Читать книгу Der Endzeitkanzler - Lothar Machtan - Страница 19
Gönner, Förderer – und die erste Liebe
ОглавлениеDurch den Tod seines Vetters wurde Max in noch stärkerem Maße abhängig von Personen, die sich für ihn verantwortlich fühlten. Hier ist an erster Stelle das badische Großherzogspaar zu nennen, das seinen Neffen wegen der prekären Thronfolge gleichsam adoptieren mußte. Dies machte ihnen der Sohn des ungeliebten Bruders und Schwagers allerdings denkbar leicht, indem er sich gänzlich von den Ressentiments seines Vaters löste und mit Liebenswürdigkeit und Respekt auf die »Adoptiveltern« zuging. Viel Zutrauen scheint er im Januar 1890 beim Tod der Kaiserin Augusta in Berlin erworben zu haben, den er – wie er schrieb – »in so naher Beziehung mit Tante Luise und Onkel Fritz [den Kindern der Verstorbenen] erlebt habe«. Was er damals wirklich »bewundernswert« an der trauernden Großherzogin fand, war, daß sie ihren Schmerz in beispielhaft »erhabener Weise« trug. Und Max verstand es offenbar, diese seine bewundernde Empathie auf besonders taktvolle Weise zum Ausdruck zu bringen. Jedenfalls konstatierte er mit großer Genugtuung, daß seine Tante ihm »so dankbar« war für das, was er ihr an »Sympathie und Mitgefühl« zu geben wußte.149 Aus dem brieflichen Verkehr, den Max in den neunziger Jahren mit dem Oberhaupt des Herrscherhauses unterhielt, geht ebenfalls hervor, daß die dort zum Ausdruck gebrachte Ehrerbietung des Neffen mehr als nur Etikette war.150
Mit seiner Anteilnahme und seiner Dankbarkeit gegenüber diversen Wohltaten rechtfertigte er die Stellung als erbberechtigter Prinz des Hauses Baden, während er zugleich das Vertrauen des großherzoglichen Paares erwarb. Dies war auch geboten, wenn man bedenkt, daß das badische Herrscherpaar mit seinem engen Kontakt zum Kaiser indirekt Einfluß auf Max’ (militärische) Karriere nehmen konnte und auch nahm. Gewiß nicht zufällig hat Wilhelm II. den Prinzen im September 1893 bei einem Besuch in Karlsruhe zum Premierleutnant befördert. Zwei Jahre später befahl er ihn sogar als Ordonanzoffizier in seine Entourage zum bereits erwähnten Militärmanöver in Pommern. Max zeigte sich denn auch hocherfreut über diese seltene Gelegenheit, den Kaiser »näher kennen zu lernen«.151 Es verging kaum noch ein Monat, in dem das Karlsruher Hoftagebuch keinen Besuch des Prinzen Max vermeldete; oft waren es deren drei oder mehr. Auf die Fürsprache seines Onkels konnte er sich nun fest verlassen.152 Daß Max den Kaiser im Frühjahr 1897 erstmals zu einem privaten Jagdvergnügen begleiten durfte – nach Kaltenbronn im Nordschwarzwald, wo der Großherzog der Jagdgesellschaft sein kleines Jagdschloß zur Verfügung stellte –, beweist, wie fest der Thronprätendent nun im innersten Kreis der badisch-preußischen Konnexion verankert war.
