Familie in Frage gestellt wurde. Wie kam es dazu? Es ist die Geschichte von Standeserhöhungen und Mißheiraten, von Adoption und Kindesraub. Es ist die Vorgeschichte des Prinzen Max von Baden. Der Reihe nach:

Das Großherzogtum Baden bestand aus unterschiedlichen Territorien des zerfallenden Heiligen Römischen Reiches. Es gehörte im Alten Reich zu den sogenannten altfürstlichen Häusern,44 die im 18. Jahrhundert großenteils ihr Territorium erweitern und ihren Rang zu erhöhen versuchten.45 Im Reichsdeputationshauptschluß von 1803 wurden neue Kurwürden auf die HäuserWürttemberg, Hessen- Kassel und Baden übertragen und verschafften damit auch dem Markgrafen von Baden neben beträchtlichemTerritorialgewinn eine Rangerhöhung, die in den Augen der Zeitgenossen ein erhebliches Gewicht besaß.46

Als Karl Friedrich von Baden-Durlach 1738, im Alter von zehn Jahren, nominell das Erbe seines Vaters antrat, war Baden-Durlach eine kleine Markgrafschaft mit der Einwohnerzahl Flensburgs (knapp 90.000), die mit 1650 km2 gerade mal so groß war wie die Städte Berlin und Hamburg zusammen.47 Mit umfangreichen sozialen und wirtschaftlichen Reformen schuf der junge Regent nach und nach die Voraussetzungen für ein größeres Staatswesen;48 zur ersten Gebietserweiterung kam es 1771 durch das Aussterben der Linie Baden-Baden, deren Besitz an Baden-Durlach fiel, und das Herrschaftsgebiet beinahe verdoppelte. Karl Friedrich genoß wegen seiner Reformen den Ruf, ein aufgeklärter Herrscher zu sein, der Willkür abhold und jedermann zugänglich.49

Die Französische Revolution berührte Baden aufgrund der geographischen Nähe zu Frankreich besonders stark. Seit dem Ende der antifranzösischen Koalitionskriege war es dem nachrevolutionären Frankreich mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert. Von da an blieb Baden bis zum Sturz Napoleons auf Seiten der Franzosen. Für den Verlust seiner – geringen – linksrheinischen Besitztümer wurde es großzügig entschädigt, es gewann ein Territorium mit fast 240.000 Einwohnern, darunter die rechtsrheinische Kurpfalz mit Mannheim und Heidelberg und schließlich, als Krönung, die Kurwürde. Es war Napoleon, der seinem inzwischen treu ergebenen Anhänger Karl Friedrich zu diesem reichen Lohn verhalf.50 So kämpfte Kurbaden auch im dritten Koalitionskrieg 1805 auf der Seite Napoleons und erhielt im Preßburger Frieden von Österreich den Breisgau und die Ortenau. Napoleons Siege über Österreich und Rußland besiegelten das Ende des Heiligen Römischen Reiches. Mit der Gründung des Rheinbundes am 1. August 1806 fand die Bildung formal souveräner Fürstentümer ihren Abschluß. Anders als die fürstlichen Kollegen in Bayern und Württemberg erhielt Karl Friedrich von Baden nicht die Königswürde, sondern den Großherzogtitel, der bisher nur den Beherrscher der Toskana zierte, zudem wurde er mit dem Prädikat »Königliche Hoheit« ausgezeichnet.51 1806 nahm er zusätzlich den Titel »Herzog von Zähringen« an, als Hinweis auf die familiären Bande zum mittelalterlichen Herrschergeschlecht der Zähringer und um seinen historischen Anspruch auf den Breisgau zu dokumentieren, in dem die Burg(ruine) Zähringen liegt.52 Der Erbprinz hieß fortan Erbgroßherzog und erhielt als solcher ebenfalls das Prädikat einer Königlichen Hoheit. So unterschiedlich die Bewohner des neuen Gebiets untereinander auch waren – weder sprachen sie einen gemeinsamen Dialekt, noch gehörten sie einer gemeinsamen Konfession an (zwei Drittel der Einwohner waren Katholiken, die Regentenfamilie und die hohe Bürokratie jedoch protestantisch bzw. evangelisch-lutherisch) – das Großherzogtum besaß ein einheitliches, bürgerliches Rechtssystem, eines der bedeutendsten Reformwerke dieser Epoche, das Badische Landrecht.53

