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Die »Lebensberaterin« Cosima Wagner
ОглавлениеÜber die außergewöhnliche Biographie von Deutschlands wohl berühmtester Komponistengattin sind wir ziemlich gut im Bild – nicht zuletzt dank ihrer genialen Selbstinszenierung als faszinierende grande dame und als Herrin des Grünen Hügels von Bayreuth.91 Es ist ihr langesWitwenleben seit 1883, das uns vorrangig interessiert – wie die Testamentsvollstreckerin lernte, ihrer Mission gerecht zu werden, dem musikalischen und literarischen Werk ihres Mannes zu einer gesteigerten Bewunderung bei den gesellschaftlichen, namentlich aber bei den geistigen und politischen Eliten zu verhelfen. Wie sie aus Bayreuther Festspielen durch ihre künstlerische Leitung einen exklusiven Höhepunkt nationaler Festkultur mit sich selbst als auratischem Fixpunkt machte. Schließlich wie sie dieWeichen stellte für eine politisch-ideologische Tendenzverschiebung in der Wagnerrezeption nach rechts, die ihr Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain dann am Ende des 19. Jahrhunderts als völkisch orientierter Publizist festschrieb und erfolgreich vermarktete.92 Wir lernen eine Lady in black kennen, die es meisterhaft verstand, sich in den Mittelpunkt zu stellen, umgeben von einer Corona hochkarätiger Paladine, die ihr Charme, Intelligenz, die Kunst der fesselnden Unterhaltung und perfekte Umgangsformen, ja so etwas wie ein aristokratisches Wesen attestierten. Sie mußte sich nicht vornehm gerieren, sie war vornehm – eine Art »Königin-Witwe«, die dazu »geboren« schien, »königliche Huldigungen entgegenzunehmen«.93
Cosima wußte, daß sie sich eng mit den politisch Mächtigen im deutschen Kaiserreich verbinden mußte, um ihr ehrgeiziges Projekt durchzubringen. Auch darin ging sie trittfest in den Fußspuren ihres verstorbenen Meisters.94 Doch was brachte diese sendungsbewußte Dame aus eher anrüchigen bürgerlichen Verhältnissen mit,95 daß sogar die adelige Prominenz ihr huldigte? Um die Suggestivkraft ihrer Wagnerexegese in höchsten Kreise zu ermessen, muß man wissen, daß sie gerade diesen Gönnern nicht allein als Hohepriesterin aller Wagnerianer gegenübertrat, sondern auch als einfühlsame Beraterin, kluge Kommentatorin, unaufdringliche Schmeichlerin und zarte Einflüsterin ihrer Herzenswünsche. Sie beherrschte die Kunst des Schreibens und der Konversation auf hohem Niveau. Cosima hatte ein Faible für ranghohe Zeitgenossen, die mit sich selbst nicht im reinen waren und an sich litten, etwas, das viel mit ihrer eigenen leidvollen Vita zu tun hatte und sie zu einer glaubwürdigen Vertrauten machte. Dabei soll sie »äußerlich nichts Weibliches« und in ihren Umgangsformen sogar eher eine »männliche, resolute, in Nichts zimperliche Art« gehabt haben.96 Andere erlebten sie als »steif, willensstark, unversöhnlich«.97 Kurzum, diese Frau hatte ein natürliches Herrschertalent – eines, das sich auf echte Souveränität ebenso wie auf emotionale Intelligenz gründete. Deshalb konnte sie es auch wagen, mit so erstaunlich großem Selbst-, ja Ebenbürtigkeitsbewußtsein in Kreisen zu verkehren, die sie sozial bei weitem überragten.