Von einer anderen Seite her beförderte dies Karl von Eisendecher, Preußens Gesandter in Karlsruhe seit 1884,153 der schon bald nach seinem Einzug in die südwestdeutsche Residenz ein Faible für den »hervorragend liebenswürdigen und begabten«154 Prinzen entwickelte. Der kunstsinnige und ausgesprochen weltmännische Diplomat verstand es, den jungen Mann unter seine Fittiche zu nehmen. In Eisendechers repräsentativen Wohnräumen genoß der Prinz Konzerte;155 dieser lud Max auch privat zu sich nach Berlin ein, und im Sommer 1888 verbrachte der Endvierziger mit dem Einundzwanzigjährigen sogar einige vergnügliche Urlaubswochen auf der damals ziemlich weltabgeschiedenen Insel Helgoland: »Ich schwelge in der herrlichen Seeluft«, schrieb Max begeistert von dort an seinen Freund Ernst, »und in dem Zusammenleben mit Herrn von Eisendecher«; er »segle viel und habe so gut es ging unter Eisendechers Leitung das Steuern erlernt«.156 Eisendecher schwärmte fortan in seinen Berichten an den Reichskanzler in den höchsten Tönen über den aufgehenden Stern des Hauses Baden. Was bei Eisendechers sehr guten Beziehungen zu Bismarck, der ihn sogar duzte,157 von einiger Bedeutung für Max’ positive Wahrnehmung gewesen sein dürfte. Schon im Januar 1889 beschreibt der Gesandte Bismarck gegenüber den Prinzen als »ernst über seine Jahre, vollkommen wahr und ehrlich, fleißig, strebsam, gewissenhaft, feinfühlend und liebenswürdig […] Beiläufig darf ich noch erwähnen, daß der junge Herr mir seine ganz besondere Freundschaft und sein Vertrauen schenkt.«158 Insbesondere auf diesen Aspekt ist er in seinen Lobreden immer wieder zurückgekommen.159
Daß der Prinz bei Eisendecher so einen riesigen Stein im Brett hatte, sollte sich auch à la longue als unschätzbarer Vorteil erweisen, denn dieser Diplomat war einer der ganz wenigen innerdeutschen Gesandten, die bis zum Ende der Monarchie auf ihrem Posten verbleiben sollten. Einem politisch nicht unbedeutenden Amt übrigens, das nur aus heutiger Sicht ein wenig apokryph erscheint.160 Wie die Dinge im ausgehenden 19. Jahrhundert lagen, begriffen sich Exterritoriale wie Eisendecher durchaus als Spitzendiplomaten des Reiches mit weitreichenden Aufgaben und Kompetenzen. Der innerdeutsche Gesandte – von Geburt übrigens Oldenburger – sollte den preußischen und Reichsmonarchen in Karlsruhe auf hohem Niveau präsent halten und in diesem Sinne zum Beispiel mit schönen Diners, Soirees und Empfängen gesellschaftlich etwas hermachen. Er sollte aber auch den preußischen Außenminister und deutschen Reichskanzler über wichtige politische Vorkommnisse im Großherzogtum auf dem Laufenden halten. Das wichtigste Bezugssystem seines Wirkens aber bildeten die Herrscherfamilie und die höchsten Hofchargen, dann erst die Minister sowie die kulturellen Koryphäen der Residenzstadt. Vor allem Fragen, die die Dynastie und deren Innenleben berührten, widmete er seine ganz besondere Aufmerksamkeit. Gerade in diesen Dingen, für die sich Wilhelm II. brennend interessierte, konnten die Berichte des Gesandten entscheidend sein. Daß Eisendecher als früherer Marinemann gelegentlich von Wilhelm auf die kaiserliche Yacht befohlen wurde, um dort bei den Regatten als rechte Hand des Monarchen zu fungieren, unterstreicht, welch entscheidende Rolle er spielte. Eines solchen Mannes Freund zu sein, war für den Thronprätendenten Max mit Gold nicht aufzuwiegen.
Der hellste und wärmste Bezugspunkt seines privaten Gesichtskreises blieb bis zu dessen frühen Tod 1888 Max’ Vetter Ludwig, der zweitgeborene Sohn des Großherzogs. In seinen ganz persönlichen Angelegenheiten dürfte der junge Prinz kaum einen engeren Vertrauten gefunden haben als den zwei Jahre Älteren. Schon als Zehnjähriger warb er mit unterhaltsamen Briefen, putzigen Bildpostkarten, hintersinnigen Gedichten und kleinen Zeichnungen um Sympathie bei Ludwig; er wollte unbedingt, daß dieser einen positiven Eindruck von ihm erhielt. Im Alter von gut 16 Jahren bemühte Max sich dann augenscheinlich, die familiär-herzliche Beziehung zu seinem Cousin in schwärmerische Freundesliebe zu überführen. Ludwig brauche zwar nicht zu glauben, »ich sei in Dich verliebt«, schrieb er ihm Anfang 1884, aber er nannte ihn schon ganz unverblümt »my darling«.161 Und wenn man die immer zahlreicher und immer intimer werdenden Briefe liest, die er ihm in der Folgezeit geschrieben hat, so gewinnt man unweigerlich den Eindruck, daß genau das eingetreten war: Max hatte dem Vetter sein Herz geschenkt.