Napoleon sorgte durch seine Politik nicht nur für eine Standeserhöhung Badens und vergrößerte dessen Gebiet, er wollte das Haus auch verwandtschaftlich an sich binden. So konnte er 1806 den Kurfürsten davon überzeugen, dessen Enkel, den badischen Thronerben Karl Ludwig Friedrich, mit Stéphanie de Beauharnais, einer Nichte seiner Frau Joséphine, zu verheiraten.54 Auch wenn Napoleon die verkaufte Braut noch rasch unter dem Namen Stéphanie Napoleon adoptierte, blieb die erzwungene Verbindung eine Mesalliance. Sie wird Teil der nicht mehr enden wollenden Verdächtigungen und Anschuldigungen sein, der sich Teile des Hauses Baden in den nächsten Jahrzehnten stellen müssen. Das soll ein Blick auf die Nachkommenschaft des Throninhabers verdeutlichen.

Karl Friedrich hatte aus seiner ersten Ehe drei Söhne. Der älteste, Karl Ludwig, heiratete wie der Vater eine Darmstädter Prinzessin, Amalie. Aus dieser Ehe war, neben fünf Töchtern, nur ein Sohn – der erwähnte zwangsverheiratete Karl – hervorgegangen. Durch die Heirat der Töchter verband sich das badische Haus zwar mit den Königshäusern Europas, wobei die Verbindung nach Rußland bei weitem die stärkste und einflußreichste werden sollte;55 doch da die beiden andern Söhne Karl Friedrichs, Friedrich und Ludwig, keine Nachkommen hatten, war der Enkel Karl, so schien es jedenfalls zunächst, der einzige Stammhalter des Hauses. Sein Großvater hatte sich nach dem Tod der Markgräfin Karoline Luise 1783 noch einmal vermählt. Seine zweite Frau, die Hofdame Luise Karoline Geyer von Geyersberg, konnte durch die Hochzeit nicht Markgräfin werden, sondern erhielt den Titel einer Freifrau, später einer Gräfin von Hochberg.56 Diesen Titel führten auch ihre vier Kinder aus der Ehe mit Karl Friedrich, Leopold, Wilhelm, Amalie und Maximilian. Es lag nun zwar nahe, durch die sogenannte Eventualsukzession, also das Nachfolgerecht bei fehlenden männlichen Nachkommen, das dynastische Überleben der Hochberger per Hausgesetz festzulegen, wie dies Karl Friedrich 1796 und 1806 tat – dies international bestätigen zu lassen war allerdings eine ganz andere Sache. Denn die Standesangleichung von Kindern aus sogenannten Mißheiraten war im Alten Reich nicht einmal dem Kaiser gestattet gewesen.57 Der Hochbergsche Familienteil des badischen Hauses befand sich so jahrelang in einer schwierigen Lage, die nur so lange halbwegs erträglich war, wie Karl Friedrich noch lebte; danach wurden die Kinder der Nebenlinie vor allem durch Prinzessin Amalie stark angefeindet. Und zu allem Überfluß hatte 1828 noch Kaspar Hauser seinen großen Auftritt.58