Ein übriges tat selbstverständlich auch die Musik des Meisters selbst. Diese muß sich für viele seiner Verehrer wie Glück und Schmerz zugleich angefühlt haben, aufputschend und beruhigend, animierend und heilend. In Bayreuth konnte man hymnische Momente von höchst suggestiver Kraft erleben. Hinzu kam die Theatralik der Opern und ihrer Figuren, in denen das Publikum immer auch sich selbst und seine eigene Zeit, seine eigenen Probleme erkennen konnte. Der Zuschauer identifizierte sich im stillen mit manch tragischem Helden und sublimierte damit das, was er verdrängt hatte. Daß man dort gleichsam den Inhalt seines Lebens für eine Zeit nach Bayreuth mit neuem Sinn anreichern konnte, machte gerade auf die einen ungeheuren Eindruck, die in der profanen Wirklichkeit ohnehin nur halb zu Hause waren. Für Ernst zu Hohenlohe war es »ein Zauber, der sich mit nichts Anderem vergleichen läßt; es ist, als spräche eine Stimme aus einer besseren Welt zu Einem, und man fühlt sich, wenn man sich dem Eindruck ganz hingeben kann, selbst veredelt und gebessert durch die wunderbaren Inspirationen des Genies, weil sie eben, wie alles Große und Gute, göttlichen Ursprungs sind.«98
Schließlich darf auch nicht übersehen werden, was der fleißige Bayreuth-Besucher Harry Kessler seinem Tagebuch anvertraute, daß man auch »Wagner leidenschaftlich genießen kann, ohne ihn zu verstehen. Die Gründe sind allerdings nicht schwer zu finden; sie liegen in derWirkung auf das Geschlechtsleben.« Warum sollten – so fragte dieser dem eigenen Geschlecht Zugetane weiter – »dieseWirkungen weniger edel sein als andre?« Und reflektierte dabei exemplarisch auf die Figur des Parsifal.99 Auch andere Autoren der Zeit haben darauf verwiesen, wie im Parsifal der geschlechtliche Verkehr mit dem Weibe als »Frevel« gegen die ideale Männergemeinschaft der Gralsritter und insbesondere der Held »sexuell indifferent« konstruiert wird, weil er dazu bestimmt ist, andere Männer (namentlich Amfortas) zu erlösen. Hier seien »der Held und der Gralsritterverband vollständig homosexual gedacht«.100
Den Weg zu Cosima und ihrer Welt fand Max über seine früh ausgeprägte Schwärmerei für Wagners Tonkunst und durch seinen Freund und Verehrer Cosimas, Ernst zu Hohenlohe-Langenburg.101 Bis Anfang der neunziger Jahre blieb die Beziehung recht locker, obwohl der Prinz schon seit 1888 zu den regelmäßigen Besuchern der Bayreuther Festspiele zählte. Seit sich die beiden in Berlin im Januar 1892 begegnet waren, korrespondierten sie regelmäßiger miteinander. Die »Meisterin« begeisterte Max, »sie führt einen sofort auf ideelle Gebiete und entzückt einen durch ihre schöne Sprache und ihre wunderbare Auffassung hoher Ideen«.102 Er wußte, »nichts ist besser für uns als der Verkehr mit geistreichen und gebildeten Frauen, und zu diesen gehört FrauWagner in erster Linie«.103 Eine neue Qualität erreichte die Beziehung freilich erst, als Max sich auch für die materiellen Interessen der Herrin des Hügels zu engagieren versprach – dazu aufgefordert von Freund Ernst: »Was an mir ist, setze ich gerne ein, um den Bestand der Bayreuther Festspiele zu sichern, denn ich betrachte sie wie Du als ein heiliges Gut der deutschen Nation«.104 Daraufhin nahm ihn Cosima fest in den Kreis »der mir werten Persönlichkeiten« auf und hob den Prinz sogar – ihrem Verehrer Hohenlohe gegenüber – als einen Charakter heraus, »dessen ganzes Wesen in Einem die schönsten Hoffnungen weckt; zu der Anmut der Erscheinung tritt hier der Ernst des Geistes und der Adel des Sinnes in wohltuendster Weise hinzu«.105 Ernst wird seinem Freund diese Eloge Cosimas kaum vorenthalten haben. Nun war Max erst recht »ganz hingerissen«106 und versicherte Cosima gerne die »Anhänglichkeit eines Ihnen sehr ergebenen und dankbaren Menschen«.107 Auch die Herrin des Hügels freute sich über jedes der nun häufigeren Wiedersehen.108 Von diesem Zeitpunkt an schrieb Max ihr in einem Ton, der Cosimas Bedürfnis nach Anerkennung schmeicheln mußte. Er scheint diesen Tonfall geradezu für sie erfunden zu haben, der mehr als bloß eine Stilfrage war, und sich um eine ganz besondere Freundlichkeit der Adressatin gegenüber bemühte.