Der Ton der Briefe schwankt zwischen deftig-derb und verliebt. So eröffnet Max dem fast 19-Jährigen, daß »ich mit Dir jetzt plaudern möchte, mein Schätzerl«, um dann fortzufahren: »Ich war heute früh im Schloß, und wie ich in Deinen Gang kam (wo ich sonst zu meinem Schätzerl im Bette komme), da roch es so stark, daß ich meinte, es brenne bei Dir. Es brennt zwar bei Dir, aber unter der Uniform. Übrigens fehlst Du mir sans frase gemein […] Ich würde mich, wenn ich könnte, Dir in die Arme fallen lassen, so aber umarme ich Dich in Gedanken fest, und träume von Dir und bleibe, solange es Dir gefällt, Dein treuer und verschwiegener Max.«162 Auch noch ein Jahr später – Ludwig dient inzwischen bei einem preußischen Eliteregiment in Potsdam – klingt es so: »Ich hab Heimweh nach Dir, d.h. so viel als man daheim Heimweh haben kann. Aber ich hab’s so gern, wenn wir neben einander sitzen und erzählen, wie es in der Zukunft sein wird. Ach Gott, es ist doch schön, wenn sich zwei gern haben. […] Wenn ich bei Dir bin, bin ich fast immer fröhlich, denn wir kennen uns ganz genau. Ich hoffe, Ludwig, daß es so bleiben wird, bis einer von uns gestorben sein wird. […] Ich bleibe in langer Umarmung Dein treuer Vetter und Freund Max.«163
Zeichnung des Prinzen Max, gewidmet dem Jugendschwarm Prinz Ludwig von Baden, 1885
Ludwigs Gegenbriefe sind zwar gesperrt, aber man kann aus Max’ Bemerkungen schließen, daß die Zuneigung gegenseitig war. Max zeigte sich tief beglückt darüber, »wie fest Du an mir hältst und meine Freundschaft erwiderst«, oder er reagierte mit geradezu euphorischen Äußerungen wie: »Oh my boy, my boy! Dein verrückter, lieber Brief entzückend! Ganz unsere Sprache; hab mich halb tot gelacht«.164 Die Briefe zeigen, wie sehr Max’ Schreiben Ludwig gegenüber durchsetzt war von homosexuellen Phantasien. Anspielungsreich hat er ihn auf der Anreise zu einem Besuch in Potsdam mit »my dear old body« umkost und sich selbst – »rasend« vor Freude auf das bevorstehende Wiedersehen – »your dear old body in Treue und Liebe« unterzeichnet.165 Im Dezember 1887 schreibt er ihm aus Leipzig: »Tino [Kronprinz Konstatin von Griechenland] und ich bringen uns gegenseitig zu Bett; natürlich abwechselnd, den einen Tag ich, den andern Tag er (in aller Unschuld, bitte zu glauben).« Wenige Tage später stellt er sich den Freund bei der Morgentoilette vor: »Morgens hast Du Dich an einer mächtigen Latte aus dem Bett gehoben, wie einen Henkelkrug; dann hast Du Dich besonders gut gewaschen, namentlich etc., und hast Dich im Spiegel von unten bis oben angeschaut –: ›Verflucht, die vielen Flecken auf meinem Popo …!‹ – Dann die beste Krawatte angezogen mit Mischas Nadel. Beim Frühstück etwas erregt, aber unter der Weste einen selten guten [Schnaps?] versteckt; in der Kirche geschlafen und von – geträumt.«166 Der erotische Ton dieser Freundschaftsliebesbriefe ist deutlich. In seiner Beziehung zu Ludwig entdeckte Max seine Sexualität; er spricht über Verlangen und sehnt sich nach Nähe.