War es schon ein ungewöhnlicher Vorgang, daß an einem schönen Frühlingstag im Jahr 1828 in Nürnberg ein verwahrloster Jugendlicher auftauchte, der nur wenig reden konnte, offenbar lange gefangengehalten worden war und nichts über seine Herkunft aussagen konnte, außer daß er Kaspar Hauser heiße, so wurde die Begebenheit durch anonyme Hinweise aus Karlsruhe umso mysteriöser. Kaspar Hauser, so wollten es diese Stimmen, sei inWahrheit der erstgeborene Sohn des Großherzogspaares Karl und Stéphanie, der durch ein totes Kind ersetzt worden sei. Die 1806 geschlossene Ehe von Karl und Stéphanie war bis 1811 ohne Kinder geblieben; erst 1811, als Karl den badischen Thron bestieg, kam eine Tochter zur Welt, 1812 der lang ersehnte Sohn. Trotz starker Konstitution starb dieser schon im Alter von drei Wochen, auch der vier Jahre später geborene zweite Sohn starb früh, im Alter von nur einem Jahr. Als dann auch Großherzog Karl im Dezember 1818 das Zeitliche segnete, gab es keinen männlichen Agnaten in der badischen Hauptlinie mehr außer seinem Onkel Ludwig. Nun hieß es, der Erstgeborene Karls habe überlebt und sei 16 Jahre lang auf Veranlassung der Gräfin von Hochberg gefangengehalten worden, die damit die Erbfolge ihrer Kinder habe durchsetzen wollen. Diese Anschuldigungen drangen allerdings erst nach und nach an die Öffentlichkeit, nachdem die Frage der Sukzessionsberechtigung der Hochberglinie zum Abschluß gekommen war. Schon 1817 hatte Karl ein Hausgesetz erlassen, mit welchem die Hochberger als großherzogliche Prinzen und Markgrafen von Baden und somit als erbberechtigt anerkannt wurden.59 Was die europäischen Mächte auf dem Aachener Kongreß 1818 mitsamt der territorialen Integrität Badens völkerrechtlich legitimierten. Treibende Kraft war der russische Kaiser, im Hintergrund jedoch vor allem die Zarin, die sich um die Zukunft ihrer Herkunftsfamilie sorgte. Damit waren die Geyersbergs Teil der Erbfolge des Hauses Baden, als erster der älteste Sohn Leopold – Max’ Großvater. Daß dieser dynastiepolitische Schachzug gelang, verdankte sich einer einmaligen Konstellation, dem starken Einfluß der Großmacht Rußland sowie dem Wirrwarr, den Napoleons Politik der Neustaatsgründung in den Herrscherhäusern angerichtet hatte. Schon wenige Jahre später wäre die eigentlich ganz standesunübliche Regelung der badischen Thronfolge wohl kaum so glatt über die Bühne gegangen. Standeserhöhungen zum Zweck einer Angleichung des Status galten nach damals herrschendem Fürstenrecht als illegitim.60 Doch trotz dieser Regelung war dies erst der Beginn einer der folgenschwersten Affären für das Haus Baden, auf die noch zurückzukommen sein wird.

Aus der kurzen Zeit von Karls Regentschaft verdient vor allem der außenpolitische Kurswechsel in der Folge des Niedergangs Napoleons Erwähnung, der für Baden schwieriger als für andere Rheinbundfürsten war. Baden wurde Mitglied des neugegründeten Deutschen Bundes. Nach der Deutschen Bundesakte rangierte es direkt nach den fünf deutschen Königen und dem Kaiser von Österreich vor dem Kurfürsten von Hessen und allen übrigen Großherzögen.

Nach dem Tod von Karls Onkel Ludwig 1830 kam im gleichen Jahr Leopold auf den Thron, der älteste Sohn der Gräfin von Hochberg. Zum fürstlichen Souverän war er als Freiherr nicht geboren und nicht erzogen. Sein Halbbruder Ludwig I. hatte ihn auch nach seiner Standeserhöhung vom Regierungshandeln weitgehend ferngehalten. Leopold galt als leutselig und volksfreundlich; seine Selbstdarstellung entsprach entschieden den Idealen des Biedermeier, seine politischen Auffassungen waren am ehesten die eines oberflächlichen Liberalismus. Er galt als wankelmütig und wurde zum Opfer diverser Einflüsterungen.61 Im Jahre 1819, bereits anerkannt als Prinz und Markgraf, heiratete er Prinzessin SophieWilhelmine von Schweden, die Tochter Gustafs IV. Adolph und der badischen Prinzessin Friederike, Enkelin von Karl Friedrich aus erster Ehe – Leopold war somit der Halbgroßonkel seiner Frau. Angesichts des immer noch prekären Standes der Hochberger innerhalb der europäischen Hocharistokratie konnte es als Erfolg betrachtet werden, daß man sich wieder mit einem königlichen Haus verband.62 Die Ehe verlief zunächst sehr harmonisch; es wurden acht Kinder geboren, darunter auch Max’ Vater Wilhelm.