Während der Bayreuther Festspiele im Sommer 1894 kam ein Moment hinzu, das sich dann mehr und mehr in den Mittelpunkt ihrer Beziehung schieben sollte. Max ließ die mütterliche Freundin nun auch an seinem Seelenleben teilhaben. Zwar sind ihre Briefe an den fürstlichen Eleven ihrer Lebensschule nicht einsehbar, aber aus der Gegenüberlieferung kann man klar ersehen, wie wichtig sie für Max wurde. Ausgangspunkt dieser Vertraulichkeit war ein zehnseitiger Brief aus Salem, in dem Max Cosima ein »Bild meiner inneren Entwicklung«, genauer: ein »noch nie so geschildertes« Abbild »schonungslos aufdräng[t]e«.109 In diesem Selbstportrait stilisiert sich Max zu einer genuinen Künstlernatur, die sich am liebsten ganz und gar der Poesie und derMusik verschrieben hätte, wenn diese zunächst »ziemlich harmonische[n] Natur« nicht durch »äußere Schwierigkeiten« eine »starke Störung« erfahren hätte. »Gewaltsam« und in »schroffsten Formen« hätte man ihn von diesem schönen Leben wegzudrängen versucht. Daß er im Jahre 1888 zum badischen Thronprätendenten bestimmt wurde, habe seine künstlerischen »Zukunftspläne« endgültig scheitern lassen. Damit hatte der 27-jährige nobile dilettante an CosimaWagner ein äußerst charmantes Entrebillet verschickt, dessen symbolischer Wert durch die beigefügte Fotografie von ihm noch gesteigert wurde. Und tatsächlich reagierte sie prompt in dem von Max erhofften Sinne, wie dieser seinem Freunde Ernst anvertraute. »Von FrauWagner neulich einen sehr langen und höchst interessanten Brief erhalten, in dem sie mir fast zu freundliche Dinge sagt. In der großen Depression aber, in der ich mich befand, wirkten diese vielleicht gefährlichen Gifte als heilendes Mittel.«110
Indem Max von Baden Cosima »in Liebe und Hingebung verehrt[e]«,111 wurde er gleichzeitig zum Jünger und Resonanzverstärker ihrer Mission, aus Bayreuth eine quasi-religiöse Kultstätte zu machen.112 Als sich im Sommer 1896 die Eröffnung der Bayreuther Festspiele zum zwanzigsten Male jährte und Frau Wagner dies zum Anlaß nahm, den Ring des Nibelungen dort erstmals seit der Uraufführung wieder auf die Bühne zu bringen, applaudierte Max nicht mehr ausschließlich aus seinem ästhetischen Empfinden heraus, er bewunderte dies nun auch aus politischen Motiven. »Was damals im Freudenrausch errungener Siege und neubegründeter Einigung als die künstlerische Krönung dieser Erfolge erschien, ertönt uns heute als ein Mahnruf zur Treue und zum Festhalten an dem Errungenen.«113 So hätte auch Kaiser Wilhelm II. die Tetralogie ausdeuten können. Cosima blieb stets bemüht, Max auch die literarischen Erzeugnisse aus Bayreuth ans Herz zu legen. Die illustrierte Wagner-Biographie ihres späteren Schwiegersohnes Houston Stewart Chamberlain von 1895 zählte etwa dazu, die sie Max als Weihnachtsgeschenk verehrte.114 Der will dann auch gleich »mit der größten Spannung und Ergriffenheit« in dem Werk dieses »geistvollen Interpreten« des Tondichters gelesen haben.115 Man sieht, daß am Ende des Jahrhunderts auch dort, wo es eigentlich nur um die Kunst ging, eine Ideologisierung und Politisierung eingetreten war, eine dynamische Interaktion von Ästhetik und Politik.116 Diese Metamorphose Bayreuths von einem Ort der Kunst hin zu einem mit stärker kulturell-politischer Bedeutung scheint auch auf den badischen Prinzen abgefärbt zu haben, wobei allerdings sein kultureller Nationalismus den Kosmopoliten noch nicht ausschloß.