Dabei konnte sich Max sicher sein, daß sein Ludwig nicht allein ihm, sondern auch dem weiblichen Geschlecht zugetan war. Er stellte sich dem Vetter sogar als Postillon d’amour zur Verfügung, nachdem sich dieser in eine Prinzessin von Neapel-Sizilien verliebt hatte. Seine Rolle definierte er so: »[D]ie Aufmerksamkeit der Leute von Dir abzuziehen, ohne ihr zu nahe zu treten, wenigstens halten mich viele für verliebt in sie; sie aber denkt nicht daran, in mich verliebt zu sein; ich habe sie sehr gern aber nichts weiter. […] Es wäre herrlich, wenn Du sie bekämest; wie ich lachen müßte.«167 Das Wichtigste scheint Ludwigs bestem Freund freilich immer gewesen zu sein, »mich Deines Vertrauens würdig zu erweisen und mir Deine Freundschaft zu erhalten. […] Verlaß Dich bitte auf mich in Allem; im Größten, soweit meine Kräfte reichen, und im Kleinsten.«168
In diesen Briefen lernen wir noch eine andere Seite von Max kennen: sein Bedürfnis nach Bindung an einen Vertrauten, dem er sich öffnen und hingeben, dem er in Liebe anhängen durfte und dem er sich immer wieder nützlich machen konnte. Daß er sich dafür einen nahen Verwandten, einen höherrangigen gar, ausgewählt hatte, hat vielleicht noch einen anderen Grund, außer der bloßen Liebe. Da die beiden Vettern auch andere Intimitäten höchst privater Art der großherzoglichen Familie teilten, wurde Max gleichsam ein Kind derselben – und mußte sich nicht wie sein Vater mit der Rolle eines Zaungastes bescheiden. Daß diese familiäre Bindung mit Ludwigs frühem Tod ein jähes Ende fand, hat die Zäsur von 1888 für Max sicher noch einmal mehr verstärkt.
Die Lücke, die Ludwigs Tod in Max’ Gefühlsleben gerissen haben muß, konnte – wenn nicht geschlossen, so doch – einigermaßen überbrückt werden durch eine weitere Freundschaft, die ebenfalls schon in die späten achtziger Jahre zurückreicht. Der Favorit war sein vier Jahre älterer Vetter Ernst, der Erbprinz des (mediatisierten) Fürstenhauses Hohenlohe-Langenburg.169 Ernsts Vater Hermann war mit einer badischen Prinzessin aus der Hochberg-Linie verheiratet, was unter anderem zur Folge hatte, daß Max und Ernst in Karlsruhe eine Zeitlang gemeinsam zur Schule gingen.170 Seit 1885, als der junge Hohenlohe nach erfolgreichem juristischem Staatsexamen seine Offiziersausbildung in Berlin antrat, datiert ein intensiver Briefverkehr zwischen den beiden Fürstensöhnen. Solange Max in Freiburg und Heidelberg studierte und Ernst in Berlin Dienst tat, wurde die Freundschaft hauptsächlich durch den Austausch von Gedanken, Phantasien, Gefühlen und nicht zuletzt von poetisch-dramatischen Produkten per Post kultiviert. Am meisten verband die beiden ihre gemeinsame Schwärmerei für Wagners Musik. Seine vielen Briefe an Ernst kamen Max dabei wie »Stücke Tagebücher« vor; sogar noch »etwas vernünftiger als Tagebücher (obgleich ich selbst eins halte), denn man sucht wenigstens klar zu sein«.171 Kurz, es tat Max »gut, sich ausschütten zu dürfen und zu wissen, man wird verstanden werden«.172
Mit der Übersiedelung des Badeners nach Leipzig gewann die Beziehung im Herbst 1887 deutlich an Intensität. Die Wohnorte der beiden lagen nur noch zwei Zugstunden voneinander entfernt. So ist gleich in einem seiner ersten Briefe aus dem neuen Studienort von einer Reise nach Berlin die Rede – inkognito; dort will Max mit Ernst eine Wagneraufführung besuchen – was eigentlich »unrecht« sei: »Gegen zwei Dinge aber bin ich schwach, das ist die Freundschaft und Wagner; da nun beide so unwiderstehlich locken, so kann ich nicht an mich halten, ich muß mich in dies Wonnenmeer werfen. Doch möchte ich ungesehen und unerkannt nur für Dich und Wagner kommen.«173 Solche mehr oder weniger geheimen Treffen gab es häufiger. Der 25-jährige Erbprinz aus Langenburg war Max nun »mein liebster Erni«, und als dieser Anstalten machte, die Bayreuther Festspiele im Sommer 1888 zu einem Rendezvous mit einer eventuellen Heiratskandidatin zu nutzen, da wollte der im Examen stehende Freund gleich mit von der Partie sein.174
