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Gardeoffizier in Berlin

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Es war das Garde-Kürassier-Regiment in Berlin, das den Prinzen Max von Baden zu den Seinen zählen durfte. Vermutlich hatte seine hohe Gestalt hierfür den Ausschlag gegeben. Im Juni 1889 ernannte der Kaiser ihn zum Seconde-Leutnant, zunächst »à la suite«.41 Ende Oktober legte er in Berlin die Offiziersprüfung ab und trat alsdann seinen Dienst im Regiment an.42 Dort muß er sich bald ausgesprochen wohl gefühlt haben, berichtete er doch seinem Freund Ernst im November 1889: »Mein Regiment ist entzückend. Die Offiziere fast alle hervorragend angenehm, so daß ich mich sofort heimisch fühlte und auf sehr gutem Fuß mit allen stehe. Hayling ist mein Rittmeister, und Du kannst Dir denken, daß er mich mit Dienst nicht überhäuft. Ich finde fast zu wenig. Ich habe Hayling sehr gern, nur rennt er zu viel zu den Weibern und sitzt jeden Abend im Wirtshaus. Ich habe meine Not, ihm zu entgehen, wenn er mich mitnehmen will.«43

Der Militärdienst war für jeden Thronanwärter obligatorisch, da sich das Kaiserreich als eine Militärmonarchie verstand, jeder regierende Fürst hatte als Heerführer einen Generalsrang einzunehmen. Die Angehörigen der Fürstenhäuser durchliefen aber nicht die gesamte militärische Laufbahn, sondern nur die vom Leutnant aufwärts, sie ließen die niederen Ränge der Offiziersanwärter aus. In den Garderegimentern war man ohnedies mehr oder minder unter sich. Der Dienst dort wurde so zu einer Art »innerer Kavalierstour«44 – man pflegte den Kontakt mit Vertretern unterschiedlicher Adelsfamilien und integrierte sich so in die hochadelige Gesellschaft.

Der Wert der adeligen Offiziere für das Regiment lag vor allem darin, daß sie der Formation durch ihre Namen Reputation einwarben. Innerhalb dieser Gruppe wurden diejenigen deutlich herausgehoben, die qua Geburt weit über ihren Kameraden standen. Sie logierten auch nicht in der Kaserne, sondern privat. So wie Prinz Max, der zu Beginn seiner Militärkarriere 1889 in der Gitschinerstraße 106 in Berlin-Kreuzberg am Belle-Alliance-Platz ein großzügiges Wohnquartier mit Blick auf den Landwehrkanal bezog, das er für die nächsten zehn Jahre bewohnte. Um die Aufgaben des Alltags zu erledigen, gab es neben dem Dienstpersonal einen Leibdiener, für die ästhetischen Bedürfnisse eine Beletage mit Konzertflügel und vieles andere mehr.

Die Hauptaufgabe der Garderegimenter war nicht das Kriegshandwerk, sondern das Repräsentieren. Garde war freilich nicht gleich Garde, es gab eine ausgefeilte Rangordnung, die vor allem gesellschaftlich spürbar war.45 Die ranghöchsten standen an vorderster Front, an erster Stelle unter den Garde-Kavallerie-Regimentern die Gardes du Corps, an zweiter Max’ Garde-Kürassier-Regiment – beides rein aristokratisch geprägte Verbände mit Nähe zum Kaiserhof. Paraden, Defilees und andere militärische Darbietungen mußten perfekt zelebriert werden, und auch die großen Manöver – vor allem, wenn sie vor Wilhelm II. stattfanden. Gerade die Manöver boten einen Anblick so abenteuerlicher Gewaltexerzitien, daß ausländische Beobachter wie der britische Feldmarschall Lord Roberts sich buchstäblich auf die Rückseite der Bühne begaben, um herauszufinden, wieviel vom und mit Pferd gestürzte Kavalleristen und andere Verunfallte es zu zählen gab.46

Max, der schlank, kräftig und breit war und auch passabel reiten konnte,47 machte bei solchen Gelegenheiten eine gute Figur, wie wir von dem ehemaligen badischen Legationssekretär in Berlin, Alexander Schaible, wissen: »Ich erinnere mich aus meiner Studentenzeit, daß ich einmal Unter den Linden stand, als der Prinz an der Spitze einer Schwadron Kürassiere hergeritten kam, den funkelnden Küraß über dem schneeweißen Koller, mit dem silbernen Adlerhelm auf dem Kopfe.« Da sei plötzlich, nachdem er mit Max einen Gruß getauscht hatte, eine Dame »mit ganz irren Blicken« auf ihn zugestürzt »und fragte zitternd vor Erregung in gebrochenem Deutsch: ›Wer ist diese schöne Mann?‹«48 Schaible erwähnt auch, daß die Berliner Hoffotografen »mit Vorliebe Bilder des Prinzen« ausstellten und diese Popularität maßgeblich zu dem typisch Berliner Spitznamen »der Bademax« geführt habe.