Das im Frühjahr 1898 inaugurierte Heiratsprojekt mit der Großfürstin Helena bescherte Max’ fieberhafte Aktivitäten zwischen Deutschland, Frankreich, Italien und Rußland; dabei war auch der intensive Kontakt mit Cosima Wagner auf der Strecke geblieben. Erst als das Projekt auf der Kippe stand – und er dringend Zuspruch brauchte –, nahm er ihn wieder auf. Das letzte, was er ihr zuvor geschrieben hatte, war ein etwas merkwürdiges Postskriptum aus dem Oktober 1897: »Welchen schönen Tod starb der Herzog von Mecklenburg. Wie schwer er auch gelitten haben mag, er hat seine Aufgabe erfüllt.«117 Die Rede ist von Großherzog Friedrich Franz III., der sich in seinem Refugium Nizza mit nur 46 Jahren in den Tod gestürzt hatte, weil ihn seine Homosexualität nicht weniger quälte als sein notorisch schlechter Gesundheitszustand.118
CosimaWagner war sensibel und lebenserfahren genug, um Max’ akute Seelennot zu bemerken. Wie sie ihrer Freundin Wolkenstein anvertraute, blickte sie im Sommer 1899 »mit Bangigkeit« auf das Heiratsprojekt ihres Schützlings.119 An den unglücklich Verlobten schrieb sie einen Brief, den Max als ausgesprochen »herzlich und wohltuend« empfand. Wohl wissend, wieviel Takt und Feingefühl dieses heikle Thema verlangte, hatte sie einmal mehr gezeigt, daß sie zu inniger Teilnahme an seinem Seelenleben fähig war. »Ich wiederhole es«, antwortet Max ihr, »Sie haben mir wohl getan und mich erfrischt. Im Verstehen liegt ja schon eine Befriedigung, und es bedarf dann nur weniger Worte der Erklärung und Aufmunterung, wie Sie dieselben hinzufügten, um eine starke Wirkung zu erzielen.«120 Max wußte nun: Cosima Wagner hatte ihn verstanden.
Daß Max’ Verlobung dann im Juni 1899 scheiterte, war seiner mütterlichen Freundin im Prinzip sogar »angenehm«, wenn ihr auch dieses »Geschick« zugleich »recht nahe« ging.121 Max gab zwar zu, eine »schwere Zeit« hinter sich zu haben, doch im übrigen hatte er sich bereits wenige Wochen später seine traumatische Erfahrung fatalistisch und auch ein wenig selbstgerecht zurechtgelegt: »Mir blieb keine andere Wahl, die Ereignisse kamen ungerufen, unverschuldet wie von einer höheren Macht gelenkt. Und so betrachte ich auch jetzt das Geschehene. Es war eine Schickung, eine Notwendigkeit, Gottes Wille. […] Ich wage aber zu hoffen, daß diese schweren Erfahrungen nicht nutzlos an mir vorüber gegangen sind, und mit Gottes Hilfe werde ich als besserer und stärkerer Mann aus denselben hervorgehen.«122
Neben Munthe und seiner Schwester Mary dürfte Max in dieser Lebensphase niemand näher gestanden und niemand mehr Einfluß auf ihn gehabt haben als Cosima Wagner.123 Dabei dürfte auch eine Rolle gespielt haben, daß Cosima ihren homosexuellen Sohn Siegfried auf ein Erbe vorzubereiten hatte, für das sein künstlerisches und intellektuelles Format kaum ausreichten.124 Auch hier, in der Wagnerdynastie, stand ein mahnendes »cherchez la femme« im Raum und die zartfühlende Behandlung schwerwiegender seelischer Konflikte. Ob Max um diese Kalamitäten im Hause Wagner aus authentischer Quelle wußte oder ob er sie intuitiv erahnt hat, ist nicht überliefert. Daß sie ihm gänzlich verborgen blieben, kann aber so gut wie ausgeschlossen werden.