Nach seiner Rückkehr von dieser Reise befand sich Max über »Wochen in einem unzufriedenen Zustand« – einem »Gefühl des Unbefriedigtseins«. Unter den Gründen dafür gebe es neben dem Examenselend »auch solche, über die ich nicht gern spreche«. Jedenfalls »möchte kein Hund so länger leben«. 175 Und wenig später heißt es dann, daß »wenn die Zeit kommt, können wir hoffentlich oft zusammen sein u[nd]. Parsifal singen«.176 Doch Ernst hatte inzwischen die diplomatische Laufbahn eingeschlagen und eine Stelle bei der deutschen Botschaft in London angetreten, während Max sein Studium abschließen und seine Offiziersprüfung vorbereiten mußte. Erst nach seinem Eintritt in das Garde-Kürassier-Regiment kehrte der angehende Diplomat im Frühjahr 1890 für einige Monate nach Berlin zurück: »Wie rasend freue ich mich, Dich wiederzusehen«; erst dann werde »Berlin mir lieb werden und wir wollen recht viel beisammen sein«.177 Und so war es dann auch, wie die Briefe von Ernst an seinen Vater aus Berlin bestätigen.178 Im Herbst 1891 ging Max’ Freund an die deutsche Botschaft nach Petersburg. Vor dem neuerlichen Abschied gönnten sich die beiden im Juli noch ein paar schöne Tage in Heidelberg. Zurück blieb »schmerzliches Bedauern« über das erneute Getrenntwerden.179
In den Briefen des Prinzen Max figurierte der umworbene Vetter als eine Mischung aus Seelenverwandtem, Bruder, Vorbild, Intimus, Getreuem und Geliebtem.180 Max brauchte Ernis Empathie und Verständnis, seinen Trost und Zuspruch, seine Hilfe vor allem zur Erhebung des eigenen Gemüts. Und er suchte bei ihm Nähe, will Zweisamkeit, gemeinsames Erleben. Aber das war nicht alles. Es seien »Gefühle und Interessen, welche mich so viele Jahre an Dich fesseln«, hat er ihm einmal geschrieben.181 Will sagen: Außer den Emotionen brachte diese Freundschaft für Max auch einen praktischen Gewinn – ebenso wie die Freundschaft mit Ludwig. Denn Ernst war Sproß einer angesehenen Adelsfamilie, die sich trotz des Verlustes ihrer Souveränität den regierenden Häusern in vielerlei ebenbürtig fühlte; sie war mit dem britischen Königshaus verwandt und mit dem deutschen Kaiserhaus verschwägert. Ernst besaß Bildung, und er besaß um 1890 neben einer erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung für den höheren Staatsdienst bereits Erfahrungen in Militär und Diplomatie. Er war gesellschaftsfähig und hatte sich bereits auf internationalem Parkett bewährt. Mit seinen Kenntnissen in Kunst, Literatur und vor allem in der Musik war er in der Welt der bürgerlich dominierten Hochkultur kein Fremder. Schon vor der Jahrhundertwende ging er in der Villa Wahnfried in Bayreuth ein und aus. Als bekennender Wagnerianer gelang es ihm in jungen Jahren sogar, so etwas wie eine Freundschaft zu Cosima Wagner, der »Herrin des Hügels«, aufzubauen.182 Schließlich war der angehende Fürst und Standesherr politisch sehr interessiert und durchaus bestrebt, einmal eine Führungsrolle in der Politik zu übernehmen. Insofern versprach sich Max von ihm auch Beratung, Aufklärung, Unterstützung und nicht zuletzt Empfehlung. Diese zweckrationale Dimension war es dann auch, die nach der sehr intimen Phase mehr und mehr ihre Beziehung bestimmte. Erst mit der Verlobung des Langenburgers 1895 machen sich in Max’ Briefen eine innere Distanz und Sachlichkeit bemerkbar, die aber dem offenherzigen Umgang miteinander keinerlei Abbruch tat.
Bleibt zu ergänzen, daß Max in seinen frühen Berliner Jahren noch eine weitere Männerfreundschaft von Prinz zu Prinz einging, und zwar mit dem fast gleichaltrigen Friedrich Karl von Hessen-Kassel.183 Seinem Vetter Ernst berichtete er 1890 von dem Berliner Offizierskollegen »Fischy, wie er genannt wird«, als »Jemande[m], den Du gewiß auch lieb gewinnen wirst«, da er »ein nobler Charakter und voll Verständnis für Kunst und Literatur« ist.184 Max und Fischy hatten sich während ihres gemeinsamen Studiensemesters in Freiburg kennengelernt.185 Die Freundschaft sollte Bestand haben und sich – wie später noch zu zeigen ist – in manchen schwierigen Situationen bewähren.186