Kehren wir nun noch einmal ins Jahr 1833 zurück, zum rätselhaften Tod Kaspar Hausers. Bis heute ist zwar nicht erwiesen, daß der Findling im Dezember 1833 tatsächlich ermordet wurde. Das Haus Baden-Hochberg wurde jedoch spätestens zu diesem Zeitpunkt in der Öffentlichkeit mit dem Fall in Verbindung gebracht. Der Glaube, es handle sich bei ihm tatsächlich um den legitimen Erben Badens, verbreitete sich – bis hin zu den letzten Abkömmlingen der älteren Linie.63 Damit aber nicht genug. Nach einem am badischen Hof kursierenden Gerücht war es Großherzogin Sophie, die mit Hilfe eines Adjutanten Hausers Ermordung veranlaßt hatte, aus Sorge, Leopold und sie könnten den badischen Thron zugunsten des legitimen Erben verlieren.64 Dies, so wollte es das Gerücht, habe sie ihrem Gemahl sogar gestanden, der daraufhin mit ihr gebrochen, sie in der Stellung als Gemahlin und Großherzogin jedoch belassen habe. Tatsächlich entfremdete sich das Großherzogspaar nach 1833 voneinander. Kaspar Hausers Schatten wollte auch in der Folgezeit nicht weichen, und die Affäre bot immer wieder Material zu publizistischen Angriffen auf die Hochberger. Die Diskussion über den Fall beschäftigte die Öffentlichkeit in ganz Deutschland und stellte die Legitimität des herrschenden Hauses in Baden massiv in Frage – auch dessen Bewohner waren erheblich verunsichert.65

Leopolds Regentschaft in Baden blieb glücklos. Als sich im Mai 1849 im Gefolge der Revolution von 1848 die Soldatenaufstände im ganzen Land ausbreiteten und es zu heftigen Kämpfen um das Zeughaus in unmittelbarer Nähe des Schlosses kam, wollte Leopold fliehen. Schon in den Monaten unmittelbar davor riet man ihm ernstlich, abzudanken und einem energischen Importregenten Platz zu machen.66 Am Ende legte er sein Schicksal in die Hände Rußlands und beschwor den zaristischen Gesandten in Karlsruhe: »Der Kaiser Alexander hat seinerzeit Baden gerettet; ich hoffe, daß der jetzige Kaiser im vorkommenden Falle dasselbe tun wird.« Sogar die Verheiratung des Prinzen Friedrich mit der Großfürstin Katharina wurde in Erwägung gezogen.

Nicht nur die Flucht selbst, sondern auch die Begleitumstände waren demütigend. Weil es nicht genügend Kutschen gab, saßen der Großherzog und seine Söhne auf dem Protzkasten, dem Munitionswagen der Artillerie, und unter Begleitschutz des Generals Hoffmann, einer Handvoll Dragoner und einer berittenen Batterie mußte die großherzogliche Familie aus der Residenz fliehen.67 Aus Koblenz bat Leopold den König von Preußen, mit der preußischen Armee in Baden einzumarschieren und das Land mit Waffengewalt zurückzuerobern. Am 3. Juni 1849 ernannte Friedrich Wilhelm IV. seinen Bruder zum Oberkommandierenden. Prinz Wilhelm marschierte ein und vernichtete die badische Revolutionsarmee. Bis November 1850 blieben preußische Truppen als Besatzer in Baden und machten sich durch ihr rigides Auftreten wenig Freunde. Auch der Kriegszustand dauerte bis 1. November 1852. So herrschte in Baden mehr als drei Jahre lang reaktionärer Ausnahmezustand. Am 18. August 1849 war Leopold nach Karlsruhe zurückgekehrt; sein Befreier, der preußische Prinz Wilhelm, empfing ihn in dessen eigener Residenz. Dies war eine erneute Herabwürdigung für Leopold, auchwenn stets der Takt hervorgehoben wurde, mit dem er diese Situation bewältigte.68 Wie ein naher Beobachter später bezeugte, war er nach seiner Wiedereinsetzung ausgesprochen »gereizt und hart despotisch gestimmt« gewesen – und »zuletzt in Trunk geraten«.69 Er starb am 24. April 1852.