Ob dieser despektierliche Name Max’ Abneigung gegen die preußische Metropole begründet? »Berlin ist mir unleidlich«, heißt es im Dezember 1891.49 So versuchte er, sooft es der Jahresablauf der Offiziersanwärter erlaubte, der Stadt zu entkommen; die Zeit zwischen Frühjahrs- und Herbstmanöver verbrachte er meist bei seinen Eltern am Bodensee oder auf Reisen. Daß die Kriegsführung der eigentliche Zweck des Militärs war, hat er aus eigener Anschauung oder gar Praxis kaum erfahren müssen. Der alltägliche Dienst bestand im wesentlichen darin, Soldaten, Pferde und Ausrüstung zu kontrollieren sowie das ewig gleiche Exerzieren und Kommandieren von Formationsbewegungen zu überwachen; gefolgt von ein paar Reit- und Fechtübungen. Die überragende Rolle im Sozialleben der Offizierskorps spielte das Kasino des Regiments, meist ein nobles Gebäude mit luxuriöser Innenausstattung. In gastronomischer Hinsicht standen die Kasinos der Luxusregimenter guten Hotels in nichts nach, und sie boten überdies den Vorteil, halböffentliche informelle Räume zu sein, in denen vieles erlaubt war.50 Hochgeistige Gespräche waren hier allerdings kaum zu führen, wie Max bezeugt: »Ich liebe meine Kameraden sehr und fühle mich in ihrer Mitte zu Hause, aber trotzdem ist mir die herrschende Oberflächlichkeit, die materielle Auffassung und Torheit im Gespräch geradezu zuwider. [Rittmeister] Hayling ist so entsetzlich aufs Sinnliche hinaus, daß er an nichts anderes denkt und fast von nichts weiter spricht«.51 Allerdings konnte sich kein Offizier dem Kasinoleben völlig entziehen, fanden hier doch auch gemeinsame Festessen, »Liebesmahle« genannt, sowie andere Feierlichkeiten des Korps statt, vor allem die Initiationsriten, die meist mit erheblichem Alkoholkonsum verbunden waren.52 Die Kasinogeselligkeit trug bisweilen auch homoerotische Züge, wie das gemeinsame Tanzen der Offiziere miteinander. Die Luxusregimenter pflegten dabei eine aristokratische Männerbündelei, die nicht selten etwas Grobsinnliches hatte.53 Trotzdem war es selbst für hochgestellte Persönlichkeiten durchaus nicht genierlich, im Kasino als Gast der Gardeoffiziere zu speisen.54

Seine militärische Karriere verlief ähnlich wie das Jurastudium; Max zeigte auch als Offizier wenig Ehrgeiz und noch weniger innere Anteilnahme.55 Ab Herbst 1891 leitete er die Ausbildung der Rekruten des Regiments, eine Aufgabe, die ihm auf eigenen Wunsch zugeteilt wurde – »so lerne ich doch wenigstens Menschen behandeln«.56 Die Beförderung zum Premierleutnant kam erst im Herbst 1893, also volle vier Jahre nach dem Eintritt in das Regiment.57 Möglicherweise lag das an einem körperlichen Leiden, denn bereits 1892 klagte er: »Ich habe ischiatische Schmerzen im rechten Bein und in der Hüfte, die mich namentlich beim Reiten schmerzt. Ein Kavallerist, der nicht reiten kann!«58 Im Januar 1893 stürzte er auch noch vom Pferd, wodurch er für einige Zeit dienstunfähig wurde. Danach wünschte er »auf ein Jahr dem Dienst den Rücken zu kehren und wieder Mensch zu werden«.59 Eine grand tour war geplant. Auch der Oberste Kriegsherr verweigerte sich dem Ansinnen nicht. Bei einem Besuch in Karlsruhe Mitte September 1893 sprach Wilhelm II. die Beförderung zum Premierleutnant gleichzeitig mit der à la suite-Stellung des Prinzen aus. Max fühlte sich geschmeichelt: »Man scheint sogar ziemlich zufrieden mit mir gewesen zu sein, denn mein Kommandeur hat mich nur ungern scheiden lassen«.60 Aus der in Aussicht genommenen Orientreise wurde freilich nichts, da sich eine Blinddarmreizung einstellte, die noch monatelang nachwirkte. Von Sommer 1893 bis Ende Oktober 1894 blieb der Prinz vom Militärdienst beurlaubt. Dann zog es ihn wieder nach Norden. Ja, er freute sich sogar »trotz vieler Nachtheile, die das Leben im scheußlichen Berlin mit sich bringt, auf meinen Dienst und das Leben in dem mir angenehmen Kameradenkreis«.61

