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e) Sockelverteidigung
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Obgleich das Verbot der Mehrfachverteidigung eigentlich dem Schutz des Mandanten vor schlechter Verteidigung dienen soll,[144] so bringt es diesem doch auch Nachteile.[145] Gerade in umfangreichen Ermittlungsverfahren gegen eine Vielzahl von Beschuldigten besteht nicht nur ein Ungleichgewicht zwischen dem allseits informierten sachbearbeitenden Staatsanwalt und der Zersplitterung der Verteidigerseite mit einer Vielzahl von Anwälten. Auch ist ein auf dem jeweiligen Gebiet erfahrener Verteidiger oftmals für einen potentiellen Mandant bereits „verbrannt“, weil er mit dem Verfahren schon im Auftrag eines anderen Beschuldigten betraut ist. Letztlich erhöhen sich nicht nur der Aufwand auf Verteidigerseite, sondern damit zugleich auch die Kosten für die betroffenen Beschuldigten. Diejenigen Fälle, in denen die Verteidigung lediglich eines Mitbeschuldigten ausreichend erscheint, weil sie sich faktisch und zwangsläufig auch auf die übrigen Mitbeschuldigten auswirkt, sind eher selten, unabhängig davon, dass der Verteidiger jeweils ausschließlich die Interessen seines eigenen Mandanten zu beachten hat. Ausgeglichen werden können diese Nachteile – bis auf die Kostenproblematik – durch das Institut der Sockelverteidigung.[146] Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss mehrerer Verteidiger verschiedener Beschuldigter desselben Verfahrens mit einer gemeinsamen Zielsetzung im Rahmen einer „Verhaltenskoordinierung“. Die Sockelverteidigung kann sich insbesondere dann als notwendig erweisen, wenn die Interessenlage der Beschuldigten weithin identisch sind, ihre Verteidigungsmöglichkeiten sich überwiegend gleichen und die Koordination des Prozessverhaltens geeignet ist, die Verteidigungschancen jedes einzelnen Beschuldigten erheblich zu erhöhen.[147] Unabdingbare Voraussetzung für eine Sockelverteidigung ist es hierbei, dass jeder einzelne Verteidiger das Interesse seines eigenen Mandanten mit der gemeinsamen Zielsetzung in Einklang zu bringen vermag. Die Vorteile bestehen in einem verlässlichen Informationsaustausch untereinander und (für die Dauer der Sockelverteidigung bindenden) Absprachen im Verteidigungsverhalten im Sinne einer gemeinsamen Verteidigungsstrategie.
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So ist es beispielsweise ohne Weiteres zulässig, Stellungnahmen gegenüber den Strafverfolgungsbehörden untereinander abzustimmen und die jeweils hierzu benötigten Informationen und die (vor-)gefertigten Schriftsätze zu diesem Zweck miteinander auszutauschen.[148] Auch dass der eine Verteidiger, ggf. gemeinsam mit seinem Mandanten an Gesprächen teilnimmt, die der andere Verteidiger mit seinem Mandanten führt, ist per se nicht zu beanstanden.[149] Man muss sich dann aber stets vor Augen halten, dass der Mandant des Kollegen ein zu wahrheitsgemäßer Aussage verpflichteter Zeuge wird, wenn er den Beschuldigtenstatus z.B. durch rechtskräftiges Urteil verliert. Der Verteidiger muss hierbei immer und zuförderst die Interessen seines eigenen Mandanten im Auge haben und jedwedes kooperatives Vorgehen diesem Interesse unterordnen. Die Grenzen des Verteidigers innerhalb der Sockelverteidigung bestimmen sich damit auch aus dem Innenverhältnis zum eigenen Mandanten.
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Gehen die Interessen des eigenen Mandanten und diejenigen der übrigen Beschuldigten auseinander, so muss der Verteidiger sich unverzüglich von der Sockelverteidigung lösen und die übrigen Verteidiger ausdrücklich hierüber in Kenntnis setzen. Ein Verteidiger, der die aus der Sockelverteidigung gewonnenen Informationen dazu gebraucht, die übrigen Verteidiger im Glauben auf den Fortbestand der Sockelverteidigung zu lassen und ihnen zugleich entgegen den getroffenen Absprachen in den Rücken fällt (Geständniswettlauf), verhält sich in höchstem Maße unkollegial. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Informationen über das Verteidigungsverhalten der Mitbeschuldigten grundsätzlich freiwillig in die Sockelverteidigung eingebracht wurden. Damit sind sie ohne Weiteres verwertbar, wovon der Verteidiger ggf. nach erfolgter Aufkündigung der Sockelverteidigung im Interesse seines Mandanten Gebrauch zu machen hat. Jede Sockelverteidigung birgt daher für den Fall ihrer (vorzeitigen) Beendigung ein nicht unerhebliches Risiko für den eigenen Mandanten, über das er vom Verteidiger aufzuklären ist.
Kapitel 1 Die Übernahme des strafrechtlichen Mandats › A. Allgemeines › IV. Strafrechtliche Risiken bei der Verteidigertätigkeit