Leopold hinterließ seinem Land eine der schwersten politischen System- und Ansehenskrisen. Die nicht lupenreine Erbfolge desHochbergers spielte dabei gewiß keine geringe Rolle, sie hatte ihn zudem unter besonderen politischen Rechtfertigungszwang gesetzt. Die Fortführung der Zähringer Fürstenherrschaft bedurfte nun einer ganz neuen Legitimation, zeitgleich mußte das heikle Problem der Herrschaftsweitergabe an die nächste Generation in Angriff genommen werden. Leopolds Regierungsgeschäfte wurden schon in den letzten Lebensmonaten kommissarisch von seinem zweitältesten Sohn Friedrich geführt. Der eigentliche Thronerbe Ludwig war seit dem Ende der vierziger Jahre von einer merkwürdigen Körper- und Geistesschwäche befallen. Einer späteren Verlautbarung aus badischen Hofkreisen zufolge soll es sich um eine Geschlechtskrankheit – vermutlich Syphilis – gehandelt haben.70 Nach der damals vorherrschenden Rechtsauffassung, dem Grundprinzip der sogenannten Primogenitur, besaß allein dieser kranke Erbgroßherzog Ludwig einen legitimen Anspruch auf den badischen Thron. Diesem sakrosankten Prinzip hatte der Wiener Kongreß 1820 in seiner Schlußakte überstaatlicheWirkung verliehen, die auch im Deutschen Bund galt. Ihm mit politischen Mitteln, also durch Absetzung oder Entmündigung, entgegenzutreten war selbst im Falle offensichtlicher Insuffizienz des zukünftigen Monarchen gewagt, weil es die Gefahr barg, das monarchische Prinzip auszuhebeln und damit andere Herrscher zu provozieren.

In dieser Situation stellte das badische Staatsministerium in einem einstimmigen Beschluß fest, »daß die Regierungsunfähigkeit des Erbgroßherzogs [Ludwig II.] genügend constatirt und daß die dieselbe begründende Geisteskrankheit als nicht heilbar zu betrachten sei«.71 Wenige Tage später stimmten »die als Familienrat zusammengetretenen nächsten Agnaten« des Fürstenhauses sowie die Großherzogin Sophie diesem Beschluß urkundlich zu und schlossen damit faktisch den erstgeborenen Sohn Leopolds von der Thronfolge aus. Die offizielle Thronbesteigung des Prinzen Friedrich allerdings unterblieb – vorerst. Vielmehr nahm nach verläßlicher Quelle der Geisteskranke beim Tode des Vaters selbst »den Titel des Großherzogs an und bestieg als Ludwig II. den Thron, trat aber die Regierung sofort seinem jüngeren Bruder Friedrich in Form einer Regentschaft ab. Er vollzog selbst den Act der Übertragung der Regierungsrechte.«72 Mit anderen Worten: Es war Ludwig II., der seinen Bruder Friedrich offiziell zu seinem Stellvertreter machte und somit die Regierungsverantwortung sicherstellte. Da das Ansehen des badischen Hauses bei den fürstlichen Kollegen gering und die Bestätigung Friedrichs durch andere Herrscherhäuser beziehungsweise durch den Deutschen Bundestag unsicher war, blieb er der Stellvertreter. Ein anderer Weg schien bei einer solchen privatpolitischen Regelung nicht möglich.73

Um Friedrich nach diesem schwierigen Beginn als Herrscher Karriere machen zu lassen, mußte der Stellvertreter in zwei Richtungen arbeiten. Erstens mußte er sich mit der einflußreichen europäischen Verwandtschaft arrangieren, und zweitens sollte das öffentliche Bild der badischen Monarchie durch programmatische Entscheidungen positiver werden. Zu den wichtigsten Ideengebern und tatkräftigsten Förderern des Projektes einer politischen Neujustierung gehörte Anfang der fünfziger Jahre eine »liberale Kamarilla«, als deren führender Kopf der Fürstenberater Franz von Roggenbach fungierte.74 Nach Roggenbach sollte der Monarch im liberalen Bürgertum nicht länger eine politische Kraft sehen, die seine Macht beschneidet, sondern ein (potenzielles) Bollwerk des Monarchismus. Und die Liberalen sollten im Souverän nicht ihren natürlichen Widerpart sehen, sondern den Verbündeten bei der Durchsetzung bürgerlicher Reformziele. So war bis Mitte der fünfziger Jahre zumindest programmatisch alles in Stellung gebracht, um den jungen Regenten aus den »Trümmern des zerrütteten Staates«75 etwas Neues erschaffen zu lassen. Was nur noch fehlte, war der politische Wille zur Tat.

Der Endzeitkanzler

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