Beim Exerzieren mußte er allerdings feststellen, »daß mein Ischias nicht besser, sondern schlimmer war, und ich stand vor der Alternative, entweder den Mann zu finden, der mich kurierte oder das Reiten aufzugeben«. Der Mann war Bismarcks Leibarzt Ernst Schweninger, nach der Entlassung des Eisernen Kanzlers begehrter Medikus der Berliner High-Society.62 Schweninger adaptierte offenbar eine Form der Chiropraktik, die Max so beschrieb: Er »malträtierte mich unsagbar, fand Alles, wußte Alles, und half!« Er wurde zur rechten Zeit wieder einsatzfähig, denn Wilhelm II. befahl ihn als seinen persönlichen Ordonanzoffizier zu den Kaisermanövern nach Stettin vom 9. bis 11. September 1895. In freudiger Erwartung schrieb der Erwählte: »Ich werde in dieser Eigenschaft das Glück haben, die großen militärischen Kombinationen und Schauspiele von der Vogelperspektive aus beobachten zu können, und es wird mir Gelegenheit geboten viel zu lernen. Ich reite immer in unmittelbarer Nähe des Kaisers, und muß eventuell seine Befehle übermitteln.«

Dieses Ereignis stellte den Höhepunkt in Max’ früher Militärzeit dar.63 Das Manöver dauerte gegenüber den vier vorangegangenen »Kaisertagen«, die mit Paraden, Diners und anderen repräsentativen Aufgaben ausgefüllt waren, nur knapp drei Tage. Wilhelm II. befehligte dabei – nur vom österreichischen Kaiser Franz Joseph und wenigen Adjutanten begleitet – die »Südarmee«, die eine fiktive Invasion von der Ostseeküste abzuwenden hatte – erfolgreich, versteht sich. Am 12. September wurde Max von Baden zum Rittmeister ernannt, allerdings vorerst ohne Chef einer Eskadron zu werden. Dies weckte neuen Enthusiasmus für den ungeliebten Militärberuf. Mehr noch, es motivierte ihn, tatsächlich »zu dienen so lange es mir gefällt und ich es aushalte. Dank Schweninger ist mein Ischias viel besser, und ich reite, seit Jahren endlich wieder, ohne Schmerzen.«64

Die Karriere des Max von Baden beim Militär macht einen eher unsoldatischen Eindruck. Allerdings muß man von einem anderen (Selbst-)Bild des Offiziers – zumal des Gardeoffiziers – ausgehen als dem uns heute geläufigen. Der kämpferisch orientierte Typus des »erhitzten Kriegers« und des »kühlen Profis«, die später im Ersten Weltkrieg ihre heroische Bewährung an der Front suchten und dann tausendfach den »Heldentod« starben, bildete sich erst um die Jahrhundertwende heraus. Zuvor stand gerade bei den sogenannten Eliteeinheiten im Offizierskorps vielfach ein »Dekorationsmilitarismus« in Blüte, bei dem es vornehmlich um die Pflege ritterlich-kavaliersmäßiger Tugenden ging.65 So war auch Max eher ein schöngeistiger Aristokrat in prächtiger Uniform. Militaristische Attitüden waren ihm fremd; auch als preußischer Berufssoldat waren es Eleganz, Kultiviertheit, verfeinerter Lebensstil und nicht zuletzt seine europäische Ausrichtung, die sein gesellschaftliches Auftreten auszeichneten.

Der Endzeitkanzler

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