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a) Interessenkollision (§ 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA)
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Vor der Annahme eines Verteidigerauftrags hat der Anwalt gewissenhaft zu prüfen, ob der Ausübung des ihm angetragenen Mandats nicht eine derzeitige oder frühere Tätigkeit in anderer Sache entgegensteht. Ein Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen enthalten zum einen die berufsrechtlichen Regelungen der § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA. Schutzgut dieser Vorschriften ist das individuelle Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant und die Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege.[111]
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Gemäß § 43a Abs. 4 BRAO darf der Rechtsanwalt „keine widerstreitenden Interessen“ vertreten.[112] Dieses Verbot wird in § 3 Abs. 1 BORA weiter konkretisiert: der Rechtsanwalt darf grundsätzlich nicht tätig werden, wenn er – gleich in welcher Funktion – eine andere Partei in „derselben Rechtssache“ im widerstreitenden Interesse berät oder vertritt, bzw. bereits beraten oder vertreten hat.
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Der Begriff „derselben Rechtssache“ ist dabei ebenso (weit) auszulegen wie bei § 356 StGB (siehe Rn 141 f.). Unter Rechtssache ist jede rechtliche Angelegenheit zu verstehen, die zwischen mehreren Beteiligten mit möglicherweise entgegenstehenden rechtlichen Interessen nach Rechtsgrundsätzen behandelt werden soll.[113] Dieselbe Rechtssache liegt insbesondere auch dann vor, wenn in verschiedenen Verfahren derselbe einheitliche Lebenssachverhalt von Bedeutung ist,[114] mag sich die Vertretung auch auf unterschiedliche Rechtsgebiete erstrecken. Die § 43a BRAO, § 3 Abs. 1 BORA (und auch § 356 StGB) sind etwa zu bejahen bei gleichzeitiger oder aufeinander folgender Vertretung von Täter und Opfer. So kann der Verteidiger des wegen eines Verkehrsdelikts beschuldigten Unfallverursachers nicht dessen Beifahrer im Zivilrechtsstreit gegen die Haftpflichtversicherung des Beschuldigten vertreten.[115]
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Wann ein Interessenwiderstreit besteht, klären die § 43a BRAO, § 3 BORA nicht. Es ist streitig, ob das Vorliegen einer Interessenkollision alleine nach der objektiven Interessenlage,[116] ausschließlich subjektiv anhand der Zielsetzung der Parteien,[117] oder aufgrund einer Mischung beider Aspekte[118] zu beurteilen ist. Gerade im Strafverfahren ist jedenfalls eine rein subjektive Betrachtungsweise angesichts des dort geltenden Untersuchungsgrundsatzes kaum denkbar[119] und wäre der Rechtssicherheit abträglich. Im Übrigen scheinen die Auffassungen der Gerichte stark vom Einzelfall geprägt zu sein. In Zweifelsfällen empfiehlt es sich allemal, soweit dies die Zeit erlaubt, eine Auskunft der zuständigen Rechtsanwaltskammer einzuholen, andernfalls von der Übernahme des Mandats vorsichtshalber abzusehen.
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Ein berufsrechtliches Vertretungsverbot kann sich auch aus der Vorbefasstheit in Sozietät oder Bürogemeinschaft verbundener Kollegen ergeben. Deshalb wurden die Grundsätze für die Annahme einer Interessenkollision zunächst ohne Weiteres auch auf Sozietäten und Bürogemeinschaften erstreckt (§ 3 Abs. 2 BORA). Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorschrift des § 3 Abs. 2 BORA in seiner Sozietätswechslerentscheidung vom 3.7.2003[120] in ihrer Grundsätzlichkeit für verfassungswidrig erklärt, woraufhin die Satzungsversammlung der deutschen Anwaltschaft nunmehr mit Beschluss vom 7.11.2005 die Vorschrift des § 3 Abs. 2 BORA nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts neu gestaltet hat. Danach soll das Verbot des § 3 Abs. 1 BORA wie bislang auch bei Sozietäten und Bürogemeinschaften gelten, jedoch nunmehr mit der Möglichkeit, das Mandat im Einzelfall zu übernehmen, wenn und soweit die betroffenen Mandanten in den widerstreitenden Mandaten sich nach umfassender Information hiermit ausdrücklich einverstanden erklärt haben und auch Belange der Rechtspflege dem nicht entgegen stehen. Sowohl die Information der betroffenen Mandanten, als auch die Einverständniserklärung sollen in Textform erfolgen.
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Ein Verstoß des Rechtsanwalts gegen § 43a BRAO, § 3 Abs. 1 BORA führt unweigerlich zur Nichtigkeit des Anwaltsvertrags,[121] sodass der Rechtsanwalt seinen Vergütungsanspruch verliert. Nach § 3 BRAO besteht die Pflicht zur Niederlegung des Mandats. Zudem drohen dem Rechtsanwalt anwaltsgerichtliche Maßnahmen i.S.d. § 114 BRAO und schlimmstenfalls ein Strafverfahren wegen Parteiverrats.
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Verfahrensrechtlich hat der Verstoß allein gegen die berufsrechtlichen Vorschriften insoweit keine Folgen, als eine Zurückweisung des Verteidigers durch das Gericht hiermit nicht begründet werden kann.[122] Im Falle der Pflichtverteidigung kann das Gericht allerdings von einer Beiordnung gem. § 142 Abs. 1 S. 3 StPO aus wichtigem Grund absehen, wenn konkrete Umstände ergeben, dass ein Interessenkonflikt besteht, der es dem Verteidiger nicht erlaubt, die Verteidigung mit vollem Einsatz zu führen.[123]